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BSG Urteil v. - B 4 RA 65/01 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art 3 Abs 1

Instanzenzug: SG Schleswig vom

Gründe

I

Die Klägerin begehrt die Vormerkung von Beschäftigungszeiten, die sie von November 1968 bis Mai 1975 und von September 1983 bis März 1991 in der damaligen Tschechoslowakischen Republik (CSSR) zurückgelegt hat.

Die 1943 geborene und in der DDR aufgewachsene Klägerin schloss 1968 in der CSSR ihr Medizinstudium erfolgreich ab. Vom bis arbeitete sie in einem Krankenhaus in B. /CSSR und war in der tschechoslowakischen Sozialversicherung pflichtversichert. Anschließend lebte sie bis Juli 1983 wieder in der DDR und arbeitete dort als Ärztin. Nach Rückkehr in die CSSR war sie vom bis als Pneumologin erneut in dem Krankenhaus in B. beschäftigt.

Den Antrag der Klägerin, die in der CSSR ausgeübten Beschäftigungen als Tatbestände rentenrechtlicher Zeiten in der bundesdeutschen Rentenversicherung vorzumerken, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage zurückgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass keine bundesrechtlichen Beitragszeiten vorlägen. Es handele sich auch nicht um gleichgestellte Zeiten iS des § 248 Abs 3 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Insoweit könne sich die Klägerin nicht auf das Sozialversicherungsabkommen zwischen der DDR und der CSSR berufen. Dieses Abkommen sei wegen des völkerrechtlichen Untergangs der DDR erloschen. Die auf der Grundlage des Art 3 des Einigungsvertrags (EinigVtr) ergangene bundesdeutsche Verordnung greife schon deshalb nicht, weil die Klägerin nicht unter ihren Anwendungsbereich falle; sie habe am weder einen Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthaltsort in der DDR gehabt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Entscheidung des SG gestützt (Urteil vom ).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Art 7 Abs 3 der Verordnung über die vorrübergehende weitere Anwendung verschiedener völkerrechtlicher Verträge der DDR iVm dem Sozialversicherungsabkommen DDR-CSSR. Zwar sei die Verordnung mit Ablauf des außer Kraft getreten, jedoch ergebe sich aus ihrem Art 7 Abs 3, dass sie auf Ansprüche auch nach dem weiter anzuwenden sei. Soweit die Verordnung ihren Anwendungsbereich auf Personen beschränke, die den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der DDR am gehabt hätten, liege ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) vor. Sie dürfe nicht schlechter als andere DDR-Bürger behandelt werden, nur weil sie unmittelbar von der CSSR in die "alte" BRD übergesiedelt sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom und das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom zu verpflichten, die in der früheren Tschechoslowakei zurückgelegten Beschäftigungen vom bis sowie vom bis als Tatbestände rentenrechtlicher Zeiten in der bundesdeutschen Angestelltenversicherung vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die angefochtene Entscheidung rechtlich nicht zu beanstanden sei.

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren der Klägerin, die in der CSSR zurückgelegten Beschäftigungszeiten vom bis sowie vom bis als Tatbestände rentenrechtlicher Zeiten in der bundesdeutschen Angestelltenversicherung vorzumerken. Die Revision konnte keinen Erfolg haben, weil das LSG zu Recht ihre Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen hat.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Vormerkungsanspruch nicht zu. Die Voraussetzungen der einzigen Anspruchsgrundlage, die sich aus § 149 Abs 5 Satz 1 SGB VI ergibt, sind nicht erfüllt. Danach hat der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, einen inhaltlich zutreffenden Vormerkungsbescheid über die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten zu erlassen, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen (stellvertretend: SozR 3-6180 Art 13 Nr 2; Urteil vom , SozR 3-2600 § 56 Nr 4). Der/Die Versicherte kann nur die Feststellung von "Daten" und nur von solchen beanspruchen, die der Versicherungsträger nach Maßgabe der Vorschriften des SGB VI in einem Versicherungskonto zu speichern hat (§ 149 Abs 1 Sätze 2 und 3 SGB VI). Der Vormerkungsanspruch ist somit ausschließlich auf die Feststellung von Tatsachen gerichtet, die nach dem im Zeitpunkt der Vormerkung gültigen Recht in einem künftigen Leistungsfall möglicherweise rechtserheblich und nach Maßgabe des deutschen Rentenversicherungsrechts im Versicherungskonto vorzumerken sind.

