Leitsatz
Aufwendungen für Entwässerungskanäle, die das Abwasser vorhandener Einleitungen im Sinne von § 10 Abs. 4 AbwAG einer Abwasserbehandlungsanlage zuführen, dürfen nicht nur mit der Abwasserabgabe für die wegfallenden Einleitungen, sondern auch mit der Abwasserabgabe für Einleitungen der bestehenden Abwasserbehandlungsanlage, an die zugeführt wird, verrechnet werden.
Gesetze: AbwAG § 10 Abs. 3; AbwAG § 10 Abs. 4
Instanzenzug: VG München VG M 2 K 98.4913 vom VGH München VGH 22 B 99.3330 vom
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Verrechnung von Investitionskosten mit der für das Jahr 1994 von der Klägerin zu zahlenden Abwasserabgabe.
Die Klägerin betreibt die in einem technischen Verbund stehenden Klärwerke München I und München II. Mit Bescheid vom setzte das Landratsamt München für das von diesen Klärwerken im Jahre 1994 in öffentliche Gewässer eingeleitete Abwasser eine Abwasserabgabe in Höhe von 28 104 375 DM fest. Zugleich wurden bestimmte Investitionskosten nach § 10 Abs. 3 und 4 Abwasserabgabengesetz - AbwAG - als verrechenbare Aufwendungen anerkannt, so dass sich die zu zahlende Abgabe im Ergebnis auf null reduzierte. Verrechnet wurden hierbei unter anderem Aufwendungen in Höhe von 7 639 000 DM für im Jahre 1995 fertig gestellte Entwässerungskanäle, durch die nicht kanalisierte Siedlungen und Einzelanwesen in den Außenbezirken von München, deren Abwasser bislang über Versitzgruben in den Untergrund abgeleitet worden war, nunmehr an die städtischen Klärwerke angeschlossen wurden. Die Abgabenfestsetzung erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Mit Änderungsbescheid vom lehnte das Landratsamt eine Verrechnung der Investitionskosten für die Entwässerungskanäle mit der für die Klärwerkseinleitungen geschuldeten Abwasserabgabe ab und setzte gegenüber der Klägerin eine Restforderung in Höhe von 6 096 424 DM fest. Aufwendungen für Entwässerungskanäle dürften nach § 10 Abs. 4 AbwAG nur mit den Abwasserabgaben für künftig wegfallende Einleitungen verrechnet werden, nicht auch mit den Abgaben für Einleitungen eines bestehenden Klärwerkes, dem die Abwässer durch den Kanalbau zugeführt würden. Die notwendige Verknüpfung von Investition und Minderung der Schadstofffracht hebe das Gesetz nur in dem hier nicht anwendbaren, allein für die neuen Bundesländer geltenden § 10 Abs. 5 AbwAG auf.
Auf die Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht München den Änderungsbescheid des Landratsamts in Gestalt des Widerspruchsbescheides insoweit aufgehoben, als die Verrechnung von Investitionskosten mit der Abwasserabgabe in Höhe von 6 096 424 DM abgelehnt wurde. § 10 Abs. 4 AbwAG kenne zwei Einleitungen; die vorhandene, durch den Entwässerungskanal künftig wegfallende Einleitung und die Einleitung aus der aufnehmenden Abwasserbehandlungsanlage. Vorzunehmen sei eine vergleichende Gesamtbetrachtung der Schadstofffrachten aus beiden Einleitungen vor und nach der Baumaßnahme. Ergebe sich - wie hier - eine Reduzierung, so sei von der grundsätzlichen Verrechenbarkeit der Maßnahme auszugehen. Die Gesamtbetrachtung müsse konsequenterweise auch für die Frage gelten, mit welcher Abgabe verrechnet wird. Die Gegenauffassung des Beklagten lasse § 10 Abs. 4 AbwAG überall dort weitgehend leer laufen, wo nach Bundes- oder Landesrecht keine Abgaben für Kleineinleitungen zu entrichten seien. Sie widerspreche zudem der Intention des Abwasserabgabengesetzes, den Gewässerschutz zu verbessern, weil die Einschränkung der Verrechenbarkeit von Investitionskosten den Anreiz dafür nehme, den Gewässerschutz stets entsprechend dem jeweiligen Stand der Technik zu verbessern.
