Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 63; StGB § 21; StGB § 20
Instanzenzug: LG Rostock vom
Gründe
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen einer im Zustand der zumindest verminderten Schuldfähigkeit begangenen Körperverletzung und Bedrohung (§§ 223 Abs. 1, 241 Abs.1, 52, 21 StGB) angeordnet. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer suchte der seit einigen Monaten depressiv gestimmte Beschuldigte aufgrund eines tags zuvor gefaßten Tatplans seine Bekannte J. auf, um sie mit einem Beil zu töten, da er sich in sie verliebt hatte und sie, die seine Gefühle nicht erwiderte, "in wahnhafter Verkennung der Realität für seinen Zustand verantwortlich machte" (UA 6). Nachdem er sie mit den Worten "Na du Schlampe, hast du Lust zu sterben?" angesprochen und ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte, ging er mit erhobenem Beil auf sie zu, woraufhin sie in Todesangst flüchtete. Der Beschuldigte folgte ihr noch kurz, gab jedoch sein Vorhaben auf, da er dies "doch nicht übers Herz bracht(e)" (UA 9).
Das Landgericht ist - sachverständig beraten - davon ausgegangen, daß beim Beschuldigten eine überdauernde Persönlichkeitsstörung vom schizoid-antisozialen Typ als schwere andere seelische Abartigkeit und zudem im Tatzeitraum eine hierauf gründende wahnhaft-depressive Psychose (UA 14) in der Form eines "sensitiven Beziehungswahns" (UA 12) als krankhafte seelische Störung bestand. Davon ausgehend, hat die Strafkammer - auch darin dem Sachverständigen folgend - gemeint, daß durch das Zusammenwirken beider geistig-seelischen Störungen "die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten in das Unrecht seines Handelns möglicherweise aufgehoben", zumindest aber erheblich vermindert gewesen sei (UA 13, ebenso UA 8).
2. Damit sind die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB unbeschadet der Gefährlichkeitsprognose durch das Landgericht nicht hinreichend belegt. Die Anordnung nach § 63 StGB setzt die positive Feststellung eines länger andauernden geistig-seelischen Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.). Davon ist das Landgericht zwar ausgegangen. Es hat jedoch nicht bedacht, daß nach ständiger Rechtsprechung eine lediglich verminderte Einsichtsfähigkeit strafrechtlich erst dann von Bedeutung ist, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. nur BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 21 Rdn. 3 m.w.N.). Der Täter, der trotz generell verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert ist - voll schuldfähig (BGHSt 21, 27, 28; 34, 22, 25 f.). Fehlt dagegen bei der Tat die Unrechtseinsicht infolge generell verminderter Einsichtsfähigkeit, so ist für § 21 StGB nur Raum, wenn dies dem Täter vorzuwerfen ist; ohne Schuld (§ 20 StGB) handelt der Täter unter diesen Umständen nur dann, wenn ihm das Fehlen der Unrechtseinsicht nicht vorzuwerfen ist (st. Rspr.; BGHSt 40, 341, 349; 42, 385, 389; BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 2, 3; § 21 Einsichtsfähigkeit 1 bis 5; § 63 Tat 4). Hiermit hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt.
Ob hiernach die Strafkammer die Anwendung des § 21 StGB zu Recht bejaht hat, kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden, weil sich das Urteil nur zur Einsichts-, nicht aber auch zur Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten verhält. Der Senat vermag dem Urteil auch nicht zu entnehmen, daß sich das Landgericht lediglich im Ausdruck vergriffen und die Steuerungsfähigkeit als zumindest erheblich vermindert angesehen hat. Dagegen spricht nicht nur die wiederholte Bezugnahme auf die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht, sondern auch der Zusammenhang mit der vom Landgericht mit dem Sachverständigen in den Vordergrund gestellten Wahnproblematik, die in erster Linie die Einsichtsfähigkeit berührt, während das Landgericht die vor allem die Steuerungsfähigkeit berührende alkoholische Beeinträchtigung beim Beschuldigten gerade als "nicht ... wesentlich" (UA 13) angesehen hat.
