BSG Urteil v. - B 7a/7 AL 4/04 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB III § 194

Instanzenzug:

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darum, ob eine finanzielle Unterstützungsleistung der Eltern der Klägerin als Einkommen bei der Bedürftigkeitsprüfung im Rahmen der Arbeitslosenhilfe (Alhi) zu berücksichtigen ist. Die Beklagte hat die Alhi-Bewilligung deshalb teilweise aufgehoben und fordert Erstattung von der Klägerin.

Die im November 1974 geborene Klägerin stand im Bezug von Alhi. Zuletzt wurde ihr ab Alhi für ein Jahr bewilligt. Ab betrug der wöchentliche Zahlbetrag 209,79 DM (Bemessungsentgelt 550,00 DM; allgemeiner Leistungssatz; Leistungsgruppe A). Vom 29. Mai bis war der Leistungsbezug wegen eines Auslandsaufenthalts unterbrochen. Vom 8. Juli bis bezog die Klägerin wieder Alhi in Höhe von jetzt 207,27 DM wöchentlich. Ab dem nahm sie eine selbstständige Tätigkeit auf.

Durch eine Mitteilung des Finanzamts H vom wurde der Beklagten bekannt, dass die Klägerin im Kalenderjahr 2000 Unterstützungsleistungen von ihren Eltern in Höhe von insgesamt 2.000,00 DM erhalten habe. Die Klägerin hatte den Erhalt dieser Beträge gegenüber der Beklagten nicht angegeben. Nach Anhörung der Klägerin hob die Beklagte durch Bescheid vom die Bewilligung von Alhi teilweise für die Zeit vom 25. Februar bis auf, weil die Zahlung der Eltern wie eigenes Einkommen der Klägerin zu behandeln sei. Die Beklagte forderte Erstattung des überzahlten Betrags in Höhe von 1.434,01 DM. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom ). Die Beklagte führte aus, sie habe die Unterstützungsleistung der Eltern in Höhe von 2.000,00 DM jährlich auf den Monat umgerechnet, was zu einem Betrag von 166,66 DM monatlich geführt habe. Später stellte die Beklagte in einer weiteren Berechnung für das Landessozialgericht (LSG) klar, dass sie pro Tag des Alhi-Bezugs 5,40 DM auf Grund der Unterstützungsleistung der Eltern als Einkommen berücksichtigt habe. Im Widerspruchsbescheid wird weiter ausgeführt, dass die Unterstützungsleistung der Eltern als Einkommen gelte. Privilegiertes Einkommen gemäß § 194 Abs 3 Nr 8 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) könnten Leistungen der Eltern nicht darstellen. Die Aufhebung werde auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 330 Abs 3 SGB III gestützt, weil die Klägerin einer durch Rechtsvorschriften vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen sei. Die Klägerin habe grob fahrlässig gehandelt, weil sie eindeutige Hinweise in Vordrucken, Merkblättern usw nicht beachtet habe und damit so nachlässig gewesen sei, dass sie diese Hinweise nicht zur Kenntnis genommen habe.

Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts <SG> Dortmund vom ; ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, hier sei allein streitig, ob die freiwillige Zahlung des Vaters in Höhe von insgesamt 2.000,00 DM auf die Alhi anzurechnen gewesen sei oder als sog privilegierte Zahlung anrechnungsfrei gestellt habe werden können. Die Leistung des Vaters in Höhe von 2.000,00 DM stelle Einkommen iS von § 194 Abs 2 SGB III dar. Man könne die Leistung als freiwillige Unterstützung werten, also quasi als Schenkung. Auf eine solche bestehe zwar kein Rechtsanspruch, werde sie aber geleistet, dann sei sie anzurechnen. Die Anrechnung habe auch nicht gemäß § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III unterbleiben können. Nach dieser Vorschrift würden nicht als Einkommen Unterstützungen auf Grund eigener Vorsorge für den Fall der Arbeitslosigkeit und Zuwendungen, die die freie Wohlfahrtspflege erbringe oder die ein Dritter zur Ergänzung der Alhi erbringe, ohne dazu rechtlich oder sittlich verpflichtet zu sein. Einen Unterhaltsanspruch habe die volljährige Klägerin, die von ihren Eltern bereits eine Ausbildung zur Arzthelferin finanziert erhalten habe, nicht gehabt. Es habe sich um eine freiwillige Leistung des Vaters wegen der Arbeitslosigkeit der Klägerin gehandelt. Dies folge ausdrücklich aus der Steuererklärung des Vaters für das Jahr 2000, in der er den Unterstützungsbetrag von 2.000,00 DM als Unterstützungsleistung für seine noch in seinem Haus lebende arbeitslose Tochter deklariert habe. Aus dem Steuerbescheid vom an die Eltern folge, dass das Finanzamt die Zahlung als absetzungswürdige Unterhaltsleistung anerkannt habe, wodurch sich die Steuerschuld der Eltern um 554,00 DM vermindert habe. Nach Ansicht des Senats habe der Vater somit eine Unterstützungsleistung steuerlich geltend gemacht. Wer dies tue, der sei zu der Leistung zumindest sittlich verpflichtet. Dies gelte zumindest im Verhältnis Vater-Tochter im gemeinsamen Haushalt. Schon um Missbrauch vorzubeugen, sei es nicht möglich, dass sich der Vater gegenüber der Steuerbehörde wegen anerkennenswerter Unterstützungsleistungen einen Steuervorteil verschaffe, die Klägerin sich aber gegenüber der vom Steuerzahler finanzierten Alhi darauf berufe, es habe keine rechtliche oder sittliche Verpflichtung für die Zahlung bestanden. Es sei daher von einer sittlichen Verpflichtung des Vaters zur Unterstützung seiner Tochter auszugehen, sodass die Leistung nicht nach § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III privilegiert sei. Der Umstand, dass dem Steuervorteil des Vaters in Höhe von 554,00 DM ein Nachteil der Tochter in Höhe von 1.434,01 DM gegenüberstehe, sei nicht von Bedeutung. Hier hätte sich der Vater vielmehr vorher von einem Steuerberater über die Folgen seines Handelns beraten lassen können. Bezüglich der Höhe des Rückforderungsbetrags gehe der Senat zu Gunsten der Klägerin von der Rechenweise der Beklagten im Schriftsatz vom aus, nach der die Beklagte die Zahlung gleichmäßig auf das ganze Jahr verteilt habe, obwohl die Klägerin nicht das ganze Jahr über Leistungen bezogen habe. Es sei erwägenswert, den Unterstützungsbetrag nur auf die Tage des tatsächlichen Leistungsbezugs zu verteilen, was dazu geführt hätte, dass die gesamten 2.000,00 DM anzurechnen gewesen wären. Da die Rechnung der Beklagten die Klägerin begünstige, müsse dies aber nicht näher geklärt werden. Wegen der übrigen Rückforderungsvoraussetzungen, insbesondere der Voraussetzungen gemäß § 48 SGB X und § 330 SGB III werde auf die Begründung des Widerspruchsbescheides vom Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer - vom Senat zugelassenen - Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 194 SGB III. Das LSG habe die Rechtsansicht vertreten, dass eine sittliche Verpflichtung iS des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III dann bestehe, wenn die Eltern zeitlich nachfolgend die Unterstützungsleistungen steuermindernd in ihrer Steuererklärung angegeben hätten. Diese Rechtsansicht sei unzutreffend, zumal § 194 Abs 3 Nr 11 SGB III als lex specialis gegenüber § 194 Abs 2 und § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III Anwendung finde. Aus § 194 Abs 3 Nr 11 SGB III könne gefolgert werden, dass es