BVerwG Urteil v. - 2 C 8.04

Leitsatz

Ein Anspruch auf die Verwendungszulage nach § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG kann auch dann bestehen, wenn die höherwertigen Aufgaben für 18 Monate vor dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Vorschrift wahrgenommen worden sind.

Die Wartefrist für die Beförderung des Dienstposteninhabers nach Art. III § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Berliner Haushaltsstrukturgesetzes 1996 beginnt auch dann zu laufen, wenn der höherwertige Dienstposten nicht mit der Absicht übertragen wurde, den Dienstposteninhaber zu befördern.

Gesetze: BBesG § 46 Abs. 1 Satz 1; Berliner HStrG 1996 Art. III § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1

Instanzenzug: VG Berlin VG 28 A 203.99 vom OVG Berlin OVG 4 B 8.00 vom

Gründe

I.

Die Klägerin, Lehrerin im Beamtenverhältnis zum Beklagten und nach Besoldungsgruppe A 13 BBesG besoldet, wurde im Jahre 1994 aufgrund einer Entscheidung des zuständigen Dienstvorgesetzten mit der kommissarischen Wahrnehmung der Aufgaben eines Konrektors an der U.-Grundschule in B. beauftragt, solange die dortige Konrektorstelle vakant war. Diese Konrektorstelle ist nach Besoldungsgruppe A 13 mit Amtszulage nach dem Landesbesoldungsgesetz eingestuft. Die Klägerin übte die Tätigkeit einer Konrektorin vom bis zum aus. Der Beklagte lehnte es ab, ihr eine Zulage nach § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG zu gewähren.

Die Klage war vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt:

Es fehle an dem Erfordernis nach § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG, dass nach der 18-monatigen Wahrnehmung der höherwertigen Aufgaben die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen für die Übertragung des entsprechenden Amtes erfüllt gewesen seien. Hierzu hätte nach Art. III § 1 Abs. 1 Satz 1 des Haushaltsstrukturgesetzes 1996 des Landes Berlin gehört, dass der höherwertige Dienstposten der Klägerin mit der Absicht übertragen worden ist, ihr später auch das entsprechende Amt zu verleihen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,

die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom und des Verwaltungsgerichts Berlin vom sowie den Bescheid des Landesschulamtes Berlin vom und den Widerspruchsbescheid der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport vom aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin für die Zeit vom bis zum eine Zulage nach § 46 BBesG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren.

Der Senat hat mit Beschluss vom das Verfahren ausgesetzt und dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die nach Auffassung des erkennenden Senats zu bejahende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt, ob ein Anspruch auf die Verwendungszulage nach § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG auch dann bestehen könne, wenn die Aufgaben eines höherwertigen Amtes 18 Monate vor In-Kraft-Treten der Vorschrift am vorübergehend vertretungsweise übertragen und ununterbrochen wahrgenommen worden sind.

Anlass für die Vorlage waren die Urteile des 8. Senats des - sowie - 8 AZR 472/00 -. In ihnen hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, von der 18-Monatsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG würden nur Zeiten auf einem höherwertigen Dienstposten erfasst, die nach dem , dem Tag des In-Kraft-Tretens der Vorschrift, liegen.

Der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat am beschlossen, an seiner Auslegung des § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG nicht länger festzuhalten und sich der Rechtsauffassung des erkennenden Senats anzuschließen.

II.

Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Zulage. Sie hat in der Zeit vom bis zum die Voraussetzungen nach § 46 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbesoldungsgesetzes - BBesG - in der Fassung des Art. 3 Nr. 15 des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) vom (BGBl I S. 322) i.V.m. Art. III § 1 Satz 1 des Gesetzes zur Beseitigung des strukturellen Ungleichgewichts des Haushalts (Haushaltsstrukturgesetz 1996 - HStrG 96) vom (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin S. 126) erfüllt.