Die Berufung des Beklagten hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Gesetzeswortlaut sei nicht eindeutig. Man könne die Bezugnahme des § 10 Abs. 4 AbwAG auf § 10 Abs. 3 AbwAG als Rechtsfolgenverweisung so verstehen, dass mit der "insgesamt für diese Einleitung geschuldeten Abgabe" allein diejenige aus "vorhandenen Einleitungen" gemeint sei, um derentwillen die Entwässerungskanäle errichtet würden. Andererseits könne diese Formulierung auch in einem umfassenderen Sinne dahingehend verstanden werden, dass der Bau von Zuführungskanälen im Sinne des § 10 Abs. 4 AbwAG wie eine Erweiterung der betreffenden Abwasserbehandlungsanlage nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG angesehen und demzufolge auch auf der Ebene der Verrechnung einer solchen unmittelbar qualitätsverbessernden Maßnahme gleichgestellt werden solle. Aus Sinn und Zweck der strittigen Regelung ergäben sich keine zwingenden Gründe für eine der beiden Auslegungsvarianten, ebenso wenig aus höherrangigem Recht. Mangels sonstiger Direktiven sei hier auf den feststellbaren Willen des historischen Gesetzgebers bei der Einführung des § 10 Abs. 4 AbwAG abzustellen, der dafür spreche, dass die eröffnete Verrechnungsoption auch die für die Klärwerkseinleitungen geschuldete Abgabe erfasse. Die ursprüngliche Gesetzesinitiative des Freistaates Bayern habe auf der Überlegung beruht, dass die Begrenzung der Verrechnungsmöglichkeit auf Abwasserbehandlungsanlagen in § 10 Abs. 3 AbwAG zu eng sei. Daher sei die grundsätzliche Möglichkeit vorgeschlagen worden, Aufwendungen für die Errichtung oder Erweiterung von "Abwasseranlagen" in den drei Jahren vor Inbetriebnahme mit der Abwasserabgabe zu verrechnen, die insgesamt für die Einleitung aus der zugeordneten Abwasserbehandlungsanlage geschuldet sei. Zwar enthalte die endgültige Fassung des § 10 Abs. 4 AbwAG gegenüber den Gesetzentwürfen bestimmte Einschränkungen der vorgesehenen Verrechnungsmöglichkeit; diese beträfen aber nicht die Frage, für welche Einleitung die zu verrechnende Abwasserabgabe geschuldet sein müsse. Die abschließenden kontroversen Beratungen des Gesetzentwurfs lieferten keinerlei Hinweis auf eine Beschränkung des möglichen Verrechnungsvolumens.
Hiergegen richtet sich die vom Beklagten eingelegte Revision. Der Beklagte hält die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs für unzutreffend, dass maßgeblich auf den feststellbaren Willen des historischen Gesetzgebers abzustellen sei. Der Regelungsinhalt des § 10 Abs. 4 AbwAG ergebe sich bereits eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift. Absatz 4 regele, unter welchen Voraussetzungen eine Verrechnung möglich sei. Eine Aussage, mit welcher Abwasserabgabe verrechnet werden könne, treffe er hingegen nicht. Insoweit bestimme Absatz 3 Satz 1, dass nur mit der Abgabe für diejenige Einleitung verrechnet werden könne, für welche Aufwendungen zur Abwasserbehandlung getätigt worden seien. Aufwendungen und Verrechnungen müssten sich also auf dieselbe Einleitung beziehen. Für dieses Normverständnis spreche ein Vergleich der Zweck-Mittel-Relation der Absätze 3 und 4, deren Sinn und Zweck es sei, mit dem ökonomischen Anreiz der Verrechnung zu einem verbesserten Gewässerschutz beizutragen. Dementsprechend werde im Falle des Absatzes 3 die Verrechnung mit der Abwasserabgabe der Abwasserbehandlungsanlage ermöglicht, wenn eine Schadstofffrachtverminderung von mindestens 20 % erreicht werde. Im Falle des Absatzes 4 lägen die Voraussetzungen niedriger und reiche schon eine minimale Schadstofffrachtverminderung für eine Verrechnung aus. Gehe man davon aus, dass Absatz 4 eine Verrechnung mit der Abwasserabgabe für die "vorhandene Einleitung" und der Abwasserabgabe für die Einleitung aus der Abwasserbehandlungsanlage ermögliche, so bestünde im Vergleich zu Absatz 3 ein Missverhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln (verrechenbare Abgabe) und dem angestrebten Zweck (Höhe der Frachtreduzierung).
