Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: AFG § 115 Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug:
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Höhe von Arbeitslosengeld (Alg). Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Nebeneinkünften, insbesondere den Modus, nach dem der Wert eines im März 1997 angeschafften tragbaren Computers (PC) zu berücksichtigen ist.
Der 1939 geborene Kläger steht seit 1993 mit Unterbrechungen im Leistungsbezug der beklagten Bundesanstalt (BA). Er geht Nebenbeschäftigungen als Honorarlehrer für den Studienkreis Z. und privater Nachhilfelehrer nach. Wegen des Umfangs dieser Nebentätigkeiten und der Berücksichtigung der Nebeneinkünfte kam es mehrfach zu Entscheidungen der Beklagten ua zur Aufhebung von Bewilligungsbescheiden und Rückforderungen von Leistungen wegen Änderung der Verhältnisse.
Auf einen Antrag des Klägers vom , mit dem er "die sofortige Abschreibung eines PC in Höhe des jeweiligen monatlichen Nettonebenverdienstes bis zur 100 %igen Tilgung" verlangte, teilte die BA in einem Schreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung vom mit, die "Abschreibung" eines PC vom Nebeneinkommen in voller Höhe sei nicht zulässig. Den Widerspruch des Klägers verwarf die BA zunächst mit Widerspruchsbescheid vom als unzulässig. Der Kläger erhob Klage. Gegenüber dem Sozialgericht (SG) erklärte sich die Beklagte bereit, über den Widerspruch erneut zu entscheiden. Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom beschied sie den Rechtsbehelf des Klägers zur Sache und führte aus, der vom Finanzamt bestätigten steuerrechtlichen Praxis entsprechend, sei die Anschaffung des PC im Wert von rd 4.000 DM in einem Zeitraum von 3 Jahren als Werbungskosten zu berücksichtigen, sodass sich "die lineare Abschreibung in Höhe von 26,16 DM wöchentlich" ergäbe. Mit diesem Vorgehen ließen sich Überzahlungen vermeiden und das Jahresprinzip im Steuerrecht mit dem Wochenprinzip in der Arbeitslosenversicherung in Einklang bringen. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger erneut Klage erhoben.
Vor dem SG hat der Kläger beantragt,
die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom zu verurteilen, die sofortige Abschreibung des PC im Wert von 4.000,01 DM in Höhe des jeweiligen monatlichen Nebeneinkommens bis zur 100 %igen Tilgung ab anzuerkennen und entsprechend zu bescheiden.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom im Wesentlichen stattgegeben.
Mit der Berufung hat die BA ihre im Widerspruchsbescheid vom vertretene Ansicht weiter verfolgt. Die Beteiligten haben vor dem Landessozialgericht (LSG) am folgenden Teilvergleich geschlossen:
I. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist nach dem übereinstimmenden Willen beider Beteiligter lediglich der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom sowie des Widerspruchsbescheides vom .
Im Verfahren soll die Frage geklärt werden, in welcher Höhe die Anschaffungskosten für das Notebook wöchentlich als Werbungskosten vom Nebeneinkommen abgesetzt werden können.
II. Die Bescheide vom , und sowie der Leistungsnachweis vom sind nicht Gegenstand des Verfahrens.
III. Die Beklagte verpflichtet sich, die rechtskräftige Entscheidung des Gerichts umzusetzen.
Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat sich der Ansicht angeschlossen, Werbungskosten seien nur in steuerrechtlich zulässigem Umfang von Nebeneinkünften abzusetzen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Er rügt eine Verletzung des § 115 Abs 1 Satz 1 AFG.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und verweist dazu auf den Zweck der Anrechnungsvorschrift.
Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage hingewiesen.
II
Die Revision des Klägers ist nur in soweit begründet, als das LSG den Widerspruchsbescheid vom als rechtmäßig angesehen hat. Dieser Widerspruchsbescheid ist rechtswidrig, sodass seine Aufhebung durch das SG aufrechtzuerhalten und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen ist. Im Übrigen beruht die Entscheidung des LSG nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 170 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Die Äußerung einer Rechtsansicht im Schreiben vom über die Berücksichtigung von Werbungskosten bei der Anrechnung von Nebeneinkünften auf das Alg unabhängig von der Feststellung der Leistung enthält keine Regelung eines Einzelfalles mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen iS des § 31 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X), die zulässiger Gegenstand einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sein könnte.
