BVerwG Urteil v. - 8 C 20.01

Leitsatz

Im Falle eines Schädigungstatbestandes nach § 1 Abs. 6 VermG begründet die Regelung des § 31 Abs. 1 c VermG i.V.m. § 181 Abs. 1 BEG keinen Beweis des ersten Anscheins für das Vorliegen der gesetzlichen Erbfolge.

Gehen Rechtstitel nach Art. 3 Abs. 9 des US-Pauschalentschädigungsabkommens über, so erfordert die Regelung über die Vermutungswirkung in § 31 Abs. 1 d VermG, dass im deutschen Verwaltungsverfahren ermittelt wird, welche "Rechtstatsachen" den Entscheidungen der inneramerikanischen Stellen gemäß dem Bundesgesetz der Vereinigten Staaten von Amerika 94-542 vom zugrunde gelegt wurden.

Gesetze: VermG § 1 Abs. 6; VermG § 30 a Abs. 1 Satz 1; VermG § 30 a Abs. 1 Satz 4; VermG § 31 Abs. 1 c; VermG § 31 Abs. 1 d; GVO § 1 Abs. 2

Instanzenzug: VG Halle VG 4 A 204/99 HAL

Gründe

I.

Die Beigeladene begehrt die Feststellung, dass sie und die Klägerin in Erbengemeinschaft ohne Veräußerung des streitbefangenen 89 m² großen Hausgrundstücks Kleine K.straße 3 in W. (Gemarkung W., Flur 12, Flurstück 215/28) rückübertragungsberechtigt gewesen wären.

Die 1885 geborene Emmy K., eine deutsche Staatsangehörige jüdischen Glaubens, war bis zu ihrer Flucht Anfang Dezember 1938 in die USA Eigentümerin mehrerer Grundstücke in der Innenstadt von W., u.a. auch des streitbefangenen Grundstücks. Ursprünglich war sie mit dem 1918 verstorbenen Adolf K. verheiratet. Aus der Ehe gingen offenbar zwei noch vor 1945 verstorbene Töchter hervor, u.a. die bis 1945 umgekommene Hedda de J., deren vermutlich noch in Kanada lebende Tochter Selma/Helena T. als Vermächtnisnehmerin im späteren Testament des Georg K., des Bruders von Adolf K., bedacht wurde. Adolf K. betrieb u.a. auf dem streitbefangenen Grundstück und den beiden angrenzenden Grundstücken ein Konfektionsgeschäft. Das Geschäft wurde später von Emmy K. und Georg K., die 1931 heirateten, fortgeführt und 1936 aufgrund eines Zwangsverkaufs von der Firma H. übernommen. Die Grundstücke verblieben zunächst im Eigentum der Emmy K., sind dann aber von ihr mit notariellem Kaufvertrag vom für einen Kaufpreis von 105 000 Reichsmark an die Firma H. veräußert worden. Der Vertrag ist am behördlich genehmigt und die betreffende Grundbucheintragung am vollzogen worden.

Emmy K. soll nach den Angaben des Neffen des Georg K. 1942 in den USA verstorben sein. Nach ihrem Tode heiratete Georg K. erneut. Beide Ehen des Georg K. blieben kinderlos. Über die Erbfolge nach Emmy K. sind in den Akten keine näheren Unterlagen vorhanden. Bezüglich des 1975 verstorbenen Georg K. liegt ein gegenständlich beschränkter gemeinschaftlicher Erbschein des Amtsgerichts Schöneberg vor, wonach der Neffe Bernhard R. und dessen Frau Alice R. je zur Hälfte des Nachlasses dessen Erben waren. Beide verstarben 1979, zuletzt Bernhard R. Nach dem Testament beider Ehegatten sind Carol S. zu 75 % sowie zwei karitative Organisationen zu je 12,5 % als Erben eingesetzt worden.

