BGH Urteil v. - 2 StR 421/02

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 20; StGB § 21; StGB § 46 a Nr. 1; StGB § 46; StGB § 177 Abs. 1; StGB § 177 Abs. 2 Nr. 1; StGB § 177 Abs. 3 Nr. 2; StGB § 239 b Abs. 1 2. Alt.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Dagegen wenden sich die Revision des Angeklagten und die - vom Generalbundesanwalt (in der Hauptverhandlung) vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft, die der Sache nach auf den Strafausspruch beschränkt ist.

I.

Das Landgericht hat folgendes festgestellt:

Der zur Tatzeit vierundvierzigjährige, nicht vorbestrafte, bei Tatbegehung möglicherweise vermindert schuldfähige Angeklagte versah sich am Tatabend mit einer Spielzeugpistole seines Sohnes. Er hatte vor "entweder jemanden vor die Schnauze zu hauen, eine Bank zu überfallen oder jemandem sein Auto wegzunehmen". Er stürmte kurz vor 18.00 Uhr bei völliger Dunkelheit aus dem Haus und bemerkte nach wenigen Minuten das Tatopfer, die Zeugin O. Diese hatte vor, mit ihrem Auto von ihrer Arbeitsstelle nach Hause zu fahren. Der Angeklagte bedrohte sie mit der Spielzeugpistole, die sie für eine echte Waffe hielt, und zwang sie, sich so auf den Beifahrersitz ihres Fahrzeugs zu legen, daß sie mit dem Oberkörper und den Armen im Fußraum und mit den Beinen auf dem Beifahrersitz lag. Er setzte sich ans Steuer und fuhr ohne konkretes Ziel davon. Die Zeugin nahm er mit, weil er verhindern wollte, daß sie sofort die Polizei informiert. Schon kurz nach Fahrtantritt faßte er jedoch den Entschluß, die Zeugin, die ihm schutzlos ausgeliefert war, zu vergewaltigen. Als sie während der Fahrt mehrfach versuchte, den Kopf zu heben, schlug er sie auf den Kopf und drohte ihr, sie zu erschießen. Er bog schließlich in einen Feldweg ein, hielt an und forderte die Zeugin auf, auszusteigen. Dies tat sie, weil sie aufgrund der zuvor ausgestoßenen Drohungen, wie der Angeklagte erkannte, große Angst hatte. Er fesselte die Arme der Zeugin, zog ihr seine Mütze über den Kopf, so daß Augen und Nase bedeckt waren, und umwickelte sie mit Klebeband. Die Zeugin mußte sodann den Oralverkehr an dem Angeklagten ausüben. Anschließend vollzog der Angeklagte mit der Zeugin, die er gewaltsam entkleidet hatte, den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß. Die Zeugin ließ dies aus Angst ohne Gegenwehr über sich ergehen. Anschließend mußte sie sich in den Kofferraum legen. Der Angeklagte fuhr in die Nähe des Ausgangsortes zurück und ließ das Fahrzeug verschlossen auf einem Feldweg stehen. Den Schlüssel warf er weg. Die Zeugin wurde einige Zeit später von der Polizei gefunden. Als die Polizei im Rahmen der Ermittlungen zur Abgabe freiwilliger Speichelproben aufforderte, stellte sich der Angeklagte und legte ein umfassendes Geständnis ab. Die Zeugin hatte zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung - 5 1/2 Monate nach der Tat - das Geschehen nicht verarbeitet, sie war seit dem Tattag nicht fähig, ihren Beruf auszuüben und befand sich in psychiatrischer Behandlung. Der Angeklagte hat angeboten, der Geschädigten Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 17.500 Euro durch Abtretung seiner vom Arbeitgeber zu zahlenden Abfindung zu leisten. Zur Einigung war es bis zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht gekommen, der Angeklagte hatte aber bereits 5.000 Euro an die Nebenklagevertreterin überwiesen.

II.

1. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg:

a) Das Landgericht hat das Tatgeschehen rechtsfehlerfrei als Geiselnahme gemäß § 239 b Abs. 1 2. Alt. StGB in Tateinheit mit Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 StGB gewürdigt. Entgegen der Ansicht der Revision begegnet die Annahme einer Geiselnahme keinen Bedenken. Der Angeklagte hatte die Zeugin entführt und sich ihrer bemächtigt, als er sie zwang, in das Fahrzeug zu steigen und mitzufahren. Er hatte damit eine Zwangslage für die Zeugin geschaffen, die sie seinem ungehemmten Einfluß aussetzte und die er in der Folge nutzte, um sie mit jedenfalls konkludenten Todesdrohungen zur anschließenden Duldung der Fesselung und zu den sexuellen Handlungen zu nötigen. Während der Fahrt hatte er der Zeugin mehrfach mit Erschießen gedroht. Aufgrund dieser Drohungen folgte sie, als der Angeklagte auf dem Feldweg hielt, seinen Weisungen und leistete keine Gegenwehr. Dies hat der Angeklagte, wie das Landgericht ausdrücklich festgestellt hat, auch erkannt. Unter diesen Umständen fehlt es weder an einer qualifizierten Drohung zur Erzwingung bzw. Duldung der sexuellen Handlungen noch an einer stabilisierten Zwischenlage. Der Angeklagte hat die Zeugin nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer Bemächtigung mit vorgehaltener Waffe zu einer sexuellen Handlung genötigt, sondern hatte sie jedenfalls einige Zeit in seine Gewalt gebracht, um diese Lage zu weiteren Nötigungen auszunutzen, wobei die Todesdrohungen fortwirkten.

b) Ein Rechtsfehler ist auch nicht darin zu sehen, daß die Strafkammer eine Strafrahmenmilderung nach § 46 a Nr. 1 StGB nicht erörtert hat. Abgesehen davon, daß eine Vereinbarung über eine Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlung zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht getroffen worden war, auch wenn der Angeklagte bereits 5.000 Euro gezahlt hatte, ist ein nach dieser Vorschrift vorausgesetzter kommunikativer Prozeß zwischen dem Angeklagten und der Zeugin O., die dem Angeklagten nach den Urteilsfeststellungen mit tiefem Haß begegnet, ersichtlich nicht zustande gekommen. Die Wiedergutmachungsbemühungen des Angeklagten sind aber nach § 46 StGB strafmildernd berücksichtigt worden.

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich dagegen wendet, daß die Kammer von verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen ist, ist begründet.

Nach den Feststellungen litt der Angeklagte, der seit über 20 Jahren als Busfahrer tätig war, aufgrund der von ihm als sehr belastend empfundenen Arbeitsbedingungen unter streßbedingten psychischen Beeinträchtigungen. Ihm wurden mehrfach, darunter auch psychosomatische Kuren verordnet, die aber zu keiner Besserung führten. Zeitweise befand er sich in psychiatrischer Behandlung. In den letzten Monaten vor der Tat wurde der Angeklagte, der sich den beruflichen Anforderungen nicht mehr gewachsen fühlte, bei seinen Fahrten des öfteren von seiner Ehefrau oder seinem Sohn begleitet. Am Tattag hatte der Angeklagte, der bis ca. 16.00 Uhr gearbeitet hatte, in mehreren Fällen Ärger mit den Fahrgästen, was ihn aufs äußerste erregt hatte. Bevor er zum Lauftraining sein Haus verließ, nahm er nach seiner unwiderlegten Einlassung eine Tablette Speed ein und sprühte ein Asthma-Spray. Er fühlte sich von Unruhe getrieben und bemerkte, daß sein Puls raste.

