BSG Beschluss v. - B 6 KA 95/03 B

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGG § 160 Abs 2 Nr 3; SGG § 151 Abs 1

Instanzenzug:

Gründe

I

Zwischen der als Psychologische Psychotherapeutin zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassenen Klägerin und der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) ist die Höhe des Honorars in den Quartalen I/1999 bis IV/1999 umstritten.

In dem nach erfolglosem Widerspruchsverfahren eingeleiteten Klageverfahren hat die Klägerin insoweit obsiegt, als das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet hat, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. In dem unter dem Aktenzeichen (Az) S 14 KA 533/00 (SG Kiel) geführten Klageverfahren ist der Beklagten am ein Urteil vom mit dem Az S 14 KA 537/00 betreffend den Kläger Heiko B. zugestellt worden. Nachdem der Bevollmächtigte der Klägerin, dem ebenfalls ein entsprechendes Urteil zugestellt worden war, das Gericht auf den Fehler aufmerksam gemacht hatte, hat der Vorsitzende der 14. Kammer des SG Kiel unter dem Az S 14 KA 533/00 beschlossen, das Urteil zu berichtigen sowie Az und Klägername zu ersetzen. Zugleich sind die Beteiligten aufgefordert worden, die ihnen zugestellten Urteilsausfertigungen an das Gericht "zum Zwecke der Berichtigung" zu übersenden (Beschlüsse und Verfügung vom , der Beklagten am zugestellt). Die Beklagte übersandte daraufhin unter dem das Urteil "zwecks Berichtigung" an das Gericht. Gegen das ihr am in der berichtigten Fassung zugeleitete Urteil richtet sich die am (Montag) beim Berufungsgericht eingegangene Berufung der Beklagten.

Das Landessozialgericht (LSG) hat diese als unzulässig verworfen, weil die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht gewahrt sei. Das Urteil vom sei der Beklagten am zugestellt worden. Zwar sei die zugestellte Urteilsausfertigung fehlerhaft gewesen und die Beklagte habe wunschgemäß die ihr ursprünglich zugestellte Ausfertigung dem Gericht zur Berichtigung zurückgesandt. Die Berufungsfrist habe jedoch spätestens mit Zustellung des Berichtigungsbeschlusses am zu laufen begonnen und sei deshalb am Montag, dem , abgelaufen. Die Berufung vom habe die Frist nicht gewahrt (Urteil vom - zugestellt am -).

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Beklagte als Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend, das Berufungsgericht habe ihre Berufung zu Unrecht als verfristet angesehen. Die Frist des § 151 Abs 1 SGG habe erst mit Zustellung des berichtigten Urteils am zu laufen begonnen und sei durch ihre am Montag, dem , bei Gericht eingegangene Berufung gewahrt worden.

II

Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die Frist des § 151 Abs 1 SGG, wonach die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen ist, hat die Beklagte durch ihre Berufung vom gewahrt. Die für sie maßgebliche Berufungsfrist lief erst am Montag, dem (§ 64 Abs 3 SGG), ab, weil die den Lauf der Berufungsfrist auslösende Zustellung (§ 135 SGG) erst am erfolgt ist.

Die am erfolgte Zustellung des Schriftstücks mit dem Az S 14 KA 537/00, das ein am verkündetes Urteil in dem Rechtsstreit eines Heiko B. betrifft, hat die Berufungsfrist ebenso wenig in Lauf gesetzt wie die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses vom . Der Senat kann offen lassen, ob die Zustellung des genannten Schriftstücks unter dem Az S 14 KA 537/00 überhaupt als wirksame Zustellung des Urteils im hier betroffenen Verfahren S 14 KA 533/00 anzusehen ist. Bei wesentlichen Zustellungsmängeln wird die Rechtsmittelfrist nicht in Gang gesetzt (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, 2002, § 151 RdNr 7; derselbe in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner [Hrsg], Verwaltungsgerichtsordnung, Stand Januar 2000, § 124a RdNr 30). Ein solcher Zustellungsmangel kann bei wesentlichen Mängeln der Urteilsausfertigung vorliegen, so zB, wenn das Urteil ua das Aktenzeichen, unter dem das Verfahren geführt worden ist, und die Beteiligten nicht korrekt wiedergibt, wie das hier der Fall gewesen ist. Jedenfalls hat die Berufungsfrist erst mit Zustellung des berichtigten Urteils zu laufen begonnen, weil das Gericht selbst noch während des ersten Monats nach Zustellung des fehlerhaften Schriftstücks mit Verfügung vom die Beteiligten aufgefordert hat, die ihnen übersandten Ausfertigungen zum Zwecke der Berichtigung an das Gericht zurückzusenden.