Absicht des Gesetzgebers gewesen sei, Unterhaltsansprüche des volljährigen Arbeitslosen nur dann als Einkommen zu berücksichtigen, wenn er diese auch geltend mache. Im Übrigen verkenne die Auslegung des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III durch das LSG, dass eine sittliche Verpflichtung gerade zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger bestehen müsse. Umstände außerhalb dieser Beziehung seien generell ungeeignet, eine sittliche Verpflichtung zu begründen. Der Umstand, dass die Leistungen zeitlich nachfolgend in der Steuererklärung angegeben worden seien, betreffe einen Umstand außerhalb der Beziehungen der Eltern zu dem volljährigen Kind und müsse damit unberücksichtigt bleiben. Insoweit könnte allenfalls eine sittliche Verpflichtung gegenüber dem Finanzamt bestehen, die Unterhaltsleistungen nicht steuermindernd geltend zu machen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom sowie den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, der Ausnahmetatbestand des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III sei nicht einschlägig. Der Vater der Klägerin sei dieser bereits rechtlich zum Unterhalt verpflichtet gewesen. Das Finanzamt habe der Beklagten mit Schreiben vom mitgeteilt, dass beim Vater der Klägerin nachgewiesene Unterhaltszahlungen als Unterstützungsleistung bedürftiger Angehöriger berücksichtigt worden seien. Es könne sich nur um Zahlungen iS des § 33a Einkommensteuergesetz (EStG) gehandelt haben. Gemäß § 33a Abs 1 Satz 1 EStG würden Aufwendungen für den Unterhalt einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person die Einkommensteuer des Steuerpflichtigen mindern. Die Ermäßigung werde nur auf Antrag des Steuerpflichtigen berücksichtigt. Inwieweit ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch bestehe, beurteile sich gemäß §§ 1602, 1603 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Mithin könne aus der Entscheidung der Finanzverwaltung über die steuerliche Anerkennung der Unterstützungsleistung abgeleitet werden, dass insoweit eine gesetzliche Unterhaltspflicht bejaht worden sei. Selbst wenn im zivilrechtlichen Sinne kein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber ihrem Vater bestanden haben sollte, wäre die Klägerin jedoch gemäß § 33a Abs 1 Satz 2 EStG einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person gleichgestellt gewesen. Der Normzusammenhang des § 33a Abs 1 Satz 2 EStG mit § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III bringe den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass durch geleistete Unterhaltszahlungen entweder die Steuerlast des Zahlenden verringert werden solle, oder aber die Sozialleistung des Begünstigten vermindere sich nicht (dann könne der Steuerpflichtige die Zahlung auch nicht steuermindernd absetzen). Da der Vater seine Zahlungen steuermindernd abgesetzt habe, sei deshalb die Alhi seiner Tochter entsprechend zu kürzen gewesen. Folge man dem nicht, so habe jedenfalls eine sittliche Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt bestanden. Da die 25-jährige Klägerin Tochter des Zahlenden gewesen sei und in dessen Haushalt gelebt habe, sei auf Grund eines auf allgemeiner Lebenserfahrung beruhenden Erfahrungssatzes davon auszugehen, dass die Klägerin durch regelmäßige Erbringung persönlicher Dienstleistungen ihren Teil zum gemeinsamen Haushalt der Familie beigetragen habe. Es entspreche einem Erfahrungssatz, dass es dann für Eltern angemessen und mithin eine sittliche Pflicht sei, einem arbeitslosen Abkömmling für so geleistete Dienste im gemeinsamen Haushalt ein kleines "Dankeschön" in Form einer monatlichen Geldzahlung zukommen zu lassen. Schließlich sei auch der Ausnahmetatbestand des § 194 Abs 3 Nr 11 SGB III nicht gegeben. Auf Grund dieser Regelung sei bei der Bedürftigkeitsprüfung die Prüfung, ob bei einem volljährigen Arbeitslosen ein Unterhaltsanspruch zB gegen die Eltern bestehe, entbehrlich. Tatsächliche Zahlungen seien jedoch auf jeden Fall als Einkommen gemäß § 194 SGB III zu berücksichtigen. Eine Privilegierung von freiwilligen Unterhaltszahlungen der Eltern an den volljährigen Arbeitslosen könne - entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung - nicht aus § 194 Abs 3 Nr 11 SGB III abgeleitet werden.

