Leitsatz
Mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit wäre es nicht vereinbar, die Herstellung von Bier ausnahmslos dem deutschen Reinheitsgebot zu unterwerfen. § 9 VorlBierG genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen, weil er die Möglichkeit von Ausnahmen vorsieht. Allerdings ist eine großzügige Handhabung geboten.
Ein unter Einhaltung des Reinheitsgebots gebrautes untergäriges Bier, dem nach der Filtrierung aus geschmacklichen Gründen Invertzuckersirup zugesetzt wird, ist ein "besonderes Bier" im Sinne von § 9 Abs. 7 VorlBierG, dessen Herstellung genehmigt werden kann.
Ein "besonderes Bier", dessen Herstellung genehmigt ist, darf unter der Bezeichnung "Bier" in den Verkehr gebracht werden.
Gesetze: VorlBierG § 9; BierVO § 1
Instanzenzug: VG Frankfurt (Oder) VG 4 K 1287/97 vom
Gründe
I.
Die Klägerin braut unter Verwendung von Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser ein untergäriges Schwarzbier, dem sie nach erfolgter Filtrierung Invertzuckersirup zusetzt. Ihren Antrag, ihr die Herstellung dieses Getränks und sein Inverkehrbringen als Bier zu genehmigen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom ab. Als Bier dürften untergärige Getränke nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie - gemäß dem deutschen Reinheitsgebot - ausschließlich aus Gerstenmalz, Wasser, Hopfen und Hefe hergestellt seien. Während des nachfolgenden Rechtsstreits genehmigte der Beklagte die Herstellung des Getränks für den Export.
Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung hat sie geltend gemacht: Das Gesetz sehe Abweichungen vom Reinheitsgebot vor, wenn dem Bier weitere Stoffe lediglich aus geschmacklichen Gründen zugesetzt würden. So liege es hier: Sie verwende den Invertzuckersirup nicht als Malzersatzstoff, sondern setze ihn nach der Filtrierung nur aus geschmacklichen Gründen zu. Damit stelle ihr Getränk ein "besonderes Bier" dar, weshalb ihr die begehrte Genehmigung zustehe. Sie werde hierfür auch zur Biersteuer veranlagt. Es widerspreche aber dem Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, dasselbe Getränk steuerlich als Bier zu behandeln, diese Bezeichnung lebensmittelrechtlich aber zu verbieten. Auch sei mit ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit und mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot unvereinbar, dass gleichartige Getränke, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft hergestellt würden, in Deutschland unter der Bezeichnung "Bier" in den Verkehr gebracht werden dürften, ihr Getränk hingegen nicht.
Mit Urteil vom hat das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) die Klage abgewiesen. Dem Genehmigungsbegehren stehe entgegen, dass das von der Klägerin hergestellte Getränk nicht dem deutschen Reinheitsgebot entspreche, weil ihm Zuckersirup zugesetzt werde. Es handele sich auch nicht um ein "besonderes Bier", dessen Herstellung ausnahmsweise erlaubt werden könne. Der von der Klägerin verwendete Zuckersirup sei ein typischer Malzersatzstoff, der nicht nur den Geschmack verändere, sondern auch den Stammwürzegehalt des Getränks beeinflusse, selbst wenn er erst nach Abschluss des Gärprozesses zugesetzt werde. Aber selbst wenn das Getränk als "besonderes Bier" anzusehen sein sollte, dürfe es gleichwohl nicht unter der Bezeichnung "Bier" in Verkehr gebracht werden. Die im Gesetz vorgesehene Ausnahmegenehmigung diene nicht zur Aufweichung des Reinheitsgebots, sondern im Gegenteil gerade zu dessen Durchsetzung, insofern sie - abgesehen von den erwähnten Bierspezialitäten - nur die Herstellung von Bier zu wissenschaftlichen Zwecken oder für Zwecke der Ausfuhr betreffe. All diese Ausnahmefälle erforderten keine Abweichung von dem Grundsatz, die Bezeichnung "Bier" im innerdeutschen Verkehr nur Getränken vorzubehalten, die dem Reinheitsgebot entsprächen. Das Grundrecht der Berufsfreiheit erzwinge kein der Klägerin günstigeres Ergebnis. Europäisches Gemeinschaftsrecht schließlich stehe der Schlechterstellung von Inländern gegenüber EG-Ausländern nicht entgegen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision der Klägerin. Sie wiederholt und vertieft ihren Klagevortrag.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die Voraussetzungen zur Erteilung einer Genehmigung als "besonderes Bier" lägen nicht vor. Die Genehmigung berechtige im Übrigen nur zur Herstellung, nicht aber dazu, das Getränk auch unter der Bezeichnung "Bier" in Verkehr zu bringen. Die Vermarktung unter anderer Bezeichnung sei hingegen nicht verboten. Dadurch werde die Berufsfreiheit der Klägerin nicht verletzt. Die gesetzliche Regelung diene dem Zweck, die Verkehrserwartung für in Deutschland unter der Bezeichnung "Bier" hergestellte Erzeugnisse zu erfüllen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich nicht am Verfahren.
