BGH Beschluss v. - 2 StR 243/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 4; StGB § 20; StGB § 21

Instanzenzug: LG Limburg a. d. Lahn vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachrüge.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im wesentlichen festgestellt:

Nach einer von dem Angeklagten aufgegebenen Kontaktanzeige, mit der dieser eine Frau für gelegentliche erotische Treffs suchte, hatte sich das spätere Tatopfer, Frau H. mit dem Angeklagten verabredet. Bei einem ersten Treffen in seiner Wohnung bot er Frau H. zur Einstimmung auf die geplanten sexuellen Handlungen Sekt an. Sie lehnte ab, lachte und erklärte sinngemäß, mit so etwas wie ihn lasse sie sich nicht ein. Der sexuell erregte Angeklagte fand diese Reaktion unverständlich, wollte aber an dem Geschlechtsverkehr festhalten. Er entschloß sich, Frau H. zu töten, zog sie aus dem Stahlrohrschwingsessel, auf dem sie saß, auf eine Matratze, kniete sich auf die auf dem Rücken liegende Frau und würgte und drosselte sie mit Tötungsvorsatz mindestens drei, wahrscheinlich aber acht bis zehn Minuten. Schließlich schlug er mit einer Flasche zweimal mit solcher Wucht auf den Kopf der Frau H., daß ein Berstungsbruch des Schädeldachs eintrat. Nach der Tötung begann er, sie zu entkleiden und den Geschlechtsverkehr mit der Toten auszuführen, den er abbrach, ohne daß es zum Samenerguß kam.

Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Mord gewertet und das Mordmerkmal zur Befriedigung des Geschlechtstriebs angenommen. Sachverständig beraten ist es von voller Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen. Zwar leide der Angeklagte an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, die als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB zu verstehen sei, diese stehe aber in keinem Zusammenhang mit der Tat. Es habe sich um eine sadistisch aggressive Impulshandlung gehandelt. Da keine Therapiemöglichkeiten bestünden, sei dem Angeklagten die denkbar schlechteste Prognose zu stellen.

II.

Die Begründung, mit der das Landgericht die Voraussetzungen des § 21 StGB ausgeschlossen hat, hält der rechtlichen Prüfung nicht stand (1.). Der darin liegende Mangel erfaßt auch den Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen und der Beweiswürdigung (2.).

1. Auf der Grundlage des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen hat das Landgericht festgestellt, daß der überdurchschnittlich intelligente, nicht vorbestrafte Angeklagte längerfristige, tragfähige Bindungen und Beziehungen weder im beruflichen noch im privaten Bereich habe aufbauen können. Seine intensivste persönliche Beziehung habe er mit einer Frau unterhalten, mit der er vier Monate zusammen war. Mit ihr bestehe seit Jahren eine lockere, auf gelegentliche Kontakte beschränkte Freundschaft. Seine Arbeitsstellen habe er häufig gewechselt, weil er sich ungerecht behandelt gefühlt habe. Schon den Anflug einer Kritik an seiner Person empfinde er in erhöhtem Maß als bedrohlich. Er leide an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, die sich über sein ganzes Leben hinziehe und zu einer deutlichen Beeinträchtigung der sozialen Funktionstüchtigkeit auf der Beziehungsebene und im Arbeitsbereich geführt habe. Von den für diese Diagnosestellung nach ICD 10 erforderlichen Kriterien erfülle der Angeklagte fünf von sieben (ausreichend sind drei Kriterien), unter anderem sei er übertrieben empfindsam bei Rückschlägen und Zurücksetzungen.

