BSG Urteil v. - B 4 RA 56/04 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art 3 Abs 1; GG Art 6 Abs 1

Instanzenzug:

Gründe

I

Der Kläger begehrt, die bindende Festsetzung des Werts seines Rechts auf Altersruhegeld (ARG) zurückzunehmen und einen höheren Wert dieses Rechts unter Berücksichtigung von drei Jahren Kindererziehungszeit neu festzustellen.

Die Beklagte erkannte mit bindendem Bescheid vom dem am geborenen Kläger ARG zu. Bei der Festsetzung des Werts dieses Rechts berücksichtigte sie zwölf Kalendermonate als Zeiten der Kindererziehung des am geborenen Sohnes des Klägers nämlich vom bis .

Der Antrag des Klägers vom , die bindende Festsetzung des Werts seines Rechts auf ARG im Bescheid vom nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren (SGB X) zurückzunehmen und einen höheren Wert dieses Rechts unter Berücksichtigung von drei Jahren Kindererziehungszeit neu festzustellen, lehnte die Beklagte ab. Sie habe das Recht nicht unrichtig angewandt. Für ein vor dem geborenes Kind ende die Versicherungspflicht wegen Kindererziehung bereits zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Geburtsmonats (Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ). Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheids vom nach § 44 SGB X lägen nicht vor. Die Beklagte habe zu Recht in Anwendung des § 249 Abs 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) nur zwölf Kalendermonate Kindererziehungszeit für das vor dem geborene Kind anerkannt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids des SG die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ). Ergänzend hat es ausgeführt, dass nach ständiger Rechtsprechung des LSG die Bestimmung des § 249 Abs 1 SGB VI verfassungsgemäß sei.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt sinngemäß eine Verletzung von Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) iVm Art 6 Abs 1 GG. Die in § 249 Abs 1 SGB VI gezogene Grenze () sei willkürlich. Das LSG habe aus dem die falschen Schlüsse gezogen und die Entscheidung des - nicht gewürdigt.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

1. das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom , den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Trier vom sowie die ablehnende Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufzuheben,

2. die Beklagte zu verpflichten, die Festsetzung des Werts seines Rechts auf Altersruhegeld im Bescheid vom zurückzunehmen,

3. die Beklagte zu verpflichten, einen höheren Wert dieses Rechts unter Berücksichtigung von drei Jahren Kindererziehungszeit neu festzustellen und

4. die Beklagte zu verurteilen, entsprechend höhere monatliche Geldbeträge zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Meinung, dass im vorliegenden Fall § 28a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) den Wert des Rechts auf ARG bestimme. Dass diese Bestimmung verfassungsgemäß sei, habe das ua (BVerfGE 87, 1 ff) festgestellt. Vor diesem Hintergrund sei vorliegend nicht zu diskutieren, ob § 249 Abs 1 SGB VI verfassungsrechtlichen Bedenken begegne.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Das LSG hat zwar Bundesrecht verletzt (§ 162 SGG). Es hat - ebenso wie das SG - verkannt, dass die Beklagte im Rahmen der Festsetzung des Werts des Rechts auf ARG im Bescheid vom , dessen Rücknahme der Kläger nach § 44 SGB X begehrt, § 249 Abs 1 SGB VI nicht angewandt hat und auch nicht anwenden durfte, weil diese Vorschrift erst am in Kraft getreten ist (Art 85 Abs 1 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung <RRG 1992> vom , BGBl I 2261). Die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten, soweit sie die Zeiten vor dem oder vor diesem Zeitpunkt ergangene Verwaltungsakte oder abgeschlossene verwaltungsrechtliche Verträge betreffen, ergeben sich ausschließlich aus dem bis zum maßgeblichen AVG (Art 83 Nr 1 RRG 1992; vgl stellvertr , SozR 3-2600 § 300 Nr 10 S 37 ff). Die Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar, sodass die Revision zurückzuweisen ist (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG).

