Leitsatz
Der Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO entscheidet nicht nur über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung einer Vorlage von Akten und Urkunden, sondern auch über die Anordnung, diese offen zulegen.
Gesetze: VwGO § 99
Instanzenzug: OVG Münster OVG 13a D 53/02 vom
Gründe
I.
Gegenstand des Verfahrens in der Hauptsache vor dem Verwaltungsgericht, das diesem Zwischenverfahren zugrunde liegt, ist die von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post erteilte, teilweise jedoch mit geschwärzten Passagen versehene Teilgenehmigung von Entgelten für den Zugang der Klägerin zu einer Teilnehmeranschlussleitung vom . Die Klägerin klagt gegen die Höhe des in der Teilgenehmigung festgesetzten Entgelts und hat im Hauptsacheverfahren Einsicht in die Verwaltungsvorgänge der Antragstellerin beantragt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat am entschieden, dass der Teilgenehmigungsbescheid ungeschwärzt vorgelegt werden dürfe. Dagegen hat die Beigeladene unter Berufung auf den Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse beim Oberverwaltungsgericht nach § 99 Abs. 2 VwGO die Feststellung beantragt, dass die Vorlage des ungeschwärzten Bescheids rechtswidrig sei. Diesen Antrag hat das Oberverwaltungsgericht als nicht statthaft zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der mit ihr weiter verfolgte Antrag ist zwar statthaft (1), aber nicht begründet (2).
1. § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO beschränkt das Antragsrecht nicht auf die Verweigerung der Vorlage von Urkunden oder Akten durch die zuständige Behörde im Verwaltungsstreitverfahren. Der missglückte Wortlaut dieser Vorschrift gibt dafür nicht genügend her. Sinnzusammenhang, Zweck und Entstehungsgeschichte gebieten vielmehr ihre erweiternde Auslegung. Allein diese ist auch verfassungskonform.
Über die Vorlage von Akten oder Urkunden, die Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse eines Verfahrensbeteiligten enthalten, an das Gericht der Hauptsache entscheidet nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die zuständige Behörde. Diese hat eine Ermessensentscheidung zu treffen, bei der die im Widerstreit stehenden Interessen an der Offenlegung der Akten oder Urkunden einerseits und an der Wahrung der in ihnen enthaltenen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse andererseits gegeneinander abzuwägen sind. Daran haben die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 101, 106 <124 ff.>) und die ihr Rechnung tragende Änderung lediglich des Absatzes 2 des § 99 VwGO nichts geändert. Die Ermessensentscheidung hat der zuständige Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts auf Antrag eines Beteiligten nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO in einem Zwischenverfahren zu überprüfen. Dessen Beschluss kann selbständig mit der Beschwerde angefochten werden (§ 99 Abs. 2 Satz 12 VwGO). Das gilt auch für den Fall, dass der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts die Vorlage der Urkunden oder Akten für geboten hält. Eine Beschränkung des Antragsrechts nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf die Verweigerung der Akten- oder Urkundenvorlage durch die Behörde stünde dazu in offenbarem Widerspruch. Sie widerspräche zudem offensichtlich dem mit der Einführung des "in-camera"-Verfahrens durch den neu gefassten § 99 Abs. 2 VwGO verfolgten Zweck, legitimen Geheimhaltungsbedürfnissen dadurch Rechnung zu tragen, dass die Kenntnisnahme des Inhalts der Akten oder Urkunden im Zwischenstreit um ihre Vorlage auf die Fachsenate beschränkt bleibt (vgl. BVerfGE 101, 106 <128>). Da § 99 VwGO für sämtliche verwaltungsgerichtlichen Verfahren gilt, bestünde für denjenigen Verfahrensbeteiligten, der sich gegen die von der Behörde beabsichtigte Preisgabe seiner Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse im Verfahren zur Wehr setzen will, auch kein anderweitiger Rechtsschutz. Die Verweisung der Beigeladenen auf vermeintliche Rechtsschutzmöglichkeiten durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) oder eine vorbeugende Unterlassungsklage stellt einen Zirkelschluss dar. Eine Aktenvorlagepflicht der Behörde in diesen Verfahren nähme die Entscheidung zu Ungunsten des Geheimnisschutzsuchenden wegen des Akteneinsichtsrechts der anderen Beteiligten (§ 100 VwGO) vorweg. Ein Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO bei einer auf die Untersagung der Aktenvorlage wegen Geheimnisschutzes gerichteten Klage oder einem Antrag nach § 123 VwGO setzte wiederum das Antragsrecht des sich gegen die Offenlegung durch die Behörde wendenden Klägers oder Antragstellers nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO voraus.
Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, diese Vorschrift versage das Antragsrecht gegenüber der Aktenvorlage durch die Behörde, verbietet sich deswegen auch mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG. Dessen Gewährleistung eines möglichst lückenlosen Rechtsschutzes gegen Verletzungen der Individualrechtssphäre durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt ist besonders bedeutsam, wenn es um die Abwehr von Verletzungen grundrechtlich geschützter Geheimnisse geht (vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.>).
2. Der Antrag ist unbegründet. Die Vorlage des ungeschwärzten Teilgenehmigungsbescheids der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom ist rechtmäßig. Der Senat hat in dem Beschluss vom heutigen Tag im Verfahren gleichen Rubrums - BVerwG 20 F 7.03 - entschieden, dass die Verwaltungsvorgänge, die der Teilgenehmigung zugrunde liegen, dem Gericht der Hauptsache vorgelegt werden müssen. Aus den Gründen dieses Beschlusses, auf die verwiesen wird, ist auch der Teilgenehmigungsbescheid im Verwaltungsstreitverfahren vollständig vorzulegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das selbständige Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO hat einen eigenen Streitgegenstand und erfordert eine Kostenentscheidung. Die Streitwertfestsetzung für das Zwischenverfahren beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
YAAAC-12357