BGH Urteil v. - 2 StR 468/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 20; StGB § 21; StGB § 177 Abs. 3 Nr. 1; StGB § 177 Abs. 4 Nr. 2 a; StPO § 265; StPO § 265 Abs. 1; StPO § 265 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und festgestellt, daß seine Schuld besonders schwer wiegt.

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechtes rügt.

Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Das Landgericht hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Am befand sich der Angeklagte mit seiner Freundin C. auf der Kirmes in N. . Dort "verlobten" sie sich. Während C. früher nach Hause ging, trank der Angeklagte in einer größeren Gruppe, zu der auch die später getötete S. gehörte, Bier. Der Angeklagte flirtete mit S. und bot ihr an, sie nach Hause zu bringen. Zu zweit gingen sie in Richtung R..

Während des Weges kam es einverständlich zum Austausch von Zärtlichkeiten, insbesondere begannen beide, sich gegenseitig im Genitalbereich anzufassen. Hierbei bemerkte S., daß der Angeklagte keine Erektion bekam. Als S. zu lachen begann, beschimpfte sie der Angeklagte. S. ging weiter und erklärte dabei dem Angeklagten, er werde schon sehen, was passiere. Der Angeklagte fühlte sich gedemütigt und Wut kam in ihm hoch. Er befürchtete, S. würde den Vorfall seiner Freundin C. berichten. Er brüllte S. an und gab ihr eine Ohrfeige. S. holte ihr Handy heraus und sagte, sie werde jetzt sofort C. anrufen. Dabei lachte sie und lief weiter. Der Angeklagte fühlte sich verhöhnt und erniedrigt. Ihn ergriff die Angst, seine Freundin wegen dieses Vorfalls zu verlieren und seine Wut steigerte sich noch. Er war der Ansicht, "wegen so einer Kleinigkeit müsse man doch nicht in der Gegend herumtelefonieren."

Der Angeklagte sah auf dem Boden ein Seil liegen, hob es auf, lief hinter S. her, legte ihr von hinten das Seil um den Hals und zog zu. "Ob er zu diesem Zeitpunkt schon beabsichtigte, S. zu töten, konnte die Kammer nicht ausschließen". Möglicherweise beabsichtigte er zu diesem Zeitpunkt aber auch nur, sie mit Hilfe des Seiles "einzufangen" und möglichen Widerstand auszuschalten, um das Führen des Telefonats zu verhindern und ihr für die von ihm empfundene Kränkung einen Denkzettel zu verpassen. Nach einiger Zeit sackte S. zusammen und fiel auf den Boden. Aus ihrem Mund und ihrer Nase lief Blut. Der Angeklagte zog S. Schuhe, Hose und Slip aus. Das Oberteil, das sie trug, schob er nach oben und zog es ihr mit dem BH über den Kopf in den Nacken. Dann führte er seine Hand mehrfach, zumindest zwei- oder dreimal, bis zur Daumenwurzel in die Scheide der S. ein. Durch diese Einwirkung kam es zu erheblichen Verletzungen der S., die sich - erfolglos - gegen das Vorgehen des Angeklagten wehrte. Die Gewalteinwirkung im Bereich der Scheide überlebte sie zumindest zehn Minuten. Spätestens in dem Augenblick, als er von S. ein Geräusch hörte, "das sich wie ein 'Blubbern' anhörte, wie der Versuch zu atmen" beschloß er, S. zu töten. Er wollte sie jedenfalls auch als Zeugin der zuvor begangenen Vergewaltigung beseitigen.

Er kniete sich auf die linke Seite der am Boden liegenden S. und drückte ihr mit beiden Händen unter Aufwendung seines gesamten Körpergewichts für etwa 30 bis 60 Sekunden den Hals zu. Als er nach dieser Zeit den Hals los ließ, war es still und S. gab keine Lebenszeichen von sich.

2. Die Strafkammer hat eine Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB) bejaht und die Erfüllung der Voraussetzungen der Qualifikationen nach § 177 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4 Nr. 2 a StGB angenommen.

Sie hat weiter das Vorliegen eines Mordes (§ 211 StGB) bejaht und zwar ist sie unabhängig vom Zeitpunkt der Fassung des Tötungsentschlusses von dem Mordmerkmal "Verdeckung einer anderen Straftat" ausgegangen, die in der Vergewaltigung gesehen wird.

Darüber hinaus handelte der Angeklagte nach Auffassung des Tatrichters auch aus niedrigen Beweggründen.

