Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 120 Abs. 1; StPO § 126 Abs. 3; StPO § 244 Abs. 3 Satz 2; StPO § 244 Abs. 6
Instanzenzug:
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer vorangegangenen Verurteilung (zweimal Freiheitsstrafen von einem Jahr, viermal Freiheitsstrafe von zehn Monaten und einmal Freiheitsstrafe von drei Monaten) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren (Einzelstrafe vier Jahre) verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er auf Verfahrensrügen und die Sachrüge stützt.
I.
Das Landgericht hat folgendes festgestellt:
In der Nacht zum fuhren der Angeklagte, - dieser als Fahrer -, der mit ihm befreundete M. und ein weiterer jugoslawischer Staatsangehöriger F. zum Haus des Geschäftsmanns S., in dem sich dessen Wohnung und Geschäftsräume befanden. Während der Angeklagte vor dem Haus im PKW wartete, brachen F. und M. - entsprechend einem vorher gefaßten Plan, in den auch der Angeklagte eingeweiht war - in das Haus des S. ein und forderten von dem im Schlaf überraschten S. unter Drohung mit der von F. mitgeführten Gaspistole Geld. Als S. einem der Täter die Maskierung herunterriß, schlug F. mit der Waffe auf ihn ein. Unter dem Eindruck der Gewaltanwendung übergab S. ihnen 1.200 DM. Als die Täter nach weiteren Wertgegenständen und dem Tresorschlüssel suchten, gelang es S., den M. durch einen Schlag mit einem Leuchter zu verletzen und zu flüchten. M. und F. brachen die weitere Tatausführung ab und flohen mit dem von dem Angeklagten gesteuerten Fahrzeug.
Der Angeklagte hat seine Tatbeteiligung bestritten. Das Landgericht hat seinen Feststellungen die Angaben des M. zugrunde gelegt, die dieser am 5. und bei seiner polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter und insbesondere in der Hauptverhandlung in seinem eigenen Verfahren am gemacht hatte und die durch die Vernehmung der Kriminalbeamten und des Vorsitzenden Richters in dem damaligen Verfahren eingeführt wurden. Zudem hat es Briefe und insbesondere Mitteilungen in einem Kassiber verwertet, die M. an seine Lebensgefährtin Melanie S. geschrieben hatte.
M. ist wegen dieser Tat am unter Einbeziehung zweier Geldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Im November 2001 ist M. verstorben. Der Tatbeteiligte F. war unbekannten Aufenthalts und konnte nicht vernommen werden. Der Geschädigte war bereits 1997 verstorben. Der Angeklagte war am in den Kosovo ausgereist. Er wurde im Juli 2003 nach Deutschland überstellt, nachdem er aufgrund eines Auslieferungshaftbefehls des Amtsgerichts Koblenz in Oslo festgenommen worden war.
II.
1. Die Revision ist unbegründet, soweit sie Freispruch auf der Grundlage eines behaupteten Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) EMRK erstrebt.
a) Die Revision beanstandet, daß der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt des gegen ihn geführten Verfahrens den Belastungszeugen M. habe befragen können, das Urteil sich aber allein auf dessen - durch Zeugen vom Hörensagen mittelbar in die Hauptverhandlung eingeführte - Aussage stütze. Dies sei weder nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) EMRK noch nach der des Bundesgerichtshofs zulässig, die unter Berücksichtigung der Entscheidungen des EGMR zur Auslegung der Konvention ergangen ist (vgl. insbesondere BGHSt 46, 93, 94 f. mit Anmerkungen u.a. Kunert, Karl H. NStZ 2001, 217; Fezer, Gerhard JZ 2001, 359; Gleß, Sabine NJW 2001, 3606; Franke, Ulrich GA 2002, 573; Klemke, Olaf StV 2003, 413).
b) Das Recht des Angeklagten, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen, leitet sich aus dem Grundsatz des fair trial ab und ist durch Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantiert, die im Range eines Bundesgesetzes in der deutschen Rechtsordnung gilt und bei der Interpretation des nationalen Rechts zu berücksichtigen ist ( Rdn. 30 f. = NJW 2004, 3407 ff.).
