BVerwG Beschluss v. - 1 B 12.04

Leitsatz

Verfügt das Gericht eine Anhörung nach § 130 a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO ohne ausdrückliche Befristung, so muss es einen angemessenen Zeitraum für eine Stellungnahme der Beteiligten abwarten, bevor es ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheidet. Auch muss es vor einer Entscheidung einen Antrag auf Einräumung einer bestimmten Äußerungsfrist bescheiden.

Gesetze: VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 108 Abs. 2; VwGO § 125 Abs. 2 Satz 3; VwGO § 130 a

Instanzenzug: VG Hannover VG 14 A 3802/98 vom VG Hannover 14 A 3803/98 vom OVG Lüneburg OVG 13 LB 179/03 vom

Gründe

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO). Die Kläger haben aufgrund der vorgelegten Einkommensnachweise Monatsraten in Höhe von 15 € an die zuständige Gerichtskasse zu zahlen (§ 166 VwGO i.V.m. § 115 Abs. 1 ZPO, § 120 Abs. 1 und 2 ZPO).

Die Beschwerde ist mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Aufklärungspflicht (Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erneut an das Berufungsgericht zurück.

Die Beschwerde rügt zu Recht eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs, weil das Berufungsgericht wiederum im sog. vereinfachten Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung nach § 130 a VwGO entschieden hat, ohne die Anforderungen zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beteiligten einzuhalten. Das Berufungsgericht hat zwar auf das nach der ersten Anhörung gemäß § 130 a VwGO mit Schriftsatz vom erfolgte umfangreiche Vorbringen mit Beweisanträgen ansatzweise zu Recht damit reagiert, dass es den Klägern mitgeteilt hat, an der angekündigten Absicht (einer Stattgabe der Berufung durch Beschluss nach § 130 a VwGO) werde festgehalten. Die danach - auch vom Berufungsgericht für erforderlich und nicht ausnahmsweise für entbehrlich gehaltene (vgl. etwa BVerwG 9 B 140.96 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 16) - zweite Anhörungsmitteilung vom hätte jedoch nach § 130 a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO eine den Umständen entsprechend angemessene Äußerungsfrist einräumen (vgl. BVerwG 9 B 97.99 - <juris>) und einhalten (vgl. etwa BVerwG 9 C 40.99 - Buchholz 310 § 139 Abs. 3 VwGO Nr. 7) müssen. Das ist hier nicht geschehen. Vielmehr hat das Berufungsgericht trotz des Antrags im Schriftsatz der Kläger vom , eine Frist zur abschließenden Äußerung bis zum zu gewähren und eine Entscheidung hierüber mitzuteilen, noch am selben Tag den angegriffenen Beschluss gefasst und hierbei den Schriftsatz der Kläger verwertet (BA S. 9), ohne zuvor über den darin enthaltenen Antrag zu entscheiden. Diese Verfahrensweise verletzt das rechtliche Gehör. Zwar musste das Gericht entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht von sich aus eine zeitlich bestimmte Äußerungsfrist setzen, wie es allerdings üblich und zur Vermeidung von Unsicherheiten sinnvoll ist (vgl. Meyer-Ladewig in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 130 a Rn. 11). Verfügt das Gericht eine Anhörung nach § 130 a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO ohne ausdrückliche Befristung, so muss es jedoch (erst recht) einen auf jeden Fall angemessenen Zeitraum für eine Stellungnahme der Beteiligten abwarten, bevor es durch Beschluss entscheidet, und jede Äußerung berücksichtigen, die bis zur Herausgabe seiner Entscheidung zur Versendung an die Beteiligten eingeht (vgl. BVerwG 9 B 999.98 - Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 55). Auch muss es einen Antrag auf Einräumung einer bestimmten Äußerungsfrist - ebenso wie einen Verlängerungsantrag im Falle einer befristeten Anhörungsmitteilung - bescheiden, bevor es zur Sache entscheidet (vgl. zum Fristverlängerungsantrag BVerwG 9 B 393.00 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 52 und BVerwG 1 B 51.00 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 69).

Das Berufungsgericht hat seine Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs und Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen ferner auch dadurch verletzt, dass es die Frage der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit der Kläger nur anhand der zitierten ausländischen Rechtsvorschriften "aus eigener Rechtskunde" (BA S. 9) beurteilt hat, ohne die ausländische Rechtslage und Rechtspraxis zu ermitteln (vgl. BVerwG 1 B 230.03 - <juris>; BVerwG 1 B 131.00 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 63 = NVwZ-RR 2002, 311; BVerwG 9 B 128.00 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 233; BVerwG 1 B 138.95 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 172 = InfAuslR 1996, 21; BVerwG 1 B 139.91 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 41). Darin liegt hier zugleich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil das Berufungsgericht einzelnen Beweisanträgen (auf Einholung von Auskünften des Auswärtigen Amtes und von Sachverständigengutachten) zu Fragen der tatsächlichen und rechtlichen Handhabung des aserbaidschanischen Rechts ohne tragende Begründung nicht nachgegangen ist. Der pauschale Hinweis auf eine eigene "Rechtskunde" des Gerichts, die sich offensichtlich nur auf die Kenntnis einschlägiger ausländischer Gesetzestexte und allgemeine Rechtskenntnisse beziehen soll und nicht auf spezielles richterliches Erfahrungswissen beispielsweise aus Gutachten und eigener Befassung mit dem ausländischen Recht (vgl. etwa Beschluss vom a.a.O.; BVerwG 9 B 15.90 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 127 = NVwZ-RR 1990, 652 und allg. BVerwG 1 B 158.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 315; BVerwG 1 B 206.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46), reicht zur prozessordnungsgemäßen Ablehnung eines substantiierten Beweisantrags zur Rechtslage und Rechtspraxis in Aserbaidschan nicht aus.

Auf die zusätzlichen Rügen der Kläger kommt es danach nicht mehr an. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).

Fundstelle(n):
BAAAC-12009