BVerwG Urteil v. - 5 C 71.03

Leitsatz

1. Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch besteht nur in dem Umfang, in dem es per saldo zu einem (rechtsgrundlosen) Vermögenszuwachs gekommen ist. Ist rechtsgrundlos Arbeit geleistet worden, besteht der Vermögenszuwachs in der Ersparnis von Aufwendungen zur Erlangung der Arbeitsleistung.

2. Auf einen Erstattungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger wegen rechtsgrundlos erlangter Arbeitsleistung ist an den Erstattungsberechtigten und seine Angehörigen in dieser Zeit geleistete Sozialhilfe anzurechnen.

Gesetze: VwGO § 144 Abs. 2

Instanzenzug: VG Schleswig VG 10 A 101/89 vom OVG Schleswig OVG 2 L 46/01 vom

Gründe

I.

Der Kläger, seine Ehefrau und sein Sohn erhielten von der Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt. Mit Bescheid vom verpflichtete die Beklagte den Kläger unter Hinweis auf § 19 BSHG vom an zur Arbeit von acht Stunden täglich (in der Praxis von Montag bis Freitag) als gemeinnützige und zusätzliche Arbeit bei einer Entschädigung für Mehraufwendungen in Höhe von zunächst 1 DM je Stunde, später 1,50 DM je Stunde. Der Kläger erbrachte diese Arbeit.

Seit Sommer 1985 war die Beklagte bestrebt, mit dem Kläger einen 52-Wochen-Arbeitsvertrag abzuschließen. Dabei wurde eine Entlohnung nach BMT-G V/VI für angemessen gehalten. Den Abschluss eines Arbeitsvertrages im Rahmen der §§ 18 f. BSHG lehnte der Kläger ab; zum Abschluss eines regulären Angestellten-Arbeitsvertrages war der Beklagte nicht bereit.

Den Widerspruch des Klägers vom gegen den Heranziehungsbescheid vom wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom zurück.

Nachdem die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom mitgeteilt hatte, dass sein Arbeitseinsatz mit Wirkung vom beendet sei, weil sie ihm keine Arbeitsmöglichkeit mehr zur Verfügung stellen könne, stellte der Kläger seine Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom um und beantragte, dessen Rechtswidrigkeit festzustellen. Mit rechtskräftigem Urteil vom stellte das Verwaltungsgericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO fest, dass der Bescheid vom rechtswidrig gewesen sei, weil das Verlangen einer Arbeit von 40 Wochenstunden bei bloßer Mehraufwandsentschädigung nach § 19 Abs. 2 BSHG nicht gerechtfertigt sei.

Die Klage des Klägers zu den Arbeitsgerichten auf tarifliche Entlohnung ist dort wegen Unzulässigkeit des arbeitsgerichtlichen Rechtswegs erfolglos geblieben ( - <ZfF 1990, 256>). Nach der Verweisung des Rechtsstreits durch das Landesarbeitsgericht an das Verwaltungsgericht hat dieses die Klage auf Leistungen für die seit dem erbrachte Arbeit abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht unter Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung die Beklagte verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 13 810,78 DM zuzüglich 4 % Zinsen bezogen auf verschiedene Zeiträume und Beträge zu zahlen. Den Antrag des Klägers, die Beklagte zu verurteilen, die im Schriftsatz vom aufgeführten Beträge - abgeleitet aus "Folgenbeseitigungsansprüchen/Schadensersatzanspruch" - zzgl. 5 % Zinsen ab dem zu zahlen, hat es an das Landgericht Lübeck verwiesen. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von 13 810,78 DM sei im Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs begründet. Danach seien im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses ohne rechtlichen Grund erbrachte Leistungen herauszugeben. Die aufgrund des Bescheides vom erbrachten Arbeitsleistungen seien ohne Rechtsgrund erbracht worden, weil der vom Verwaltungsgericht als rechtswidrig festgestellte Bescheid vom keine Rechtswirkung entfalte, also keinen Rechtsgrund für die vom Kläger erbrachte Arbeit darstelle. Da die Herausgabe einer Arbeitsleistung nicht möglich sei, sei entsprechend § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten. Dieser bemesse sich nach der für eine vergleichbare Arbeitskraft zu zahlenden Vergütung. Der Kläger sei im Rahmen von Maßnahmen zur Energieeinsparung bei der Straßenbeleuchtung eingesetzt gewesen. Diese Tätigkeit sei in Anlehnung an die Lohngruppe V BMT-G, d.h. des für die Beklagte geltenden Tarifvertrages für Arbeiter im gemeindlichen Bereich, zu bewerten. Danach betrage die übliche Vergütung für die vom Kläger in der Zeit vom bis zum geleistete Arbeit brutto 41 294,24 DM und nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge, die die Beklagte an die Sozialversicherungsträger abgeführt habe, aber ohne Abzug der auf eine Bruttovergütung in dieser Höhe anfallenden, aber von der Beklagten nicht abgeführten Lohn- und Lohnkirchensteuer vor Steuer netto 33 793,10 DM.