Das Mordmerkmal Heimtücke wurde verneint, da zugunsten des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden könne, daß er erst zu einem Zeitpunkt Tötungsvorsatz gefaßt habe, als S. nicht mehr arglos war.

Insgesamt ist die Strafkammer von Tateinheit ausgegangen (UA S. 35).

II. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils.

1. Allerdings greift nicht schon die Verfahrensrüge durch; diese ist vielmehr unbegründet.

Der Revisionsführer beanstandet eine Verletzung des § 265 Abs. 2 StPO, da ihm vom Gericht kein Hinweis gegeben worden sei, daß seine Schuld besonders schwer wiegen könne. Erst durch den entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft im Schlußplädoyer sei er darauf hingewiesen worden.

Es besteht keine Verpflichtung des Gerichts, gemäß § 265 StPO darauf hinzuweisen, daß neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe die Feststellung der "besonderen Schwere der Schuld" (§ 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) in Betracht kommen könnte (vgl. = StV 1996, 650). Soweit der 1. Strafsenat in seiner Entscheidung vom - 1 StR 140/02 - in einer nicht tragenden Erwägung seine Entscheidung vom ohne nähere Begründung in Frage stellt, folgt der Senat dem nicht, da die Voraussetzungen des § 265 Abs. 1 und Abs. 2 StPO nicht gegeben sind. Auch die Grundsätze fairen Verfahrens, die gebieten, einen Angeklagten vor einer überraschenden Entscheidung zu schützen, erfordern - jedenfalls für den vorliegenden Fall - keinen ausdrücklichen Hinweis an den Angeklagten, daß die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld in Betracht kommt. Bereits durch die Anklage war dem verteidigten Angeklagten bewußt, daß eine Verurteilung wegen Mordes im Raume stand und damit, daß das Gericht eine Entscheidung über die besondere Schwere der Schuld zu treffen hatte. Darauf, ob das Gericht dann tatsächlich die besondere Schwere der Schuld feststellen würde, kam es für einen Hinweis nicht an. Entscheidend ist, daß dem verteidigten Angeklagten diese Möglichkeit bewußt war. Im vorliegenden Fall ergab sich dies bereits aus der Anklage, die den Mordvorwurf erhebt, zwei Mordmerkmale für gegeben erachtet und eine tateinheitlich begangene (besonders schwere) Vergewaltigung annimmt sowie ausdrücklich das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB verneint.

Der Revisionsführer hat danach nicht dargetan, daß - wie vom Sitzungsstaatsanwalt beantragt - die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld für ihn derart überraschend erfolgte, daß er seine Verteidigung hiergegen nicht ausrichten konnte.

2. Die Sachrüge ist jedoch in vollem Umfang begründet.

a) Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß der Angeklagte die Mordmerkmale "zur Verdeckung einer anderen Straftat" und "aus niedrigen Beweggründen" verwirklicht hat.

Der Tatrichter hat seiner Beurteilung zwei Sachverhaltsalternativen zugrunde gelegt. Er hält es zum einen für möglich, daß der Angeklagte erst beim Erwürgen des Opfers Tötungsvorsatz hatte, zum anderen, daß er schon beim Drosseln mit dem Seil, als er dem Opfer hinterhergelaufen war, Tötungsentschluß gefaßt hatte.

Stützt der Tatrichter die Verurteilung des Angeklagten auf unterschiedliche Sachverhaltsvarianten, so müssen sämtliche angenommenen Alternativen die Verurteilung tragen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe S. getötet, um sie als Zeugin der zuvor begangenen Vergewaltigung zu beseitigen, begegnet für die vom Tatrichter für möglich erachtete Sachverhaltsalternative, daß der Angeklagte bereits beim Drosselvorgang mit dem Seil Tötungsvorsatz hatte, rechtlichen Bedenken. Für diese Sachverhaltsalternative fehlt eine tragfähige Grundlage für die Feststellung der Verdeckungsabsicht des Angeklagten.