Die Klägerin ist "Versicherte" iS des § 149 Abs 5 Satz 1 SGB VI. Die Klägerin kann jedoch nicht beanspruchen, dass die maßgeblichen "Daten" für die geltend gemachten rentenrechtlichen Zeiten von November 1968 bis Mai 1975 sowie von September 1983 bis März 1991 in das Versicherungskonto eingestellt werden. Denn diese Tatbestände können nach dem derzeitig gültigen Recht des SGB VI für einen späteren Rentenversicherungsfall unter keinem Aspekt rentenrechtlich rechtserheblich sein.

1. Die von der Klägerin in der CSSR zurückgelegten Beschäftigungszeiten erfüllen keine Tatbestände von originären rentenrechtlichen Zeiten im Sinne des SGB VI, insbesondere nicht von Beitragszeiten, weil auf Grund der Beschäftigungen keine Beiträge nach Bundesrecht an einen deutschen Rentenversicherungsträger gezahlt worden sind bzw als gezahlt gelten (§§ 54 Abs 1 Nr 1, 55 SGB VI).

2. Die in der CSSR zurückgelegten Beschäftigungszeiten stehen auch nicht auf Grund eines Anwendungsbefehls des bundesdeutschen Gesetzgebers originären rentenrechtlichen Zeiten iS des SGB VI gleich.

Da Beitragszeiten nur solche sind, für die Beiträge nach "Bundesrecht" entrichtet worden sind (§ 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI), können Beitragszeiten, die auf Grund einer Beschäftigung zurückgelegt worden sind, grundsätzlich nur dann bestehen, wenn die Beschäftigungen im Inland ausgeübt worden sind (§ 30 Abs 1 SGB I, §§ 3 bis 5 SGB IV iVm den §§ 1 Abs 1 Nr 1 und 55 SGB VI). Insoweit gebietet auch das GG nicht, im Ausland verwirklichte Sachverhalte rentenversicherungsrechtlich so zu behandeln, als hätten sie sich im Inland ereignet. Es ist (auch nicht nach Art 3 Abs 1 GG oder Art 25 GG) zu beanstanden, dass der Deutsche Bundestag rentenversicherungsrechtliche Rechtsfolgen grundsätzlich nur an Sachverhalte knüpft, die sich im Bereich der Gebietshoheit Deutschlands ereignen und mit ihm durch einen engen, völkerrechtlich zulässigen Anknüpfungspunkt verbunden sind. Insbesondere muss er nicht alle Deutschen im Ausland so behandeln, als hätten sie in Deutschland gelebt und hier versicherungspflichtig gearbeitet (vgl hierzu Urteil des Senats vom , B 4 RA 51/99 R).

Im Ausland zurückgelegte Zeiten sind daher von der Beklagten nicht im Versicherungskonto zu speichern und auch nicht vorzumerken, es sei denn, eine Norm des Bundesrechts oder Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts ordnen eine Gleichstellung mit originären rentenrechtlichen Zeiten iS des SGB VI an. Eine solche normative Gleichstellung ist bezüglich der Beschäftigungszeiten, die in der CSSR zurückgelegt worden sind, nicht erfolgt. Eine Berücksichtigung dieser umstrittenen Zeiten als spezialgesetzlich den Beitragszeiten nach Bundesrecht gleichgestellte Beitragszeiten lässt das geltende Recht daher nicht zu.

a) Eine Qualifizierung als Beitrittsgebiet-Beitragszeiten, die nach § 248 Abs 3 Satz 1 SGB VI den Beitragszeiten nach Bundesrecht gleichstehen, scheidet bereits deshalb aus, weil in den streitigen Zeiträumen auch im Beitrittsgebiet nach den vor Inkrafttreten von Bundesrecht dort geltenden Rechtsvorschriften für die Klägerin keine Beiträge zum dortigen System der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt worden sind.

b) Die Klägerin kann ihr Begehren auch nicht auf das zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der Tschechoslowakischen Republik geschlossene Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Sozialpolitik (Abk DDR-CSSR SozPol) vom (GBl I S 394) stützen. Dieses Abkommen ist kein Bestandteil des Bundesrechts, das allein für das BSG maßgebend ist (§ 162 SGG).