Vor ihrem Tode hatten Bernhard R. und Alice R. bei der zuständigen amerikanischen Entschädigungskommission (Foreign Claims Settlement Commission der Vereinigten Staaten - FCSC) Ansprüche wegen des Verlustes von Vermögenswerten in der DDR angemeldet, die sich auch auf das streitbefangene Grundstück bezogen. Unter der "Claim No. G-2354, Decision No. G-3228" erging vor 1981 eine Entscheidung der FCSC zu ihren Gunsten. Für beide Erblasser wurden jeweils 20 000 $ als Entschädigung festgesetzt, wie die Schreiben des Testamentsvollstreckers Norton vom und ergeben. Ausweislich einer Zahlungsanweisungs-/Empfängerliste ("Draft") zahlte die FCSC entsprechend dem Wunsch des Testamentsvollstreckers die jeweiligen Beträge nebst Zinsen nach ihren Erbanteilen an die drei Erben der beiden Erblasser aus. Die 1990 von dem Testamentsvollstrecker und davon gesondert 1991/1992 von dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten erfolgten Anmeldungen vermögensrechtlicher Ansprüche für Carol S. bzw. deren Rechtsvorgänger, die sich u.a. auf das streitbefangene Grundstück bezogen, wurden 1993 zurückgenommen. In dem betreffenden Schreiben teilte der Testamentsvollstrecker u.a. mit, dass man in Kenntnis der Regelung des US-Pauschalentschädigungsabkommens die Annahme der inneramerikanischen Entschädigung gewählt habe und um eine schriftliche Bestätigung für die amerikanischen Dienststellen darüber bitte, dass die in Deutschland eingereichten Restitutionsanträge zurückgezogen seien.

Auch die Beigeladene meldete im Dezember 1992 u.a. für das streitige Grundstück Rückübertragungsansprüche an. Diesen Antrag lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen beim Landratsamt W. mit Bescheid vom mit der Begründung ab, es seien schon Ansprüche jüdischer Berechtigter geltend gemacht worden. Auf den Widerspruch der Beigeladenen hin übertrug das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen des Landes Sachsen-Anhalt mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom das streitbefangene Grundstück an die Beigeladene zurück. Dabei ging die Widerspruchsbehörde fälschlich davon aus, dass die im Grundbuch als Eigentümerin eingetragene Emmy K. weder mit Georg K. verwandt noch verheiratet gewesen sei. Die Klägerin wurde an dem betreffenden Verwaltungsverfahren nicht beteiligt; von den angefochtenen Bescheiden erhielt sie am Kenntnis.

Die Beigeladene wurde später als Eigentümerin des genannten Grundstücks in das Grundbuch von W. eingetragen, in dem sich bereits seit dem ein Genehmigungsvorbehalt der Klägerin gemäß § 11 c VermG befand. Das zwischenzeitlich grundbuchmäßig mit zwei weiteren Grundstücken vereinigte Grundstück wurde 1995/1997 zu einem Kaufpreis von 450 000 DM an Dritte verkauft. Im November 1997 schlossen die Beigeladene und die Klägerin eine Vereinbarung, nach der sich die Klägerin verpflichtete, alle erforderlichen Erklärungen zur Erteilung der Genehmigung des Kaufvertrages nach der Grundstücksverkehrsverordnung und zur Umschreibung zu geben. Im Gegenzug wies die Beigeladene den Notar unwiderruflich an, die hinterlegten 28 125 DM (= 6,25 % des Gesamtkaufpreises) nach rechtskräftiger Feststellung der vermögensrechtlichen Berechtigung hinsichtlich des Grundstücks an die Klägerin auszuzahlen.