Die Klägerin ist aufgrund einer Entscheidung ihres Dienstvorgesetzten durch die Verfügung der zuständigen Schulaufsichtsbeamtin vom wirksam mit den Aufgaben eines Konrektors als des ständigen Vertreters des Leiters der U.-Grundschule in B., einer Grundschule mit mehr als 360 Schülern, betraut worden. Diese Aufgabe ist, gemessen an ihrem Statusamt "Lehrerin", höherwertig, denn das zugehörige Amt ist nach dem Landesbesoldungsgesetz, Landesbesoldungsordnung A, Fußnote 2 mit einer Amtszulage ausgestattet (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes über die Laufbahnen der Beamten <Laufbahngesetz - LfbG> vom <Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin S. 976> i.V.m. § 42 Abs. 2 Satz 2 BBesG). Die Klägerin sollte ausweislich der Übertragungsverfügung die Tätigkeit eines Konrektors vorübergehend und vertretungsweise bis zur Besetzung der vakanten Stelle wahrnehmen.

Am , als § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG in der Fassung des Reformgesetzes in Kraft trat (vgl. Art. 15 § 3 Abs. 1 ReformG), hatte die Klägerin die Funktion des Konrektors 18 Monate ununterbrochen ausgeübt. Die Tätigkeit ab dem und damit in der Zeit vor dem In-Kraft-Treten des § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG erfüllt den Tatbestand dieser Vorschrift.

§ 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG erfasst auch die Fälle, in denen die höherwertigen Aufgaben einer Beamtin vor dem In-Kraft-Treten dieser Vorschrift übertragen worden sind. Aus dem Wortlaut der Bestimmung, dem im Besoldungsrecht gesteigerte Bedeutung für die Auslegung zukommt (stRspr des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. z.B. BVerwG 2 C 11.89 - Buchholz 240 § 19 a BBesG Nr. 10 und BVerwG 2 C 48.02 - Buchholz 240 § 46 BBesG Nr. 1, jeweils m.w.N.), ergibt sich keine Einschränkung des zeitlichen Geltungsumfangs des § 46 Abs. 1 BBesG. Die Verwendung des Präsens im Tatbestand des § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG ist kein Hinweis darauf, dass Übertragungsakte, die vor dem In-Kraft-Treten der Vorschrift stattgefunden haben, die von der Vorschrift vorgesehene Rechtsfolge nicht auslösen. Die Zeitformen der Verben im Tatbestand einer Gesetzesvorschrift drücken nicht das Erfordernis der Gegenwärtigkeit oder Vergangenheit der tatbestandsmäßigen Handlung aus. Da im Tatbestand die Umstände aufgeführt sind, die verwirklicht sein müssen, damit die vorgesehene Rechtsfolge eintritt, sind diese Umstände einschließlich der tatbestandsmäßigen Handlungen und Geschehnisse immer als bereits Vergangenes beschrieben. So liegen aus der Sicht des Zeitpunkts, in dem nach § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG der Anspruch auf die Verwendungszulage bestehen kann, sowohl die Übertragung als auch die Wahrnehmung der Aufgaben eines höherwertigen Amtes prinzipiell - und nicht nur bezogen auf das Datum "" - in der Vergangenheit. Deshalb besagt auch umgekehrt die Perfektform in § 46 Abs. 1 Satz 2 BBesG nicht, dass anspruchsberechtigt nach dieser Bestimmung nur Beamte sein sollen, denen das höherwertige Amt vor dem In-Kraft-Treten dieser Vorschrift übertragen worden ist.

Aus dem Datum, an dem die Norm in Kraft getreten ist, ergibt sich ebenfalls nichts für einen bestimmten Zeitpunkt, an dem oder von dem ab die tatbestandliche Handlung vorgenommen sein musste. Der Tag des In-Kraft-Tretens einer Rechtsvorschrift markiert den Zeitpunkt, von dem an die Regelung des Gesetzgebers Wirkung entfaltet, also die in der Norm vorgesehene Rechtsfolge eintritt, falls die tatbestandlichen