II.
Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die begehrte Genehmigung sowohl für das Herstellen ihres Getränks (1.) als auch für dessen Inverkehrbringen als Bier (2.) zu.
1. Nach § 9 Abs. 1 des Vorläufigen Biergesetzes (VorlBierG) vom (Art. 1 § 27 des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes, BGBl I S. 2150) in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl I S. 1399), zuletzt geändert durch Art. 109 der Verordnung vom (BGBl I S. 2785, 2806), darf zur Bereitung von untergärigem Bier, abgesehen von den Vorschriften in den Absätzen 4 bis 6, nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwendet werden. Nach § 9 Abs. 7 VorlBierG kann auf Antrag im einzelnen Fall zugelassen werden, dass bei der Bereitung von besonderen Bieren von Absatz 1 abgewichen wird. Der Klägerin steht ein Anspruch auf eine derartige Genehmigung zu.
a) § 9 VorlBierG ist anwendbar. Das umstrittene Getränk ist Bier; und das Zusetzen von Invertzuckersirup gehört noch zur "Bereitung" des Bieres.
Was Bier ist, wird vom Gesetz nicht definiert, sondern vorausgesetzt (ebenso - BFHE 141, 385 <386 f.>). Dabei stellt § 9 VorlBierG auf den Gattungsbegriff ab. Bier ist hiernach ein unter Verwendung von Hefe gegorenes Getränk im Wesentlichen aus Wasser, Hopfen und Malz oder pflanzlichen Malzersatzstoffen, das nach Aussehen, Geruch und Geschmack von der Verkehrsanschauung als Bier angesehen wird (vgl. RGSt 21, 346 <350 f.>; - RZollBl 1930, 78). Wird Bier nicht nach § 9 VorlBierG hergestellt, so ist es vorschriftswidrig, aber gleichwohl Bier. Insbesondere verliert ein unter Beachtung des Reinheitsgebots hergestelltes Getränk nicht dadurch seine Eigenschaft als Bier, dass ihm nachträglich weitere Stoffe zugesetzt werden ( a.a.O. <388>).
Der Begriff der "Bereitung" umfasst jedenfalls das Herstellen. Ob darüber hinaus auch die Behandlung des Bieres, also insbesondere das Abfüllen und Lagern (vgl. § 7 Abs. 1 LMBG), in der Brauerei selbst oder obendrein außerhalb der Brauerei - beim Bierverleger, Wirt oder dergleichen - umfasst ist, wie § 16 DVO-VorlBierG (i.d.F. vom , BGBl I S. 1422, zuletzt geändert durch Art. 2 VO vom , BGBl I S. 1686) bestimmt, kann offen bleiben (einschränkend BFH, Gutachten vom - V z D 4/54 S - BFHE 60, 220 <225>). Der Vorgang des Herstellens ist erst abgeschlossen, wenn das vom Hersteller gewollte Endprodukt fertiggestellt ist, so dass es ohne besondere weitere Maßnahmen an den Verbraucher abgegeben werden kann (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand November 2002, Rn. 5 zu § 7 LMBG). Das Zusetzen von Invertzuckersirup gehört damit noch zum Herstellen, auch wenn es erst nach der Filtrierung geschieht.