II

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz) begründet. Entgegen der Rechtsansicht des LSG besteht eine sittliche Pflicht zur Unterstützung eines Alhi-Empfängers iS des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III nicht bereits deshalb, weil der Unterstützende die Unterhaltsleistung gegenüber dem Finanzamt steuerlich geltend macht. Eine sittliche Pflicht iS des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III zur Unterstützung eines Alhi-Empfängers kann nur jeweils aus den besonderen Umständen der Beziehung zwischen dem Zuwendenden und dem Zuwendungsempfänger abgeleitet werden. Die vom LSG befürchteten Wertungswidersprüche zwischen dem Einkommensteuerrecht und dem Recht der Alhi können auf Grund der Regelung des § 33a Abs 1 Satz 2 EStG nicht auftreten. Ob aus anderen Gründen eine sittliche Pflicht des Vaters der Klägerin iS des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III bestand, dieser Zuwendungen zu leisten, kann auf Grund der Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden (vgl hierzu unter 1.). Ebenso kann auf Grund der Feststellungen des LSG nicht entschieden werden, ob nicht bereits eine rechtliche Pflicht des Vaters zur Unterstützung seiner Tochter iS des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III bestand (vgl hierzu unter 2.).

1. Gegenstand des Rechtsstreits ist die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Alhi für den Zeitraum vom 25. Februar bis und die Erstattungsforderung der Beklagten in Höhe von 1.434,01 DM auf Grund des Bescheides der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom . Rechtsgrundlage hierfür ist wohl § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X iVm § 330 Abs 3 SGB III. § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III bestimmt: Liegen die in § 48 Abs 1 Satz 2 des SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vor, ist dieser mit Wirkung zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Die ursprüngliche Bewilligung von Alhi ist hier möglicherweise später rechtswidrig geworden, wenn die Bedürftigkeit der Klägerin iS des § 190 Abs 1 Nr 5 iVm §§ 193, 194 SGB III später zumindest teilweise entfallen ist. Das LSG hat insoweit festgestellt, dass die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Alhi gemäß § 190 Abs 1 Nr 1 bis 4 SGB III für den streitigen Zeitraum vorgelegen haben, sodass es für die Rechtmäßigkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides lediglich darauf ankommt, ob und in welchem Umfang Bedürftigkeit der Klägerin gemäß § 190 Abs 1 Nr 5 SGB III während des Leistungsbezugs bestand.

Gemäß § 193 Abs 1 SGB III (idF des 1. SGB III-ÄndG vom , BGBl I S 2970) ist bedürftig ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Alhi nicht erreicht. Nach § 194 Abs 2 Satz 1 SGB III (idF des 1. SGB III-ÄndG, aaO) sind Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Alhi alle Einnahmen in Geld oder Geldwert einschließlich der Leistungen, die von Dritten beansprucht werden können. Die Zuwendungen durch den Vater der Klägerin, die im Jahre 2000 monatlich zwischen 165,00 und 170,00 DM betrugen, stellen Einkommen iS des § 194 Abs 2 Satz 1 SGB III dar. Allerdings kann nicht entschieden werden, inwiefern diese Zuwendungen privilegiertes Einkommen iS des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III darstellten. Nach dieser Vorschrift gelten nicht als Einkommen Unterstützungen auf Grund eigener Vorsorge für den Fall der Arbeitslosigkeit und Zuwendungen, die die freie Wohlfahrtspflege erbringt oder die ein Dritter zur Ergänzung der Alhi erbringt, ohne dazu rechtlich oder sittlich verpflichtet zu sein. Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob bei dem Vater der Klägerin eine rechtliche oder sittliche Pflicht zur Erbringung der Zuwendungen im Jahre 2000 bestand. Das LSG hat eine sittliche Pflicht iS des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III deshalb bejaht, weil der Vater der Klägerin seine Unterhaltsleistungen steuermindernd geltend gemacht hat. Aus dieser Tatsache - Handeln des Vaters der Klägerin gegenüber dem Finanzamt - kann jedoch keine sittliche Pflicht zur Unterstützung gegenüber der Klägerin selbst iS des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III begründet werden.

