Leitsatz
Auch in Asylverfahren ist der Kläger berechtigt, in jedem Stadium des Verfahrens eine Erledigungserklärung abzugeben.
Gesetze: AsylVfG § 74 Abs. 1; AsylVfG § 74 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1; VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4; VwGO § 161 Abs. 2
Instanzenzug: VG Regensburg VG RO 7 K 93.32787 vom VGH München VGH 22 BA 95.36582 vom
Gründe
Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (§ 166 VwGO, §§ 114 ff., 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
1. Die Beschwerde beruft sich zunächst auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Rechtssache hat eine solche Bedeutung nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt neben Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage auch Angaben dazu, inwiefern die bezeichnete Rechtsfrage überhaupt entscheidungserheblich ist und sich deshalb in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen könnte. Diesen Voraussetzungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
Die Beschwerde hält die Fragen für klärungsbedürftig (Beschwerdebegründung S. 7),
"in welchem zeitlichen Rahmen im Asylrechtsstreit ein Feststellungsantrag auf Erledigung der Hauptsache nach Eintritt tatsächlicher Veränderungen noch zulässig ist", und
"welche Verfahrenshandlungen oder Erklärungen, die ein Festhalten am ursprünglichen Klageziel dokumentieren, unabhängig von der Zeitspanne zwischen erledigendem Ereignis und Erledigungserklärung zur Unzulässigkeit des Antrags führen".
Die erste Frage ist bereits rechtsgrundsätzlich geklärt, hinsichtlich der zweiten Frage wird deren Entscheidungserheblichkeit nicht aufgezeigt.
a) Das Bundesverwaltungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass es grundsätzlich keine zeitliche Grenze für den Übergang vom ursprünglichen Klageantrag zur Erledigungserklärung gibt. Das Prozessrecht begründet keine Pflicht zur unverzüglichen Reaktion auf den Eintritt eines erledigenden Ereignisses. Es erlaubt dem Kläger vielmehr, in jedem Stadium des Verfahrens eine Erledigungserklärung abzugeben, um dadurch der Abweisung seiner Klage zu entgehen ( BVerwG 8 C 40.91 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 100; BVerwG 7 B 185.87 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 79). Der Kläger kann sogar noch im Revisionsverfahren die Hauptsache für erledigt erklären, obwohl die Erledigung bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens eingetreten ist ( BVerwG 2 C 16.00 - BVerwGE 114, 149 <151>). Das Asylverfahrensgesetz enthält keine abweichende Regel.
Auch der von der Beklagten angeführte Grundsatz der Beschleunigung von Asylverfahren steht nicht entgegen. Es ist in erster Linie die Aufgabe der Verwaltungsgerichte, bei Änderungen der Sachlage im Heimatland, die - wie hier im Kosovo (vgl. das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom - BVerwG 1 C 15.02 -) - eine zuvor bestehende Verfolgungsgefahr offensichtlich entfallen lassen, durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung zu reagieren und - wie im Ausgangsverfahren - gegebenenfalls eine Erledigungserklärung anzuregen. Bleibt im Berufungsverfahren eine übereinstimmende Erledigungserklärung aus, muss das Gericht indessen durch Urteil oder Beschluss nach § 130 a VwGO entscheiden, was in jedem Falle zu einer Verlängerung des Verfahrens führt. Eine Pflicht zur sofortigen übereinstimmenden Erledigungserklärung gibt es gleichwohl nicht, weil ohnehin nur das Gericht zur einseitigen verbindlichen Entscheidung, ob eine Erledigung eingetreten ist, befugt sein kann. Auch in Asylverfahren gilt daher die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Erledigungserklärung nur rechtzeitig vor der gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache abgegeben werden muss, wobei der Kläger gegebenenfalls die durch eine verspätete Erklärung verursachten Mehrkosten gemäß § 155 Abs. 4 VwGO zu tragen hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat außerdem zutreffend darauf hingewiesen, dass bei einer verzögerten Erledigungserklärung des Klägers unter Umständen eine "verschleierte Klagerücknahme" in Betracht kommt (UA S. 5). Auch unter diesem Gesichtspunkt hätte die Beklagte, wie das vorliegende Verfahren zeigt, eine schnellere und kostenrechtlich günstige Entscheidung durch übereinstimmende Erledigungserklärung (hinsichtlich des asylrechtlichen Teils der Klage) erreichen können. Ob Ausnahmefälle denkbar sind, wie die Beklagte unter Berufung auf das Urteil vom a.a.O. geltend macht, kann auch hier offen bleiben. Es entzieht sich weiterer grundsätzlicher Klärung in einem Revisionsverfahren, ob im Einzelfall nach Maßgabe die Bewertung der jeweiligen Interessen eine andere Betrachtungsweise geboten sein kann. Im vorliegenden Fall sind zudem Anhaltspunkte hierfür weder ausreichend vorgetragen noch ersichtlich.