Voraussetzungen erfüllt sind. Der Tatbestand braucht hingegen nicht unter der Geltung der Norm verwirklicht worden zu sein. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass ein gesetzlich erfasster Sachverhalt nur dann die gesetzliche Rechtsfolge auslöst, wenn er unter der zeitlichen Geltung der Vorschrift eingetreten ist, besteht nicht. Art. 103 Abs. 2 GG betrifft nur strafrechtliche Normen. Ihm kann nicht entnommen werden, dass eine neu geschaffene besoldungsrechtliche Norm eine günstige Rechtsfolge nicht an einen Sachverhalt knüpfen kann, der vor ihrem In-Kraft-Treten verwirklicht worden ist. Vielmehr ist der Senat in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass normgemäß ebenfalls ein Anspruch begründet wird, wenn der gesetzliche Tatbestand vor In-Kraft-Treten der Vorschrift verwirklicht worden ist, soweit nicht ausdrücklich etwas Abweichendes bestimmt ist (z.B. BVerwG 2 C 26.01 - Buchholz 240 § 13 BBesG Nr. 4 S. 2 zur Ruhegehaltfähigkeit einer Zulage nach einer zulageberechtigenden Verwendung von mindestens zehn Jahren). Eine den zeitlichen Geltungsbereich des § 46 Abs. 1 BBesG einschränkende Regelung, die typischerweise im Besoldungs- und Versorgungsrecht als Übergangsvorschrift formuliert wäre, ist nicht getroffen worden.

Schließlich lässt sich der Entstehungsgeschichte des § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG kein Hinweis darauf entnehmen, dass der Gesetzgeber Ansprüche nach der neu geschaffenen Vergütungsregelung erst eineinhalb Jahre nach dem In-Kraft-Treten der Vorschrift hat zur Entstehung bringen wollen. Die finanziellen Belange der Anstellungskörperschaften erfordern keinen "Vorlauf" von 18 Monaten. Zahlungsansprüche bestehen nach § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG wegen des Vorbehalts, dass die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, ohnehin nur, wenn eine freie Planstelle vorhanden ist. Wird die freie Planstelle zügig besetzt, was durch die Regelung des § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG gefördert werden soll, entfällt die Verwendungszulage.

Während der Zeit vom bis zum bestanden auch die haushaltsrechtlichen und laufbahnrechtlichen Voraussetzungen für eine Beförderung der Klägerin zur Konrektorin im Sinne des § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG. § 46 Abs. 1 Satz 1 BBesG macht den Anspruch auf die Zulage der Sache nach davon abhängig, dass eine Beförderung der betroffenen Beamtin möglich ist (Gesetzesbegründung, BTDrucks 13/3994 S. 43). Dies erfordert neben dem Vorhandensein einer freien Planstelle als haushaltsrechtlicher Voraussetzung auch die "Beförderungsreife" (vgl. Gesetzesbegründung, BTDrucks 13/3994 S. 43) der betroffenen Beamtin als der Gesamtheit der laufbahnrechtlichen Voraussetzungen. Die Klägerin erfüllte diese laufbahnrechtlichen Voraussetzungen. Insbesondere war die Wartefrist nach Art. III § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 HStrG 96 verstrichen.

Nach dieser Vorschrift darf der Beamte nicht vor Ablauf eines Jahres nach Übertragung des höherwertigen Aufgabengebietes befördert werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läuft diese Frist auch, wenn die höherwertige Funktion ohne die Absicht übertragen worden ist, den Beamten zu befördern. Dies ergibt eine Auslegung der Vorschrift nach ihrem Wortlaut sowie nach ihrem Sinn und Zweck.

Gemäß § 127 Nr. 2 BRRG ist das Revisionsgericht befugt, die landesrechtliche Vorschrift des Art. III § 1 HStrG 96 selbst auszulegen. Die Bestimmung regelt die Beförderung von Beamten und Richtern. Damit ist sie ungeachtet ihrer Einbettung in ein Gesetz zu Fragen der Haushaltspolitik und des Haushaltsrechts und ihrer Bezeichnung als "haushaltsrechtliche Regelung" in den Gesetzesmaterialien (vgl. Drucks 13/201 des Abgeordnetenhauses von Berlin S. 20) Landesbeamtenrecht. Für die Zuordnung einer Norm zu einer Gesetzesmaterie entscheidet weder der äußerliche Regelungszusammenhang noch der Wille des Gesetzgebers. Maßgebend ist allein der sachliche Gehalt der Regelung (BVerfGE 70, 251 <264>).