1. Der Kläger wendet sich mit der verbundenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) gegen die Mitteilung der BA vom , wonach die Berücksichtigung der Anschaffungskosten eines PC in voller Höhe bei der Anrechnung von Nebeneinkommen nicht zulässig sei. Gegenstand einer solchen Klage ist ein Anspruch auf Aufhebung und Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts. Beschwert ist der Kläger nur, wenn er behaupten kann, durch einen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). Weist die angegriffene und begehrte Äußerung der BA nicht die Merkmale eines Verwaltungsakts iS des § 31 Satz 1 SGB X auf, ist die Klage mangels Beschwer unzulässig. Die genannten Vorschriften setzen der Dispositionsbefugnis der Beteiligten Grenzen. Den Beteiligten ist es deshalb verwehrt, im Rahmen des vor dem LSG geschlossenen Vergleichs ihre unterschiedliche Rechtsansicht zu einem Element der Berechnung des Alg - der Berücksichtigung von Werbungskosten bei Nebeneinkünften während des Leistungsbezugs - zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
1.1 Die Anfechtungsklage gegen die im Schreiben vom mitgeteilte Ansicht, über die Grenzen der Berücksichtigungen von Anschaffungskosten eines PC als Werbungskosten, ist nicht zulässig. Das Schreiben weist nicht die Merkmale eines Verwaltungsaktes iS des § 31 Satz 1 SGB X auf, sodass eine Klagebefugnis nach § 54 Abs 1 Satz 2 SGG nicht besteht (BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 7). Die Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen ist nicht gegeben, wenn die BA lediglich eine Rechtsansicht äußert. Form und Inhalt des Schreibens lässt sich nicht entnehmen, dass die gesetzliche Regelung des § 115 AFG für den Einzelfall mit Bindungswirkung "festgestellt, konkretisiert oder individualisiert" wird (BVerwGE 79, 291, 293 mwN). Diese Merkmale sind erst erfüllt, wenn die BA bei der Feststellung einer Rechtsfolge - hier: der Höhe des Alg - Folgerungen aus ihrer Rechtsansicht zieht, die unmittelbar Wirkungen für den Kläger haben, indem sie die ihm zustehende Leistung der Höhe nach feststellt (BSGE 75, 97, 107 = SozR 3-4100 § 116 Nr 2). Konkrete Folgen für die dem Kläger zustehenden Leistungen hat die BA jedoch in dem Schreiben vom nicht gezogen, sodass diese Äußerung nicht Gegenstand einer zulässigen Anfechtungsklage sein kann. Der Widerspruchsbescheid vom , mit dem die BA den Widerspruch als unzulässig verworfen hat, entsprach deshalb der Rechtslage.
1.2 Dagegen ist der Widerspruchsbescheid vom ein Verwaltungsakt und damit zulässiger Gegenstand der Anfechtungsklage, weil er nach Form und Inhalt den Anschein erweckt, die BA habe eine der Bindungswirkung unter den Beteiligten (§ 77 SGG) zugängliche Regelung über die Höhe der zu berücksichtigenden Werbungskosten bei der Anrechnung von Nebeneinkünften auf das Alg getroffen (sog formeller Verwaltungsakt; -). Dieser Widerspruchsbescheid ist rechtswidrig und aufzuheben, weil die Beklagte den Widerspruch des Klägers bereits mit dem Widerspruchsbescheid vom wirksam und damit abschließend beschieden hatte. Damit war das Widerspruchsverfahren abgeschlossen. Jedenfalls nach Klageerhebung gegen diesen Widerspruchsbescheid bestand keine Befugnis zu einer erneuten Entscheidung (BSGE 75, 241, 244 = SozR 3-5850 § 1 Nr 1). Abgesehen davon beruht der Widerspruchsbescheid vom auf der - wie ausgeführt - unzutreffenden Ansicht, die BA habe am zur Höhe der Werbungskosten eine Regelung mit unmittelbarer Außenwirkung und damit einen Verwaltungsakt erlassen. Durch den Erlass des Widerspruchsbescheids vom als formellen Verwaltungsakt ist der Kläger iS des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG beschwert ( -), sodass die isolierte Aufhebung dieses Widerspruchsbescheids zulässig und geboten ist (BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 14).