Das Landgericht hat eine vorübergehende krankhafte seelische Störung nicht ausgeschlossen und sich dabei ersichtlich auf die Feststellungen der Sachverständigen zur Persönlichkeit und Tatsituation gestützt. Danach ist die Persönlichkeit des Angeklagten durch eine hohe Selbstunsicherheit und Sensibilität gegenüber Belastungs- und Frustrationssituationen gekennzeichnet. Er sei nicht in der Lage, eine destabile Situation von sich aus zu verbessern. In einer solchen destabilen Situation habe er sich aufgrund zunehmender beruflicher Existenzängste und von Kränkungen und Enttäuschungen am Arbeitsplatz subjektiv befunden und dieser hilflos gegenübergestanden. Die körperlichen Symptome vor der Tat könnten Ausdruck einer bereits länger andauernden akuten Belastungsreaktion sein. Während die Sachverständige aber eine affektiv-aggressive Aufladung im Sinne eines psychotischen Zustands aufgrund der schlüssigen Schilderung der unmittelbaren Vorgeschichte der Tat, der zielgerichteten Vorgehensweise in Verbindung mit der situativen Anpassungsfähigkeit sowie des Fehlens von Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten während der Tat ausgeschlossen und eine Beeinträchtigung seiner Fähigkeit zu einsichtsgemäßem Handeln verneint hat, wobei die eingenommene Tablette Speed keine Rolle gespielt habe, hat die Strafkammer entscheidend auf das nicht feststellbare Motiv des Angeklagten für die Tatbegehung abgestellt. Es sei denkbar, daß der Angeklagte "zwanghaft einen Ausweg aus dieser beruflichen Streßsituation gesucht und gefunden hat, ohne dabei rational vorzugehen, sondern getrieben und beherrscht, von der Vorstellung handeln zu müssen, etwas getan hat, was er in seiner Situation kaum verhindern oder stoppen konnte".

Diese Erwägungen begegnen durchgreifenden Bedenken. Die Ausführungen des Landgerichts leiden schon daran, daß die Einordnung des Zustands, der bei dem Angeklagten bei Tatbegehung möglicherweise bestanden haben soll, als eine vorübergehende krankhafte seelische Störung unklar ist und eine nachprüfbare Darlegung anhand der für die Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB entwickelten Kriterien vermissen läßt. Soweit dem Urteilszusammenhang entnommen werden kann, daß das Landgericht von einer akuten Belastungssituation mit affektiv-aggressiver Aufladung ausgegangen ist, ist zudem eher an eine nicht krankhafte seelische Störung im Sinne einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung (Affekt) zu denken (vgl. Foerster/Venzlaff, Die "tiefgreifende Bewußtseinsstörung" in Psychiatrische Begutachtung, 2. Aufl., S. 245 f., 246). Schon deshalb kann der Senat nicht prüfen, ob das Landgericht die zutreffenden rechtlichen Maßstäbe angelegt hat. Schon vom Ansatz her verfehlt ist es zudem, daß das Landgericht in diesem Zusammenhang entscheidend auf das nicht feststellbare Tatmotiv abstellt und mangels eines feststellbaren Motivs zugunsten des Angeklagten von einer zwanghaften, von ihm kaum zu verhindernden Entladung aus einer beruflichen Streßsituation ausgeht. Für die Annahme einer Affekttat sind von der Rechtsprechung und Psychiatrie Merkmale herausgearbeitet worden, die zwar im Einzelfall unterschiedlich zu gewichten sind und nicht alle jeweils vorliegen müssen (vgl. im einzelnen Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 57), mit denen sich das Urteil aber im Rahmen einer - hier nicht vorliegenden - Gesamtwürdigung auseinandersetzen muß (Tröndle/Fischer, StGB, 51 Aufl. § 20 Rdn. 33).

Der Strafausspruch kann danach keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht ausschließen, daß der Strafausspruch auf diesem Rechtsfehler beruht, auch wenn das Landgericht die an sich nicht schuldunangemessene Freiheitsstrafe von sechs Jahren auch bei Anwendung des Normalstrafrahmens hätte verhängen können.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
UAAAC-09941

1Nachschlagewerk: nein