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte bislang nicht darüber zu befinden, wann eine sittliche Pflicht zur Erbringung von Zuwendungen im Sinne dieser Norm besteht. Auch zur insoweit identischen Vorgängervorschrift des § 138 Abs 3 Nr 7 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) liegen insoweit keine höchstrichterlichen Entscheidungen vor. Auch die Norm des § 138 Abs 1 Nr 2 2. Halbsatz AFG, die bis zu ihrer Änderung durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs-, und Wachstumsprogramms (1. SKWPG vom , BGBl I 2353) bis zum galt und bestimmte, dass das Einkommen ua des Ehegatten des Arbeitslosen sich mindere, soweit dieser Angehörige auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht nicht nur geringfügig Unterhalt gewährte, gab dem BSG keine Veranlassung zu einer abstrakt-generellen Bestimmung der Voraussetzungen des Vorliegens einer "sittlichen Pflicht" im Sinne des AFG. Der Senat greift deshalb zur Bestimmung des Inhalts einer sittlichen Verpflichtung zur Hingabe von Zuwendungen gemäß § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III sowohl auf Entscheidungen des BSG in anderen Sozialrechtsgebieten zurück wie auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung auf die im Rahmen der zivilrechtlichen Normen der §§ 534 und 814 BGB entwickelten Rechtsgedanken. Aus beiden rechtlichen Ansatzpunkten ist zu folgern, dass eine sittliche Verpflichtung nur dann bejaht werden kann, wenn innerhalb der Beziehung des Zuwendenden zum Zuwendungsempfänger selbst besondere Umstände gegeben sind, die die Zuwendung oder Unterstützung als zwingend geboten erscheinen lassen. Allgemeine Gesichtspunkte der Sittlichkeit - etwa was von einem "anständigen" Steuerbürger zu erwarten ist etc - können eine sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsleistung dagegen nicht begründen.

Das BSG hat im Rahmen der Prüfung, ob bei einer Pflegetätigkeit für erkrankte bzw pflegebedürftige Angehörige unfallversicherungsrechtliche Ansprüche gemäß § 539 Abs 1 Nr 7 Reichsversicherungsordnung bestehen können, maßgeblich darauf abgestellt, dass im Rahmen eines Eltern-Kind-Verhältnisses besondere Pflichten bestehen, die eine erhöhte Erwartung rechtfertigen würden (vgl BSG SozR 2200 § 539 Nr 134; ; zustimmend im Rahmen der Prüfung, ob die gesetzliche Verpflichtung der Pflegekassen, Verträge über Leistungen der häuslichen Pflege zu kündigen, die sie mit Haushaltsangehörigen des Pflegebedürftigen geschlossen haben, verfassungsmäßig ist, der 3. Senat des BSG in BSGE 84, 1 = SozR 3-3300 § 77 Nr 2). In den soeben genannten Entscheidungen ist ausgeführt, dass im Eltern-Kind-Verhältnis, ähnlich wie bei der ehelichen Lebensgemeinschaft, unmittelbar auf die Vorschriften des Familienrechts, insbesondere auf § 1618a BGB zurückgegriffen werden könne. Diese Vorschrift habe Leitbildfunktion. Sie bestimme, dass Eltern und Kinder einander zu Beistand und Rücksicht verpflichtet seien. Sie entfalte eine ähnliche Rechtswirkung wie § 1353 BGB für die Ehe, indem sie einen Teil der im Rahmen einer Familie bestehenden sittlichen Pflichten zu Rechtspflichten erhebt. Die Beistandspflicht betreffe insbesondere solche Bereiche, die einer normativen Detailregelung nicht zugänglich seien, also gerade auch die gegenseitige Unterstützung und Pflege in Krankheits- und Notfällen (vgl BSG SozR 2200 § 539 Nr 134). Ebenso ist im Rahmen der §§ 534, 814 BGB jeweils auf die besondere Beziehung zwischen dem Zuwendenden und dem Zuwendungsempfänger abgestellt worden. Nach § 534 BGB unterliegen Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht entsprochen wird, nicht der Rückforderung und dem Widerruf. Nach § 814 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht entsprach. Die Voraussetzungen einer sittlichen Pflicht im Sinne dieser Normen werden bejaht, wenn dem Schenker bzw Zuwendenden eine besondere, in dem Gebot der Sittlichkeit wurzelnde Verpflichtung für die Zuwendung oblag (BGH MDR 63, 575; Erman/Seiler, BGB, 10. Aufl 2000, § 534 RdNr 2). Eine Schenkung zur Erfüllung einer sittlichen Pflicht liegt nicht schon dann vor, wenn der Schenker nach den Geboten der Sittlichkeit aus Nächstenliebe hilft, vielmehr muss es sich um eine Pflicht handeln, die aus den konkreten Umständen des Falls erwachsen ist und in den Geboten der Sittlichkeit wurzelt, wobei das Vermögen, die Lebensstellung der Beteiligten und ihre persönlichen Beziehungen untereinander zu berücksichtigen sind (Staudinger/Cremer, BGB, 13. Aufl, Stand 1995, § 534 RdNr 5 mwN). Solche sittlichen Pflichten sind bejaht worden bei der Unterstützung bedürftiger naher Angehöriger, welche keinen rechtlichen Unterhaltsanspruch hatten. Mithin ist auch im Rahmen des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III zu ermitteln, welche besonderen Umstände innerhalb der Beziehung zwischen der Klägerin und ihrem Vater zur Zahlung von zusätzlichen Unterstützungsbeträgen geführt haben. Eine sittliche Pflicht zur Zahlung von Unterstützungsleistungen könnte sich etwa daraus ergeben, dass der Bedürftige im Haushalt mithilft und entsprechende Dienste erbringt (vgl ). Das LSG wird daher im Einzelnen auch zu ermitteln haben, inwiefern die Zuwendungen an die Klägerin "Gegenleistungen" für Dienste und Tätigkeiten der Klägerin innerhalb einer Familie waren.