b) Zu der zweiten Frage, welche weiteren Verfahrenshandlungen oder Erklärungen zur Unzulässigkeit des Erledigungsantrags führen können, zeigt die Beschwerde schon nicht auf, dass sie sich im vorliegenden Verfahren stellen könnte. Der Umstand, dass der Kläger nach der Anfrage des Berufungsgerichts im Hinblick auf die Änderungen der Machtverhältnisse im Kosovo im Gefolge der NATO-Intervention zunächst an seinen Klageanträgen festhielt, dies ausführlich begründete, um dann zweieinhalb Monate später die Erledigungserklärung abzugeben, reicht hierfür unter keinem denkbaren Gesichtspunkt aus.
2. Die Beklagte macht sinngemäß weiter geltend, es bestehe Klärungsbedarf, inwieweit ein anzuerkennendes Interesse an einer Sachentscheidung wegen Präjudizialität und Wiederholungsgefahr bestehen könne, insbesondere ob insoweit ein Sachentscheidungsinteresse im Verhältnis zu Dritten ausreiche (Beschwerdebegründung S. 5). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf dem einseitigen Erledigungsantrag trotz Eintritt des erledigenden Ereignisses nicht stattgegeben werden, wenn der der Erledigung widersprechende Verfahrensbeteiligte ein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Sachentscheidung hat (vgl. BVerwG 8 C 86.86 - Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 174; BVerwG 2 C 16.00 - BVerwGE 114, 149 <154 f.>). Ob und gegebenenfalls in welchen Fällen sich ein besonderes Sachbescheidungsinteresse aus der Klärung von Rechtsfragen ergeben kann, die sich nicht (mehr) im Verhältnis zum Kläger, wohl aber zu anderen Asylbewerbern stellen (vgl. hierzu BVerwG 9 C 61.88 - BVerwGE 82, 41 <44> m.w.N.), bedarf hier keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung. Denn die Beklagte hat nicht dargelegt, dass und inwiefern im vorliegenden Fall ein solcher besonderer Klärungsbedarf besteht. Insbesondere trifft es nicht zu, dass die Beklagte "zur Vermeidung von Kostenfolgen und um nicht selbst den Verfahrensabschluss zu verzögern" der Erledigungserklärung stets beitreten muss, selbst wenn eine Erledigung objektiv zweifelhaft ist. In letzterem Falle kann allerdings keinen der Beteiligten das (Prozess-)Risiko abgenommen werden, bei einseitiger Erledigungserklärung der Gegenseite den Rechtstreit im Ergebnis nur deshalb kostenpflichtig zu verlieren, weil das Gericht die tatsächliche Erledigung feststellt. Die Beklagte hat außerdem nicht etwa geltend gemacht, durch eine Entscheidung zur Sache (hier: zur Unbegründetheit der Asylklage im Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses) für andere Fälle eine Präjudizwirkung zu erreichen oder eine Wiederholungsgefahr auszuschließen.
3. Die Beschwerde rügt weiterhin einen Verfahrensmangel i.S. von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, legt diesen aber nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar. Sie zeigt nicht auf, inwiefern ihr rechtliches Gehör gemäß § 103 Abs. 1 GG, § 138 Nr. 3 VwGO dadurch verletzt sein soll, dass sich das Berufungsgericht nicht mit ihrer Argumentation zum fehlenden Interesse des Klägers an einer Feststellung der Erledigung auseinander gesetzt habe (Beschwerdebegründung S. 8). Das ergibt sich schon daraus, dass die Beklagte damit nur das Übergehen von Rechtsvortrag rügt. Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben; die Gerichte brauchen sich dabei nicht mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinander zu setzen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann allenfalls dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. - BVerfGE 96, 205 <216> m.w.N.). Solche besonderen Umstände zeigt die Beschwerde nicht auf. Vielmehr ergibt sich aus dem Tatbestand der Entscheidung und aus den Ausführungen des Berufungsgerichts zu den Auswirkungen des asylrechtlichen Beschleunigungsgebots auf den Zeitpunkt der Abgabe der Erledigungserklärung (BA S. 5 oben), dass das Gericht die Argumente der Beklagten (zeitliche Differenz zwischen der Veränderung der Lage im Kosovo und der Abgabe der Erledigungserklärung sowie Fortführung des Verfahrens durch den Kläger) in seine Erwägungen einbezogen hat.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AAAAC-12018