Leitsatz
Beiträge eines 36-jährigen Sozialhilfeempfängers zu einer Sterbegeldversicherung können regelmäßig weder nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG noch nach § 14 BSHG berücksichtigt werden.
Gesetze: BSHG § 14; BSHG § 76 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug: VG Düsseldorf VG 20 K 6756/97 vom OVG Münster OVG 12 A 2727/00 vom
Gründe
I.
Die 1959 geborene Klägerin und ihre beiden Kinder erhielten vom Beklagten seit 1994 ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt, weil die Erwerbsunfähigkeitsrente ihres pflegebedürftigen Ehemannes nur dessen sozialhilferechtlichen Bedarf abdeckte und sonst außer dem Kindergeld kein Einkommen bezogen wurde. Im August 1996 schloss die Klägerin eine Sterbegeldversicherung ab, die sie bei einer Versicherungssumme von 5 000 DM zur Zahlung eines Jahresbeitrags von 117 DM (monatlich 9,75 DM) verpflichtete; der erste Monatsbeitrag wurde am fällig.
Am beantragte die Klägerin beim Beklagten, im Rahmen der Hilfegewährung den Beitrag für die Sterbegeldversicherung zu berücksichtigen. Der Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, die Klägerin habe die Versicherung abgeschlossen, obwohl sie gewusst habe, zur Beitragszahlung nicht aus eigenen Mitteln in der Lage zu sein; im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt könnten nur Verpflichtungen akzeptiert werden, die unbedingt lebensnotwendig seien, hierzu gehöre eine Sterbegeldversicherung nicht (Bescheid vom ). Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit der Begründung zurück, nach § 14 BSHG stehe es im Ermessen des Sozialhilfeträgers, im Einzelfall die Kosten für eine Sterbegeldversicherung zu übernehmen; die Vorschrift stelle darauf ab, dass besondere Härten vermieden werden sollten, da erfahrungsgemäß vor allem ältere Menschen eine einmal begonnene Sterbegeldversicherung mit eigenen Mitteln nicht weiterführen könnten. Die Beiträge seien hier (auch) der Höhe nach unangemessen, weil die Versicherungsleistungen die in der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehenen Festbeträge überstiegen. Die Versicherungsbeiträge könnten auch nicht einkommensmindernd nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG abgesetzt werden, da sie nicht gesetzlich vorgeschrieben seien (Widerspruchsbescheid vom ).
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil ein Sterbegeld nur bis zur Höhe der gesetzlichen Versicherungsleistung nach § 58 SGB V angemessen und eine Übernahme von Beiträgen zu einer freiwilligen Sterbegeldversicherung nach § 14 BSHG im Regelfall nicht erforderlich sei, wenn der Hilfesuchende - wie die Klägerin - bereits eine Anwartschaft auf die gesetzlichen Leistungen erwirkt habe; solche Beiträge könnten, wenn schon ein Anspruch auf Sterbegeld nach dem SGB V bestehe, auch nicht nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG vom Einkommen abgesetzt werden, da eine zusätzliche Sterbegeldversicherung dann schon dem Grunde nach nicht angemessen sei.
Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit im Wesentlichen folgender Begründung zurückgewiesen:
Es könne dahingestellt bleiben, ob das vereinbarte Sterbegeld angemessen im Sinne des § 14 BSHG sei; denn auch im Falle der Angemessenheit sei die Entscheidung des Beklagten, die Kosten dafür nicht zu übernehmen, nicht zu beanstanden. Diese Entscheidung sei eine vorgeprägte Ermessensentscheidung ("intendiertes Ermessen"). Nach § 14 BSHG sei jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Voraussetzungen eines Anspruchs auf ein angemessenes Sterbegeld erst unter dem Bezug von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt geschaffen worden seien, im Regelfall ausschließlich die Ablehnung der Kostenübernahme gesetzlich gewollt; habe der Hilfesuchende in vergangenen besseren Zeiten selbst davon abgesehen, Vermögensvorsorge durch Abschluss einer Sterbegeldversicherung zu treffen, gebe es in der Regel keinen Grund, ihn während des Hilfebezugs besser zu stellen. Ein besonders begründeter Ausnahmefall sei hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Ablehnung der Kostenübernahme sei selbst dann rechtlich unbedenklich, wenn der Beklagte Ermessensüberlegungen unterlassen hätte; immerhin habe er § 14 BSHG als Ermessensvorschrift erkannt und darauf hingewiesen, dass die Klägerin die Versicherung erst abgeschlossen habe, als sie schon Sozialhilfeleistungen erhalten habe. Die Beiträge seien auch nicht nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG vom Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes abzusetzen; denn sie seien unangemessen, weil ein in bescheidenen Verhältnissen lebender, aber nicht sozialhilfebedürftiger Bürger nicht nur den hier konkret in Rede stehenden Vertrag, sondern auch eine andere Sterbegeldversicherung in einer ansonsten mit der Lage der Klägerin vergleichbaren Situation nicht abgeschlossen hätte. Ein in bescheidenen Verhältnissen lebender Bürger von noch nicht einmal 37 Jahren wäre sich seiner Möglichkeiten bewusst, Vorsorge für seine Bestattung auch später noch hinreichend zu treffen, und ließe deshalb die spürbare Verschlechterung seiner aktuellen wirtschaftlichen Lage den Ausschlag geben.
Mit ihrer Revision gegen dieses Urteil rügt die Klägerin Verletzung von § 76 Abs. 2 Nr. 3, §§ 11, 14 und 1 Abs. 2 BSHG.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
Die Revision der Klägerin, deren Ausbleiben die Verhandlung und Entscheidung über die Revision nicht hinderte (§ 102 Abs. 1 und 2 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht in Einklang (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), so dass die Revision zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO).
Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass die Beiträge für die von der Klägerin abgeschlossene Sterbegeldversicherung weder nach § 14 BSHG noch nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG Berücksichtigung finden können.
Nach § 14 BSHG können als Hilfe zum Lebensunterhalt auch die Kosten übernommen werden, die erforderlich sind, um die Voraussetzungen eines Anspruchs u.a. auf ein angemessenes Sterbegeld zu erfüllen. Nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG sind vom Einkommen im Sinne dieses Gesetzes u.a. Beiträge zu privaten Versicherungen abzusetzen, soweit diese Beiträge nach Grund und Höhe angemessen sind. Der Begriff "angemessen" ist unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift auszulegen, zu deren Tatbestandsmerkmalen er gehört. Er räumt der Verwaltung weder auf der Grundlage von § 14 BSHG noch von § 76 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ein Ermessen ein, sondern ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff, dessen Auslegung und Anwendung durch die Verwaltung gerichtlich voll überprüfbar sind (vgl. auch Urteil des Senats vom - BVerwG 5 C 27.00 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen - zum Merkmal "angemessen" in § 76 Abs. 2 a BSHG). Erfüllen Beiträge zu einer Sterbegeldversicherung das Tatbestandsmerkmal der "Angemessenheit", können Einkommensbezieher nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG verlangen, dass die Beiträge von ihrem vor dem Bezug von Sozialhilfe einzusetzenden Einkommen abgesetzt werden, und haben andere Sozialhilfebedürftige, die kein oder nur ein zur Erfüllung ihrer Beitragszahlungspflicht nicht ausreichendes Einkommen haben, nach § 14 BSHG einen Anspruch darauf, dass der Sozialhilfeträger über eine Übernahme dieser Beiträge als Maßnahme der Hilfe zum Lebensunterhalt nach Ermessen entscheidet. Im Falle der Klägerin können die Beiträge für eine Sterbegeldversicherung aus der Sicht beider Vorschriften nicht als angemessen bewertet werden.