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom und des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil. § 10 Abs. 3 AbwAG betreffe den Standardfall der Ausnahme von der Abwasserabgabenpflicht bei ausreichender Reduzierung der Schmutzfracht durch Errichtung bzw. Erweiterung von Abwasserbehandlungsanlagen. Absatz 4 erweitere diese Verrechnungsmöglichkeit auf Zuführungskanäle. Die Erweiterung müsse auch für die verrechnungsfähige Abgabe gelten. Andernfalls hätte der Gesetzgeber - wie in den Absätzen 3 und 5 - statt des Verweises auf Absatz 3 die verrechnungsfähige Abgabe ausdrücklich benannt. Dieses Normverständnis entspreche auch dem Sinn und Zweck des § 10 Abs. 4, der darauf abziele, Investitionsanreize zu schaffen. Ohne eine umfassende Verrechnungsmöglichkeit von Kanalbaukosten auch mit der für Klärwerkseinleitungen zu entrichtenden Abwasserabgabe ginge der Lenkungseffekt insoweit verloren.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist mit dem Beklagten der Auffassung, dass sich die Frage, mit welcher Abwasserabgabe verrechnet werden könne, nicht aus § 10 Abs. 4, sondern aus § 10 Abs. 3 AbwAG ergebe.
Der Wille des Gesetzgebers, auf den das Berufungsgericht sein abweichendes Urteil stütze, stehe dieser Interpretation nicht entgegen. Die vom Bundestag beschlossene, gegenüber den früheren Gesetzesentwürfen wesentlich veränderte Gesetzesfassung spreche sogar gegen die Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts, da der Gesetzgeber ausdrücklich seinen Willen erklärt habe, die Verrechnungsmöglichkeiten für Kanäle auf die Fälle einzugrenzen, die mit der Funktion der Abwasserabgabe als Lenkungsabgabe zur Minderung von Schadstoffemissionen besser vereinbar seien. Die vom Berufungsgericht für richtig gehaltene Auslegung widerspreche diesem Lenkungszweck, da sie Aufwendungen privilegiere, die zu einer Verminderung der Schädlichkeit der bereits an die Anlage angeschlossenen Einleitung, für die Abwasserabgabe bezahlt werde, nichts beitrügen.
II.
Die zulässige Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 141 Satz 1 VwGO), ist nicht begründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht entschieden, dass die Klägerin eine Verrechnung ihrer Investitionsaufwendungen für den Bau der 1995 fertig gestellten Entwässerungskanäle mit der von ihr für das Jahr 1994 für die Einleitung von Abwasser der Klärwerke München I und II in öffentliche Gewässer geschuldeten Abwasserabgabe beanspruchen kann.