Der Begriff "Übertragung eines höherwertigen Aufgabengebietes" enthält dem Wortsinne nach keinerlei Aussage zu Absichten oder Vorstellungen des Übertragenden hinsichtlich einer Vergabe des Statusamtes, dem die übertragenen Aufgaben entsprechen. Auch der Bezeichnung "Beförderungsreife" ist eine derartige subjektive Zwecksetzung fremd. Soweit "Beförderungsreife" die erfolgreiche, d.h. die Eignung für das höhere Amt erweisende Wahrnehmung des höherwertigen Dienstpostens einschließt, erfordert dies nicht, dass der Dienstposten bereits mit der Intention übertragen worden sein muss, den Dienstposteninhaber - vorbehaltlich der nach Übertragung des Dienstpostens zu treffenden Feststellung, dass er für das höherwertige Amt geeignet ist - zu befördern. Hätte die Klägerin sich nach 12 oder 18 Monaten Konrektorstätigkeit dazu entschlossen, sich entgegen ihrem ursprünglichen - möglicherweise verlautbarten - Willen um die Beförderung zur Konrektorin zu bemühen, hätte ihr nicht entgegengehalten werden können, das Aufgabengebiet sei ihr ohne die Absicht, sie zu befördern, übertragen worden. Entscheidend wäre, ob sie sich auf dem höherwertigen Dienstposten bewährt hat (vgl. BVerwG 2 VR 1.01 - Buchholz 232.1 § 11 BLV Nr. 2).

Eine Anwendbarkeit des Art. III § 1 Satz 1 HStrG 96 nur auf Beamte, denen der Dienstposten im Hinblick auf ihre spätere Beförderung übertragen worden ist, würde auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift zuwiderlaufen. Die Bestimmung zielt darauf ab, dass auf höherwertige Dienstposten gelangte Beamte zwecks Einsparung von Haushaltsmitteln noch mindestens ein Jahr nach Übernahme des Dienstpostens im bisherigen niedrigeren Statusamt verbleiben. Diese Zielsetzung fordert, die Beförderung von Beamten, denen der höherwertige Dienstposten aus anderen Gründen als dem, sie demnächst zu befördern, übertragen und deren Beförderung erst nach der Dienstpostenvergabe ins Auge gefasst worden ist, ebenfalls mindestens ein Jahr zurückzustellen.

Die Ergänzung des Art. III § 1 HStrG 96 um seinen jetzigen Abs. 3 durch Art. IV des Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher und haushaltsrechtlicher Vorschriften vom (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin S. 422) ist kein Hinweis darauf, dass die laufbahnrechtliche Voraussetzung nach Art. III § 1 Abs. 1 Satz 1 HStrG 96 nur für Beamte gilt, denen die höherwertigen Aufgaben mit Blick auf ihre beabsichtigte Beförderung übertragen worden sind. Art. III § 1 Abs. 3 HStrG 96 stellt lediglich klar, dass es nicht Voraussetzung für eine Beförderung ist, dass die Zeit der Tätigkeit auf dem höherwertigen Dienstposten nicht so lange währt, wie die Wartefrist nach Art. III § 1 Abs. 1 Satz 1 HStrG 96 und die Erprobungszeit nach § 15 Abs. 2 Satz 2 LfbG zusammen, sondern dass die Erprobungszeit auf die Wartezeit angerechnet wird. Dieser Klarstellung bedurfte es in Bezug auf alle für eine Beförderung in Betracht kommenden Dienstposteninhaber gleichgültig, ob ihnen der Dienstposten bereits mit der Absicht ihrer Beförderung übertragen worden war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 1 932 € festgesetzt (§ 13 Abs. 1 GKG a.F.; Gesamtbetrag der für die Zeit vom bis zum begehrten Zulage)

Fundstelle(n):
ZAAAC-12348