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Beiträge als im Sinne von § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG nicht angemessen angesehen, weil "ein in bescheidenen Verhältnissen lebender, aber nicht sozialhilfebedürftiger Bürger", der sich in einer ansonsten vergleichbaren Lage befindet wie die Klägerin, in deren Lebensalter die Versicherung nicht abgeschlossen hätte. Diese Betrachtungsweise ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Sie entspricht dem bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "angemessen" in § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG zu berücksichtigenden Sinn und Zweck dieser Regelung. Die Absetzungsfähigkeit u.a. von Beiträgen zu privaten Versicherungen trägt dem Umstand Rechnung, dass (gerade) auch Bezieher geringer Einkommen Risiken abzusichern pflegen, bei deren Eintritt ihre weitere Lebensführung außerordentlich belastet wäre (vgl. auch Brühl in: LPK-BSHG, 5. Aufl. 1998, § 76 Rdn. 30). Das Gesetz verlangt, zwischen dem Umstand, dass eine Vorsorge gegen die allgemeinen Lebensrisiken als solche kaum jemals "unvernünftig" ist und dementsprechend auch unter wirtschaftlich beengten Verhältnissen getroffen zu werden pflegt, und der Rücksicht auf die Sparzwänge abzuwägen, die davon abhalten, ohne Not finanzielle Verpflichtungen einzugehen, die nur unter Gefährdung des notwendigen Lebensunterhalts erfüllt werden können. Die "Angemessenheit" von Vorsorgeaufwendungen beurteilt sich somit sowohl danach, für welche Lebensrisiken (Grund) und in welchem Umfang (Höhe) Bezieher von Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze solche Aufwendungen zu tätigen pflegen, als auch nach der individuellen Lebenssituation des Hilfesuchenden (ähnlich Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 16. Aufl. 1999, § 76 Rn. 38; Schmitt/Hillermeier, BSHG, Stand Dezember 1996, § 76 Rn. 92). Unter dem letzteren Gesichtspunkt hat der Senat es dementsprechend in Bezug auf die Alterssicherung des Hilfebedürftigen nur dann als durch die Aufgabe der Sozialhilfe im Rahmen von § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG gerechtfertigt angesehen, wenn die Hilfe im Ergebnis, wenn auch nicht notwendig zum Wegfall, so doch wenigstens zu einer Entlastung der Sozialhilfe führt; dabei hat der Senat es genügen lassen, dass eine Verbesserung irgendwann eintreten kann oder wird, sofern sie nur, unabhängig von der Hilfeart, absehbar ist ( BVerwG 5 C 18.98 - Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr. 31).
Nach diesen Kriterien war der Abschluss einer Sterbegeldversicherung durch die Klägerin schon dem Grunde nach im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG unangemessen: Die Klägerin und ihre Familie waren bei Vertragsabschluss auf Sozialhilfe angewiesen, weil die Erwerbsunfähigkeitsrente des Ehemannes und das Kindergeld für die beiden Kinder zur Bestreitung des Familienunterhalts nicht ausreichten; die Klägerin musste deshalb mit diesem geringen Einkommen besonders sparsam haushalten. Ferner war sie damals erst 36 Jahre alt und also bei ihrer sonach noch hohen Lebenserwartung nicht davon auszugehen, dass für sie in absehbarer Zeit Bestattungskosten anfallen könnten. Bei dieser Sachlage erschiene es unangemessen, hätte die Klägerin zur Vorsorge dagegen, dass wegen solcher Kosten dereinst möglicherweise nach § 15 BSHG Sozialhilfe würde in Anspruch genommen werden müssen, auf das geringe Kindergeld zurückgegriffen. Dies hätte unabhängig davon zu gelten, ob dieses Risiko - wie das Oberverwaltungsgericht angenommen hat - nicht ohnehin schon teilweise durch die Krankenversicherung des Ehemannes der Klägerin aufgefangen wurde (vgl. §§ 10, 58 SGB V) und ob die Klägerin nach ihrer damaligen Lebenssituation voraussichtlich auf längere oder gar unabsehbare Zeit von Sozialhilfe abhängig sein würde. Außerdem fällt zu Lasten der Klägerin ins Gewicht, dass das Risiko, gegen das sie hier Vorsorge getroffen hat, wirtschaftlich nicht sie selbst, sondern Personen trifft, die zur Tragung der Bestattungskosten dereinst verpflichtet sein werden und bezüglich derer eine Sozialhilfebedürftigkeit gegenwärtig zumindest nicht abzusehen ist.