b) Das Herstellen von untergärigem Bier unter Verwendung von Invertzuckersirup ist nach § 9 Abs. 1 VorlBierG grundsätzlich unzulässig. Hiernach darf zur Bereitung von untergärigem Bier, abgesehen von den - hier nicht einschlägigen - Vorschriften in den Absätzen 4 bis 6, nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwendet werden. Nach § 9 Abs. 2 VorlBierG unterliegt die Bereitung von obergärigem Bier derselben Vorschrift; es ist hierbei jedoch auch die Verwendung von anderem Malz und von technisch reinem Rohr-, Rüben- oder Invertzucker sowie von Stärkezucker und aus Zucker der bezeichneten Art hergestellten Farbmitteln zulässig. Diese Bestimmungen unterwerfen das Herstellen von Bier dem sogenannten deutschen Reinheitsgebot, das seit 1516 in Bayern gilt und seit Ende des 19. Jahrhunderts auch in Baden (1896) und in Württemberg (1900) anerkannt ist, ins Reichsrecht allerdings erst 1906 aufgenommen wurde (Gesetz wegen Änderung des Brausteuergesetzes vom , RGBl S. 622) und im Beitrittsgebiet erst seit dem wieder gilt (vgl. Kapitel IV Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 3, Kapitel X Sachgebiet E Abschnitt III Nr. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag vom , BGBl II S. 889).
Ob dieses Reinheitsgebot verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist, ist umstritten. Es stellt eine Berufsausübungsregelung dar und schränkt damit das Grundrecht des Bierbrauers aus Art. 12 Abs. 1 GG ein. Seinen rechtfertigenden Grund findet es nicht in den Belangen des Gesundheitsschutzes, sondern allein in der Pflege einer kulturellen Tradition - der deutschen Braukunst - und der Gewährleistung eines bestimmten Produktniveaus. Die Klägerin bestreitet, dass dies legitime Gemeinwohlzwecke sind, die überhaupt eine derartige Berufsausübungsregelung tragen können. Auch wenn demgegenüber die Befugnis des Gesetzgebers betont wird, Gemeinwohlzwecke zu definieren, so erscheint doch als zweifelhaft, ob die Einschränkung der Berufsfreiheit zur Erreichung dieser Gesetzeszwecke erforderlich und angemessen ist. Die Pflege der kulturellen Tradition und die Gewährleistung eines bestimmten Produktniveaus erfordern es nicht, alle Abweichungen vom Reinheitsgebot zu verbieten, als handele es sich dann zwangsläufig um minderwertiges, trügerisches (gepanschtes) oder gar gefährliches Bier. Es genügen vielmehr Regelungen, die eine Fortsetzung der deutschen Brautradition auf anderem Wege sicherstellen, etwa privilegierende Bestimmungen des Kennzeichnungsrechts (vgl. unten 2.) oder auch Regelungen über die Ausbildung zum Braumeister.
Der vorliegende Fall erfordert nicht, zu den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken abschließend Stellung zu nehmen. Mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar wäre es jedenfalls, die Herstellung von Bier dem Reinheitsgebot ausnahmslos zu unterwerfen; zu rechtfertigen ist die Geltung des Reinheitsgebots vielmehr allenfalls als Regel, die begründeten Ausnahmen zugänglich ist. § 9 VorlBierG genügt diesen Anforderungen, weil er in Absatz 7 die Möglichkeit von Ausnahmen vorsieht. Allerdings muss die Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift von den beschriebenen verfassungsrechtlichen Anforderungen geleitet sein. Das verlangt eine großzügige Handhabung.
