Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: GVG § 132; MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug: LG Essen vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf eines Jahres keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, soweit es sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtet; im übrigen bleibt die Entscheidung über die Revision des Angeklagten einer abschließenden Entscheidung des Senats vorbehalten.
1. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die weiter erhobene allgemeine Sachrüge ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom ausgeführt hat, zum Schuldspruch und zum Strafausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2. Nach Auffassung des Senats kann die Maßregelanordnung jedoch nicht bestehen bleiben, weil entgegen der Meinung des Landgerichts allein die Benutzung eines Kraftfahrzeugs zur Begehung der abgeurteilten Straftat - um zum Tatort zu fahren - die charakterliche Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen noch nicht belegt. Der Senat ist vielmehr - anders als es in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Teil vertreten wird - der Ansicht, daß sich die (charakterliche) Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nur dann aus der Tat ergibt (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB), wenn aus dieser konkrete Anhaltspunkte dafür zu erkennen sind, daß der Täter bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterzuordnen. Zwischen Tat und Verkehrssicherheit muß somit ein "spezifischer Zusammenhang" bestehen. Dazu verhält sich das angefochtene Urteil jedoch nicht.
Mit Beschluß vom (= NStZ 2004, 86) hat der Senat bei den anderen Strafsenaten des Bundesgerichtshofs gemäß § 132 GVG angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung zu dem oben aufgestellten Rechtssatz festgehalten wird. Das Anfrageverfahren hat sich bis zum Juni 2004 hingezogen; die Stellungnahme des 1. Strafsenats vom ist erst am beim Senat eingegangen.
Während der 3. und der 5. Strafsenat dem in dem Anfragebeschluß formulierten Rechtssatz (NStZ 2004, 86) zugestimmt bzw. nicht widersprochen haben, hält der 2. Strafsenat eine Befassung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit den aufgeworfenen Rechtsfragen für "wünschenswert". In seinem Urteil vom - 2 StR 161/03 - (= NStZ 2004, 144) hat er allerdings die gleiche Rechtsauffassung wie der erkennende Senat vertreten (vgl. hierzu Herzog StV 2004, 151, 152; Sowada NStZ 2004, 169, 170). Da der 1. Strafsenat entgegenstehende Rechtsprechung nicht aufgeben will, muß - unabhängig von der Stellungnahme des 2. Strafsenats - eine Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen herbeigeführt werden. Wann diese ergehen wird, ist nicht absehbar.
3. Im Hinblick darauf, daß deshalb über die Begründetheit der Revision, soweit sie die Maßregelanordnung betrifft, voraussichtlich in absehbarer Zeit nicht entschieden werden kann, ist eine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten zum bereits "entscheidungsreifen" Teil, nämlich dem Schuldspruch und dem Strafausspruch des angefochtenen Urteils, zulässig und geboten.
Wie der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tage in der Strafsache 4 StR 85/03 dargelegt hat, hält er eine "horizontale", d.h. denselben Prozeßgegenstand betreffende Teilentscheidung des Revisionsgerichts ausnahmsweise dann für zulässig, wenn (a) der rechtskräftige ebenso wie der nichtrechtskräftige Urteilsteil von dem übrigen Urteilsinhalt losgelöst, selbständig geprüft und rechtlich beurteilt werden kann und (b) schwerwiegende Interessen des Revisionsführers ein Abweichen von der gesetzlichen Regel einer einheitlichen Revisionsentscheidung (§§ 353, 354 StPO) gebieten. Das ist hier der Fall:
a) Der Schuldspruch und der Strafausspruch des angefochtenen Urteils lassen sich unabhängig von der Maßregelanordnung und diese läßt sich unabhängig vom Schuldspruch und von der Strafzumessung beurteilen. Wäre der Senat nicht gehalten gewesen, das Anfrageverfahren gemäß § 132 GVG durchzuführen, so hätte er die Revision zum Schuldspruch und zum Strafausspruch verworfen und hinsichtlich der Maßregelanordnung das Urteil aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (vgl. den Anfragebeschluß Ziff. IV 2 b = NStZ 2004, 88 f. [Gesamtwürdigung ist erforderlich]).
b) Das Urteil wurde am - also vor mehr als eineinhalb Jahren - verkündet. Das Verfahren ist seit dem beim Bundesgerichtshof anhängig; die Revision des Mitangeklagten S. wurde bereits am verworfen. Durch das Anfrageverfahren gemäß § 132 GVG - auf dessen zeitlichen Ablauf der Senat nur beschränkten Einfluß hat - hat sich die Entscheidung über die Revision des Angeklagten somit schon jetzt um mehr als ein Jahr verzögert. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Angeklagte nicht in Haft, sondern der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt worden ist (UA 6), ist es ihm mit Blick auf das verfassungsrechtliche (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) und in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ausdrücklich normierte Gebot angemessener Beschleunigung des Strafverfahrens (vgl. BVerfGE 63, 45, 69; BVerfG NStZ 2004, 335 ff. m. Anm. Foth; ; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13, 17 m.w.N.) nicht zumutbar, auf die Entscheidung zum entscheidungsreifen - und für ihn ersichtlich im Vordergrund seines Rechtsmittels stehenden - Schuldspruch und Strafausspruch bis zum Abschluß des Vorlageverfahrens zu warten. Der Senat entscheidet daher über den Schuldspruch und den Strafausspruch vorab und wird eine Entscheidung über die Maßregelanordnung treffen, sobald das Vorlageverfahren abgeschlossen ist.
Fundstelle(n):
RAAAC-07771
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