Nach § 10 Abs. 4 AbwAG in der Fassung des 4. Abwasserabgabenänderungsgesetzes vom (BGBl I S. 1453) gilt für Anlagen, die das Abwasser vorhandener Einleitungen einer Abwasserbehandlungsanlage zuführen, die den Anforderungen des § 18b des Wasserhaushaltsgesetzes entspricht oder angepasst wird, Absatz 3 entsprechend mit der Maßgabe, dass bei den Einleitungen insgesamt eine Minderung der Schadstofffracht zu erwarten ist. Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG können bei der Errichtung oder Erweiterung von Abwasserbehandlungsanlagen, deren Betrieb eine Minderung der Fracht einer der bewerteten Schadstoffe und Schadstoffgruppen in einem zu behandelnden Abwasserstrom um mindestens 20 vom Hundert sowie eine Minderung der Gesamtschadstofffracht beim Einleiten in das
Gewässer erwarten lässt, die für die Errichtung oder Erweiterung der Anlage entstandenen Aufwendungen mit der für die in den drei Jahren vor der vorgesehenen Inbetriebnahme der Anlage insgesamt für diese Einleitung geschuldeten Abgabe verrechnet werden.
Zutreffend hat der Verwaltungsgerichtshof § 10 Abs. 4 AbwAG, dessen Voraussetzungen im Übrigen unzweifelhaft vorliegen, so ausgelegt, dass Investitionsaufwendungen für Entwässerungskanäle auch mit solchen Abwasserabgaben verrechnet werden können, die für die Einleitungen der aufnehmenden Abwasserbehandlungsanlage geschuldet sind, und damit die von der Revision vertretene Ansicht verworfen, wonach die Vorschrift nur eine Verrechnung mit etwaigen für die wegfallenden Kleineinleitungen geschuldeten Abwasserabgaben erlaubt.
1. Allein aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 4 AbwAG folgt dieses Ergebnis - wie der Verwaltungsgerichtshof nicht verkannt hat - zwar noch nicht. § 10 Abs. 4 AbwAG enthält keine eigene Regelung dazu, mit welcher Abwasserabgabe verrechnet werden kann. Die von ihm angeordnete "Maßgabe" betrifft nur die Anforderungen an die Minderung der Schadstofffracht. Hinsichtlich der Frage, welche Abwasserabgabe für die Verrechnung maßgeblich ist, verbleibt es daher bei der angeordneten entsprechenden Geltung des § 10 Abs. 3 AbwAG. Der Wortlaut dieser Regelung ist insoweit aber ebenfalls unergiebig. Sie bezieht sich auf Abwasserbehandlungsanlagen und stellt auf deren Einleitung in das Gewässer ab. Abwasserabgabenrechtlich liegt deshalb immer nur e i n e maßgebliche Einleitung vor. Mit der für "diese Einleitung" geschuldeten Abgabe soll nach dem Wortlaut des Absatzes 3 verrechnet werden können. Demgegenüber existieren in der Situation des Absatzes 4 notwendigerweise mehrere Einleitungen: die durch den Kanalanschluss wegfallenden "vorhandenen Einleitungen" und die Einleitung der Kläranlage selbst, an die zugeführt wird. Auch betrifft Absatz 4 nicht Abwasserbehandlungsanlagen, sondern "Zuführungsanlagen" als Teil des "Systems Abwasserbehandlungsanlage". Wegen dieser unterschiedlichen Anlagen- und Einleitungssituation überzeugt das auch von Berendes (Abwasserabgabengesetz, 3. Aufl., S. 167) vertretene Argument der Revision nicht, weil im Rahmen von Absatz 3 abwasserabgabenpflichtige Einleitung und verrechnungsfähige Aufwendung zwingend aufeinander bezogen seien, müsse das auch bei der entsprechenden Anwendung der Vorschrift im Rahmen von Absatz 4 gelten.