c) Nach § 9 Abs. 7 VorlBierG kann auf Antrag im einzelnen Fall zugelassen werden, dass bei der Bereitung von besonderen Bieren - sowie von Bier, das zur Ausfuhr oder zu wissenschaftlichen Versuchen bestimmt ist - von den Absätzen 1 und 2 abgewichen wird. "Besondere Biere" sind sogenannte Bierspezialitäten, also Biere, bei denen durch Verwendung zusätzlicher Stoffe besondere Geschmackseffekte erzielt werden. In der Entwurfsbegründung heißt es: "Die ... Ausnahmebestimmung soll, soweit sie sich auf die Bereitung 'besonderer Biere' bezieht, die fernere Herstellung sogenannter Spezialitäten ermöglichen, bei der neben den in Abs. 1 (heute: in den Absätzen 1 bis 6) genannten Stoffen die Mitverwendung gewisser anderer Stoffe notwendig ist, die indes zum Ersatze von Malz und Hopfen nicht geeignet und bestimmt sind, sondern diesen Bieren nur hinsichtlich ihres Geschmacks usw. den Charakter besonders gearteter Biere verleihen." (Reichstag, 11. Legislaturperiode, II. Session 1905/06, Drucksache Nr. 10 Anlage 1 Seite 22). Die Vorschrift gestattet damit keine Abweichung in den Grundstoffen der Bierbereitung, sondern nur die Verwendung zusätzlicher Stoffe aus allein geschmacklichen Gründen. Gedacht war vor allem an Biere mit Gewürzzusätzen (sog. Maibiere mit Maikräuterauszug oder sog. Brohain mit Anis, Nelken, Zimt usw.), auch an Joghurtbiere usw. (vgl. Zapf/Siegert, BierStG, 4. Aufl. 1959, Anm. 28 zu § 9 BierStG; Hieronimi, Getränkegesetze, 1952, Anm. 7.a zu § 9 BierStG).
Das vom Kläger hergestellte Getränk ist ein besonderes Bier im Sinne dieser Vorschrift. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts wird es unter ausschließlicher Verwendung von Wasser, Hefe, Gerstenmalz und Hopfen gebraut; erst nach der Filtrierung wird ihm Invertzuckersirup zugesetzt, womit die Klägerin vornehmlich geschmackliche Effekte erzielen möchte. Dann aber dient der Zucker nicht als Malzersatzstoff, sondern wird nur aus geschmacklichen Gründen zugesetzt. Es ist unerheblich, ob der Invertzuckersirup auch als Malzersatzstoff geeignet wäre, solange er nicht nach der Art seiner konkreten Verwendung hierzu auch bestimmt ist. Ebenso ist unschädlich, wenn der Zucker den Stammwürzegehalt oder auch die Nachgäreigenschaften des Bieres beeinflusst.
d) Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. § 9 Abs. 7 VorlBierG räumt dem Beklagten zwar Ermessen ein. Aus Art. 12 Abs. 1 GG ergibt sich aber, dass die Genehmigung erteilt werden muss, sofern kein Missbrauch droht oder andere überwiegende Gemeinwohlgründe entgegenstehen. Solche Gründe hat der Beklagte im Verfahren nicht geltend gemacht; sie sind auch nicht ersichtlich. Es versteht sich von selbst, dass als Versagungsgrund nicht wiederum die Durchsetzung des Reinheitsgebots in Betracht kommt.
2. Die Klage ist auch insoweit begründet, als die Klägerin eine Genehmigung zugleich für das Inverkehrbringen ihres Getränks als Bier begehrt.
Unter welchen Voraussetzungen ein Getränk unter der Verkehrsbezeichnung "Bier" in den Verkehr gebracht werden darf, regelt § 1 der Bierverordnung vom (BGBl I S. 1332), zuletzt geändert durch Art. 17 der Verordnung zur Neuordnung lebensmittelrechtlicher Vorschriften über Zusatzstoffe vom (BGBl I S. 230, 298). Hiernach dürfen unter der Bezeichnung Bier - allein oder in Zusammensetzung - oder unter Bezeichnungen oder bildlichen Darstellungen, die den Anschein erwecken, als ob es sich um Bier handelt, gewerbsmäßig nur Getränke in den Verkehr gebracht werden, die gegoren sind und den Vorschriften des § 9 Abs. 1, 2 und 4 bis 6 VorlBierG und den §§ 16 bis 19, § 20 und §§ 21 und 22 Abs. 1 DVO-VorlBierG entsprechen. § 9 Abs. 7 VorlBierG ist nicht genannt. Daraus zieht das Verwaltungsgericht den Schluss, auch besondere Biere, die mit einer entsprechenden Genehmigung in Abweichung von den generellen Regeln des Reinheitsgebots hergestellt würden, dürften gleichwohl nicht unter der Verkehrsbezeichnung "Bier" in den Verkehr gebracht werden. Diese Auslegung haftet zu sehr am Wortlaut. Sie lässt die Entstehungsgeschichte der Vorschrift außer Acht und wird auch deren Sinn und Zweck nicht gerecht. Vor allem begegnet sie durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Geboten ist vielmehr, die Ausnahmeermächtigung des § 9 Abs. 7 VorlBierG auch auf das Inverkehrbringen als Bier zu erstrecken.
