BGH Beschluss v. - 1 StR 402/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 213

Instanzenzug:

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision der Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.

I.

1. Das Landgericht hat festgestellt: Die Angeklagte befand sich in der Sylvesternacht 2002/2003 bei ihrem Freund O. , dem späteren Tatopfer. Dieser richtete eine Sylvesterfeier aus. Zum Jahreswechsel gingen die anderen Gäste vor das Haus, während die Angeklagte sich zurückziehen und etwas hinlegen wollte. Hiermit war O. "überhaupt nicht einverstanden". Er fing an zu schimpfen und es entspann sich ein mit Worten ausgetragener Streit. Er schenkte sich schließlich - allein im Wohnzimmer - ein Glas Sekt ein, um "nörgelnd alleine zu zechen".

Die Angeklagte wollte sich im Schlafzimmer auf die am Boden liegende Matratze legen. Zuvor entnahm sie einer Küchenschublade ein scharfes Metzgermesser mit einer Klingenlänge von ca. 20 cm, das sie neben sich auf die Matratze legte. Aus ihren Erfahrungen der letzten zwölf Jahre, in denen sie alkoholisiert immer wieder in Streitsituationen - "sogar mit Messern" - gegenüber ihren jeweiligen Lebenspartnern gewalttätig geworden war, wußte die Angeklagte, zu welchem Ergebnis diese Vorbereitung führen könnte. Damit, daß O. sie in Ruhe lassen würde, rechnete sie zu diesem Zeitpunkt nicht ernsthaft. Sie erwartete, daß er wieder zu ihr ins Schlafzimmer kommen würde, um sie zu beschimpfen und um zu streiten. O. hatte sie allerdings nie geschlagen; auch jetzt rechnete sie damit nicht. Sie sah allerdings billigend voraus, daß sie bei einer Eskalation des Streits einen nicht mehr kontrollierbaren Aggressionsausbruch haben könnte, in dessen Verlauf sie unter Benutzung des eigens bereit gelegten Messers ihren Freund auch so erheblich verletzen könnte, daß er stürbe.

Schließlich ging O. , der über das Verhalten der Angeklagten weiter wütend war, tatsächlich zu ihr ins Schlafzimmer und trat gegen die Matratze. Er belegte sie mit Schimpfworten und wollte sie jetzt aus der Wohnung werfen. Durch diese Beschimpfung in Verbindung mit ihrer Alkoholisierung (Blutalkoholkonzentration: 2,11 Promille) kam es bei der Angeklagten, wie von ihr vorhergesehen, zu einem Impulskontrollverlust mit einem aggressiven Durchbruch. Sie geriet in einen Zustand, "in dem sie nicht mehr wußte, was sie tat" (UA S. 9). Sie nahm das Messer auf und stach wild und kraftvoll insgesamt dreimal auf O. ein. Zwei Stiche trafen diesen am linken Oberarm. Der dritte Stich drang in die Brust O. s und durchtrennte zwei Rippen nahe dem Brustbein; er traf den rechten Vorhof des Herzens und verletzte diesen. Der Stich war lebensgefährlich. Aufgrund glücklicher Umstände bildete sich ein Blutgerinnsel, das die Verletzung des rechten Vorhofs des Herzens verstopfte. Deshalb verstarb O. nicht alsbald, sondern konnte im Verlauf des Neujahrstages durch mehrere Operationen gerettet werden, nachdem die Schwere der Verletzung schließlich erkannt worden war.

Unmittelbar nach der Tat realisierte die Angeklagte, "was sie Schlimmes angerichtet" hatte (UA S. 9). Sie hockte sich zu ihrem Freund auf den Boden, nahm dessen Kopf auf ihren Schoß und versuchte ihn mit den Worten: "Papi, Papi, schrei nicht, es ist nichts passiert, ich liebe dich", zu trösten, bis sie von einem herbeieilenden Gast ihres Freundes ins Wohnzimmer geschickt wurde.

2. Der von der Kammer hinzugezogene psychiatrische Sachverständige, dem diese sich angeschlossen hat, hat ausgeführt, bei der Angeklagten sei seit langem ein episodischer, exzessiver Alkoholmißbrauch festzustellen, der auch in der Vergangenheit immer wieder zu schwersten aggressiven Durchbrüchen geführt habe, die mit Kontrollverlust und partieller Amnesie einhergegangen seien. Es liege eine neurotische Persönlichkeitsstörung vor. Im Laufe des Streites, welcher der Tat voraufgegangenen sei, habe sich bei der Angeklagten infolge affektiver Erregung ein aggressiver Impulskontrollverlust entwickelt, der sich im Moment des Zustechens eingestellt habe. Die Fähigkeit zu einsichtsgemäßem Handeln sei zu diesem Zeitpunkt erheblich beeinträchtigt, möglicherweise ("nicht ausschließbar") sogar aufgehoben gewesen (UA S. 16). Dies gelte indessen nur für den Zeitpunkt des Zustechens, nicht für den davor liegenden Zeitraum. Für diesen, also während der Impulskontrollverlust sich noch entwickelt habe, könne allerdings eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden.