Der Senat hat bereits anlässlich von Abkommen der DDR mit anderen sozialistischen Staaten auf dem Gebiet der Sozialpolitik entschieden, dass diese (Regierungs-)Abkommen kein Bundesrecht geworden, sondern als so genannte geschlossene Abkommen mit Ablauf des erloschen sind ( BSGE 83, 19 ff = SozR 3-8100 Art 12 Nr 1 <zum Abk DDR-UDSSR SozPol>, vom , SozR 3-8000 Art 3 Nr 1 <zum Abk DDR-UDSSR SozPol>, vom , BSGE 83, 224 ff = SozR 3-8100 Art 12 Nr 3 <zum Abk DDR-Ungarn SozPol> und vom , B 4 RA 62/99 R <zum Abk DDR-Bulgarien SozPol>). Dem hat sich der 5. Senat des SozR 3-8100 Art 12 Nr 4 (Abk DDR-Griechenland) im Ergebnis jedenfalls für die hier vorliegende Konstellation angeschlossen. Auch der 8. Senat des BSG ist dieser Rechtsprechung im Ergebnis gefolgt (Urteil vom , B 8 KN 8/97 R).

An dieser Rechtsprechung hält der 4. Senat fest. Sie bedeutet im Hinblick auf das Abk DDR-CSSR SozPol, dass mit dem Untergang der DDR als Staats- und Völkerrechtssubjekt mit Ablauf des jedenfalls die (so genannten geschlossenen) völkerrechtlichen Verträge der DDR erloschen sind die - wie das Abk DDR-CSSR SozPol nach dessen Art 2 - nur die Staatsbürger der Vertragspartner erfassen. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht (etwa im Wege der Rechtsnachfolge) an Stelle der DDR Vertragspartner der Abkommen geworden.

c) Das völkerrechtlich erloschene Abk DDR-CSSR SozPol wäre bundesrechtlich nur dann beachtlich, wenn die Bundesrepublik Deutschland und die CSSR bzw die ab nach Aufteilung der CSSR entstandene Tschechische Republik in einem völkerrechtlichen Vertrag die Weitergeltung oder -anwendung der Vorschriften aus dem früheren Abk DDR-CSSR SozPol vereinbart hätten. Eine solche Vereinbarung ist nicht erfolgt.

d) Die Klägerin kann die begehrten Rechtsfolgen auch nicht aus der einseitigen bundesrechtlichen (rein "innerstaatlichen") Anordnung einer "vorübergehenden Weitergeltung" ua des Abk DDR-CSSR SozPol in der Verordnung über die vorübergehende weitere Anwendung verschiedener völkerrechtlicher Verträge der Deutschen Demokratischen Republik im Bereich der sozialen Sicherheit vom idF der Verordnung vom (Anwendungs-ÄndVO, BGBl II S 1231) herleiten.

Dieser verordnungsrechtlich begründete vorübergehende Rechtszustand ist grundsätzlich mit Ablauf des beendet worden (Art 7 Abs 2 Anwendungs-ÄndVO). Für den Bereich der Rentenversicherung des SGB VI ist sie allerdings schon mit Ablauf des gegenstandslos geworden (vgl hierzu ua Senatsurteil vom , SozR 3-8575 Art 2 § 31 Nr 1 mwN). Auf übergangsrechtliche Bestimmungen kann sich die Klägerin nicht stützen. Der von ihr benannte Art 7 Abs 3 der Anwendungs-ÄndVO greift schon deshalb nicht, weil am in ihrem Fall kein "Anspruch" auf eine Rente bestanden hatte. Die Übergangsvorschrift des Art 7 Abs 4 aaO kommt nicht zur Anwendung, weil zum einen ein solcher "Anspruch" auf Rente nicht vor dem entstanden war und zum anderen auch deshalb nicht, weil sie am weder einen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Beitrittsgebiet hatte noch bis zum Ablauf dieses Tages in das Beitrittsgebiet eingereist war.