1.3 Der Klageantrag lässt sich auch nicht in eine Feststellungsklage iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG umdeuten. Abgesehen davon, dass ein Bedürfnis für eine Umdeutung nicht zu erkennen ist, steht dieser auch entgegen, dass der Antrag keinesfalls auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, sondern allenfalls gegen eine Rechtsansicht der BA gerichtet ist. Es entspricht allgemeiner Rechtsansicht, dass die Feststellungsklage grundsätzlich nicht zulässig ist, um die Antwort auf Rechtsfragen - insbesondere zu einzelnen Berechnungselementen von Leistungen - durch gerichtliche Verfahren herbeizuführen (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 55 RdNr 9 mwN). Im Übrigen ist ein berechtigtes Interesse des Klägers an einer Feststellung zum Umfang der Berücksichtigung von Werbungskosten bei der Anrechnung von Nebeneinkünften nicht ersichtlich. Er hätte gegen die im Vergleich vom aus dem Verfahren ausgegliederten Bescheide über die Höhe seiner Leistung vorgehen können, sodass ein Rechtsschutzbedürfnis für die subsidiäre Feststellungsklage nicht besteht.
1.4 Der Entscheidung des Senats steht nicht die Rechtsprechung entgegen, wonach auch im Höhenstreit ein Grundurteil nach § 130 SGG zulässig ist (BSGE 88, 299, 300 = SozR 3-4300 § 137 Nr 1). Diese Rechtsprechung setzt die Beschwer des Klägers iS des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG durch die Feststellung der Leistung der Höhe nach voraus. Gerade eine Beschwer ist jedoch nicht vorhanden, wenn - wie hier - die BA lediglich eine Rechtsansicht zu einem Berechnungselement äußert, ohne die Leistung festzustellen. Die einen Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X kennzeichnende unmittelbare Rechtswirkung nach außen fehlt, weil die Rechtsstellung des Klägers ohne weiteren Umsetzungsakt - das ist hier die Feststellung des Alg der Höhe nach - nicht berührt ist (BSGE 75, 97, 107 = SozR 3-4100 § 116 Nr 2; BVerwGE 90, 220, 222 f). Durch die im Schreiben vom geäußerte Rechtsansicht hat die BA noch nicht darüber entschieden, ob dem Kläger ein Anspruch auf höheres Alg zusteht. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung von dem Ergebnis der Prüfung weiterer Anspruchsvoraussetzungen nach Grund und Höhe abhängig. Macht ein Leistungsbezieher einen Anspruch auf höhere Leistung geltend, so ist im gerichtlichen Verfahren nicht nur die von ihm geltend gemachte Beanstandung, sondern die Rechtmäßigkeit der Leistungsfeststellung unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (BSGE 66, 168, 175 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1). Daran ist festzuhalten, weil andernfalls die in § 54 Abs 1 SGG geregelten Grundlagen des sozialgerichtlichen Rechtsschutzes nicht gewahrt sind.
1.5 Durch die hier vertretene Rechtsansicht wird der Justizgewährungsanspruch des Klägers nach Art 19 Abs 4 Grundgesetz nicht verletzt. Dieser verfassungsrechtliche Anspruch umfasst nicht einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch, sondern setzt die Betroffenheit des Klägers in eigenen Rechten voraus (BSGE 85, 83, 91 = SozR 3-4100 § 186b Nr 1 mwN). Dass der Kläger durch die im Schreiben vom zur Berücksichtigung von Werbungskosten geäußerte Rechtsansicht der Beklagten noch nicht iS des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG in seinen Rechten verletzt ist, ergibt sich aus den Ausführungen zu 1.2 bis 1.4. Darauf wird Bezug genommen.
2. Zur materiellen Rechtslage hat sich der Senat damit im Urteil nicht zu äußern. Das erörterte Klagesystem der §§ 54, 55 SGG steht der Bestimmung der Beteiligten, worüber sie eine gerichtliche Entscheidung im Rahmen des Vergleichs vom anstreben, entgegen.
Die Entscheidung des Senats hat lediglich den Verstoß gegen das Verwaltungsverfahrensrecht durch Erlass des Widerspruchsbescheids vom auszuräumen. Im Übrigen beruht die Entscheidung des LSG nicht auf einer Rechtsverletzung, sodass die Revision im Wesentlichen keinen Erfolg haben kann.
Unter diesen Umständen erscheint es angemessen, nach § 193 Abs 1 SGG auch von einer Erstattung der Kosten des Revisionsverfahrens abzusehen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
IAAAC-14730