BGH Beschluss v. - 1 StR 1/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 154; BtMG § 35; BtMG § 36; StPO § 265

Instanzenzug: LG Coburg vom

Gründe

Der Angeklagte wurde unter Einbeziehung früherer Geldstrafen wegen Betäubungsmitteldelikten zu fünf Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Nach Urteilsverkündung hat er nach mehrfacher Belehrung auf Rechtsmittel verzichtet. Mit der danach (innerhalb Wochenfrist; der hierauf bezogene Wiedereinsetzungsantrag geht ins Leere) eingelegten Revision wird geltend gemacht, der Rechtsmittelverzicht sei sowohl deshalb unwirksam, weil der Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sei, als auch deshalb, weil er Teil einer verfahrensbeendenden Absprache gewesen und der Angeklagte unter Druck gesetzt worden sei.

Die Revision ist unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO), weil ein wirksamer Rechtsmittelverzicht vorliegt.

1. Allerdings können je nach den Umständen des Falles fehlende Sprachkenntnisse eines Angeklagten die Wirksamkeit eines von ihm abgegebenen Rechtsmittelverzichts in Frage stellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 45/99 und - 1 StR 124/93; Wickern in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 185 GVG Rdn. 25). Hierfür bestehen hier jedoch keine Anhaltspunkte.

a) Der 1966 geborene Angeklagte lebt seit 1979 ununterbrochen in Deutschland, hat in mehreren Firmen gearbeitet und war seit 1992 mit Unterbrechungen etwa zehn Jahre lang selbständiger Gastronom. Der Vorsitzende der Strafkammer hat in einer dienstlichen Erklärung (zu deren Bedeutung in diesem Zusammenhang BGH NStZ 2002, 275, 276) dargelegt, daß ihm bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung die Polizei auf Anfrage mitgeteilt habe, im Ermittlungsverfahren seien "keinerlei Sprachprobleme aufgetaucht". So sei es auch in der Hauptverhandlung gewesen, an der sich der Angeklagte intensiv durch Erklärungen, Fragen und Vorhalte beteiligt habe. Allerdings habe ein Verteidiger angeregt, der Bruder des Angeklagten solle neben ihm Platz nehmen, um bei etwaigen Sprachproblemen helfen zu können. Auf Nachfrage habe der Angeklagte jedoch (ebenso wie die Verteidigung) erklärt, bisher habe es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben. Der genannten Anregung sei nicht Folge gegeben, der Angeklagte aber aufgefordert worden, sofort darauf hinzuweisen, sobald er irgend etwas nicht verstehe. Dies habe er in der gesamten weiteren Hauptverhandlung nicht getan und sich an ihr im übrigen so intensiv wie zuvor beteiligt. Bestätigt wird all dies durch die Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft, die noch ergänzend darauf hinweist, daß auch der Haftrichter einen Dolmetscher nicht für erforderlich gehalten hatte.

b) Ob der Angeklagte genügend Kenntnisse der deutschen Sprache hat, entscheidet der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Wird gerügt, daß kein Dolmetscher zugezogen wurde, prüft das Revisionsgericht, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten wurden (vgl. BGH bei Pfeiffer NStZ 1981, 295; G. Schäfer, Praxis des Strafverfahrens 6. Aufl. Rdn. 1782 m.w.N.). Dies gilt auch, wenn es um die Wirksamkeit eines vom Tatrichter zu Protokoll genommenen mündlichen Rechtsmittelverzichts geht.

Anhaltspunkte für eine ermessensfehlerhafte Beurteilung der Sprachkenntnisse des Angeklagten sind auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht erkennbar. Den von der Revision genannten Erfahrungssatz, bei türkischen Angeklagten sei in Verfahren mit nicht unerheblicher Straferwartung stets ein Dolmetscher erforderlich, gibt es nicht.

2. Auch im übrigen bestehen keine Bedenken gegen die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts.

a) Soweit in diesem Zusammenhang von Interesse, ergibt das Hauptverhandlungsprotokoll zum Ablauf des Verfahrens folgendes:

Am zweiten Verhandlungstag wurde der Verhandlungsbeginn zunächst um eine Stunde verschoben, um der "Verteidigung Gelegenheit" zu geben, "die Frage einer Vereinbarung mit dem Angeklagten zu besprechen". Vorausgegangen war - dies ergibt sich nicht aus dem Protokoll, sondern der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden - eine Mitteilung des Verteidigers Rechtsanwalt B. (neben ihm verteidigte noch Rechtsanwalt R. aus N. ) an den Vorsitzenden, die Staatsanwältin fordere eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren "als Grundlage einer Verständigung". Rechtsanwalt B. erklärte, er kenne "die Linie der Kammer" nicht, da er "selten am Landgericht Coburg auftrete" und stellte die "konkrete Frage, wenn der Angeklagte geständig sei, welche Strafe er üblicherweise bei Nachweis des Schuldvorwurfs zu erwarten habe". Zugleich erklärte er, er strebe die Einstellung eines weiteren gegen den Angeklagten geführten Ermittlungsverfahrens gemäß § 154 StPO an. Der Vorsitzende erklärte, im Falle eines Schuldnachweises sei bei einem Geständnis mit einer Strafe "so um die fünf Jahre und sechs Monate" zu rechnen. Über das weiter gegen den Angeklagten anhängige Verfahren wisse er nichts.