Wer als Belastungszeuge im Sinne der Konvention anzusehen ist, ist in der Konvention eigenständig bestimmt. Zeuge in diesem Sinne kann daher auch der Mitbeschuldigte sein, der - wie hier - in seinem früheren Verfahren als Beschuldigter ausgesagt hat (vgl. Esser, Auf dem Wege zu einem europäischen Strafverfahrensrecht S. 630 m.w.N.). Auch wenn die Befragung des Zeugen grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung erfolgen soll, schließt dies die Verwertung von Aussagen, die im Vorverfahren oder sonst außerhalb der Hauptverhandlung gemacht wurden, nicht aus, wenn dem Angeklagten - entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium - eine angemessene und geeignete Gelegenheit gegeben wird, den Zeugen selbst zu befragen oder befragen zu lassen. Aber selbst wenn eine Konfrontation des Angeklagten mit dem Zeugen zu keinem Zeitpunkt erfolgt ist, ist ein Konventionsverstoß nicht angenommen worden, wenn das Verfahren insgesamt fair war. So hat der EGMR einen Konventionsverstoß in einem Fall verneint, bei dem eine Befragung des Belastungszeugen durch die Angeklagten deshalb nicht erfolgen konnte, weil der Zeuge im Laufe des Verfahrens verstorben war und weder Justiz noch Polizei für die unterbliebene Konfrontation verantwortlich waren (EGMR, Ferrantelli u. Santangelo ./. Italien vom - 48/1995/554/640). Auch in den Fällen, in denen der Belastungszeuge unauffindbar war und deshalb eine Konfrontation des Beschuldigten mit dem Zeugen unterblieben war, führte dies unter diesen Voraussetzungen nicht zur Annahme eines Konventionsverstoßes (vgl. Esser, aaO S. 648 ff. m.w.N.). Gefordert wurde jedoch stets, daß das Gericht die Aussage des Belastungszeugen detailliert analysiert und sie durch andere Beweismittel Bestätigung findet. Auch der Bundesgerichtshof hat in konventionskonformer Auslegung - allerdings in Fällen, in denen die unterbliebene Konfrontation der Justiz zuzurechnen war - darauf abgestellt, daß die Zeugenaussage nicht das einzige Beweismittel sein darf, sondern durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage gestützt werden muß (vgl. BGHSt 46, 93, 95 f.; ; vgl. auch ).
c) Diesen Grundsätzen wird das angefochtene Urteil gerecht. Ein Konventionsverstoß liegt nicht vor.
Im vorliegenden Fall trifft weder Polizei noch Justiz ein Verschulden an der unterbliebenen Konfrontation des Angeklagten mit dem Belastungszeugen. Als M. in seinem eigenen Verfahren die den Angeklagten belastenden Aussagen machte, war der Angeklagte bereits aus Deutschland ausgereist und konnte in dem alsbald gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren weder vernommen noch aufgrund des gegen ihn erlassenen Haftbefehls verhaftet werden. Nur wenige Monate danach war M. verstorben.
Den Behauptungen des Angeklagten, M. habe aus Eifersucht ihn falsch belastet, ist die Kammer grundsätzlich anhand der in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel, insbesondere der vorgelegten Briefe, die M. an Melanie S. geschrieben hatte, nachgegangen. Insbesondere hat die Kammer ihre Überzeugung von der Mittäterschaft des Angeklagten nicht allein auf die durch die Vernehmungspersonen eingeführte Aussage des M. gestützt, sondern diese gerade auch durch seinen unter Umgehung der Postkontrolle nach den polizeilichen Vernehmungen im Juni 2001 aus der Untersuchungshaft an Melanie S. geschriebenen Brief bestätigt gefunden. Daß es sich dabei ebenfalls um Angaben des M. handelte, steht der Würdigung als selbständiges Beweismittel nicht entgegen. Sie sind bei anderen Gelegenheiten gemacht worden und waren gerade nicht für Polizei und Justiz bestimmt, sondern für seine Lebensgefährtin. Ihnen konnte deshalb ein eigener und von der Strafkammer ersichtlich als erheblich angesehener Beweiswert zugemessen werden.
2. Die Revision hat aber mit einer Verfahrensrüge nach § 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 6 StPO Erfolg.
a) Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung die Einvernahme des Strafgefangenen Sch. zum Beweis der Behauptungen beantragt, die dieser in seinem Schreiben an den Verteidiger des Angeklagten aufgestellt und eidesstattlich versichert hatte. In jenem - verlesenen - Schreiben heißt es, daß sich der Zeuge in der Zeit von Mai 2000 bis zum in der JVA Koblenz befunden und in Abteilung III zusammen mit M. gelegen habe. Im Spätsommer habe er durch Gespräche mit M. erfahren, daß dieser aus Eifersuchtsgründen jemanden eines Raubes belasten wollte, den derjenige nicht begangen habe. Hierbei habe es sich um einen Kosovo-Albaner " Q. " gehandelt. Die Strafkammer hat diesen Antrag zurückgewiesen, weil die Tatsache, die bewiesen werden solle, für die Entscheidung der Kammer aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung sei, und im übrigen ausgeführt, "denn selbst wenn der Zeuge die Tatsache, die bewiesen werden solle, bestätige, daß M. ihm etwas erzählt hätte, würde dies nur den möglichen, nicht den zwingenden Schluß zulassen, M. hätte in Bezug auf den Angeklagten gelogen".