Dem LSG ist einzuräumen, dass eine doppelte Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen zu Gunsten der Familie der Klägerin - einerseits steuerrechtlich, andererseits arbeitsförderungsrechtlich - schwer zu rechtfertigen wäre. Eine solche Privilegierung soll jedoch auf Grund der Regelung des § 33a Abs 1 Satz 2 EStG idF des EStG 1996 nicht eintreten können. Nach § 33a Abs 1 Satz 1 EStG können zunächst Unterhaltsleistungen für gesetzlich Unterhaltsberechtigte als außergewöhnliche Belastung einkommensteuermindernd geltend gemacht werden. § 33a Abs 1 Satz 2 EStG schreibt hinsichtlich nicht gesetzlich unterhaltsberechtigter Personen, die diesen jedoch gleichgestellt werden können, vor, dass eine Geltendmachung als außergewöhnliche Belastung nur möglich ist, wenn der unterhaltenen Person inländische öffentliche Mittel mit Rücksicht auf die Unterhaltsleistungen des Steuerpflichtigen gekürzt werden (vgl hierzu grundlegend = BFHE 205, 278). Der Abzug von Unterhaltsleistungen nach § 33a Abs 1 Satz 2 EStG 1996 setzt mithin - worauf auch die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung hinweist - voraus, dass eine tatsächliche Kürzung oder der vollständige Wegfall der entsprechenden öffentlichen Mittel wegen der Unterhaltsleistungen des Steuerpflichtigen erfolgt ist. Die Finanzämter haben das Vorliegen des Kürzungstatbestands im Rahmen des Sozialrechts dabei selbstständig zu prüfen. § 33a Abs 1 Satz 2 EStG beseitigt mithin die Diskrepanz zwischen Steuer- und Sozialhilferecht, das in bestimmten Fällen eine sittliche Verpflichtung anderer Personen zur Unterstützung des Hilfesuchenden unterstellt und deshalb die Sozialhilfe kürzt. Gleiches gilt im Recht der Alhi (vgl hierzu Schmidt/Glanegger, EStG, 21. Aufl 2002, § 33a RdNr 22 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Mithin hätte das Finanzamt hier die Unterhaltsleistungen des Vaters der Klägerin nur dann steuerrechtlich berücksichtigen dürfen, wenn der Klägerin wegen dieser Unterhaltsleistungen die Alhi gekürzt worden wäre und hierüber eine Bescheinigung vorgelegen hätte. Dass das Finanzamt möglicherweise insoweit gegen § 33a Abs 1 Satz 2 EStG verstoßen hat, vermag eine sittliche Pflicht iS des § 138 Abs 3 Nr 8 SGB III nicht zu begründen. Jedenfalls verhindert § 33a Abs 1 Satz 2 EStG 1996 die vom LSG befürchtete doppelte Privilegierung der Familie der Klägerin. Möglicherweise könnte - worauf auch die Beklagte hingewiesen hat - aber auch § 33a Abs 1 Satz 1 EStG 1996 einschlägig gewesen sein, wenn nämlich eine gesetzliche Unterhaltspflicht der Klägerin gegen ihren Vater bestand (vgl hierzu unter 2.). Das LSG wird also noch im Einzelnen die besonderen Umstände der Beziehung zwischen dem zuwendenden Vater und seiner Tochter aufzuklären haben und insbesondere den Grund für die zusätzliche Zuwendung zur Alhi zu ermitteln haben. Erst danach kann entschieden werden, ob die Zuwendungen auf Grund einer sittlichen Verpflichtung geleistet wurden.