Die Kammer hat für diese Alternative nicht näher dargelegt, wie sie zu der Annahme gelangt ist, der Angeklagte habe S. getötet, um sie als Zeugin für die zuvor von ihm begangenen Vergewaltigung zu beseitigen. Der Tatrichter führt hierzu an, daß die Feststellungen zum Ablauf der Tat auf der Einlassung des Angeklagten und den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen Dr. G. beruhen. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, daß er zunächst S. getötet und dann bei der Leiche seine Hand eingeführt habe. Der Sachverständige hat ausgeführt, daß S. erst nach dem "Scheideneingriff" getötet worden sei. Weder der wiedergegebenen Einlassung des Angeklagten noch den Ausführungen des Sachverständigen kann eine Verdeckungsabsicht des Angeklagten entnommen werden. Für die Sachverhaltsalternative, daß erst beim Würgevorgang Tötungsvorsatz vorlag, ist diese Schlußfolgerung zwar so naheliegend, daß sie keiner weiteren Begründung bedurfte. Bei der anderen Sachverhaltsalternative (Tötungsvorsatz schon beim Drosselvorgang) genügt aber die schlichte Feststellung, daß der Tötungsakt durch Erwürgen "dann zur Verdeckung dieser anderen Straftat" erfolgte (UA S. 28) nicht; es fehlt an einer nachvollziehbaren Begründung für diese Schlußfolgerung. Geht man davon aus, daß der Angeklagte von vornherein aus Wut mit Tötungsvorsatz gehandelt hat, um S. für die empfundene Kränkung zu bestrafen, worin gerade auch die Motivation für den "Scheideneingriff" gesehen wird (vgl. auch UA S. 28), liegt - wegen des durchgehenden Wutmotivs - die Annahme von Verdeckungsabsicht im Hinblick auf die Vergewaltigung nicht so nahe, daß sie keiner Erläuterung durch den Tatrichter bedurft hätte.

Auch hätte die Annahme, daß in der Vergewaltigung eine "andere" Straftat zu sehen ist, bei dieser Sachverhaltsvariante näherer Begründung bedurft.

Die Bejahung des Mordmerkmals "um eine andere Straftat zu verdekken" durch den Tatrichter beruht danach auf rechtsfehlerhaft getroffener Feststellung hinsichtlich einer der beiden Sachverhaltsalternativen.

b) Dieser Rechtsfehler erfaßt den gesamten Schuldspruch, auch wenn das Mordmerkmal "niedrige Beweggründe" - isoliert gesehen - rechtsfehlerfrei für beide Sachverhaltsalternativen bejaht wurde.

Im Hinblick darauf, daß die Motivationslage des Angeklagten bei der Tötungshandlung rechtsfehlerhaft festgestellt wurde, kann der Senat nicht sicher ausschließen, daß sich dieser Rechtsfehler auch bei der Bejahung des Mordmerkmals "niedrige Beweggründe" ausgewirkt hat, da bei dieser Wertung gerade auch das Motivbündel (UA S. 29), zu dem noch die Verdeckungsabsicht kam, von maßgebender Bedeutung war. Im Hinblick darauf, daß niemand von dem Vorfall - sei es Erektionsstörung, sei es Vergewaltigung - erfahren sollte, sind die Motive miteinander verknüpft.

Auch wenn der aufgezeigte Rechtsfehler allein die tateinheitliche Verurteilung wegen Mordes betrifft und die Verurteilung wegen (besonders schwerer) Vergewaltigung keinen Rechtsfehler aufweist, führt dies doch zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 353 Rdn. 12 m.w.N.).

Da der Senat weiter nicht ausschließen kann, daß ein neuer Tatrichter insgesamt neue Feststellungen - aus medizinischer Sicht war auch nicht auszuschließen, daß sowohl der Drossel- als auch der Würgevorgang nach der Verletzung des Genitalbereichs erfolgte (UA S. 25) - treffen kann, hat er auch die zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) aufgehoben, um widersprüchliche Feststellungen zu vermeiden.

III. Sollte der neue Tatrichter erneut keine sichere Feststellung zum Zeitpunkt des Tötungsentschlusses des Angeklagten treffen können, wird er zu berücksichtigen haben, daß neben dem Mordmerkmal "niedrige Beweggründe" bei der Sachverhaltsalternative "Tötungsvorsatz schon beim Drosselvorgang" das Mordmerkmal "Heimtücke" (vgl. auch UA S. 31) und bei der Sachverhaltsalternative "Tötungsvorsatz erst beim Würgen" das Mordmerkmal "zur Verdekkung einer anderen Straftat" naheliegt.

Der neue Tatrichter hat auch Gelegenheit zu prüfen, ob im Hinblick auf die erhebliche zeitliche Zäsur zwischen dem Drossel- und dem Würgevorgang nicht von Tatmehrheit auszugehen ist. In dem Drosselvorgang könnte zumindest eine rechtlich selbständige gefährliche Körperverletzung gesehen werden.

Fundstelle(n):
AAAAC-10035

1Nachschlagewerk: nein