Leitsatz
Kohlehaltige Grundstücke, die im Zuge der Bodenreform enteignet worden waren, durften nach damaliger Rechtslage in der Mark Brandenburg nicht an Neubauern ausgegeben werden. Ihre Wiedereinziehung zum Bodenfonds kam daher der Rücknahme einer rechtswidrigen Begünstigung gleich; sie war nach DDR-Recht wirksam.
Gesetze: 3. DVO/TreuhG § 3; EV Art. 19; EGBGB Art. 233 § 11; EGBGB Art. 237 § 2
Instanzenzug: VG Berlin VG 15 A 517.02 vom
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Zuordnung eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks in der Gemarkung G. (Brandenburg).
Das Grundstück wurde im Jahre 1946 im Rahmen der Bodenreform mit Bodenreformurkunde der Mutter der Beigeladenen und deren Ehemann zum "persönlichen, vererbbaren Eigentum" übergeben. In den 1950er Jahren wurden diese dann unter Hinweis auf Braunkohlevorkommen unter dem Ort aufgefordert, die Bodenreformurkunden zurückzugeben und stattdessen Bodenbenutzungsscheine in Empfang zu nehmen. Im Liegenschaftsbestandsblatt wurde in der Rubrik "Eigentümer" die Mutter der Beigeladenen mit dem Zusatz "Bodenbenutzungsschein" eingetragen, in einem anderen ist vermerkt: "Im Eigentum des Volkes, Bodenfonds".
Die Beklagte ordnete das Grundstück zunächst mit Sammelbescheid vom der Klägerin zu. Nachdem die Beigeladene der Zuordnungsbehörde im Dezember 2001/Januar 2002 mitgeteilt hatte, dass das Grundstück ursprünglich im Wege der Bodenreform vergeben worden war, nahm die Beklagte den Sammelzuordnungsbescheid hinsichtlich des streitbefangenen Grundstücks mit Bescheid vom zurück, weil das Grundstück nicht volkseigen gewesen sei. Das öffentliche Interesse an einer den tatsächlichen Eigentumsverhältnissen entsprechenden Feststellung überwiege das Interesse der Klägerin am Bestand des Bescheides.
Das Verwaltungsgericht hat die daraufhin erhobene Klage mit Urteil vom abgewiesen. Mit der Aufsiedelung und Zuweisung des Grundstücks mit Bodenreformurkunde 1946 sei Arbeitseigentum der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen entstanden. Zwar sei die Bodenreformurkunde 1950 wieder eingezogen und an ihrer Stelle ein Bodenbenutzungsschein ausgegeben worden, doch sei diese Maßnahme nichtig gewesen. Es sei nicht nur eine bestehende Rechtsgrundlage falsch angewendet worden, vielmehr habe es an jeglicher Grundlage gesetzlicher oder administrativer Art gefehlt. Die Ausführungsverordnung Nr. 8 des Präsidenten der Provinzialverwaltung Mark Brandenburg vom zur Durchführung der Bodenreform komme als Grundlage nicht in Betracht. Sie regele nur die Ausgabe kohlehaltiger Böden an Neubauern, nicht aber die Wiedereinziehung. Auch die Besitzwechselverordnung vom komme als Rechtsgrundlage nicht in Betracht, weil sie den Entzug nur aus Gründen vorsehe, die in der Person des Bauern liegen, nicht aber aus Gründen der Bodenbeschaffenheit des jeweiligen Grundstücks. Sei das Arbeitseigentum der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen aber erhalten geblieben, so sei das Grundstück nicht in den Bodenfonds zurückgefallen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom Verwaltungsgericht zugelassene - Revision der Klägerin.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beigeladene äußert sich nicht.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren. Er hält die Klage für begründet, selbst wenn mit dem Verwaltungsgericht von der Nichtigkeit der Entziehung des Arbeitseigentums ausgegangen werde. Das ergebe sich aus Art. 237 § 2 Abs. 2 EGBGB.
II.
Der Senat konnte trotz des Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden. Auf diese Möglichkeit war in der Ladung hingewiesen worden (§§ 141, 125 Abs. 1, § 102 Abs. 2 VwGO).
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Rücknahmebescheides. Die Zuordnung des Grundstücks zur Klägerin war rechtmäßig.
1. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die Klägerin - der Bundesfiskus - einen Zuordnungsanspruch nur aus § 3 3. DVO/TreuhG herleiten könne. Nach dieser Vorschrift werden die Eigentumsrechte an den volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen (Grundstücke), die sich im Besitz von Genossenschaften oder Einzelpersonen befinden, nach Maßgabe des Gesetzes vom über die Übertragung des Eigentums und die Verpachtung volkseigener landwirtschaftlich genutzter Grundstücke an Genossenschaften, Genossenschaftsmitglieder und andere Bürger in die treuhänderische Verwaltung der Treuhandanstalt übertragen. Das streitgegenständliche Grundstück ist landwirtschaftliche Nutzfläche im Besitz einer Einzelperson. Das Verwaltungsgericht hat aber angenommen, es sei nicht "volkseigen" gewesen, weshalb die Treuhandanstalt - die Rechtsvorgängerin der Klägerin - hiernach kein Eigentum habe erwerben können. Das Grundstück sei nämlich an eine natürliche Person als Arbeitseigentum ausgegeben und danach nicht wirksam wieder dem Bodenfonds zugeführt worden. Die in den 1950er Jahren verfügte Wiedereinziehung sei nach dem Recht der DDR nichtig und unwirksam gewesen. Hiergegen wendet sich die Revision mit Recht.
