Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 349 Abs. 4; StGB § 227; StGB § 16
Instanzenzug: LG Oldenburg vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte entsprechend einer Übereinkunft mit seiner Ehefrau die nächtliche Pflege und Versorgung des gemeinsamen, zur Tatzeit erst knapp einen Monat alten Sohnes Hendrik übernommen. Das Kind war für den Angeklagten "ein Wunschkind". Es wurde von ihm stets ordnungsgemäß versorgt und zu keiner Zeit mißhandelt oder vernachlässigt. In den ersten Stunden des Tattages legte sich der Angeklagte, nachdem er das schreiende Kind noch einmal versorgt, gewickelt und beruhigt hatte, zu Bett. "Vermutlich gegen 06.00 Uhr" schreckte der Angeklagte aus dem Schlaf auf, weil Hendrik laut schrie. Er redete zunächst ruhig auf das Kind ein, nahm es dann "müde und genervt" aus dem Bett. Sodann hob er den Säugling vor seine Brust und schüttelte ihn, um ihn ruhig zu stellen, "mindestens einmal" so heftig, daß er mit dem Schreien aufhörte. Bei dem Kind kam es dadurch zu ausgedehnten Hirnblutungen und einer Hirnschwellung. Es verstarb an zentraler Lähmung, nachdem ein vom Angeklagten verständigter Notarzt nicht mehr helfen konnte.
Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht festgestellt: Dem Angeklagten sei es "bewußt (gewesen), daß er mit dieser Mißhandlung zugleich eine Körperverletzung verursachen konnte". Als er das Kind zurückgelegt habe, sei ihm "klar (gewesen), daß er mit dem Schütteln zu weit gegangen war und dem Kind möglicherweise ernsthaft geschadet hatte". Er habe gewußt, "daß er dadurch eine Körperverletzung verursacht haben konnte, was er billigend in Kauf nahm". Das Bewußtsein möglicherweise tödlicher Folgen des Schüttelns sei ihm "unmittelbar danach gegenwärtig" gewesen.
2. Die Ausführungen des Urteils zur inneren Tatseite halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Es bestehen bereits Bedenken, ob die vom Landgericht festgestellten Vorstellungen und Einschätzungen des Angeklagten zu den Folgen seines Handelns den subjektiven Tatbestand einer Körperverletzung mit Todesfolge erfüllen.
In subjektiver Hinsicht setzt § 227 StGB den Vorsatz einer Körperverletzung voraus. Dieser Vorsatz, der - als hier allein in Betracht kommender bedingter Vorsatz - nur dann gegeben ist, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, daß er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch unerwünscht sein (BGHSt 36, 1, 9), muß nach § 16 StGB " bei der Begehung der Tat", also im Zeitpunkt der Handlung vorliegen, die den Körperverletzungserfolg zur Folge hat. Zu diesem Zeitpunkt muß bei dem Täter das für den Vorsatz erforderliche Wissen in aktuell wirksamer Weise vorhanden sein (BayObLG NJW 1977, 1974). Bloßes nicht in das Bewußtsein gelangtes Wissen oder ein nur potentielles Bewußtsein reicht nicht aus. Ebensowenig vermag früheres Wissen, das beim Täter zum Zeitpunkt der Tat nicht mehr vorhanden ist, oder eine erst nach der Tat erlangte Kenntnis das Wissenselement des Vorsatzes zu begründen (vgl. BGH NStZ 1983, 452; BGHSt 10, 151, 153).
