Leitsatz
1. Eine nach keiner staatlichen Rechtsordnung verfasste ausländische Gruppierung ist nach § 61 Nr. 2 VwGO im Rechtsstreit um ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot beteiligungsfähig, wenn sie ein Mindestmaß an Organisation aufweist und ihr ein Recht auf Betätigung als Vereinigung zustehen kann.
2. Eine bei Erhebung der Klage gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot noch nicht vorliegende Prozessvollmacht kann mit der Folge nachgereicht werden, dass die bisherige Prozessführung des vollmachtlosen Vertreters genehmigt wird (Fortführung des Beschlusses des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom - GmS-OGB 2/83 - BVerwGE 69, 380, entgegen BVerwG 4 A 38.95 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 85).
3. Eine nach keiner staatlichen Rechtsordnung verfasste ausländische Gruppierung ohne bekannten Verwaltungssitz wird durch die natürliche(n) Person(en) vertreten, die nach dem Selbstverständnis der Organisation und den tatsächlichen Verhältnissen befugt sind, für die Vereinigung zu handeln.
Gesetze: VwGO § 61 Nr. 2; VwGO § 67 Abs. 1 Satz 1; VwGO § 67 Abs. 3 Satz 1; VwGO § 67 Abs. 3 Satz 2; VereinsG § 1 Abs. 1
Gründe
I.
Das Bundesministerium des Innern stellte durch Verfügung vom fest, dass sich die Tätigkeit des "Hizb ut-Tahrir" gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte; er befürworte Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Belange und solle eine derartige Gewaltanwendung hervorrufen. Die Betätigung des "Hizb ut-Tahrir" im räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes wurde verboten. Das Vermögen des "Hizb ut-Tahrir" wurde beschlagnahmt und zu Gunsten des Bundes eingezogen, ferner wurden nach näherer Anordnung Sachen und Forderungen Dritter beschlagnahmt und eingezogen.
Die Beklagte hält den Kläger für eine internationale, vor allem in Asien, Europa und Afrika tätige Organisation, die ihren Sitz vermutlich in London habe. "Führer" der Organisation sei der Palästinenser A. Z., auch genannt A. Y. (gewesen).
Die Beklagte stellte mit Blick darauf, dass der nach ihrem Kenntnisstand den Kläger nach außen hin vertretende Herr A. Z. unbekannten Aufenthalts war, die Verfügung am öffentlich zu.
Am hat der Kläger zusammen mit 21 natürlichen Personen Klage erhoben. Der Senat hat mit Beschluss vom das Verfahren über die Klage des Klägers abgetrennt.
Vor Klageerhebung unterzeichnete Prozessvollmachten der natürlichen Personen waren der Klage beigefügt oder wurden nachgereicht. Eine Prozessvollmacht des Klägers, die "from Palestine" unter dem durch Herrn A. K. A. (nach anderer Schreibweise: A. R.), auch genannt A. Y., unterzeichnet worden ist, ist mit Schriftsatz vom vorgelegt worden. Nach Darstellung des Klägers handelt es sich dabei um den "Vorsitzenden", der nach dem Rücktritt des Herrn A. Z. vom Vorsitz am und seinem Tod am nach Maßgabe seines Organisationsstatuts zum neuen "Vorsitzenden" gewählt worden sei.
Der Kläger hält sich für eine "Partei". Er sei nicht nach irgendeiner nationalen staatlichen Rechtsordnung eines islamischen Staates verfasst, da er diese Rechtsordnungen als dem Islam widersprechend ablehne; er sei gegründet worden, um diese Rechtsordnungen zu überwinden. Wegen gnadenloser "Verfolgung durch die jeweiligen arabischen Regime" unterhalte er keinen bekannten Verwaltungssitz in einem arabischen Land. Er verfüge über ein Statut (Organisationsgesetz). Wo dies möglich sei, verfüge er über Sprecher und repräsentative Mitglieder, die ihn nach außen repräsentieren und in seinem Namen sprechen dürften. Für den deutschsprachigen Raum sei dies der Kläger Dipl.-Ing. H. A., der seit September 2002 die offizielle Vertretungsbefugnis für den Kläger innehabe.