a) Dass § 9 Abs. 7 VorlBierG in § 1 Abs. 1 BierVO nicht ebenfalls genannt wird, beruht auf einem Redaktionsversehen.
§ 1 Abs. 1 BierVO geht zurück auf § 10 Abs. 1 (ursprünglich § 14 Abs. 1) des Biersteuergesetzes - BierStG - vom (RGBl S. 863) in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl I S. 527). Die Vorschrift stand dort in unmittelbarer Nachbarschaft zu § 9 (ursprünglich § 13) BierStG, dem Vorläufer des bereits erwähnten § 9 VorlBierG. §§ 9 und 10 (bzw. 13 und 14) BierStG wiederum gingen zurück auf § 1 des Brausteuergesetzes vom 31. Mai 1872 (RGBl S. 153). Dabei ist der Vorläufer von § 9 BierStG älter als der Vorläufer von § 10 BierStG: In § 1 des Brausteuergesetzes wurde durch Gesetz vom (RGBl S. 622) zunächst (als Absatz 1) das Reinheitsgebot sowie (als Absatz 2) die Ermächtigung zur Erteilung von Ausnahmegestattungen für besondere Biere aufgenommen. Erst mit Gesetz vom (RGBl S. 773) folgte dann (als Absatz 4) die Schutzvorschrift für die Verkehrsbezeichnung "Bier". Hiernach durften unter der Bezeichnung Bier - allein oder in Zusammensetzung - nur solche Getränke in den Verkehr gebracht werden, die gegoren sind und den Vorschriften der Abs. 1 und 2 entsprechen. Mithin war die Bezeichnung "Bier" auch für besondere Biere zulässig, die nach § 1 Abs. 2 BrauStG nur ausnahmsweise hergestellt werden durften.
Die Bestimmungen des § 1 BrauStG wurden bei Erlass des Biersteuergesetzes auf zwei Paragraphen aufgeteilt: § 13 BierStG 1918 enthielt die Vorschriften über das Herstellen, § 14 BierStG 1918 diejenigen über das Inverkehrbringen. Die Ermächtigung zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für die Herstellung besonderer Biere blieb als § 13 Abs. 5 erhalten. Allerdings wurde sie von der Vorschrift über das Inverkehrbringen (§ 14 Abs. 1) nicht mehr in Bezug genommen. Das beruht offenkundig auf einem Redaktionsversehen. Die Entwurfsbegründung zu § 13 teilt jedenfalls mit, dass "die bewährten Grundsätze des geltenden Brausteuergesetzes" beibehalten werden sollten (vgl. RT-Verhandlungen, 13. Legislaturperiode 1914/18, Bd. 324, Anlage Nr. 1455, S. 26), und bei der Neufassung des § 14 stand im Vordergrund, nicht nur die Verwendung des Wortes Bier - allein oder in Zusammensetzung -, sondern auch sinngleiche Bezeichnungen sowie bildliche Darstellungen zu schützen (ebd. S. 27). Dass und weshalb "besondere Biere" künftig nicht mehr als "Bier" bezeichnet werden dürften, sagt die Entwurfsbegründung nicht. Das wäre angesichts der großen Ausführlichkeit der Begründung aber zu erwarten gewesen, hätte eine dahingehende Absicht bestanden. Dementsprechend ging die nachfolgende Kommentierung ohne weitere Problematisierung davon aus, dass den Getränken, die den allgemeinen Vorschriften des Reinheitsgebots entsprechen, die besonderen Biere gleichzustellen sind, für deren Bereitung Abweichungen gestattet sind (Zapf/ Siegert, Biersteuergesetz, 4. Aufl. 1959, Anm. 1 zu § 10).
