Leitsatz
Über die Anhörungsrüge gegen eine mit ehrenamtlichen Richtern getroffene Entscheidung befindet ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit jedenfalls dann ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, wenn die Rüge ohne mündliche Verhandlung als unzulässig verworfen wird.
Gesetze: SGG § 12 Abs 1 S 2; SGG § 178a Abs 2 S 6
Instanzenzug: SG Dortmund S 18 V 219/99 vom LSG Essen L 7 V 2/04 vom
Gründe
I
Der 1958 geborene Kläger macht nach dem Tode seines kriegsbeschädigten Vaters Anspruch auf Waisenrente gemäß § 45 Abs 3 Satz 1 Buchst c Bundesversorgungsgesetz geltend.
Der Beklagte lehnte die beantragte Leistung ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ), weil der Kläger bei Vollendung des 27. Lebensjahres nicht außer Stande gewesen sei, sich selbst zu unterhalten. Das Sozialgericht Dortmund (SG) hat den Beklagten auf die am erhobene Klage verurteilt, ab November 1991 Waisenrente zu gewähren (Urteil vom ). Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat diese Entscheidung "abgeändert" und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückverwiesen (Urteil vom ). Der Sachverhalt sei nicht hinreichend aufgeklärt. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen. Auf die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Dieser Beschluss ist dem Kläger am zugestellt worden.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der am beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Anhörungsrüge nach § 178a Sozialgerichtsgesetz (SGG). Er macht geltend, der Senat habe bei seiner Entscheidung einen auf die Beschwerdeerwiderung des Beklagten vom eingehenden, die Beschwerdebegründung ergänzenden Schriftsatz vom nicht mehr beachtet und ihn folglich rechtlich nicht ausreichend gehört (Schriftsatz vom ). Nachdem er zunächst mitgeteilt hatte, im Verfahren der Anhörungsrüge bewusst auf das Argument überlanger Verfahrensdauer mit den daraus sich ergebenden verfahrensrechtlichen Folgen verzichtet zu haben (Schriftsätze vom und ), hat der Kläger mit Schriftsatz vom "erneut den Rechtsbehelf der Verfahrensrüge", hilfsweise Anhörungsrüge, erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, das BSG habe seine gegen die überlange Verfahrensdauer gerichtete Rüge übergangen, die zur Zulassung der Revision und im Revisionsverfahren zu dem Ausspruch hätte führen müssen, dass das Verfahren - nach überlanger Dauer - mit dem klagestattgebenden Urteil des SG beendet sei.
Die am eingelegte Anhörungsrüge ist unzulässig, weil der Kläger nicht formgerecht (§ 178a Abs 2 Satz 6 SGG) dargelegt hat, dass der Senat den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
In der Begründung einer Anhörungsrüge ist schlüssig auszuführen, inwiefern der behauptete Verstoß des Gerichts sich auf dessen Entscheidung ausgewirkt haben kann, der Anhörungsfehler für die Entscheidung also rechtlich kausal gewesen sein soll. Das ist hier nicht hinreichend geschehen.
Der Umstand, dass der Schriftsatz des Klägers vom vom Senat nicht mehr berücksichtigt worden ist, könnte nur dann als entscheidungserheblich angesehen werden, wenn der Kläger in dem betreffenden Schreiben neue, rechtserhebliche Argumente vorgebracht hätte, die geeignet sein könnten, eine für ihn günstigere Entscheidung herbeizuführen als die vom Senat durch Beschluss vom ausgesprochene Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG. Der Kläger sieht sowohl eine Zulassung der Revision (mit einer anschließenden revisionsgerichtlichen Feststellung der Wirkungslosigkeit des Berufungsurteils) als günstiger an als auch eine - nach der Rechtsprechung zu § 160a Abs 5 SGG unter bestimmten Voraussetzungen mögliche (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 6) - bloße Aufhebung des Berufungsurteils. Er ist der Ansicht, er hätte entsprechende Entscheidungen des BSG im Hinblick darauf erreichen können, dass das LSG in seinem Urteil vom die erstinstanzliche Entscheidung nur "abgeändert" und nicht aufgehoben habe. Die darin liegende Unklarheit stelle einen Verfahrensmangel dar, der das Berufungsurteil wirkungslos mache. Dazu legt er dar, er habe "vor dem Hintergrund des Vortrages im Schriftsatz vom " seine Einlassungen am weiter ergänzt. Damit hat er nicht deutlich gemacht, welche seiner mit Schriftsatz vom gemachten Ausführungen gegenüber seinem bereits vor dem Senatsbeschluss vom erfolgten Vorbringen (59-seitige Beschwerdebegründung vom , 7-seitiger Schriftsatz vom ) im Hinblick auf die von ihm eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wirklich neu sind. Soweit sich der Kläger unter dem auf die vom Beklagten am eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde eingelassen hat, betrifft dies einen Gegenstand, über den der Senat in seinem Beschluss vom nicht entschieden hat. Der Kläger hat demnach nicht schlüssig dargetan, inwiefern gerade sein Schriftsatz vom die Entscheidung des Senats in seinem Sinne hätte beeinflussen können.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine Wirkungslosigkeit des Berufungsurteils nicht die vom Kläger erwünschten Folgen haben würde. Ein solcher Mangel wäre vom BSG von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen. Ist es dem Rechtsmittelgericht wegen der Unwirksamkeit des vorinstanzlichen Urteils nicht möglich, über das Rechtsmittel eine abschließende Entscheidung zu treffen, bleibt ihm nur die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (vgl BSG SozR 1500 § 136 Nr 6).