Der Kläger macht geltend, er habe seinen Prozessbevollmächtigten bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung bevollmächtigt. Dass er keine schriftliche Vollmacht seines damaligen Vorsitzenden Z. vorgelegt habe, liege daran, dass er in nahezu allen arabischen Staaten verboten sei und seine "Aktivisten" deshalb gehalten seien, "konspirativ zu arbeiten". Die Kontaktaufnahme zu Herrn Z. habe sich daher schwierig gestaltet und sei zeitaufwendig gewesen. Herr Z. habe jedoch im Zeitpunkt der Klageerhebung Auftrag erteilt, dass der Prozessbevollmächtigte gegen das Betätigungsverbot klagen solle. Der Kläger verweist zudem auf die Prozessvollmacht, die durch Herrn A.-A. unterzeichnet worden sei.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung der Beklagten vom aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die Klage für unzulässig.
II.
Das gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO im ersten und letzten Rechtszug zuständige Bundesverwaltungsgericht entscheidet gemäß § 109 VwGO durch Zwischenurteil. Die Klage ist zulässig.
1. Der Kläger ist gemäß § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig. Nach dieser Vorschrift sind Vereinigungen beteiligungsfähig, soweit ihnen ein Recht zustehen kann. Eine Vereinigung ist gegeben, wenn ein Mindestmaß an Organisation vorliegt. Diese Voraussetzung ist bei dem Kläger erfüllt. Sein "Organisationsgesetz" weist auf eine an staatliche Strukturen erinnernde innere Ordnung hin. Ein Recht kann dem Kläger zustehen, wenn er Zuordnungssubjekt eines Rechtssatzes ist. Diese Voraussetzung ist ebenfalls erfüllt. Der Kläger kann ein Recht auf Betätigung aus § 1 Abs. 1 VereinsG haben (vgl. Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, §§ 14, 15 Rn. 1). Eine Verbotsverfügung betrifft die "Rechtsstellung der verbotenen Vereinigung als einer Gesamtheit von Personen, die zur Verteidigung ihrer Rechte ungeachtet ihrer Rechtsform beteiligungsfähig ist" ( BVerwG 6 A 5.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 39; BVerwG 6 VR 1.01 - a.a.O. Nr. 34). Nichts anderes kann für ein Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG gelten, das gemäß dem Klammerzusatz in dieser Vorschrift ebenfalls als Vereinsverbot anzusehen ist.
2. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist durch die von Herrn A. A. unterzeichnete Prozessvollmacht nachträglich zur Klageerhebung legitimiert worden. Gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss sich jeder Beteiligte vor dem Bundesverwaltungsgericht, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder durch einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen. Die erforderliche Vollmacht ist schriftlich zu erteilen (§ 67 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Die Vollmacht kann nachgereicht werden (§ 67 Abs. 3 Satz 2 1. Halbs. VwGO). Der Mangel einer schriftlichen Vollmacht kann vom Prozessgegner in jeder Lage des Verfahrens, wie hier geschehen, gerügt werden (vgl. § 173 VwGO, § 88 Abs. 1 ZPO).
a) Die Vollmacht muss nach Auffassung des 4. Senats, auf die sich die Beklagte beruft, vor dem Ablauf der Klagefrist erteilt worden sein. Eine nachträgliche Genehmigung einer ohne Vollmachtserteilung erhobenen Klage ist danach nicht möglich ( BVerwG 4 A 38.95 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 85, S. 6).
Der erkennende Senat folgt dieser Ansicht nicht. Sie ist in einem die Entscheidung des 4. Senats nicht tragenden vorsorglichen Hinweis geäußert worden. Eine Abweichung erfordert daher keine Anrufung des Großen Senats ( BVerwG 8 C 79.62 - BVerwGE 16, 273 <277>; BVerwG 4 CB 18.90 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 21, S. 16). Die Auffassung des 4. Senats steht im sachlichen Widerspruch zu derjenigen des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ( GmS-OGB 2/83 - BVerwGE 69, 380 <381> = BGHZ 91, 111 <115>). Nach dieser Entscheidung kann der Mangel der Vollmacht bei Einlegung eines Rechtsmittels durch Genehmigung des Vertretenen, die auch in der Erteilung einer Prozessvollmacht liegen kann, mit rückwirkender Kraft geheilt werden, soweit noch nicht ein das Rechtsmittel als unzulässig verwerfendes Prozessurteil vorliegt. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen erst am Schluss der mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts vorliegen. Dies hat in gleicher Weise für die Klageerhebung zu gelten, wenn und solange die ohne ordnungsgemäße Prozessvollmacht erhobene Klage nicht als unzulässig abgewiesen worden ist. Mit frist- und formgerecht erhobener Klage ist die Streitsache unabhängig von der Zulässigkeit im Übrigen gemäß § 90 VwGO rechtshängig. Die Erhebung der Klage verhindert den Eintritt der Bestandskraft eines angefochtenen Verwaltungsakts, bis über sie entschieden ist.