b) Auch mit Sinn und Zweck des Gesetzes ist es nicht vereinbar, die Verwendung der Bezeichnung "Bier" für besondere Biere im Sinne von § 9 Abs. 7 VorlBierG auszuschließen.
§ 1 Abs. 1 BierVO wurde auf der Grundlage von § 19 Nr. 4 Buchstabe a des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes vom (BGBl I S. 1945) erlassen. Hiernach ist das Bundesministerium ermächtigt, durch Rechtsverordnung, soweit es zum Schutz des Verbrauchers vor Täuschung erforderlich ist, vorzuschreiben, dass Lebensmittel unter bestimmten Bezeichnungen nur in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie bestimmten Anforderungen an die Herstellung, Zusammensetzung oder Beschaffenheit entsprechen. § 1 Abs. 1 BierVO dient mithin dem Schutz des Verbrauchers vor Täuschung. Mit diesem Zweck ist es nicht vereinbar, § 1 Abs. 1 BierVO so auszulegen, dass ein Getränk, das der Gattung nach Bier ist und dessen Herstellung als "besonderes Bier" ausdrücklich zugelassen wurde, nur unter einer Verkehrsbezeichnung in den Verkehr gebracht werden darf, die die Eigenschaft, Bier zu sein, leugnet.
Allerdings bezweckt § 1 Abs. 1 BierVO nicht den Schutz der Gattungsbezeichnung Bier, sondern den Schutz einer engeren, spezifischen Bezeichnung, die zugleich die Einhaltung des Reinheitsgebots bekundet. Es stellt ein legitimes Ziel dar, den Verbraucher darüber zu informieren, ob ein Bier unter Einhaltung des Reinheitsgebots hergestellt wurde oder nicht. Hierzu dürfte aber die Bezeichnung "Bier" nur dann den unter Einhaltung des Reinheitsgebots hergestellten Bieren vorbehalten werden, wenn die Verkehrsauffassung auch nur diese Biere als Bier ansähe (§ 19 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a LMBG). Das ist aber nicht der Fall. Der Verbraucher sieht als "Bier" auch die unter Abweichung vom Reinheitsgebot hergestellten Biere an. Das lässt sich schon daraus ersehen, dass auf dem deutschen Markt auch derartige Biere als "Bier" angeboten werden (vgl. § 1 Abs. 2 BierVO). Das genannte Ziel lässt sich daher nur durch Zusätze zur Verkehrsbezeichnung "Bier" erreichen, sei es dass nach dem Reinheitsgebot hergestellte Biere hierauf hinweisen dürfen, sei es dass andere Biere entsprechend gekennzeichnet werden müssen (vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b LMBG, auf den die Bierverordnung ebenfalls gestützt ist).