2. Das LSG hat offen gelassen, bzw ohne die Nennung konkreter Rechtsvorschriften die Rechtsansicht vertreten, eine rechtliche Pflicht zur Unterhaltsleistung habe nicht bestanden. Soweit das LSG hierzu ausgeführt hat, die Eltern der Klägerin hätten dieser bereits eine Ausbildung finanziert, vermag dies einen Unterhaltsanspruch gemäß §§ 1601 ff BGB dem Grunde nach jedoch nicht auszuschließen. Nach § 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Ein solcher Unterhaltsanspruch setzt gemäß § 1602 BGB Bedürftigkeit auf Seiten des Unterhaltsberechtigten und gemäß § 1603 BGB auf Seiten des Unterhaltsverpflichteten Leistungsfähigkeit voraus. Zu keiner dieser Tatbestandsvoraussetzungen des unterhaltsrechtlichen Anspruchsschemas (vgl hierzu Palandt/Diederichsen, BGB, Einführung vor § 1601 RdNr 3 ff, 63. Aufl 2004) hat das LSG Feststellungen getroffen. Die Tatsache, dass die Klägerin bereits eine Ausbildung auf Kosten der Eltern abgeschlossen hat, hindert das Entstehen eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs - entgegen der Rechtsansicht des LSG - grundsätzlich nicht. Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin - soweit ersichtlich - gerade keinen weiteren Ausbildungsunterhalt iS des § 1610 Abs 2 BGB gegenüber ihren Eltern geltend macht (vgl hierzu Scholz in Wendl/Staudiegl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, § 2 RdNr 56 ff, 5. Aufl 2000). Von daher ist - wovon auch die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung ausgeht - nicht auszuschließen, dass die Klägerin gegenüber ihrem Vater bereits einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gemäß §§ 1601 ff BGB hatte, sodass ihre Klage bereits unter diesem Aspekt scheitern müsste.

Allerdings muss eine entsprechende gesetzliche Unterhaltspflicht auch konkret festgestellt und zivilrechtlich subsumiert werden. Soweit die Beklagte vorträgt, bereits auf Grund des Vorgehens der Finanzbehörden könne - ohne weitere Prüfung - das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht des Vaters der Klägerin abgeleitet werden, verkennt sie insoweit den Umfang der ihr obliegenden Amtsermittlungspflicht gemäß § 20 SGB X.