1. Gegenstand der Revision ist das Urteil des LSG, mit dem dieses die Berufung des Klägers gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen hat. Dieser verfolgt im Revisionsverfahren sein Klagebegehren (§ 123 SGG) vor dem SG und LSG weiter. Er begehrt schriftsätzlich sinngemäß, erstens die ablehnende Entscheidung der Beklagten über seinen Antrag nach § 44 SGB X im Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufzuheben (Anfechtungsklage), zweitens die Beklagte zu verpflichten, die bisherige bindende Festsetzung des Werts des Rechts auf ARG im Bescheid vom zurückzunehmen (Verpflichtungsklage) und drittens die Beklagte zu verpflichten, einen höheren Wert dieses Rechts unter Anrechnung einer Vorleistung von drei Jahren statt von einem Jahr an Kindererziehungszeit "gemäß § 56 SGB VI ohne Einschränkung des § 249 Abs 1 SGB VI" neu festzustellen und viertens die Beklagte zu verurteilen, entsprechende höhere Geldbeträge zu zahlen (eine die Verpflichtungsklage auf Neufeststellung konsumierende Leistungsklage). Die Kombination von Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist zulässig (§ 54 Abs 1 und 4 SGG; vgl auch , SozR 4-1300 § 44 Nr 3 RdNr 8).

2. Die Anfechtungsklage ist unbegründet. Es ist nicht rechtswidrig, dass die Beklagte einen Rücknahmeanspruch des Klägers abgelehnt hat. Denn die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 und 2 SGB X für einen Anspruch auf Rücknahme der bindenden Festsetzung des Werts des Rechts auf ARG im Bescheid vom sind nicht erfüllt, weil diese Festsetzung im Zeitpunkt ihres Erlasses nicht rechtswidrig war. Zwar hat das LSG keine Feststellungen darüber getroffen, ob der Kläger überhaupt die Vorleistung von zwei weiteren Jahren an Kindererziehung erbracht hat. Hierauf kam es aber nach dem maßgeblichen Recht auch nicht an. Die Beklagte hat gemäß §§ 27 Abs 1 Buchst c, 28a Abs 1 Satz 1 iVm §§ 31 Abs 1, 35 Abs 1 AVG idF des Art 2 Nr 6, 8 und 11 des Gesetzes zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung vom (BGBl I 1450) als Zeiten der Erziehung des am geborenen Sohnes des Klägers (geboren am ) zu Recht nur die ersten zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt berücksichtigt. Soweit der Kläger begehrt, "drei Jahre Kindererziehungszeit gemäß § 56 SGB VI ohne Einschränkung des § 249 Abs 1 SGB VI zu berücksichtigen", konnte die Beklagte diese Bestimmungen im Bescheid vom schon deshalb nicht anwenden, weil sie zu diesem Zeitpunkt weder im Bundesgesetzblatt verkündet noch in Kraft getreten waren. Das RRG 1992, dessen Art 1 die Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs um das SGB VI ergänzt hat, wurde erst am verkündet (BGBl I 2261); die vorgenannten Bestimmungen des SGB VI sind erst am in Kraft getreten (Art 85 Abs 1 RRG 1992). Für die Rechtmäßigkeit davor getroffener Entscheidungen haben sie allein schon deshalb keine Wirkung (Art 82 GG, § 300 Abs 1 SGB VI). Das BVerfG hat die im Bescheid vom angewandten Vorschriften (ua § 28a Abs 1 Satz 1 AVG) als mit dem GG vereinbar erklärt (vgl Urteil vom - 1 BvL 51/86 ua, BVerfGE 87, 1, 35 ff, 43 ff), ebenso den hier nicht anwendbaren § 249 Abs 1 SGB VI (vgl Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des , FamRZ 1996, 789; dazu auch: Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des ).

Da die Anfechtungsklage unbegründet ist, sind auch die weiteren Klagen unbegründet.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
PAAAC-13815