Daß der Angeklagte - gemessen an den sich daraus ergebenden Anforderungen - den Vorsatz einer körperlichen Mißhandlung seines Sohnes oder der Beschädigung seiner Gesundheit hatte, als er dazu ansetzte, ihn einmal zu schütteln, läßt sich den vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht hinreichend sicher entnehmen. Dabei mag dahingestellt bleiben, ob die Feststellung, dem Angeklagten sei "bewußt (gewesen), daß er eine Körperverletzung verursachen konnte," in Verbindung mit nachfolgenden Ausführungen auch im Hinblick auf die voluntative Seite des Vorsatzes als ausreichend angesehen werden könnte. Denn jedenfalls lassen die sich unmittelbar anschließenden Wendungen des Urteils besorgen, daß das Landgericht seine Prüfung nicht auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlung bezogen hat: Daß dem Angeklagten bewußt wurde, daß er dem Kind "möglicherweise geschadet hatte", bzw. daß er billigend in Kauf nahm, daß er "eine Körperverletzung verursacht haben konnte", besagt nichts über seine Vorstellungen, Folgeneinschätzungen und Einstellungen "bei Begehung der Tat" im Sinne des § 16 StGB.
b) Selbst wenn man aber die Wendungen des angefochtenen Urteils, die auf einen unzutreffenden zeitlichen Bezugspunkt der Vorsatzprüfung hindeuten, als nur sprachlich verunglückt ansehen und die getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite als ausreichend werten wollte, könnte der Schuldspruch keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite nicht den insoweit zu stellenden Anforderungen gerecht wird.
Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei dargelegt, daß es dem Angeklagten, der keinen Tötungsvorsatz gehabt habe, möglich gewesen sei, vor-auszusehen, daß sein Sohn als Folge des Schüttelns zu Tode kommen könnte. Mit dem Nachweis des Körperverletzungsvorsatzes hat sich das Landgericht in seiner Beweiswürdigung aber nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Das muß hier zur Aufhebung des Urteils führen, weil sich die Annahme, der Angeklagte habe mit Körperverletzungsvorsatz gehandelt, unter den festgestellten Umständen keinesfalls von selbst versteht. Allerdings ist allgemeinbekannt, daß ein heftiges Schütteln eines nur einen Monat alten Säuglings in der festgestellten Weise zu einer erheblichen Beeinträchtigung seines körperlichen Wohlbefindens und zu einer - sogar lebensgefährdenden - Beschädigung seiner Gesundheit führen kann. Hier hätte es aber näherer Darlegung bedurft, daß sich der Angeklagte dieser - auch ihm erkennbaren Gefahr - im Zeitpunkt der Vornahme der gefährlichen Handlung aktuell bewußt war und er den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges billigend in Kauf genommen hat. Zu dieser Erörterung, deren Fehlen um so mehr zu vermissen ist, als das Landgericht die Vorsatzprüfung möglicherweise auf einen falschen Zeitpunkt bezogen hat, bestand insbesondere deshalb Anlaß, weil der Angeklagte das Kind "nur einmal" schüttelte (hiervon ist im Rahmen der revisionsrechtlichen Prüfung aufgrund der Feststellung "mindestens einmal" in diesem Zusammenhang auszugehen) und dabei - wie weiter festgestellt - "in einer erheblichen Streßsituation" und "affektiv erregt" war. Bei einem solchen Sachverhalt mag es - anders als in Fällen mehrfachen heftigen Schüttelns eines Säuglings, in denen die Gefährlichkeit der Handlung dem Täter spätestens durch die ersten unkontrollierten Bewegungen des kindlichen Kopfes deutlich vor Augen treten - durchaus sein, daß dem Angeklagten die Gefährlichkeit seines Tuns nicht nur in Bezug auf die mögliche Todesfolge, sondern auch schon im Hinblick auf die Gefahr eines bloßen Körperverletzungserfolges nicht in das Bewußtsein gedrungen ist, er seinen Sohn - wie er auch in seiner polizeilichen Vernehmung angegeben hat - also nicht verletzen wollte. Dafür könnte im übrigen auch sprechen, daß er sein Kind, das er liebte und sorgevoll pflegte, auch sonst nicht mißhandelte.
3. Nach allem ist das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
CAAAC-08252
1Nachschlagewerk: nein