Dem entspricht auch die Entwicklung des Kennzeichnungsrechts. Schon § 1 Abs. 4 des Brausteuergesetzes vom schrieb vor, dass Bier, zu dessen Herstellung außer den vier Grundstoffen auch Zucker verwendet worden ist - was bei obergärigem Bier allgemein zulässig war und ist -, nur in Verkehr gebracht werden durfte, wenn die Verwendung von Zucker in einer dem Verbraucher erkennbaren Weise kundgemacht wird. Diese Bestimmung galt im Wesentlichen unverändert bis zum Erlass der Bierverordnung vom (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 3 BierStG i.d.F. der Bekanntmachung vom , BGBl I S. 527). Die Bierverordnung erlaubte die Verkehrsbezeichnung "Bier" nunmehr auch für importierte Biere, verlangte aber wiederum die Kennzeichnung, wenn diese unter Abweichung vom Reinheitsgebot hergestellt wurden (§ 2 BierVO). Durch die Verordnung vom (BGBl I S. 3743) und insbesondere die Zusatzstoff-Zulassungsverordnung - ZZulV - vom (BGBl I S. 230) wurde schließlich die Pflicht zur Kennzeichnung von Zusatzstoffen bei Bier in das allgemeine Zusatzstoffrecht eingegliedert. Dabei wurde zugleich das Kennzeichnungsrecht für Bier grundlegend verändert. Von der allgemeinen Verkehrsbezeichnung "Bier" unterscheidet der Verordnungsgeber nunmehr die besondere Bezeichnung "nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut" (§ 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2, § 5 Abs. 3 ZZulV). Damit sieht er die Bezeichnung "Bier" nur noch als Gattungsbezeichnung an, die als solche keine Information mehr über die Einhaltung des Reinheitsgebots enthält; diese erfolgt vielmehr über eine zusätzliche Kennzeichnung, die derart hergestellten Bieren - privilegierend - vorbehalten ist.
c) Die Verkehrsbezeichnung "Bier" legal hergestellten besonderen Bieren zu verwehren, lässt sich - jedenfalls bei dem heute erreichten Stand des Lebensmittelrechts - auch verfassungsrechtlich nicht länger rechtfertigen. Das Kennzeichnungsrecht stellt eine Berufsausübungsregelung dar, die sich an Art. 12 Abs. 1 GG messen lassen muss. Der Schutz des Verbrauchers vor Täuschung, den das Kennzeichnungsrecht bezweckt (§ 19 Abs. 1 Nr. 4 LMBG), ist ein legitimes Gemeinwohlinteresse. Es stellt aber kein hierzu geeignetes Mittel dar, die Verkehrsbezeichnung "Bier" legal hergestellten besonderen Bieren zu verwehren und sie auf eine andere Verkehrsbezeichnung zu verweisen, die jede sachliche Nähe zu Bier vermeidet; wie gezeigt, wird gerade hierdurch die Gefahr einer Täuschung des Verbrauchers begründet. Zudem wäre eine derartige Regelung nicht erforderlich; eine Kennzeichnung durch zusätzliche Angaben ist ein milderes Mittel, das jedenfalls gleich, wenn nicht sogar besser geeignet ist, um eine Täuschung des Verbrauchers zu vermeiden. Das zeigt die Zulässigkeit der Bezeichnung "Bier" als Gattungsbezeichnung für importierte Biere ebenso wie für unter Verwendung von Zusatzstoffen hergestellte Biere, die jeweils nicht dem Reinheitsgebot entsprechen (müssen), ohne dass damit eine Täuschung des Verbrauchers einherginge.
d) Aus all dem folgt, dass besondere Biere, deren Herstellung nach § 9 Abs. 7 VorlBierG genehmigt wird, auch unter der Verkehrsbezeichnung "Bier" in den Verkehr gebracht werden dürfen. Das kann aber nicht als bloße zwingende gesetzliche Folge der Herstellungserlaubnis angesehen werden. Vielmehr betrifft die Entscheidung über die Erteilung einer Genehmigung nach § 9 Abs. 7 VorlBierG nicht nur das Herstellen, sondern auch das Inverkehrbringen als Bier. Darum dürfte die zuständige Behörde die Genehmigung (nur) des Inverkehrbringens als Bier nicht versagen. Sie ist aber ermächtigt, durch Nebenbestimmungen zur Erlaubnis sicherzustellen, dass jede Täuschung beim Inverkehrbringen unterbleibt. Wird dem Hersteller eines besonderen Bieres auf diesem Wege eine besondere Kennzeichnung auferlegt, so darf dies keine negative Einschätzung des Produkts zur Folge haben (vgl. 178/84, Bier II - Slg. I-1262 <Rn. 35>) und muss auch innerhalb der gegenwärtigen Handhabung des Kennzeichnungsrechts bei Bier den Gleichbehandlungsgrundsatz wahren.
Beschluss
Der Wert des Gegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 300 000 € festgesetzt.
Fundstelle(n):
HAAAC-12542