Richtig ist allerdings, dass die Rückführungen des Grundstücks in den Bodenfonds eine Verwaltungsentscheidung von Behörden der ehemaligen DDR war, die Regelungscharakter hatte und auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet war. Es handelte sich damit um einen Verwaltungsakt der DDR im Sinne von Art. 19 EV ( BVerwG 11 B 53.93 - Buchholz 111 Art. 19 EV Nr. 1). Er konnte nach Art. 19 Satz 1 EV auch nach dem Beitritt nur wirksam "bleiben", wenn er nicht bereits vor dem Beitritt als unwirksam anzusehen war. Hierfür ist auf die zum Zeitpunkt ihres Ergehens geltenden Vorschriften des DDR-Rechts abzustellen ( BVerwG 3 C 31.98 - Buchholz 111 Art. 19 EV Nr. 6). Zwar kannte das in der ehemaligen DDR geltende Recht keine ausdrückliche Regelung über die Nichtigkeit von so genannten Einzelentscheidungen. Doch war anerkannt, dass Einzelentscheidungen mit der Folge der Unwirksamkeit nichtig sein konnten. Voraussetzung hierfür war, dass der Verstoß gegen die rechtlichen Anforderungen besonders schwerwiegend und für den Adressaten objektiv unzweifelhaft erkennbar war ( BVerwG 3 C 30.04 - Umdruck S. 6).
Unzutreffend ist indes die Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall.
Kohlehaltige Grundstücke durften nach damaligem Recht in der Mark Brandenburg nicht im Zuge der Bodenreform als Arbeitseigentum an Neubauern zugeteilt werden. Das ergibt sich aus der für kohlehaltige Böden maßgeblichen Ausführungsverordnung Nr. 8 zur Durchführung der Bodenreform über die Aufteilung kohlehaltiger Böden, die dem Bodenfonds der Provinzialverwaltung Mark Brandenburg gehören, vom (abgedruckt bei Döring, Von der Bodenreform zu den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, 1952, S. 122), auf die das Verwaltungsgericht selbst hinweist. Diese Ausführungsverordnung erfasste nach ihrem Wortlaut zwar nur solche Böden, die Kohlengrubengesellschaften entzogen worden waren. Zum einen aber hat das Verwaltungsgericht nicht näher geprüft, ob das vorliegende Grundstück bis zur Enteignung einer Kohlengrubengesellschaft gehört hatte, wie die Klägerin mit ihrer Verfahrensrüge geltend macht. Zum anderen kann nicht angenommen werden, dass kohlehaltige Böden, die Privatpersonen entzogen worden waren, anders behandelt werden sollten, also dem Kohleabbau nicht oder nur nach erneuter, nunmehr entschädigungspflichtiger Enteignung zugeführt werden sollten.
Dass das vorliegend umstrittene Grundstück gleichwohl zu Arbeitseigentum an Neubauern ausgegeben wurde, geschah damit unter Verletzung des seinerzeit geltenden Rechts. Die Wiedereinziehung des ausgegebenen Landes zum Bodenfonds kam damit der Rücknahme einer rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsmaßnahme gleich. Eine derartige Rücknahme war nach dem Recht der DDR im Jahre 1952 ohne Weiteres möglich, sogar geboten (DDR-Verwaltungsrecht, Lehrbuch, 2. Aufl. 1988, S. 138 f.; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG-Kommentar, 6. Aufl. 2001, Rn. 262 ff. zu § 48 VwVfG). Daran ändert nichts, dass eine dahingehende Ermächtigung - abgesehen von hier nicht einschlägigen seltenen Sonderregelungen - im geschriebenen Recht fehlte; im Recht der Bundesrepublik Deutschland lag es 1952 - rund zwanzig Jahre vor Erlass der Verwaltungsverfahrensgesetze - im Prinzip nicht anders. Auch die Begleitumstände der Wiedereinziehung bieten, soweit sie bekannt sind, keinen Anhaltspunkt, an ihrer Wirksamkeit nach DDR-Recht zu zweifeln, zumal sie von allen Beteiligten offenbar als wirksam anerkannt (hierzu vgl. BVerwG 7 C 23.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 108) und etwa in den Liegenschaftsbestandsblättern auch vollzogen wurde.