Auf die am erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom den Beklagten verpflichtet festzustellen, dass die Klägerin und die Beigeladene ohne Durchführung des genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäfts in Erbengemeinschaft rückübertragungsberechtigt hinsichtlich des streitbefangenen Grundstücks gewesen wären. Zugleich hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen Sachsen-Anhalt vom insoweit aufgehoben, als er dem entgegenstand und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei infolge der ausgebliebenen Zustellung des Bescheides an die Klägerin nicht verspätet eingereicht worden. Grundlage der Feststellung sei § 1 Abs. 2 Satz 3 GVO. Der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG liege vor. Die Vermutung des verfolgungsbedingten Zwangsverkaufs durch die jüdische Eigentümerin des Grundstücks im Jahre 1938 sei nicht widerlegt worden. Zwar könne davon ausgegangen werden, dass der Kaufpreis angemessen sei, jedoch sei nicht bewiesen, dass Emmy K. den Kaufpreis tatsächlich erhalten habe und auch frei über ihn hätte verfügen können. Der Kaufvertragsschluss im November 1938 und die kurz darauf erfolgte Flucht belegten, dass das Rechtsgeschäft ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus nicht zustande gekommen wäre. Die Klägerin sei in Erbengemeinschaft mit der Beigeladenen Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG. Sie sei Rechtsnachfolgerin der Erbengemeinschaft nach Bernhard und Alice R., die wiederum Rechtsnachfolgerin nach Georg K. gewesen sei; dieser sei zumindest Miterbe nach Emmy K. gewesen. Durch die Wahl der inneramerikanischen Entschädigung gemäß Art. 3 Abs. 9 Satz 2 des US-Pauschalentschädigungsabkommens seien deren Ansprüche auf die Klägerin übergegangen. Zwar folge dies nicht aus der Vermutung des § 31 Abs. 1 d VermG, da der Annex zur Entscheidung der FCSC, die selbst dem Verwaltungsgericht nicht vorgelegen habe, nichts dazu sage, ob Georg K. Erbe der Emmy K. geworden sei. Die Annahme der FCSC, Georg K. sei ursprünglich Geschädigter ("registered owner") gewesen, sei offensichtlich falsch. Weshalb die FCSC ferner von einer 6,25 %igen Berechtigung der Erben nach Georg K. ausgehe, sei aus den vorhandenen Unterlagen ebenfalls nicht ersichtlich. Die Berechtigung der Klägerin als Miteigentümerin stehe aber, ohne dass es wegen § 31 Abs. 1 c VermG i.V.m. § 181 Bundesentschädigungsgesetz eines Erbscheins bedürfe, zur Überzeugung des Gerichts deshalb fest, weil es einen nicht entkräfteten Beweis des ersten Anscheines gebe, wonach Georg K. seine vorverstorbene Ehefrau Emmy K. zumindest mit beerbt habe. Zwar sei die Staatsangehörigkeit der Erblasserin ebenso wie Ort und Zeitpunkt ihres Todes unbekannt, jedoch sei auch nach dem Recht der Vereinigten Staaten von Amerika für Grundstücke das Erbrecht des Belegenheitsortes maßgeblich. Da es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer letztwilligen Verfügung gäbe, sei deshalb von der gesetzlichen Erbfolge des § 1931 BGB auszugehen, wonach der Ehemann zumindest Miterbe sein müsse. Im Übrigen unterliege der weitergehende Klageantrag der Abweisung, weil es einen entsprechenden Anscheinsbeweis für eine Alleinerbschaft eines Ehegatten nicht gebe. Es sei auch rechtzeitig ein Rücknahmeübertragungsantrag gestellt worden. Die Rücknahmeerklärung des Testamentsvollstreckers vom stehe dem nicht entgegen. Dem Zweck der Ausschlussfrist in § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG werde dadurch genügt, dass der Beigeladenen bewusst gewesen sei, dass es noch weitere Anspruchskonkurrenten für den Vermögenswert gebe; das Rücknahmeschreiben vom lasse überdies nicht den Verzicht auf Ansprüche erkennen, sondern enthalte lediglich den Hinweis auf die Wahl inneramerikanischer Entschädigung.

Gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil hat die Beigeladene die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Die Beigeladene beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Halle vom die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Auch der Beklagte hält die Revision für begründet, da die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht der Rechtslage entspreche.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

II.

Die Revision ist zulässig und mit dem Ergebnis der Zurückverweisung begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht.

Das Verwaltungsgericht hat zwar die Klage zutreffend für zulässig gehalten (1.) und die rechtzeitige Anmeldung des Anspruchs (2.) sowie den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG zutreffend bejaht (3.). Es hat aber zum einen die Vorschrift des § 31 Abs. 1 c VermG i.V.m. § 181 BEG verkannt (4.) und zum anderen § 31 Abs. 1 d VermG unzutreffend angewandt, indem es die "Rechtstatsachen", die den Entscheidungen in dem Programm der Vereinigten Staaten von Amerika über Ansprüche gegen die Deutsche Demokratische Republik gemäß dem Bundesgesetz der Vereinigten Staaten von Amerika 94/542 vom zugrunde gelegt worden sind, nicht hinreichend ermittelt hat (5.). Eine abschließende Entscheidung ist dem erkennenden Senat verwehrt, weil es bisher an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlt. Das zwingt gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht (6.).

1. Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass die von der Klägerin erhobene Verpflichtungsklage zulässig ist. Insbesondere ist sie nicht verfristet, da mangels Zustellung des angegriffenen Bescheides die Klagefrist nicht in Gang gesetzt worden ist. Bei der Umstellung des Klageantrages durch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht handelt es sich um eine zulässige Erweiterung des Klagebegehrens (vgl. § 264 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 173 VwGO). Auch der vom Verwaltungsgericht erwogene Gesichtspunkt der Verwirkung steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Die Verwirkung stellt nämlich als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben einen Anwendungsfall widersprüchlichen Verhaltens dar und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung ein längerer Zeitraum verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen ( BVerwG 3 C 115.71 - BVerwGE 44, 339 <343>; BVerwG 3 C 1.98 - BVerwGE 108, 93 <96>). Für das Vorhandensein derartiger Umstände gibt es keinen Anhaltspunkt. Die Beigeladene konnte angesichts der von vornherein bestehenden Unklarheit über den Umfang des klägerischen Restitutionsbegehrens kein schutzwürdiges Vertrauen entwickeln. Schließlich hindert auch nicht die zwischen der Beigeladenen und der Klägerin im November 1997 abgeschlossene Vereinbarung die Rechtswahrnehmung durch die Klägerin. Darin ist weder ein Klageverzicht noch ein Verzicht auf den materiellen Anspruch zu erblicken. Denn ein Verzicht setzt eine eindeutige, unzweifelhafte und unmissverständliche Erklärung voraus, einen Anspruch nicht gerichtlich geltend machen zu wollen ( BVerwG 7 C 50.75 - BVerwGE 55, 355 <357>). Die Vereinbarung enthält aber weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Erklärung in diesem Sinne. Eine Abstandnahme von der Geltendmachung weitergehender vermögensrechtlicher Ansprüche, und damit über den zugrunde gelegten Anteil von 6,25 % des Kaufpreises hinaus, lässt sich der Vereinbarung nicht entnehmen.

2. Dem Verwaltungsgericht ist auch darin zu folgen, dass einer Feststellung der Berechtigung oder Mitberechtigung der Klägerin nicht die Ausschlussfrist des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG entgegensteht. Denn die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der Erbengemeinschaft nach Bernhard und Alice R. geworden, die ihre Rückübertragungsansprüche rechtzeitig geltend gemacht hat. Die Rücknahmeerklärung des Testamentsvollstreckers in seinen Schreiben vom 4. Januar und steht dem nicht entgegen. Abgesehen davon, dass diese Erklärungen in erster Linie im Hinblick auf die vorherige Wahl der inneramerikanischen Entschädigung dazu dienten, ein Empfangsbekenntnis zur Vorlage bei den amerikanischen Behörden zu erhalten, konnte der Testamentsvollstrecker den Rückübertragungsantrag nicht mehr wirksam zurücknehmen. Denn die Unwirksamkeit der Antragsrücknahme ergibt sich aus dem in § 161 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken, wonach der aufschiebend bedingt Erwerbende - hier die Klägerin - gegenüber Zwischenverfügungen des noch berechtigten Veräußerers geschützt ist (vgl. Urteil des Senats vom - BVerwG 8 C 33.01 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen).

3. Dem Verwaltungsgericht ist auch insoweit kein Rechtsfehler unterlaufen, als es vom Vorliegen des Schädigungstatbestandes des § 1 Abs. 6 VermG ausgegangen ist. Zwischen den Beteiligten steht weder im Streit, noch sind Bedenken dagegen ersichtlich, dass es vorliegend um einen vermögensrechtlichen Anspruch einer Bürgerin geht, die in der Zeit vom bis zum aus rassischen Gründen verfolgt wurde und deshalb ihr Vermögen infolge eines Zwangsverkaufs verloren hat. Die Vermutung, dass es sich hierbei um einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust nach Maßgabe des 2. Abschnitts der Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur vom (VOBl für Groß-Berlin I S. 221) handelt, ist nicht widerlegt worden.