Die Strafkammer hat dementsprechend zu Gunsten der Angeklagten angenommen, daß ihre Steuerungsfähigkeit im Zeitpunkt des Zustechens "nicht weiter vorhanden war". Die Angeklagte habe allerdings zuvor noch reflektiert was sie tat, als sie das Messer eigens aus der Küche geholt und neben sich auf der Matratze bereitgelegt habe.

Die Strafkammer hat die Angeklagte deshalb unter dem Gesichtspunkt der vorverlegten Verantwortlichkeit des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen, erheblich verminderte Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt des Bereitlegens des Messers angenommen und der Strafbemessung unter Berücksichtigung dieses Umstandes den Strafrahmen des minder schweren Falles des Totschlags nach § 213 StGB zugrundegelegt; diesen hat sie nach Versuchsgrundsätzen nochmals gemildert.

II.

Die Revision ist begründet. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts der Angeklagten vom Versuch des Totschlags nicht erörtert (§ 24 Abs. 1 StGB). Dessen hätte es aber bedurft; denn die Angeklagte war ersichtlich nach dem dritten Messerstich durch äußere Umstände nicht gehindert, weiter auf ihr Opfer einzustechen. Auch ein Täter, der nach Tatbeginn schuldunfähig wird und zunächst mit natürlichem Vorsatz weiterhandelt, kann grundsätzlich mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurücktreten (BGHSt 23, 356, 359 zu § 46 Nr. 1 StGB aF; MünchKommStGB/Herzberg § 24 Rdn. 137 ff.). Der Senat vermag die Frage eines strafbefreienden Rücktritts vom Totschlagsversuch auch nicht selbst zu beantworten, weil die Feststellungen und die Beweiswürdigung hierzu sich als lückenhaft, unklar und deshalb insoweit nicht tragfähig erweisen.

1. Die Prüfung eines etwaigen strafbefreienden Rücktritts der Angeklagten vom Totschlagsversuch hätte zunächst die Bewertung erfordert, ob der Versuch beendet war; solchenfalls wäre hier mangels konkreter Rettungsbemühungen der Angeklagten ein Rücktritt nicht mehr in Betracht gekommen (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Für die Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch ist die Vorstellung des Täters nach Abschluß der letzten Ausführungshandlung maßgebend (sog. Rücktrittshorizont). Beendet ist ein Versuch erst dann, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung die tatsächlichen Umstände, die den Erfolgseintritt - hier also den tödlichen Ausgang - nahelegen, erkennt oder den Erfolgseintritt in Verkennung der tatsächlichen Ungeeignetheit der Handlung für möglich hält. Deshalb kommt es darauf an, ob nach den drei Messerstichen für die Angeklagte erkennbar eine unmittelbare Lebensgefahr für das Opfer eingetreten war und ob sie mit einem tödlichen Ausgang rechnete oder nicht. Im ersten Falle hätte die Angeklagte Aktivitäten zur Verhinderung des Erfolges entfalten müssen, um straffrei zu bleiben; daran fehlte es hier. Im zweiten Falle reichte es, daß sie mit der Tathandlung innehielt (vgl. nur BGHSt 35, 90, 93; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Rücktritt 8; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 24 Rdn. 15).

Bei dieser gebotenen Bewertung hätte der Tatrichter sich weiter die Frage vorlegen müssen, ob während des Zustechens der Angeklagten deren Einsichtsfähigkeit jedenfalls insoweit erhalten war, daß sie eine Vorstellung von den Folgen ihrer Messerstiche entwickeln konnte. Der Nichteinsichtsfähige wird dazu in der Regel nicht in der Lage sein. Unterbricht er allerdings sein Handeln bewußt, wird das für ein Wiedererlangen der Einsichtsfähigkeit sprechen (vgl. dazu MünchKommStGB/Herzberg § 24 Rdn. 138). Die Urteilsgründe deuten hierzu darauf hin, daß die Strafkammer von einer erhaltenen Einsichtsfähigkeit der Angeklagten ausgegangen ist, aber ihre Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit als möglicherweise ausgeschlossen erachtet hat (UA S. 16). Allerdings erscheint die Wortwahl der Strafkammer insoweit nicht eindeutig. So heißt es im Rahmen der Feststellungen, die Angeklagte habe nicht mehr gewußt, was sie tat (UA S. 9). Der psychiatrische Sachverständige hat auch von "partieller Amnesie" gesprochen (UA S. 15). Zwischen dem Ausschluß oder der Einschränkung der Unrechtseinsichtsfähigkeit und der Steuerungsfähigkeit ist indessen genau zu unterscheiden (BGHSt 40, 341, 349; BGH bei Holtz MDR 1987, 93; Tröndle/ Fischer aaO § 20 Rdn. 3).