2. Das angefochtene Urteil verletzt auch insofern Bundesrecht, als es Art. 237 § 2 Abs. 2 EGBGB übersieht. Schon diese Vorschrift steht der Rücknahme der Zuordnung an die Klägerin entgegen.
a) Art. 237 § 2 Abs. 2 EGBGB bestimmt: Ist im Grundbuch oder im Bestandsblatt (§ 105 Abs. 1 Nr. 5 der Grundbuchverfügung) eines Grundstücks als Eigentümer Eigentum des Volkes eingetragen, ohne dass Volkseigentum entstanden ist, so erwirbt die nach den Vorschriften über die Abwicklung des Volkseigentums berechtigte juristische Person des öffentlichen oder des Privatrechts das Eigentum, wenn die Eintragung vor dem erfolgt ist und sie bis zum Ablauf des nicht durch eine rechtshängige Klage des wirklichen Eigentümers oder einen beim Grundbuchamt eingereichten und durch eine Bewilligung des eingetragenen Eigentümers oder des Verfügungsbefugten (§ 8 des Vermögenszuordnungsgesetzes) oder die einstweilige Verfügung eines Gerichts begründeten Antrag auf Eintragung eines Widerspruchs angegriffen worden ist.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegen diese Voraussetzungen vor: Im Bestandsblatt des umstrittenen Grundstücks ist als Eigentümer "Im Eigentum des Volkes, Bodenfonds" eingetragen. Dass in der Rubrik "Eigentümer" zugleich eine natürliche Person eingetragen war, macht das Bestandsblatt nicht widersprüchlich; denn die Eintragung war mit dem Zusatz "Bodenbenutzungsschein" versehen und bekundet daher kein Eigentum, sondern eine bloße Nutzungsberechtigung. Die Eintragungen sind vor dem erfolgt und wurden bis zum Ablauf des nicht angegriffen. Die Beigeladene hat sich erst nach Ablauf der Ausschlussfrist gemeldet.
b) Die Buchersitzung des Fiskus ist auch nicht nach Art. 237 § 2 Abs. 4 Satz 1 EGBGB ausgeschlossen. Hiernach bleiben die Vorschriften über die Abwicklung des Volkseigentums sowie Ansprüche nach dem Vermögensgesetz und nach Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB unberührt.
Der Vorbehalt zugunsten der Vorschriften über die Abwicklung des Volkseigentums greift hier nicht ein. Damit sind die Vorschriften des Zuordnungsrechts gemeint (BTDrucks 13/7275 S. 34), die das materiellrechtliche Vorliegen von Volkseigentum voraussetzen und dessen Aufteilung unter den zuordnungsberechtigten öffentlich-rechtlichen Körperschaften regeln. Der Vorbehalt wirkt daher nicht gegenüber Art. 237 § 2 Abs. 2 Satz 1 EGBGB, vielmehr deckt er sich mit der dort vorgesehenen Rechtsfolge, dass die abwicklungsberechtigte Körperschaft das Eigentum erwirbt (vgl. Staudinger/Rauscher, Rn. 34, 35 zu Art. 237 § 2 EGBGB). Seine Bedeutung entfaltet er vielmehr gegenüber Art. 237 § 2 Abs. 1 EGBGB (hierzu BVerwG 3 B 59.03 - Buchholz 115 Nr. 47).
Ansprüche nach Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB stehen nicht in Rede. Diese Vorschriften regeln die zivilrechtliche Abwicklung der Bodenreform im Gefolge des Gesetzes über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform vom (GBl I S. 134, Schönfelder II Nr. 23). Sie gelten nur für Grundstücke, die im Grundbuch als Grundstücke aus der Bodenreform gekennzeichnet sind oder waren (vgl. Art. 233 § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EGBGB) und als deren Eigentümer am eine natürliche Person im Grundbuch eingetragen war (vgl. Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB; - VIZ 1997, 48; Urteil vom - V ZR 229/02 - VIZ 2003, 396). Auf Grundstücke, die zwar aus der Bodenreform stammen, für die aber am Eigentum des Volkes oder Bodenfonds im Grundbuch oder - was bei derartigen Grundstücken wahrscheinlicher ist - im bloßen Bestandsblatt eingetragen war, findet die zivilrechtliche Abwicklung nach Art. 233 §§ 11 bis 16 EGBGB keine Anwendung. Der Vorschlag des Bundesrates, materiell Berechtigten einen schuldrechtlichen Auflassungsanspruch nach Art. 233 § 11 Abs. 3, § 12 EGBGB auch dann einzuräumen, wenn im Grundbuch Eigentum des Volkes eingetragen ist (BTDrucks 13/2022 S. 5 f., 16), ist nicht Gesetz geworden (vgl. BTDrucks 13/7275 S. 13; wie hier BVerwG 7 C 91.99 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 49 S. 16; BVerwG 7 B 85.01 - juris).
Die Beigeladene ist damit auf Restitutionsansprüche nach dem Vermögensgesetz verwiesen. Diese bleiben gemäß Art. 237 § 2 Abs. 4 Satz 1 EGBGB unberührt. Jedenfalls angesichts dieser verbleibenden Möglichkeit können verfassungsrechtliche Einwände gegen die Ausschlussregelung des Art. 237 § 2 Abs. 2 EGBGB nicht erhoben werden ( - VIZ 2004, 128).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Fundstelle(n):
CAAAC-12535