Bei diesen Feststellungen zur Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und ihrer Bewertung als schwere seelische Abartigkeit ist die mit dem Sachverständigen übereinstimmende Einschätzung des Landgerichts, die Persönlichkeitsstörung stehe in keinem Zusammenhang mit der Tat, nicht ausreichend begründet. Die Tat geschah im unmittelbaren Anschluß an die Bemerkung des Opfers, die der Angeklagte als Zurückweisung empfunden hat. Unter diesen Umständen hätte es näherer Auseinandersetzung mit der Frage bedurft, ob nicht jedenfalls neben einer sexuellen Motivation die auf seiner Persönlichkeitsstörung beruhende Unfähigkeit des Angeklagten, Kritik zu ertragen, die Tat ausgelöst hat und für ihren Fortgang mitbestimmend war. Die sich auf den Sachverständigen stützenden Ausführungen, ein sexueller Kontakt vor, während oder nach der Tötung lasse "nach der höchsten Wahrscheinlichkeit, die die Psychiatrie kenne" auf eine sexuelle Motivation schließen, ersetzen nicht - unabhängig davon, ob sie in dieser Allgemeinheit zutreffend sind - eine umfassende eigene Auseinandersetzung des Tatrichters gerade mit den Besonderheiten in der Person dieses Angeklagten.

2. Auch die Feststellungen und die Beweiswürdigung zum Schuldspruch leiden an der unzureichenden Erörterung der These des psychiatrischen Sachverständigen, daß ein sexueller Kontakt vor, während oder nach der Tötung mit höchster Wahrscheinlichkeit auf eine sexuell motivierte Tötung schließen lasse. Diese Sichtweise verkürzt die rechtliche Bewertung des Sachverhalts und wird den Besonderheiten des vom Landgericht zugrunde gelegten Mordmerkmals der Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs nicht gerecht.

Der Angeklagte hat sich bei dem Sachverständigen zu einem möglichen sexuellen Motiv dahin eingelassen, jedenfalls am Ende der Tötung "Geilheit" verspürt zu haben, die ihn dann zum Geschlechtsverkehr veranlaßt habe. Auf Nachfrage des Sachverständigen hat er angegeben, daß die "Geilheit" beim Würgen noch nicht aktuell gewesen sei, sie sei erst nach der Tötung entstanden und habe ihn zum Geschlechtsverkehr veranlaßt. Er habe aber kein Vergnügen empfunden, vielmehr sei es eine Kombination von "Geilheit" und so etwas wie Wut oder Haß gewesen (UA S. 15/16). Dieser Einlassung, die auch für einen anders als sexuell motivierten Tötungsentschluß Raum läßt, wird die bisherige Würdigung des Landgerichts nicht gerecht. Schon die Feststellungen sind nicht eindeutig. Einerseits legt das Landgericht dar, der sexuell erregte Angeklagte habe an den zuvor als einvernehmlich erwarteten sexuellen Handlungen festhalten wollen, andererseits führt es aus, daß der Angeklagte "wieder" sexuell erregt war, als er sein - wie er erkannt hatte - totes Opfer entkleidete. Ob ihn die Tötungshandlungen sexuell erregten, hat das Landgericht offen gelassen. Den Umstand, daß der Angeklagte den Geschlechtsverkehr abbrach, ohne zum Samenerguß gekommen zu sein, erörtert das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung zur Motivlage ebenfalls nicht. Das Landgericht hat ersichtlich gemeint, dies alles sei für die rechtliche Bewertung des Geschehens ohne Bedeutung, weil der Annahme einer spontanen Tötung auf Grund einer Kränkung der Umstand entgegenstehe, daß der Angeklagte sein Opfer noch vom Sessel auf die Matratze gezogen habe, worin das Landgericht zudem ein weiteres Indiz für ein sexuelles Motiv sehen will. Dies ist aber nur eine mögliche Erklärung; eine andere ebenso naheliegende ist, daß der Angeklagte so vorging, um sich selbst die Tötungshandlung zu erleichtern, weil der Schwingsessel, in dem das Tatopfer zunächst saß, für einen Angriff mit Würgen kein geeignetes Widerlager bot.

Die Sache bedarf danach erneuter Prüfung. Sollte eine Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs nicht nachzuweisen sein, wird die neue Schwurgerichtskammer gegebenenfalls auch das Mordmerkmal der sonst niedrigen Beweggründe zu prüfen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
YAAAC-11401

1Nachschlagewerk: nein