Ihr Hinweis, die Stichtagsregelung sei verfassungswidrig (Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG), greift schon deshalb nicht, weil sie in jedem Fall nicht die zweite Voraussetzung für die Anwendung der Übergangsvorschrift erfüllt hatte, nämlich das Bestehen eines "Anspruches" vor dem . Im Übrigen ist die Stichtagsregelung auch nicht verfassungswidrig, weil sie sich auf sachliche Erwägungen stützen kann. Geschützt werden sollte in erster Linie die Person, die eine (hier rentenrechtliche) schutzwürdige Position in der DDR unmittelbar vor Wirksamwerden des Beitritts am konkret inne hatte. Das Rentenrecht der DDR beschränkte den persönlichen Anwendungsbereich grundsätzlich aber auf die Bürger, die ihren ständigen Wohnsitz in der DDR hatten (§ 1 RentenVO). Die Klägerin hielt sich am noch im Gebiet der CSSR auf und hatte demgemäß zu diesem Zeitpunkt noch keine solche geschützte Position im Rentenrecht der DDR.

e) Auf das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik geschlossene Abkommen über Soziale Sicherheit vom (BGBl II 2002, 1128) kann die Klägerin ihr Begehren gleichfalls nicht stützen.

Der Deutsche Bundestag hat diesem Abkommen mit Gesetz vom (BGBl II 1126) zugestimmt; eine Transformation des Abkommens in Bundesrecht nach Art 59 Abs 2 Satz 1 GG ist somit erfolgt; das Abkommen ist auch nach Austausch der Ratifikationsurkunden am mit Wirkung zum in Kraft getreten (BGBl II 2002, 2434). Es handelt sich jedoch um ein reines "Leistungsexportabkommen". Demzufolge werden nur "für den Erwerb" eines Leistungsanspruchs aus der deutschen Rentenversicherung auch die in der Tschechischen Republik anrechenbaren Versicherungszeiten berücksichtigt, soweit sie nicht auf die selbe Zeit entfallen (Art 24 Abs 1 bis 3 des Abkommens). Daraus folgt zB, dass für die Erfüllung der erforderlichen Wartezeit, die Voraussetzung für die Entstehung eines Rechts auf Altersrente nach dem SGB VI ist, neben den deutschen auch die tschechischen Versicherungszeiten zählen. Indessen sieht das Abkommen bei der Feststellung des monatlichen Werts einer Rente nach dem SGB VI keine rentenwertsteigernde Berücksichtigung tschechischer Versicherungszeiten vor (Art 24 Abs 4 des Abkommens). Insoweit ist ausdrücklich bestimmt worden, dass Grundlage für die Ermittlung persönlicher Entgeltpunkte nur die Entgeltpunkte sind, die sich nach den deutschen Rechtsvorschriften ergeben (Art 25 Abs 1 des Abkommens).

Zwar können damit tschechische Versicherungszeiten bei der Zusammenrechnung insbesondere im Hinblick auf Wartezeiten eine Bedeutung gewinnen, jedoch folgt hieraus nicht, dass die entsprechenden Daten nach dem SGB VI vom bundesdeutschen Rentenversicherungsträger vorzumerken sind. Vielmehr bestimmt das Abkommen ausdrücklich, dass das Ausmaß der zu berücksichtigenden Versicherungszeiten sich nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaats richtet, nach denen sie zurückgelegt worden sind (Art 24 Abs 1 iVm Art 25 Abs 5 des Abkommens). Die entsprechende Feststellung hat somit der nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften des jeweiligen Staates zuständige Träger (Art 1 Abs 1 Nr 5 des Abkommens) zu treffen.

f) Schließlich kann die Klägerin eine Feststellungspflicht der Beklagten auch nicht aus dem zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der Tschechischen Republik andererseits am geschlossenen "Europaabkommen zur Gründung einer Assoziation" (BGBl II 1994, 3321) herleiten, das am in Kraft getreten ist (Bekanntmachung vom , BGBl II 1995, 573), das keine Vormerkungsansprüche einräumt (siehe schon ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Fundstelle(n):
SAAAC-13840