Eine nicht ausschließbar lediglich erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit bei der Tat genügt aber - wie dargelegt - für die sichere Annahme von § 21 StGB nicht und ebensowenig für eine Anordnung nach § 63 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 207). Anders verhielte es sich, wenn sich das Landgericht von einem vollständigen Fehlen der Unrechtseinsicht überzeugt hätte. Das ist indes entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht der Fall. Gegen eine fehlende Unrechtseinsicht bei der Tat sprechen hier zudem auch die Umstände, die das Landgericht zutreffend als freiwilligen Rücktritt vom Totschlagsversuch gewertet hat. Über die Maßregelanordnung ist deshalb neu zu entscheiden.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß die Schuldfähigkeitsbeurteilung durch den neuen Tatrichter - tunlichst unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen - eingehenderer Prüfung als bisher bedarf. Insbesondere wird sich der neue Tatrichter um eine eindeutige Zuordnung des Zustands des Beschuldigten zu den Eingangsmerkmalen des § 20 StGB zu bemühen haben. Eine nähere Darlegung war hier schon deshalb geboten, weil depressive wie auch wahnhafte Elemente einer Persönlichkeitsstörung anhaften können, ohne zugleich eine krankhafte seelische Störung i.S.d. §§ 20, 21 StGB zu begründen (vgl. BGHR § 20 Seelische Abartigkeit 2 und 3 m.w.N. und mit Anm. Winckler/Foerster NStZ 1998, 297 und Blau JR 1998, 207; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 38 f.; ferner aus psychiatrischer Sicht: Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl., S. 122; Venzlaff in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl., S. 116 f., 128 f., 130). Zudem sind die Grundlagen für die Annahme einer rechtlich erheblichen tatauslösenden Wahnstörung beim Beschuldigten (vgl. zum Liebes- oder sensitiven Beziehungswahn Marneros MschrKrim 1997, 300 ff. und Tölle, Psychiatrie, 11. Aufl., S. 172 f., 180, 182 f.) nicht ausreichend dargetan. Insoweit ist insbesondere nicht ersichtlich, inwieweit das objektive Verhalten der Geschädigten vom Beschuldigten im Rahmen ihrer Beziehung falsch wahrgenommen wurde. Vielmehr empfand er ihre - richtig erkannte - Ablehnung als "Demütigung" und ungerechtfertigte Behandlung und machte sie daher für seinen unglücklichen Zustand verantwortlich (UA 6). Hinsichtlich der von der Strafkammer weiter angenommenen Persönlichkeitsstörung vom schizoid-antisozialen Typ bedarf es einer erkennbaren Abgrenzung gegenüber solchen Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich noch innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen und Ursache für strafbares Tun sein können, ohne daß sie die Schuldfähigkeit "erheblich" im Sinne des § 21 StGB berühren (vgl. BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB § 21 Psychose 1, Seelische Abartigkeit 25, 35, 36; § 63 Zustand 26, 29, 34; ). Sofern die neue Hauptverhandlung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 StGB nicht schon - wie bisher angenommen - allein aufgrund einer überdauernden geistig-seelischen Störung des Beschuldigten ergibt, wird der neue Tatrichter die Frage einer Maßregelanordnung (§§ 63, 64 StGB) schließlich auch mit Blick auf die nicht unerhebliche Alkoholisierung des Beschuldigten zur Tatzeit und seinen mehrjährigen, bereits früher mit Körperverletzungsdelikten in Verbindung stehenden Alkoholmißbrauch zu prüfen haben (vgl. BGHSt 44, 338 ff.; 369 ff.; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 18, Konkurrenzen 1, Tat 5; § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1, 2; § 21 Blutalkoholkonzentration 27; BGH NStZ-RR 1997, 231 f.; ).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
UAAAC-08097
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