2. Auch die Gesetzessystematik führt für die Frage, mit welchen Abwasserabgaben im Rahmen des § 10 Abs. 4 AbwAG verrechnet werden kann, zu keinem eindeutigen Ergebnis. Zwar verzichtet die in § 10 Abs. 5 AbwAG vorgesehene Verrechnungsmöglichkeit auf jeden betriebstechnischen Zusammenhang zwischen der begünstigten Abwasseranlage und der abgabepflichtigen Einleitung, indem eine Verrechnung mit "anderen Einleitungen" ausdrücklich zugelassen wird. Es handelt sich aber, worauf der Verwaltungsgerichtshof zu Recht hingewiesen hat, um eine auf die neuen Bundesländer beschränkte Sondervorschrift, die über die hier strittige Verrechnungsmöglichkeit weit hinausgeht. Mit ihr lässt sich weder für die engere Auffassung des Beklagten noch für die weitere Auffassung der Klägerin etwas gewinnen. Gegen die von der Revision (und von Berendes a.a.O.) vertretene Ansicht, der im Rahmen von § 10 Abs. 4 AbwAG entsprechend geltende Absatz 3 verlange, dass sich abgabepflichtige Einleitung und Investitionsaufwendung aufeinander bezögen, spricht in systematischer Hinsicht zumindest, dass dieser Bezug schon im Rahmen des Absatzes 3 nicht streng durchgehalten ist: Die Vorschrift gestattet dann, wenn die Investition bei nur einem von mehreren bewerteten Schadstoffen zu einer Schadstofffrachtreduzierung und demgemäß nur insoweit zu einer geringeren Abwasserabgabe führt, eine Verrechung mit der "insgesamt geschuldeten" Abwasserabgabe. Zur Verrechnung kommen also insbesondere auch solche Teile der Abwasserabgabe, die selbst von der Investition nicht betroffen sind. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwG 9 C 1.03 - NVwZ-RR 2004, 64). Aus dem von der Revision angeführten Beschluss des seinerzeit für das Abwasserabgabenrecht zuständigen 8. Senats vom (- BVerwG 8 B 70.99 - Buchholz 401.64 § 10 AbwAG Nr. 4) kann sie nichts für ihre Position herleiten. Soweit er sich dort zum Verhältnis von getätigter Investition, maßgeblicher Einleitung und geschuldeter Abwasserabgabe geäußert hat, beziehen sich seine Ausführungen ausschließlich auf § 10 Abs. 3 AbwAG und die Errichtung neuer Abwasserbehandlungsanlagen, nicht aber auf die Situation des Absatzes 4. Der 8. Senat hat vielmehr betont, dass der Gesetzgeber angesichts seines weiten Gestaltungsspielraums Aufwendungen für den Kanalbau gänzlich von der Verrechnungsmöglichkeit des § 10 Abs. 3 AbwAG ausnehmen, mit anderen Worten: diese Aufwendungen auch anderen Verrechnungsregeln unterwerfen durfte.
3. Die Richtigkeit der vom Verwaltungsgerichtshof vertretenen Auffassung ergibt sich aus teleologischen und historischen Auslegungsgesichtspunkten.