4. In Verkennung des § 31 Abs. 1 c VermG i.V.m. § 181 BEG - und damit unter Verstoß gegen Bundesrecht - ist das Verwaltungsgericht aber davon ausgegangen, dass zur Bestimmung der Erbfolge nach der Emmy K. ein Anscheinsbeweis eingreife, wonach unter Zugrundelegung deutschen Erbrechts mangels Anhaltspunkten für die Existenz eines Testaments die gesetzliche Erbfolge des § 1931 BGB und damit die Miterbeneigenschaft des überlebenden Ehegatten, also Georg K., feststehe. § 31 Abs. 1 c VermG ermöglicht für den Fall, dass Ansprüche nach § 1 Abs. 6 VermG geltend gemacht werden, zwar eine Beweiserleichterung. Der Verweis auf den hier allein in Betracht zu ziehenden § 181 Abs. 1 BEG macht die Vorlage eines Erbscheins entbehrlich, wenn die Erbberechtigung auch ohne Vorlage eines Erbscheins nachweisbar ist. Eine solche Nachweisbarkeit ohne Vorlage eines Erbscheins hat das Verwaltungsgericht jedoch zu Unrecht mit Hilfe des Beweises des ersten Anscheins angenommen. Die Rechtsfigur des Beweises des ersten Anscheins setzt einen typischen Geschehensablauf voraus, einen bestimmten Tatbestand oder Sachverhalt, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache - insbesondere auf Ursachenzusammenhänge oder das Verschulden - als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist, und es rechtfertigt, die besonderen Umstände des einzelnen Falles zurücktreten zu lassen (vgl. BVerwG 8 C 24.98 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 305). Von einem solchen typischen Geschehensablauf, aufgrund dessen von einem Erfolg nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache zu schließen ist, kann nicht die Rede sein, wenn es um die Frage geht, ob der Fall einer gesetzlichen oder gewillkürten Erbfolge vorliegt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann nicht vom Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts - des Todes eines Ehegatten - nach der Lebenserfahrung typischerweise darauf geschlossen werden, dass der überlebende Ehegatte dann zumindest dessen gesetzlicher Miterbe wird. Es stellt gerade keinen typischen Geschehensablauf dar, dass im Zweifel immer die gesetzliche Erbfolge unter Ehegatten eintritt. Vielmehr kann der vorversterbende Ehegatte in Ausübung seiner Testierfreiheit von den Gestaltungsformen des Erbrechts in vielfältiger Weise Gebrauch machen, so etwa andere Personen zu Erben einsetzen, bestimmte Personen von der Erbfolge ausschließen oder Erbverträge schließen etc. Nur für den Fall, dass eine gewillkürte Erbfolge ausscheidet, kann die gesetzliche Erbfolge überhaupt einschlägig sein. Ob aber ein Erblasser von der gewillkürten Erbeinsetzung und damit von seiner Testierfreiheit Gebrauch gemacht hat, unterliegt gerade keinem typischen Geschehensablauf. Daran ändert auch nichts die Annahme des Verwaltungsgerichts (vgl. UA S. 15), dass eine letztwillige Verfügung nicht vorliege. Abgesehen davon, dass die Vorinstanz hierzu keine tatsächlichen Ermittlungen angestellt hat, sondern sich mit der Bemerkung begnügt hat, es lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor (UA S. 15), würde eine solche Feststellung auch nicht die Grundlage eines Anscheinsbeweises bilden, sondern in Fällen vorliegender Art ohne weiteres die gesetzliche Erbfolge begründen. Mangels ausreichender tatsächlicher Grundlage ist der Senat auch nicht nach § 137 Abs. 2 VwGO an diese "Feststellung" gebunden. Das gleiche gilt für die dem "Annex" zugrunde liegende Annahme einer 6,25 %igen Beteiligung der Erben nach Georg K. Darin liegt keine Rechtstatsache i.S.v. § 31 Abs. 1 d VermG, weil die bisher bekannten amerikanischen Unterlagen insoweit widersprüchlich sind und deshalb die Vermutungswirkung des § 31 Abs. 1 d VermG nicht auslösen können. Denn ausweislich der Auszahlungs- und Zahlungsempfängerliste ("Draft") für die betroffenen Grundstücke, deren Einheitswert 1935 auf 105 000 Reichsmark festgesetzt worden ist, sind insgesamt 40 000 $ (bei einem hohen Dollarkurs in den 80er-Jahren) in der Grundsumme als Entschädigungsbetrag festgesetzt worden. Dieser Betrag steht in einem krassen Missverhältnis zu den genannten 6,25 %. Auch insoweit wird das Verwaltungsgericht weitere Ermittlungen anstellen müssen.

5. Auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 31 Abs. 1 d VermG sind nicht frei von Rechtsfehlern. Es hat zwar gesehen, dass diese Norm eine Vermutung für die Richtigkeit solcher Rechtstatsachen begründet, die den Entscheidungen der FCSC zugrunde lagen. Es hat aber unterlassen zu ermitteln, welche Rechtstatsachen von der FCSC zugrunde gelegt wurden. Das Verwaltungsgericht hat sich vielmehr damit begnügt, aus dem durch die Klägerin vorgelegten "Annex" zur Entscheidung der FCSC abzuleiten, die FCSC sei nicht davon ausgegangen, dass Emmy K. von Georg K. beerbt worden sei. Die sich aus dem vorgelegten Schriftstück der FCSC ergebende Annahme, Georg K. sei der ursprünglich Geschädigte, sei widerlegt. Dies trifft zwar zu, das Verwaltungsgericht hat indes die gebotenen tatsächlichen Aufklärungsmaßnahmen unterlassen. Die Vorinstanz hat nämlich übersehen, dass die "Rechtstatsachen" erst zu beschaffen sind. Die Vermutungswirkung des § 31 Abs. 1 d VermG erfordert, im deutschen Verwaltungsverfahren zu ermitteln, welche "Rechtstatsachen" den Entscheidungen in dem Programm der Vereinigten Staaten von Amerika über Ansprüche gegen die Deutsche Demokratische Republik gemäß dem Bundesgesetz der Vereinigten Staaten von Amerika 94/542 vom zugrunde gelegt worden sind. Zu diesen Rechtstatsachen gehört auch die in den Entscheidungen der zuständigen Stellen der USA festgestellte Erbfolge, wie die ausdrückliche Erwähnung der Erbfolge in der Begründung des Gesetzentwurfs des Vermögensrechtsbereinigungsgesetzes zu § 31 Abs. 1 d VermG - BTDrucks 13/10246 S. 17 - zeigt (vgl. Urteil des Senats vom - BVerwG 8 C 33.01 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen). Das Verwaltungsgericht hätte die bei den zuständigen Stellen der USA entstandenen Verwaltungsvorgänge - zumindest im Abdruck - beiziehen müssen. Aus den bisher vorliegenden Akten geht hervor, dass zugunsten der Erblasser Bernhard und Alice R. unter der "Claim No. G-2354, Decision No. G-3228" eine Entscheidung ergangen ist. Dasselbe ergibt sich aus der genannten Zahlungsanweisungs-/Empfängerliste ("Draft"), aufgrund der von der FCSC entsprechend dem Wunsch des Testamentsvollstreckers unter sechs verschiedenen Positionen zur Reg.-Nr. G-5354 (1A, 1B, 1C, 2A, 2B, und 2C) 40 000 $ nebst Zinsen für die drei Erben nach Bernhard und Alice R. ausgewiesen sind. Vom Vorliegen diesbezüglicher Rechtstatsachen kann die Frage der materiellen Berechtigung der Beteiligten abhängen. Ob den amerikanischen Akten derartige Feststellungen zu entnehmen sind, kann derzeit nicht beantwortet werden.

6. Der Senat ist daher gehindert, über das Begehren der Klägerin abschließend zu entscheiden, weil hierfür die notwendigen Feststellungen über das Bestehen etwaiger Rechtstatsachen im Sinne des § 31 Abs. 1 d VermG ebenso fehlen wie weitere tatsächliche Feststellungen, die Aufschluss über die Berechtigung der Beigeladenen im Wege der gesetzlichen Rechtsnachfolgefiktion nach § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG oder über diejenige der Klägerin im Wege der Legalzession nach dem genannten US-Pauschalentschädigungsabkommen geben können. Aus dem bisher allein vorliegenden Abdruck des Annexes lassen sich keine hinreichenden Rechtstatsachen entnehmen, wie das Verwaltungsgericht richtig erkannt hat. Vielmehr sind die Behörden im inneramerikanischen Verfahren offenbar zu Unrecht davon ausgegangen, dass Georg K. schon vor der im Jahre 1938 erfolgten Veräußerung Eigentümer des streitbefangenen Grundstücks gewesen sei, was ausweislich der vorliegenden Grundbuchauszüge nicht der Fall ist. Das Verwaltungsgericht wird je nach dem Ergebnis der weiter anzustellenden Sachaufklärung verschiedene rechtliche Folgerungen zu ziehen haben:

a) Wenn die Rechtstatsachen, die den Entscheidungen der zuständigen US-Stelle zugrunde gelegt sind, ergeben, dass Emmy K. nicht von Georg K. beerbt worden ist, schiede jedenfalls die Klägerin als Berechtigte aus.