In die dem Kläger zustehende Erstattung könnten weder der Arbeitgeberanteil zu vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von monatlich 13 DM noch Umlagen zur Zusatzversorgung (VBL) einbezogen werden, da diese auf Tarifrecht beruhten, das für Beschäftigungsverhältnisse nach § 19 BSHG nicht gelte. Der Betrag von 33 793,10 DM sei um die dem Kläger, seiner Ehefrau und seinem Sohn gewährte Sozialhilfe - abzüglich des von der Beklagten vereinnahmten Wohngeldes - in Höhe von insgesamt 19 982,41 DM zu vermindern, so dass ein Zahlungsanspruch in Höhe von 13 810,78 DM bestehe.

Die Anrechnung der gewährten Sozialhilfe beruhe auf dem Gesichtspunkt, dass es insoweit an der für den Erstattungsanspruch erforderlichen Vermögensverschiebung zu Gunsten der Beklagten fehle. Die von der Beklagten ohne wirksame Rechtsgrundlage in Anspruch genommene Dienstleistung habe ihren Ursprung in dem gemäß § 19 BSHG ausgestalteten Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten. Die Beklagte habe dadurch Lohnaufwendungen eingespart, aber stattdessen nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 BSHG Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen zu leisten gehabt. Das auf die Gewährung von Sozialhilfe ausgerichtete Rechtsverhältnis sei auch bei der Schaffung einer Arbeitsgelegenheit nach § 19 Abs. 1 BSHG jedenfalls dann einheitlich zu beurteilen, wenn - wie hier - gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 BSHG nicht das übliche Arbeitsentgelt gezahlt, sondern Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen gewährt werde. Es beinhalte nicht den Austausch von Leistungen, sondern diene der Behebung einer Bedarfslage. Die Besonderheit dieses Rechtsverhältnisses gebiete die Heranziehung des in § 818 Abs. 3 BGB enthaltenen Rechtsgedankens. Zugleich mit der Gewährung der Sozialhilfeleistungen in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt und Entschädigung für Mehraufwendungen sei die Beklagte nicht mehr bereichert gewesen.

Auf die Beschwerde des Klägers hat der Senat die Revision zugelassen, soweit der Kläger von der Beklagten Erstattung für seine in der Zeit vom bis zum erbrachte Arbeit begehrt.

Mit seiner Revision gegen das Berufungsurteil begehrt der Kläger im Rahmen des Zulassungsbeschlusses weitergehende Erstattung.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Mit seinem Revisionsantrag begehrt der Kläger von der Beklagten im Rahmen der Revisionszulassung Erstattung für seine in der Zeit vom bis zum erbrachte Arbeit über den ihm vom Berufungsgericht bereits zugesprochenen Betrag in Höhe von 13 810,78 DM nebst Zinsen hinaus. Dem Kläger steht ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu; dieser Anspruch ist jedoch nicht (auch) auf Schadenersatz, sondern nur auf die Rückgängigmachung rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen gerichtet.

Soweit der Kläger rügt, das Berufungsgericht habe den Erstattungsbetrag zu Unrecht um die dem Kläger, seiner Ehefrau und seinem Sohn in der Zeit vom bis zum gewährte Sozialhilfe vermindert, ist die Revision nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Soweit der Kläger geltend macht, ihm stehe Erstattung auch in Bezug auf vermögenswirksame Leistungen und die Umlage zur Zusatzversorgung zu, ist die Revision im Sinne der Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht begründet (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Die Erstattung für rechtsgrundlos erbrachte Arbeit ist, da die erlangte Arbeitsleistung selbst nicht herausgegeben werden kann, auf den Ersatz ihres Wertes gerichtet (vgl. § 818 Abs. 2 BGB). Dieser ist danach zu bemessen, was die Beklagte sonst hätte aufwenden müssen bzw. aufwenden müsste, um diese Arbeitsleistung zu erhalten. Das Berufungsgericht ist bei seiner Wertermittlung davon ausgegangen, dass die Beklagte durch die Arbeit des Klägers eine Arbeitskraft eingespart habe, der ein übliches Arbeitsentgelt zugestanden hätte. Die Einstufung der Tätigkeit des Klägers als ausgebildetem Elektriker in die Lohngruppe V BMT-G hat es mit der Ausschreibung des Personalamtes der Beklagten vom für die Wiederbesetzung der Stelle eines Elektrikers beim Tiefbauamt für die Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der öffentlichen Beleuchtungsanlagen und der Energieeinsparung, also in einem Arbeitsbereich, in dem der Kläger eingesetzt war, begründet. Gegen die Angaben im Berufungsurteil zur Höhe der üblichen Vergütung für eine solche Tätigkeit - ohne tarifliche Sonder- und Zusatzleistungen - sowie zur Höhe der abzüglich des vereinnahmten Wohngeldes gewährten Sozialhilfe sind Revisionsrügen nicht erhoben.

Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte nur insoweit besteht, als sie durch die ihr erbrachte Arbeitsleistung im Verhältnis zu den von ihr erbrachten Sozialhilfeaufwendungen bereichert ist. Das ist allerdings entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht mit der "Heranziehung des in § 818 Abs. 3 BGB enthaltenen Rechtsgedankens" zu begründen. Denn zum einen ist § 818 Abs. 3 BGB auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht entsprechend anzuwenden (BVerwGE 71, 85) und zum anderen liegt ein Fall, dass der Empfänger zunächst bereichert war, jetzt aber nicht mehr bereichert ist, hier nicht vor. Zutreffend ist hingegen die Begründung des Berufungsgerichts, dass es, soweit die Beklagte Sozialhilfe geleistet hat, "an der für den Erstattungsanspruch erforderlichen Vermögensverschiebung zu Gunsten der Beklagten fehlt". Denn der von der Beklagten erlangten Arbeitsleistung des Klägers standen die in dieser Zeit von der Beklagten erbrachten Sozialhilfeleistungen an den Kläger, seine Ehefrau und seinen Sohn gegenüber. Per saldo war die Beklagte also von vornherein nur insoweit bereichert, als der Wert der erlangten Arbeitsleistungen die parallel erbrachten Sozialhilfeleistungen überstieg; nur insoweit ist ein Erstattungsanspruch entstanden.

Zwar standen der Ehefrau und dem Sohn des Klägers je eigenständige Ansprüche auf Sozialhilfe zu. Die ihnen in der streitgegenständlichen Zeit geleistete Sozialhilfe verbleibt ihnen auch. Dem steht aber nicht entgegen, die ihnen von der Beklagten gewährte Sozialhilfe beim Erstattungsanspruch des Klägers auf Seiten der Beklagten als Vermögensabgang zu berücksichtigen. Es ist nicht nur im Zivilrecht für den Bereicherungsanspruch, sondern auch im öffentlichen Recht für den Erstattungsanspruch als Aufgabe anerkannt, eine dem materiellen Recht nicht entsprechende Vermögensverschiebung zu korrigieren, was sinnvoll nur unter Berücksichtigung der Rechtsbeziehungen möglich ist, in denen es zu dieser Vermögensverschiebung gekommen ist. Die Sozialhilfegewährung für den Kläger, seine Ehefrau und seinen Sohn darf nicht isoliert von der (wegen Rechtsfehlers) rechtswidrigen Heranziehung des Klägers zur Arbeit nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 BSHG gesehen werden. Denn wenn es Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ist, eine dem materiellen Recht nicht entsprechende Vermögensverschiebung zu korrigieren, so ist es hier zwar einerseits berechtigt, dass der Kläger für seine rechtsgrundlos erbrachte Arbeit Erstattung bis hin zur Höhe des üblichen Arbeitsentgeltes verlangen kann, dann ist andererseits beim Ausgleich für die während der Sozialhilfegewährung erlangten Arbeitsleistung aber auch zu berücksichtigen, dass der Kläger mit einem dieser Arbeit entsprechenden üblichen Arbeitsentgelt in der Lage gewesen wäre, sich, seine Ehefrau und seinen Sohn zu unterhalten, so dass die Beklagte nicht hätte Sozialhilfe an den Kläger, seine Ehefrau und seinen Sohn leisten müssen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG bestimmt die Einsatzpflicht des Klägers für Ehefrau und Sohn). Dem entspricht im Bereich des Entschädigungsrechts der Gedanke des Vorteilsausgleichs.

Zu Unrecht ist das Berufungsgericht der Auffassung, bei der Erstattung der vom Kläger rechtsgrundlos geleisteten Arbeit könnten tarifliche Sonder- bzw. Zusatzleistungen nicht berücksichtigt werden, weil "hier ein Beschäftigungsverhältnis nach § 19 BSHG zugrunde lieg(e)". Ein (rechtlich wirksames) Beschäftigungsverhältnis nach § 19 BSHG lag im Streitfall aber gerade nicht vor. Auch tarifliche Sonder- bzw. Zusatzleistungen können zum üblichen Arbeitsentgelt gehören und deshalb bei der Erstattung für rechtsgrundlos erbrachte Arbeit zu berücksichtigen sein. Allerdings sind zum einen Arbeitgeberanteile zu vermögenswirksamen Leistungen nicht für jeden Arbeitnehmer zu entrichten, sondern nur dann, wenn der Arbeitnehmer vermögenswirksame Leistungen erbringt, und steht zum anderen Arbeitnehmern die umlagefinanzierte Zusatzversorgung (VBL) erst nach einer Wartezeit zu, die der Kläger in der Zeit vom bis zum möglicherweise noch nicht erreicht hatte. Zu der Frage aber, ob solche tariflichen Sonder- bzw. Zusatzleistungen nach ihren tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Zeit vom bis zum geleistete Arbeit angefallen wären, fehlen tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts. Das führt insoweit zur Zurückverweisung.

Die Kostenentscheidung zum zurückgewiesenen Teil der Revision beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
EAAAC-12932