Sinn und Zweck der Verrechnungsvorschriften des § 10 Abs. 3 und 4 AbwAG ist es, Maßnahmen zur Verringerung der Abwasserschädlichkeit anzustoßen. Von der Abwasserabgabe soll eine Anreizwirkung zur Durchführung von Gewässerschutzmaßnahmen ausgehen (BTDrucks 12/4272 S. 1 und 7). Diese Lenkungswirkung wird durch das "Bauphasenprivileg" nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG gestützt, indem der Investitionsaufwand für bestimmte Maßnahmen schon vor deren Wirksamkeit, nämlich bereits während der auf drei Jahre geschätzten Bauzeit, mit der in diesem Zeitraum anfallenden Abwasserabgabe verrechnet werden kann (vgl. a.a.O. m.w.N.). Mit einer entsprechenden Lenkungsfunktion wurde auch die Einführung der Verrechnungsmöglichkeit des Absatzes 4 begründet: Die Gesetzentwürfe des Freistaates Bayern (BRDrucks 565/92) und des Bundesrates (BTDrucks 12/4272 S. 1 und 5) heben hervor, dass das Bauphasenprivileg auf Kanalbaumaßnahmen erweitert werden müsse, weil solche Maßnahmen im Einzelfall wasserwirtschaftlich dringlicher seien als eine aufwendige, relativ geringfügige Wirkungsgradsteigerung bei der Kläranlage. Mit der geschuldeten Abwasserabgabe sollten deshalb diejenigen Aufwendungen verrechenbar sein, "welche einer bestehenden nach den Regeln der Technik betriebenen Abwasserbehandlungsanlage zugeordnet" seien (BTDrucks 12/4272 S. 5). Die Verrechnungsmöglichkeit sollte unabhängig davon bestehen, ob die getätigten Aufwendungen zu einer Minderung der Schadstofffracht führen. Die Bundesregierung stimmte der Gesetzesinitiative zu, hatte aber - unter dem Gesichtspunkt der Lenkungsfunktion - Bedenken gegen eine Privilegierung auch solcher Maßnahmen, die nicht "unmittelbar emissionsmindernd wirken" (BTDrucks 12/4272 S. 7). Der Umweltausschuss des Bundestages griff die von Bundesrat und Bundesregierung verfolgten Intentionen ausdrücklich auf und fasste Absatz 4 so, wie er dann auch Gesetz geworden ist. Die Neufassung wurde u.a. mit einer Eingrenzung der Verrechnungsmöglichkeit für Kanäle auf die Fälle begründet, die mit der Funktion der Abwasserabgabe als Lenkungsabgabe zur Minderung von Schadstoffemissionen besser vereinbar sind. Verrechnungsfähig sollten danach nur Sammelkanalisationen sein, durch die sanierungsbedürftige Einleitungen an eine ordnungsgemäße Abwasserbehandlungsanlage angeschlossen werden und dadurch insgesamt (Abwasserbehandlungsanlage im bisherigen Umfang sowie die noch nicht angeschlossenen vorhandenen Einleitungen) geringere Schadstofffrachten in die Gewässer gelangen (BTDrucks 12/6281 S. 9).
Hieraus wird hinreichend deutlich, dass der Gesetzgeber - wie vom Verwaltungsgerichtshof angenommen - im Interesse der Sicherung der Lenkungsfunktion zwar den Kreis der privilegierungswürdigen Kanalbaumaßnahmen, nicht aber das bei der Abwasserabgabe zur Verfügung stehende Verrechungsvolumen beschränken wollte. An der Vorstellung des Gesetzentwurfs, dass Kläranlage und ihr "zugeordnete" Abwasseranlagen (wie z.B. Entwässerungskanäle) eine Anlageneinheit bilden, für deren Verrechnung auch das auf die Kläranlage bezogene Abgabenvolumen zur Verfügung steht, hat er festgehalten. Gegenteiliges kommt an keiner Stelle des Gesetzgebungsverfahrens zum Ausdruck; insbesondere spricht die gegenüber den Gesetzentwürfen geänderte Gesetzesfassung für und nicht gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts.
Die im Gesetzgebungsverfahren betonte Lenkungsfunktion zur Schaffung von Anreizen für die Investition in Kanalbaumaßnahmen kann sich nur dann voll entfalten, wenn diesen - regelmäßig sehr hohen - Aufwendungen auch ein entsprechend hohes Verrechnungsvolumen gegenübersteht. Das Abgabenaufkommen der durch die Sammelkanalisationen wegfallenden (Klein-)Einleitungen - für die nach § 9 Abs. 2 Satz 2 AbwAG nicht die einleitenden Haushalte, sondern von den Ländern zu bestimmende Körperschaften des öffentlichen Rechts abgabepflichtig sind - ist aber regelmäßig gering und dürfte die Investitionskosten auch nicht annähernd abdecken. In den Bundesländern, in denen auf der Grundlage von § 8 Abs. 2 AbwAG für Kleineinleitungen überhaupt keine Abwasserabgabe erhoben wird, hätte § 10 Abs. 4 AbwAG dann, wenn man eine Verrechnung mit den für die Klärwerkseinleitungen geschuldeten Abwasserabgabe nicht zulässt, nur noch einen theoretischen Anwendungsbereich. Faktisch liefe die Anreizwirkung leer. Dies würde der Zielsetzung des § 10 Abs. 4 AbwAG nicht gerecht.