Im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats lag die Prozessvollmacht vor und konnte nach den genannten Grundsätzen zur Heilung des ursprünglichen Mangels führen.
b) Voraussetzung für eine wirksame Vollmachterteilung und damit der Genehmigung der bisherigen Prozessführung ist allerdings, dass der Unterzeichner der Prozessvollmacht den Kläger vertreten durfte. Auch diese Voraussetzung ist erfüllt.
Der Kläger, der nach dem Inhalt der angefochtenen Verfügung in der Bundesrepublik Deutschland über keine Organisation verfügt, hat keinen bekannten Verwaltungssitz und ist nicht nach dem Recht eines Gründungsstaates verfasst. Die Beklagte vermutet zwar einen Verwaltungssitz in London, hat dies aber nicht belegt. Aufklärungsmaßnahmen des Senats haben keine Erkenntnisse erbracht. Daher kann nicht geprüft werden, ob Organisation und Willensbildung der Organisation einer ausländischen Rechtsordnung entsprechen (vgl. dazu etwa BGHZ 51, 27 <28>; BGHZ 78, 318 <334>; BGHZ 97, 269 <271>; Reichert, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 9. Auflage 2003, Rn. 3139 ff.). Unter diesen Umständen muss angenommen werden, dass die natürlichen Personen den Verein vertreten dürfen, die nach dem Selbstverständnis der Organisation und den tatsächlichen Verhältnissen befugt sind, für die Vereinigung zu handeln (vgl. auch § 10 Abs. 4 VereinsG: "Vorstandsmitglieder"). Das Prozessrecht muss nämlich gewährleisten, dass sich eine Organisation gegen ein ihr gegenüber ausgesprochenes vereinsrechtliches Betätigungsverbot gerichtlich zur Wehr setzen kann. Dagegen kann nicht angeführt werden, die Bestellung der zur Vertretung befugten Personen nach dem nicht einer staatlichen Rechtsordnung entsprechenden Organisationsstatut könne mit Grundsätzen innerverbandlicher Demokratie nicht in Einklang stehen. Die Vertretungsbefugnis muss grundsätzlich an nach außen leicht erkennbare Umstände anknüpfen und darf nicht von möglicherweise schwierigen Prüfungen der inneren Ordnung einer Organisation abhängig gemacht werden. Außerdem zeigt § 29 BGB, dass die Bestellung eines Vertretungsberechtigten derartigen Anforderungen nicht zwingend zu genügen braucht.
Nach § 9 a) des "Organisationsgesetzes" des Klägers ist der nach § 9 d) bestellte "Amir" der "Anführer", dem die "Führung der Partei" obliegt. Im Sinne des Verwaltungsprozessrechts schließt diese Stellung die Befugnis zur Erteilung der Prozessvollmacht und zur Genehmigung einer Klageerhebung ein. Die Beklagte ist selbst bereits bei der öffentlichen Zustellung der Verbotsverfügung davon ausgegangen, dass der "Amir" "Vorsteher" der Organisation im Sinne des § 7 Abs. 2 VwZG ist und hat den Weg der öffentlichen Zustellung beschritten, weil sie eine Zustellung an Herrn A. Z., den sie für den damaligen "Amir" hielt, wegen unbekannten Aufenthalts für unausführbar gehalten hat. Auch in der Klageerwiderung hat sie ausgeführt, dass dieser nach ihrem Kenntnisstand den Kläger nach außen hin vertreten hat. Der Senat hat nach alledem keinen Anhalt dafür, dass der Kläger nicht durch den jeweiligen "Amir" im Sinne des § 9 des "Organisationsgesetzes" vertreten werden könnte.
Zum "Amir" bestellt war im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Prozessvollmacht vom Herr A. A.. Das hat der Kläger allen Mitgliedern bekannt gegeben. Gegenteilige Erkenntnisse hat die Beklagte nicht vorgetragen. Der Senat hat auch insoweit keinen Anlass zu Zweifeln.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
FAAAC-12949