Der mit Schriftsatz vom eingelegte Rechtsbehelf des Klägers ist ebenfalls unzulässig. Eine "erneute Verfahrensrüge" ist gesetzlich nicht vorgesehen. Soweit das Vorbringen des Klägers als Gegenvorstellung gegen den Senatsbeschluss vom gewertet werden kann (vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 178a Nr 3), ergibt sich die Unzulässigkeit bereits daraus, dass die Gegenvorstellung nicht innerhalb der für eine Verfassungsbeschwerde maßgebenden Frist von einem Monat seit Zustellung des angegriffenen Senatsbeschlusses am (vgl § 93 Abs 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz), also nicht bis zum , beim BSG eingegangen ist (vgl BVerwG NJW 2001, 1294; - Juris). Die am hilfsweise erhobene, weitere Anhörungsrüge ist unzulässig, weil die Einlegungsfrist nicht gewahrt ist (§ 178a Abs 2 Satz 1 SGG).
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) kommt hinsichtlich der versäumten Fristen nicht in Betracht. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert gewesen ist, die betreffenden Rechtsbehelfe rechtzeitig einzulegen. Er behauptet, erst mit der Zustellung der einstweiligen Anordnung des (über die Aussetzung der Vollstreckung des ) Kenntnis von einer möglicherweise durch den Senatsbeschluss vom eingetretenen (weiteren) Verletzung seiner Rechte aus Art 19 Abs 4, Art 103 Abs 1 Grundgesetz erlangt zu haben. Mit dem sich aus dem ergebenden Verständnis des Senatsbeschlusses vom habe er nicht rechnen müssen.
Mit dieser Argumentation vermag der Kläger nicht durchzudringen. Es ist nicht ersichtlich, warum er entsprechende Erkenntnisse mit Hilfe seines anwaltlichen Prozessbevollmächtigten nicht innerhalb der maßgebenden Fristen bereits anhand des Inhalts der angefochtenen Entscheidung hat gewinnen können. Immerhin hat das LSG daraus ohne weiteres Schlussfolgerungen gezogen, gegen die sich der Kläger jetzt durch erneute Anrufung des BSG wenden will. Der Senat hat seine Entscheidung vom allein auf eine Verletzung des § 159 Abs 1 SGG gestützt. Wie bei der Feststellung von vorinstanzlichen Verfahrensmängeln üblich, ist dabei die materielle Rechtsauffassung des LSG zu Grunde gelegt worden. Danach waren umfangreiche Sachverhaltsermittlungen erforderlich, die das LSG nach Auffassung des BSG aus prozessökonomischen Gründen (auch im Hinblick auf die sehr lange Verfahrensdauer) nicht dem SG überantworten durfte. Bei diesem Entscheidungsinhalt konnte der Kläger jedenfalls nicht annehmen, das BSG habe das LSG verpflichtet, Ermittlungen zu den Umständen der Verfahrensdauer anzustellen. Vielmehr lag es nahe, dass das LSG nunmehr die Aufklärung des Sachverhalts in Angriff nehmen würde, die es in seinem Urteil vom als erforderlich bezeichnet hatte. Wenn der Kläger diese Möglichkeit, auf die er bei gehöriger Sorgfalt hätte kommen können, bei der Prüfung des Senatsbeschlusses vom nicht in Betracht gezogen hat, so liegt kein unverschuldetes Hindernis im Sinne von § 67 Abs 1 SGG vor. Ein mögliches Verschulden seines Prozessbevollmächtigten muss sich der Kläger insoweit zurechnen lassen (vgl BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 18).
Die Verwerfung der Anhörungsrüge erfolgt - mangels einer besonderen Regelung in § 178a SGG - gemäß § 12 Abs 1 Satz 2 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter (so auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Komm, 8. Aufl 2005, § 178 RdNr 9; Zeihe, SGG, Stand Mai 2005, § 178a RdNr 38b; Lüdtke, Sozialgerichtsgesetz, Handkomm, 2. Aufl 2006, § 178a RdNr 23). Die gegenteilige Ansicht von Berchtold (in Hennig, SGG, Stand Oktober 2005, § 178a RdNr 66 ff; ders, NZS 2006, 9, 13f) teilt der Senat nicht. Zwar hat sich der Gesetzgeber grundsätzlich für eine Selbstkontrolle durch den "judex a quo", also durch das Gericht, das die angegriffene Entscheidung getroffen hat, entschieden. Daraus folgt jedoch nicht, dass dieses Gericht in jedem Fall auch in derselben Besetzung wie bei der angegriffenen Entscheidung über die Anhörungsrüge befinden muss (vgl dazu BGH FamRZ 2005, 1831; für das Wiederaufnahmeverfahren auch BFHE 188, 1). Der Gesetzgeber hat in § 78a Abs 6 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) insoweit selbst eine differenzierte Regelung getroffen. Ob diese Vorschrift zur Schließung einer ungewollten Gesetzeslücke auch im sozialgerichtlichen Verfahren herangezogen werden sollte, kann hier offen bleiben, da dies vorliegend zu demselben Ergebnis führen würde. Nach § 78a Abs 6 Satz 2 ArbGG wirken die ehrenamtlichen Richter nämlich ua dann nicht mit, wenn die Rüge als unzulässig verworfen wird.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAC-14540