Die rechtliche Würdigung der Unterhaltsbeziehungen hängt hier unter Umständen auch davon ab, welcher Nationalität die Klägerin und ihr Vater angehören. Hinsichtlich des Bestehens eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs ist ggf auf Regelungen des internationalen Privatrechts zurückzugreifen. Im Rahmen des internationalen Privatrechts werden Unterhaltsbedürftige mit Auslandsbezug insoweit privilegiert, als für den Fall, dass das maßgebende Recht des Aufenthaltsstaates keinen Unterhaltsanspruch gewährt, hilfsweise das Heimatstatut (Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit der Bedürftige hat) anwendbar ist. Dies folgt unmittelbar aus Art 18 Abs 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB). Nach Art 18 Abs 1 Satz 1 EGBGB sind auf Unterhaltspflichten die Sachvorschriften des am jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten geltenden Rechts anzuwenden. Kann der Berechtigte nach diesem Recht vom Verpflichteten keinen Unterhalt erhalten, so sind die Sachvorschriften des Rechts des Staates anzuwenden, dem sie gemeinsam angehören (Art 18 Abs 1 Satz 2 EGBGB). Hiernach könnte ggf auch zu prüfen sein, ob die Klägerin gegen ihren Vater - wenn beide türkische Staatsangehörige wären, wozu Feststellungen fehlen - einen gesetzlichen Anspruch nach türkischem Unterhaltsrecht geltend machen könnte. Letzterer Gesichtspunkt der Nationalität der Klägerin und ihres Vaters könnte im Übrigen auch Berücksichtigung im Rahmen der sittlichen Verpflichtung zur Unterhaltsleistung iS des § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III finden. Ggf könnte bei den noch erforderlichen Ermittlungen zum Vorliegen einer sittlichen Verpflichtung des Vaters gegenüber der Tochter (vgl im Einzelnen 1.) auch die "türkischen Sitten" zu berücksichtigen sein. Insofern könnte die sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsleistung einen spezifischen Einschlag auf Grund der familiären Gepflogenheiten und Sitten im türkischen Rechtskreis haben. Das LSG wird also im Einzelnen noch festzustellen und zu überprüfen haben, inwieweit nicht bereits eine rechtliche Verpflichtung des Vaters zur Leistung von Unterhalt gemäß §§ 1601 ff BGB oder gemäß Art 18 Abs 1 Satz 2 EGBGB iVm den türkischen Vorschriften über Unterhaltsrecht bestand.

3. Das LSG hat lediglich auf den Widerspruchsbescheid verwiesen, um zu begründen, dass bei der Klägerin grobe Fahrlässigkeit iS des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X vorgelegen hat. Die Beklagte hat ihre Aufhebungsentscheidung darauf gestützt, dass die Klägerin einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen sei. Hierfür hat die Beklagte lediglich auf die Aushändigung und Bestätigung der Kenntnisnahme des Merkblatts für Arbeitslose durch die Klägerin abgestellt. Inwiefern dies auf Grund der Besonderheiten des Sachverhalts ausreicht, den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit gegenüber der Klägerin zu begründen, ist zweifelhaft. Allerdings kann hier ohnedies auch § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X einschlägig sein. Die Klägerin hat ggf nachträglich Einkommen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung des Alhi-Anspruchs geführt haben würde. Insoweit käme es auf eine subjektive Vorwerfbarkeit nicht mehr an.

4. Soweit die Revision allerdings geltend macht, § 194 Abs 3 Nr 8 SGB III könne schon deshalb nicht geprüft werden, weil einer Anwendbarkeit dieser Norm § 194 Abs 3 Nr 11 SGB III als lex specialis vorgehe, kann dem nicht gefolgt werden. Für den hier zu entscheidenden Fall der Beziehung von Vater und Tochter bestimmt § 194 Abs 3 Nr 11 SGB III lediglich, dass einem Unterhaltsberechtigten ein bestehender, aber nicht geltend gemachter Unterhaltsanspruch nicht fiktiv als Einkommen zugerechnet werden darf. Mit § 194 Abs 3 Nr 11 SGB III hat der Gesetzgeber in bewusster Abwendung vom früheren Rechtszustand (vgl § 137 Abs 1a AFG; hierzu BSGE 69, 285 = SozR 3-4100 § 137 Nr 2) die Nachrangigkeit der Alhi gegenüber dem Verwandtenunterhalt aufgegeben. § 193 Abs 3 Nr 8 SGB III betrifft hingegen tatsächlich zugeflossene Zuwendungen eines Dritten. Dass diese ggf als Einkommen iS des § 194 Abs 2 SGB III zu berücksichtigen sind, wird durch § 194 Abs 3 Nr 11 SGB III aber gerade nicht ausgeschlossen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Fundstelle(n):
BFH/NV-Beilage 2005 S. 423 Nr. 4
XAAAC-14362