Der Hinweis der Revision, bei diesem Verständnis des Absatzes 4 bestehe im Vergleich zur Verrechnungsmöglichkeit des Absatzes 3 ein "Missverhältnis" zwischen den eingesetzten Mitteln (verrechenbare Abgabe) und dem angestrebten Zweck (Höhe der Frachtreduzierung), ist insoweit richtig, als im Rahmen des Absatzes 4 schon eine geringe Schadstofffrachtreduzierung mit der Verrechenbarkeit belohnt wird, während im Rahmen des Absatzes 3 eine Schadstofffrachtminderung von mindestens 20 % erforderlich ist. Diese unterschiedliche Bewertung ist jedoch beabsichtigt. Die vorgelegten Gesetzentwürfe verfolgten mit der Einführung des Absatzes 4 ausdrücklich das Ziel, auch für diejenigen Investitionen eine Verrechnungsmöglichkeit zu schaffen, "die nicht die Verrechnungsvoraussetzungen gemäß § 10 Abs. 3 AbwAG erfüllen" (BRDrucks 565/92 S. 2 und BTDrucks 12/4272 S. 1). Es besteht weder Anlass noch Rechtfertigung, diese eindeutigen Vorgaben des Gesetzgebers aufgrund abweichender rechtspolitischer Bewertungen, wie sie die Revision vornimmt (vgl. auch Berendes, a.a.O., S. 167), im Wege einer engen Auslegung der Verrechnungsmöglichkeit des § 10 Abs. 4 AbwAG zu unterlaufen.
4. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diesen weiter verstandenen Verrechnungsanspruch, die die Revision möglicherweise unter dem Gesichtspunkt der Systemgerechtigkeit geltend machen will, bestehen nicht. Ohnehin stellt die Systemwidrigkeit einer Regelung für sich allein noch keinen Verstoß gegen den insoweit als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab allein in Betracht kommenden Art. 3 Abs. 1 GG dar (vgl. BVerfGE 68, 237 <253>). Ein solcher Verstoß scheidet aber in jedem Falle aus, wenn - wie hier - plausible Gründe für eine gesetzliche Regelung sprechen (BVerfGE 81, 156 <207>). Die Verrechnungsmöglichkeiten nach § 10 Abs. 3 und 4 AbwAG weichen zwar vom Verursacherprinzip ab und können dazu führen, dass bei entsprechend hohen Investitionskosten trotz fortbestehender Einleitung von Schadstoffen in öffentliche Gewässer keine Abwasserabgabe zu zahlen ist. Da dies aber nur ausnahmsweise während des 3jährigen Bauphasenprivilegs der Fall ist, kann von einer dauerhaften Durchbrechung des Verursacherprinzips keine Rede sein. Das Bauphasenprivileg ist eine anerkannte Ausnahme vom Verursacherprinzip. Bei seiner Ausgestaltung, insbesondere der Entscheidung, wer auf welche Weise privilegiert wird, kommt dem Gesetzgeber ein weitreichender Gestaltungsspielraum zu ( a.a.O., S. 3; BVerwG 9 B 12.01 - juris). Diesen hat der Gesetzgeber hier im Hinblick darauf nicht überschritten, dass Kanalbaumaßnahmen bei den Gemeinden erfahrungsgemäß hohe Kosten verursachen und andererseits für den Gewässerschutz von erheblicher Bedeutung sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Beschluss
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 3 117 052,09 € (entspricht 6 096 424 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 2, § 14 GKG).
Fundstelle(n):
FAAAC-13558