Hätte die Angeklagte unter Berücksichtigung ihres Impulskontrollverlustes und des aggressiven Durchbruchs nach dem dritten Messerstich erfaßt, daß sie ihren Freund lebensgefährlich getroffen hatte und mit dessen Tod gerechnet, wäre der Versuch beendet gewesen. Da sie nach den bisherigen Feststellungen keine Rettungsbemühungen entfaltet hat, wäre sie dann insoweit nicht straffrei (hinsichtlich des versuchten Totschlags §§ 212, 22, 23 StGB).

Die bislang getroffenen Feststellungen zur Frage der Beendigung des Totschlagsversuchs sind unklar; die Würdigung setzt sich damit nicht auseinander: Einerseits erkannte die Angeklagte, was "sie Schlimmes angerichtet hatte" (UA S. 9 unten); andererseits versuchte sie ihren Freund u.a. mit den Worten zu trösten, es sei "nichts passiert" (UA S. 9, 12), und sogar im Krankenhaus wurde der Ernst der Verletzung "zunächst nicht direkt" erkannt (UA S. 17). Allerdings war der dritte Stich mit solcher Wucht geführt, daß zwei Rippen des Opfers durchtrennt wurden. All diese Umstände hätten der Bewertung bedurft.

2. Sollte die Angeklagte die Lebensgefährlichkeit ihres Handelns nach dem dritten Stich zunächst nicht erkannt haben, käme ein freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Tötungsversuch in Betracht. Hier wäre zu prüfen gewesen, aus welchem Grunde die Angeklagte nicht weiter zustach. Nachdem äußere Umstände sie daran ersichtlich nicht hinderten, könnte es an der Freiwilligkeit des Innehaltens gleichwohl fehlen, wenn willensunabhängige Umstände die weitere Tatbegehung verhindert hätten. Solche sind bei unwiderstehlichen inneren Hemmungen angenommen worden, etwa wenn der Täter infolge Schocks oder seelischen Drucks unfähig zur weiteren Tatbegehung geworden war (vgl. BGHSt 9, 48, 53). Allerdings kann freiwilliger Rücktritt dann vorliegen, wenn Mitleid, seelische Erschütterung beim Anblick des bis dahin Angerichteten oder die Wiederkehr hinreichender Steuerungsfähigkeit nach Affektentladung ein willensgesteuertes Innehalten ermöglichen (vgl. zu alledem BGHSt 7, 296, 299; 9, 48, 53; 21, 216, 217; 35, 184, 186; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 18; Freiwilligkeit 21; BGH NStZ 1992, 536, 537; 1994, 428 f.; NJW 1993, 2125, 2126; bei Dallinger MDR 1975, 541; vgl. auch BGH bei Dallinger MDR 1952, 531; Tröndle/Fischer aaO § 24 Rdn. 22 f.).

Für die Entscheidung ist die objektive Sachlage nur insoweit von Bedeutung, wie sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters gestattet (BGH StV 1988, 527). Bleibt offen, ob der Täter von der weiteren Tatausführung - hier des Totschlags - durch Umstände gehindert war, die von seinem Willen unabhängig waren, so ist nach dem Zweifelssatz von der Freiwilligkeit des Rücktritts auszugehen (BGH bei Holtz MDR 1982, 969; MDR 1986, 271; BGH StV 1992, 10, 11; ; Tröndle/Fischer aaO § 24 Rdn. 28).

Unter Beachtung dieser Grundsätze hätte die Strafkammer es unternehmen müssen, den Sachverhalt zu klären und dazu Feststellungen zu treffen. Sodann wäre die erforderliche rechtliche Würdigung unter dem Gesichtspunkt eines etwaigen freiwilligen strafbefreienden Rücktritts anzustellen gewesen. Daran fehlt es.

3. Das angefochtene Urteil kann im Schuldspruch und auch im Strafausspruch auf dem bezeichneten rechtlichen Mangel beruhen, wenngleich die verhängte Strafe auch unter dem alleinigen Gesichtspunkt der gefährlichen Körperverletzung als nicht zu hoch erscheinen mag. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Tat steht einer Aufrechterhaltung des Schuldspruchs wegen gefährlicher Körperverletzung entgegen (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 353 Rdn. 7).

4. Der neue Tatrichter wird zu bedenken haben, daß die Annahme vollständig aufgehobener Steuerungsfähigkeit bei einem Affektdurchbruch nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt (vgl. BGH NStZ 1995, 175, 176 = BGHR StGB § 20 Affekt 3; BGH NStZ 1997, 333 f.; siehe auch BGH StV 1997, 630, 631 a.E.; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 58). Er wird überdies zu prüfen haben, ob die Angeklagte in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen ist (§ 63 StGB; vgl. BGH StV 1999, 309 f.). Das Verschlechterungsverbot hindert ihn daran nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die bisherigen Feststellungen können nahelegen, daß die Angeklagte für die Allgemeinheit gefährlich ist, weil sie schon früher unter ähnlichen Bedingungen ihre Partner - auch mit dem Messer - attackiert hat und ein Zeuge sie als "tickende Zeitbombe" charakterisiert hat (UA S. 11).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
GAAAC-11887

1Nachschlagewerk: nein