b) Sollten die Rechtstatsachen ergeben, dass Georg K. Alleinerbe nach Emmy K. geworden ist, wäre die Klägerin als dessen Rechtsnachfolger auch allein "Berechtigte"; die Nachfolgefiktion des § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG zugunsten der Beigeladenen würde nicht eingreifen. Denn die darin liegende Rechtsnachfolgefiktion ist ausgeschlossen, wenn der jüdische Berechtigte oder sein Rechtsnachfolger sich für eine Entschädigung im Rahmen des deutsch-amerikanischen Pauschalentschädigungsabkommens vom entschieden hat (vgl. BVerwG 7 C 9.01 -). Die Berechtigtenfiktion des § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG wird dann durch die Spezialregelungen des erwähnten Abkommens verdrängt.

c) Falls die Ermittlungen des Verwaltungsgerichts ergeben, dass verschiedene Erben die Erblasserin Emmy K. entweder im Wege einer gewillkürten oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge beerbt haben, wird zu prüfen sein, inwieweit diese Personen sich für eine Entschädigung im Rahmen des genannten Pauschalentschädigungsabkommens entschieden haben. Für diejenigen Erbberechtigten, die nicht die inneramerikanische Entschädigung gewählt haben, käme ggf. die Nachfolgefiktion des § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG zum Tragen.

d) Schließlich kommt der Fall in Betracht, dass die Ermittlungen des Verwaltungsgerichts ergebnislos verlaufen und keine Rechtstatsachen, die der Entscheidung der genannten US-Stellen zugrunde gelegen haben, ermittelt werden können, oder dass die Vermutungswirkung dieser Rechtstatsachen widerlegt ist. Das Verwaltungsgericht wird dann anderweitige Nachforschungen anstellen müssen. Beispielsweise kommt die Nachfrage bei dem gemäß § 73 Abs. 2 FGG zuständigen Nachlassgericht, dem Amtsgericht Schöneberg, bezüglich der eingetretenen Erbfolge nach Emmy K. in Betracht. Desgleichen bietet sich eine Anfrage bei dem zuständigen Lastenausgleichsamt hinsichtlich etwaiger lastenausgleichsrechtlicher Anträge nach Emmy K. Verfolgungsschäden an. Auch die Beiziehung der Akten des Ausgleichsamts beim Bezirksamt Zehlendorf in Berlin betreffend die Schadensfeststellung nach dem BFG (Verfolgungsschäden für die Eheleute R. nach Georg K.), der Entschädigungsakte Georg K. beim Hauptstaatsarchiv in Hannover (vgl. Beiakte VII Bl. 123 ff.) sowie der Entschädigungsakte nach Leo F. vom Niedersächsischen Landesverwaltungsamt unter dem Az. 221440 (vgl. das Schreiben des Bundesvermögensamts vom - Beiakte VII, Bl. 123/ 124) ist möglich.

Das Verwaltungsgericht wird bei seiner Beweiswürdigung dann der Tatsache Rechnung tragen können, dass bei weit zurückliegenden Geschehnissen Beweiserleichterungen angebracht sind und das Fehlen eines Testamentes nur als negative Tatsache zu bewerten ist mit der Folge, dass ggf. die gesetzliche Erbfolge eintritt. Finden sich keine Anhaltspunkte für eine testamentarische Erbfolge, so ist zumindest in Wiedergutmachungsverfahren nach § 1 Abs. 6 VermG von der gesetzlichen Erbfolge gemäß §§ 1922 ff. BGB auszugehen, wenn deutsches Recht anzuwenden ist. Letzteres ist nach derzeitiger Sachlage der Fall. Zugunsten der jüdischen Verfolgten, die vor dem verstorben sind, ist vom Fortbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit auszugehen. Deren Entziehung ist nicht aufgrund der von Anfang an nichtigen 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom erfolgt. Nur wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Betroffenen nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes und im Bewusstsein der Möglichkeit, in ein freies, rechtsstaatlich-demokratisches Deutschland zurückkehren zu können, von dieser Möglichkeit, keinen Gebrauch mehr hätten machen wollen, wird man annehmen können, dass sie auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit verzichten wollten (BVerfGE 23, 98 <112>).

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 46 016,27 € (entspricht: 90 000 DM) festgesetzt.

Fundstelle(n):
BAAAC-13435