Auch § 14 BSHG trägt, wie die Vorinstanzen zumindest im Ergebnis ebenfalls zutreffend entschieden haben, das Klagebegehren nicht. Eine Übernahme der Beiträge für eine Sterbegeldversicherung wäre im Falle der Klägerin auch aus der Sicht des § 14 BSHG unangemessen und war dem Beklagten damit selbst als Ermessensleistung nicht möglich.
Nach den Gesetzesmaterialien sollen durch die Aufnahme des Sterbegeldes in § 14 BSHG "besonders Härten vermieden werden, die dadurch entstehen, dass vor allem alte Menschen, denen die finanzielle Sicherstellung ihrer Bestattung erfahrungsgemäß besonders am Herzen liegt, eine einmal begonnene Sterbegeldversicherung mit eigenen Mitteln nicht weiterführen können" (BTDrucks 3/2673 S. 4). Danach würde eine Leistung nach § 14 BSHG regelmäßig voraussetzen, dass der Hilfesuchende mit der Versicherung bereits vor dem Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt begonnen hat (so Schmitt/Hillermeier, a.a.O., m.w.N.), was bei der Klägerin nicht der Fall war. Es kann offen bleiben, ob § 14 BSHG - worauf der Widerspruchsbescheid und auch das Berufungsurteil im Wesentlichen gestützt sind - generell so zu verstehen ist. Indem das Gesetz es ermöglicht, im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt auch die Kosten einer angemessenen Alterssicherung und einer Sterbegeldversicherung zu übernehmen, sieht es die Bereitstellung von Sozialhilfemitteln für einen Bedarf vor (die Entrichtung der Versicherungsbeiträge), durch dessen Deckung Ansprüche auf Leistungen erworben oder aufrechterhalten werden, die einem weitergehenden, seinerseits zwar sozialhilferechtlich berücksichtigungsfähigen, aber erst künftig entstehenden und noch nicht einmal notwendig und stets in die Zuständigkeit der Sozialhilfe fallenden Bedarf (der Sicherung des Lebensunterhalts im Alter bzw. der Deckung von Bestattungskosten) gelten. Nach der Eigenart der Sozialhilfe ist eine solche Vorsorge für die Zukunft die Ausnahme. Die Auslegung des § 14 BSHG muss sich insbesondere daran orientieren, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einzuschätzen ist, dass ohne die gegenwärtige Hilfeleistung Sozialhilfe in Zukunft erforderlich werden wird. Aus dieser Sicht ist eine Übernahme von Beiträgen für eine Sterbegeldversicherung daher nur dann gerechtfertigt, wenn nach den Umständen des Einzelfalles eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass zur Deckung der Bestattungskosten überhaupt Sozialhilfe benötigt werden wird (vgl. auch die Rechtsprechung des Senats zur Übernahme von Beiträgen für eine angemessene Alterssicherung einer Pflegeperson im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach § 69 Abs. 3 Satz 2 BSHG F. 1976 <jetzt § 69 b Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BSHG>, insbesondere BVerwGE 85, 102 <102> sowie BVerwG 5 C 25.88 - Buchholz 436.0 § 69 Nr. 20, jeweils mit weiteren Nachweisen). Dies ist bei einem Menschen im Alter von 36 Jahren aber in der Regel nicht der Fall. Dafür, dass diese Prognose für die Klägerin anders ausfallen müsste, gibt es keine Anhaltspunkte.
Da eine Übernahme der Beiträge im vorliegenden Fall der Wertung des Gesetzes nicht entspräche, bedarf es nicht der Klärung, ob § 14 BSHG dem Sozialhilfeträger nur ein intendiertes Ermessen im Sinne der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts eröffnet, und braucht auch der Frage nicht nachgegangen zu werden, ob die vom Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheides auf der Grundlage von § 14 BSHG getroffene Entscheidung überhaupt als Ermessensentscheidung ergangen ist. Ebenfalls unerörtert bleiben kann, ob im Hinblick auf einen nach § 58 SGB V bestehenden Versicherungsschutz zugleich die Berücksichtigungsfähigkeit einer Sterbegeldversicherung nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 bzw. § 14 BSHG eingeschränkt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 188 Satz 2 VwGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
QAAAC-12873