Allerdings hat die Berichtigung eines Urteils wegen offenbarer Unrichtigkeit im Sinne des § 138 Satz 1 SGG regelmäßig keinen Einfluss auf den Beginn und Lauf von Rechtsmittelfristen. Die Berichtigung ändert an dem Beginn der durch die Zustellung der unberichtigten Fassung in Lauf gesetzten Rechtsmittelfrist nichts (BGHZ 89, 184, 186; BGH NJW 2003, 2991, 2992; einschränkend BGHZ 113, 228, 231 jeweils zu § 319 ZPO; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Auflage, 2004, § 319 RdNr 25; Meyer-Ladewig, SGG, aaO, § 138 RdNr 4b; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage, 2003, § 118 RdNr 11). Abweichend von diesem Grundsatz beginnt mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses bzw der erneuten Zustellung des berichtigten Urteils eine neue Rechtsmittelfrist, wenn die unberichtigte Urteilsfassung nicht klar genug war, um die Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln der Partei zu bilden (Zöller/Vollkommer, aaO, RdNr 25), oder wenn erst die berichtigte Urteilsfassung zweifelsfrei erkennen lässt, gegen wen das Rechtsmittel zu richten ist (BGHZ 113, 228, 231). Dasselbe gilt, wenn das Gericht die Unrichtigkeit bemerkt und die Urteilsausfertigungen zum Zwecke der Berichtigung zurückfordert. In einer solchen Situation können die Beteiligten den Eingang der berichtigten Ausfertigung abwarten und dann innerhalb der Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG prüfen, ob Rechtsmittel eingelegt werden sollen (vgl 7 B 30.91 - DVBl 1992, 775, 776; Meyer-Ladewig, aaO, § 151 RdNr 7; Kopp/Schenke, aaO, § 118 RdNr 11). Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat dies damit begründet, dass in einer Situation, in der das Gericht selbst die zugestellten Ausfertigungen von den Beteiligten zurückerbittet, für diese nicht erkennbar ist, wie wesentlich die Berichtigungen seien würden. Daher hätten insbesondere die Bevollmächtigten der Beteiligten keinen Anlass, die zurückerbetenen Urteilsausfertigungen ihrerseits zu vervielfältigen, um die Prüfung zu ermöglichen, ob und mit welcher Begründung ein zulässiges Rechtsmittel eingelegt werden sollte. Die Rechtsmittelfrist, die auch eine Überlegungsfrist darstelle, würde nicht unerheblich verkürzt, wenn man sie bereits von der Zustellung der unrichtigen Ausfertigung an laufen ließe (BVerwG, aaO, S 776). In allen Verfahrensordnungen ist der Grundsatz anerkannt, dass sich Fehler des Gerichts nicht in der Weise auswirken dürfen, dass die Rechtsmittelmöglichkeiten der Beteiligten beeinträchtigt oder gar vereitelt werden (vgl BGHZ 113, 228, 231). Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten darf der Rechtsmittelzugang nicht unzumutbar erschwert werden (vgl Zöller/Vollkommer, aaO, RdNr 25a), insbesondere dann nicht, wenn die eingetretenen Komplikationen in der Sphäre des Gerichts ihre Ursache haben. Nach diesen Grundsätzen hatte die Beklagte, nachdem sie vom SG aufgefordert worden war, die ihr am zugestellte Ausfertigung des Urteils vom zum Zwecke der Berichtigung an das Gericht zurückzusenden, keinen Anlass, vor Zustellung des berichtigten Urteils Rechtsmittel einzulegen.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, zumindest die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses am habe die Frist des § 151 Abs 1 SGG in Lauf gesetzt, trifft nicht zu. Der Berichtigungsbeschluss des Kammervorsitzenden vom , der keine gesetzliche Grundlage nennt, hat die Beklagte nicht veranlassen können, von sich aus gleichsam eine korrekte und vollständige Urteilsausfertigung zu erstellen, indem sie Az, Rubrum und Tenor des Verfahrens S 14 KA 533/00 mit dem ihr unter dem Az S 14 KA 537/00 zugestellten Schriftstück in Sachen Heiko B. kombiniert. Bei Fehlern im Az und der Angabe der Beteiligten handelt es sich nicht um Schreib- oder Rechenfehler oder eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit iS des § 138 SGG, die für jeden Beteiligten offensichtlich und deren Korrektur eine reine Förmlichkeit ist. Das ergibt sich hier schon daraus, dass das LSG als Rechtsgrundlage für den Berichtigungsbeschluss des SG § 139 SGG annimmt, was sich aus der Änderung des durch den Kammervorsitzenden am ergeben soll. Es ist nicht erkennbar, wie ein gerichtlicher Beschluss vom , der am zugestellt worden ist, der aber in seinem wesentlichen Inhalt (Auswechslung der Rechtsgrundlage) durch Beschluss vom geändert worden ist, die Berufungsfrist in Lauf setzen kann, obwohl der Beklagten erst am eine hinsichtlich Az und Rubrum zutreffende Urteilsausfertigung zugestellt worden ist. Die allgemeinen Erwägungen des Berufungsgerichts hinsichtlich der Vertrautheit der Beklagten mit den Sachproblemen der die angemessene Vergütung psychotherapeutischer Leistungen betreffenden Streitigkeiten sind in diesem Zusammenhang unerheblich.

Nach § 160a Abs 5 SGG in der seit dem geltenden Fassung des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom (BGBl I 2144, 2150) kann das Bundessozialgericht im Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Das ist hier der Fall, weil das Urteil des LSG - Verwerfung der Berufung der Beklagten als unzulässig - auf der unzutreffenden Annahme beruht, die Berufung der Beklagten sei nicht fristgemäß eingelegt worden. Der Senat macht von der Zurückverweisungsmöglichkeit Gebrauch. Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Fundstelle(n):
DAAAC-14185