b) Bei dem Antrag handelte es sich um einen Beweisantrag, mit dem, auch soweit die Formulierung "aus Eifersuchtsgründen" unterschiedlicher Auslegung zugänglich ist, konkrete und bestimmte Tatsachen behauptet werden. Sie ist vor dem Hintergrund des in der Hauptverhandlung eingehend erörterten möglichen Motivs für eine etwaige Falschbelastung des Angeklagten durch M. zu sehen. M. hatte seit Anfang 2000 mit der - seit Oktober 2000 geschiedenen - Ehefrau des Angeklagten Melanie S. eine intime Beziehung unterhalten, aus der im Januar 2001 eine Tochter hervorgegangen ist. Der Angeklagte hat behauptet, M. sei extrem eifersüchtig gewesen, er habe ihn, den Angeklagten, ins Gefängnis bringen wollen, denn er habe befürchtet und verhindern wollen, daß die Zeugin Melanie S. zu dem Angeklagten zurückkehre. Melanie S. hatte dies - als Zeugin vernommen - bestätigt, die Kammer hat ihre Aussage jedoch nicht für glaubhaft angesehen.
Zwar ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht verwehrt, Indiztatsachen als für die Entscheidung bedeutungslos zu betrachten, wenn er eine mögliche Schlußfolgerung, die der Antragsteller erstrebt, nicht ziehen will. Jedoch muß nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Beschluß, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsachen abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihnen keine Bedeutung beimißt. Wird die Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Umständen gefolgert, so müssen die Tatsachen angegeben werden, aus denen sich ergibt, warum die unter Beweis gestellte Tatsache, selbst wenn sie erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen könnte (BGH NStZ 1997, 503; NStZ-RR 2002, 68 f. m.w.N.). Die erforderliche Begründung entspricht grundsätzlich den Begründungserfordernissen bei der Würdigung von durch Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen. Die Ablehnung des Beweisantrags darf nicht dazu führen, daß aufklärbare, zugunsten eines Angeklagten sprechende Umstände der gebotenen Gesamtabwägung im Rahmen der Beweiswürdigung entzogen werden (BGH StV 2003,
369 f.).
Diesen Anforderungen wird der Beschluß der Kammer nicht gerecht. Seine Begründung beschränkt sich im wesentlichen auf die sinngemäße Wiederholung des Gesetzeswortlauts. Eine Erklärung, warum die Kammer die unter Beweis gestellten Indiztatsachen zur Glaubhaftigkeit bzw. Unglaubhaftigkeit der Angaben des M. als bedeutungslos angesehen hat, erfolgt ebenso wenig wie eine Einfügung und Würdigung der Beweistatsache - die so zu behandeln ist, als sei sie bewiesen - in das bisher gewonnene Beweisergebnis. Die Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache verstand sich hier aber nicht von selbst, zumal an die Überprüfung des Beweiswerts der Angaben des Zeugen M. aufgrund der gegebenen Verfahrenssituation besondere Anforderungen zu stellen waren, wie sie auch der Grundgedanke des Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) EMRK nahelegt. Die Beweislage war schwierig, da M. als wesentlicher Belastungszeuge nicht zur Verfügung stand. Die Frage einer Falschbelastung des Angeklagten durch M. war von entscheidender Bedeutung für die Beweiswürdigung der Kammer. Eine Bestätigung der unter Beweis gestellten Tatsache war mit dem bisherigen Beweisergebnis nicht ohne weiteres vereinbar und hätte möglicherweise zu einer anderen Gewichtung der weiteren Beweismittel geführt. Unter diesen Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Verurteilung des Angeklagten auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht.
Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung der Verurteilung. Auf die weitere Verfahrensrüge und die Sachrüge kommt es danach nicht an.
III.
Die beantragte Aufhebung des Haftbefehls kommt nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des § 126 Abs. 3 i.V.m. § 120 Abs. 1 StPO nicht vorliegen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
SAAAC-09424
1Nachschlagewerk: nein