Bei Verhandlungsbeginn erklärte der Vorsitzende, das Gericht sei über "Gespräche" zwischen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung informiert worden. Die Staatsanwältin erklärte, bei einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten werde sie das andere Ermittlungsverfahren gemäß § 154 StPO einstellen und bei einem noch zu vollstreckenden Strafrest von zwei Jahren eine Zurückstellung gemäß §§ 35, 36 BtMG vornehmen. Die Verteidigung erklärte, "unter diesen Bedingungen ein Urteil unter Rechtsmittelverzicht zu akzeptieren", das Gericht solle jedoch "überdenken, ob auch eine Gesamtfreiheitsstrafe von nur fünf Jahren in Betracht kommt". Nach umfangreichem weiterem Verfahrensgeschehen - z.B. wurden noch drei Zeugen und ein Sachverständiger gehört, das Gericht gab einen in 15 Punkte gegliederten Hinweis gemäß § 265 StPO, der Angeklagte gab eine Begründung zu einer Beschwerde gegen eine Disziplinarmaßnahme zu Protokoll - beantragte die Staatsanwältin eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren, die Verteidigung schloß sich dem Antrag der Staatsanwaltschaft zum Schuldspruch ausdrücklich an, Rechtsanwalt B. stellte keinen Antrag zum Strafmaß, Rechtsanwalt R. beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. Nach der Urteilsverkündung wurde Rechtsmittelbelehrung erteilt. Beide Verteidiger erklärten: "Wir werden auf Rechtsmittel verzichten und das Urteil annehmen". Daraufhin belehrte der Vorsitzende den Angeklagten, daß er "ungeachtet eines Rechtsmittelverzichts seiner beiden Verteidiger ... sich diesbezüglich frei entscheiden könne". Auf Wunsch des Angeklagten und seiner Verteidiger konnten sie dann in einem gesonderten Raum einen Rechtsmittelverzicht des Angeklagten "in Ruhe miteinander besprechen". Als sie nach fast einer halben Stunde in den Sitzungssaal zurückkamen, erklärte Rechtsanwalt B. , er fühle sich "an die Vereinbarung gebunden". Beide Verteidiger erklärten sodann Rechtsmittelverzicht. Auf die Frage des Vorsitzenden an den Angeklagten, "ob er eine Erklärung abgeben wolle", überlegte dieser nochmals und erklärte dann ("nach Zögern") ebenfalls Rechtsmittelverzicht. Zuletzt verzichtete auch die Staatsanwältin auf Rechtsmittel.

b) Es ist schon fraglich, ob die letztlich ohne Einbeziehung des Gerichts erzielte Übereinkunft von Staatsanwaltschaft und Verteidigung, bei einer bestimmten Strafhöhe auf Rechtsmittel zu verzichten, überhaupt eine "verfahrensbeendende Absprache" ist oder dadurch wird, daß das Gericht von der Absicht entsprechender Gespräche und später von deren Ergebnis unterrichtet wird. Die Auffassung der Revision, der dargelegte Protokollinhalt sei für eine Absprache mit dem Gericht ein unumstößlicher Beweis, vermag dies nicht zu verdeutlichen. Gegen die Annahme einer solchen Absprache könnte immerhin sprechen, daß die Staatsanwältin eine höhere und Rechtsanwalt R. eine niedrigere Strafe als fünf Jahre und sechs Monate beantragt hat. Auch der Umstand, daß etwa die Behandlung des dem Gericht unbekannten Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 154 StPO als "Bedingung" bezeichnet wurde, spricht eher gegen eine Vereinbarung mit dem Gericht.

c) Daß aus der Sicht der Staatsanwaltschaft die Rechtskraft des Urteils Voraussetzung für die von Rechtsanwalt B. für zentral erachtete Verfahrenseinstellung gemäß § 154 StPO war, und daß er sich an die entsprechende Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft "gebunden fühlte", mag nahe liegen. Die Annahme, daß er - oder gar Rechtsanwalt R. im Hinblick auf eine Vereinbarung zwischen der Staatsanwaltschaft und Rechtsanwalt B. - geglaubt habe, rechtlich an der Einlegung einer Revision gehindert zu sein und - sei es deshalb, sei es auch aus einem anderen Grund - den Angeklagten anders als pflichtgemäß beraten und so eine "Willensbeeinträchtigung" herbeigeführt hätte, liegt nicht nahe und wird von der Revision auch nicht konkretisiert.

d) Der Senat braucht hier jedoch weder den genannten Gesichtspunkten noch der Frage einer Unwirksamkeit eines im Rahmen einer verfahrensbeendenden Absprache vereinbarten Rechtsmittelverzichts in irgend einer Richtung nachzugehen. Der Angeklagte wurde - mehrfach - über die Möglichkeit eines Rechtsmittels belehrt und er wurde sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ein Rechtsmittelverzicht der Verteidiger ihn selbst nicht binden würde. Jedenfalls deshalb ist für die Annahme eines im Hinblick auf vorangegangenes Verfahrensgeschehen rechtserheblichen Willensmangels des Angeklagten bei der Abgabe des Rechtsmittelverzichts kein Raum.

e) Schließlich sind auch von alledem unabhängige sonstige Gründe, die gegen die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts sprechen könnten, nicht ersichtlich. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang lediglich, daß für die Behauptung, das Gericht habe (ebenso wie die Verteidiger) den Angeklagten in diesem Zusammenhang "massiv unter Druck gesetzt", noch dazu "in Kenntnis seiner mangelnden Sprachkenntnisse" (vgl. demgegenüber oben 1), jeder Anhaltspunkt fehlt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
IAAAC-11428

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