Leitsatz
[1] 1. Die Pflicht zur Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation gebietet nicht, den Beschuldigten, der keinen Wunsch auf Zuziehung eines Verteidigers äußert, auf einen vorhandenen anwaltlichen Notdienst hinzuweisen (im Anschluß an BGHSt 42, 15).
2. Eingeschränkte Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren (Abgrenzung zu BGHSt 46, 93 und , zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
Gesetze: StPO § 136 Abs. 1 Satz 2; StPO § 141 Abs. 3 Satz 2
Instanzenzug: LG Berlin
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils u.a. wegen Beihilfe zum versuchten Totschlag zu Jugendstrafen verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts merkt der Senat folgendes an:
Die Verfahrensrüge, mit der die Angeklagte T beanstandet, daß die Vernehmungen beider Angeklagter durch den Haftrichter anläßlich ihrer Vorführung gemäß § 128 StPO - ungeachtet ihres in der Hauptverhandlung rechtzeitig erhobenen Widerspruchs - verwertet worden sind, bleibt erfolglos.
1. Auf eine angeblich unzulängliche Belehrung der Mitangeklagten nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO kann sich die Angeklagte nicht berufen; ihre Rechte werden hierdurch nicht berührt (vgl. BGHR StPO § 136 Belehrung 5; BGH wistra 2000, 311, 313; Nack StraFo 1998, 366, 372 f.). Bereits daran scheitert ihre Rüge, soweit sie sich gegen die Verwertung der richterlichen Vernehmung der Mitangeklagten wendet.
2. Die Angeklagte ist unmittelbar vor der verwerteten haftrichterlichen Vernehmung wie bereits vor ihrer ersten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung, bei der sie die Einlassung verweigert hat, über ihr Recht, jederzeit, auch schon vor ihrer Vernehmung, einen zu wählenden Verteidiger zu befragen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO), belehrt worden; dies ist jeweils protokolliert worden. Die Angeklagte hat nicht zu erkennen gegeben, daß sie einen Verteidiger konsultieren wolle. Vor dem Haftrichter hat sie unter Zuziehung eines Dolmetschers nach der Belehrung ohne Verteidigerbeistand ausgesagt.
a) Über die erfolgte Belehrung hinaus war angesichts der fehlenden Reaktion der Angeklagten hierauf ein ausdrücklicher Hinweis auf die Einrichtung eines Verteidigernotdienstes und die Möglichkeit, zu diesem eine telefonische Verbindung mit dem Ziel alsbald realisierbarer anwaltlicher Konsultation herzustellen, nicht geboten.
Der Senat hat - entgegen dem weitergehenden Verständnis der Verteidigung (entsprechend Kutschera StraFo 2001, 262; vgl. auch Hamm NJW 1996, 2185, 2186) - eine Pflicht der Ermittlungsbehörden zu einer derartigen Hilfestellung lediglich für den Fall erwogen, daß ein Beschuldigter nach der vorgeschriebenen Belehrung zu erkennen gegeben hat, daß er von seinem Recht aus § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO auf Verteidigerkonsultation Gebrauch machen wolle; hieraus könne dann eine weitergehende Verpflichtung zur effektiven Ermöglichung dieses Rechts erwachsen (BGHSt 42, 15, 19 f.; vgl. dazu auch die damals restriktivere Position des 1. Strafsenats: BGHSt 42, 170, 173; nicht weitergehend auch Beulke NStZ 1996, 257, 260, 262; Herrmann NStZ 1997, 209, 212). Aus dem Alter der zur Zeit der Beschuldigtenvernehmung 20jährigen Angeklagten, aus ihrer Schwangerschaft, ihrer besonderen Betroffenheit über die vorläufige Festnahme unter dem Verdacht des versuchten Mordes und aus ihren mangelnden Deutschkenntnissen lassen sich keine Belehrungs-, Warnungs- oder Hinweiserfordernisse herleiten, die über die gesetzliche Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO hinausgehen. Vielmehr genügt diese den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen auch gegenüber einer Beschuldigten in einer derart bedrängenden Situation wie im vorliegenden Fall. Die Voraussetzungen einer geistig-seelischen Beschaffenheit, welche bereits die Besorgnis begründete, sie könne die Belehrung nicht verstanden haben (vgl. BGHSt 39, 349, 351), liegen nicht vor.
b) Weitergehendes wäre nur zu erwägen, wenn die Ermittlungsbehörden bei der gegebenen haftrichterlichen Vernehmungssituation für eine Verteidigung der damaligen Beschuldigten hätten Sorge tragen müssen. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat eine entsprechende aus § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO abzuleitende Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, die gehalten sein könnte, jedenfalls bis zu einer Unterrichtung des Beschuldigten, daß ihm nunmehr ein Verteidiger zu bestellen sei, mit weiteren Ermittlungshandlungen innezuhalten, in seinem zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Urteil vom - 1 StR 220/01 (Umdruck S. 16 f.) erwogen. Indes vermag der Senat eine entsprechende Verpflichtung jedenfalls für die hier gegebene Verfahrenssituation nicht anzuerkennen.
Aus dem Regelungsgefüge der §§ 140, 141 StPO folgt, daß - insoweit auch in näherer Konkretisierung der Anforderungen aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK - in bestimmten gewichtigeren Fällen die Mitwirkung eines Verteidigers regelmäßig ab Anklageerhebung unerläßlich ist. Ein solches Erfordernis kann indes bereits während des Ermittlungsverfahrens eintreten. So erstarkt insbesondere nach dreimonatigem Vollzug von Untersuchungshaft die Position des Beschuldigten dahin, daß er die Bestellung eines Verteidigers verlangen kann (s. § 140 Abs. 1 Nr. 5, § 117 Abs. 4 StPO; dazu weitergehend BGHSt 46, 93, 99). Aber auch sonst steht eine Pflichtverteidigerbestellung für den Beschuldigten ohne Wahlverteidiger "schon während des Vorverfahrens" im richterlichen Ermessen auf entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft (§ 141 Abs. 3 Sätze 1 und 2 StPO). Für die Stellung dieses Antrags, der sich nach der Prognose notwendiger Verteidigung in einem künftigen gerichtlichen Verfahren richtet, steht der Staatsanwaltschaft ein nicht umfassend gerichtlich überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGHSt 46, 93, 98 f.; , zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt, Umdruck S. 13 ff.).
Hiernach wird eine Verteidigerbestellung bereits im Ermittlungsverfahren jedenfalls dann zu veranlassen sein, wenn mit im Sinne des § 140 Abs. 1 oder 2 StPO gewichtiger Anklageerhebung zu rechnen ist und eine effektive Wahrnehmung der Verteidigungsinteressen des Beschuldigten die Mitwirkung eines Verteidigers, beispielsweise durch Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts, schon vor Anklageerheebung unerläßlich erfordert (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 141 Rdn. 5). Zutreffend verlangt der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der insoweit (aaO) eine Reduzierung des richterlichen Ermessens (§ 141 Abs. 3 Satz 1 StPO) auf Null und eine entsprechende Einengung des staatsanwaltlichen Beurteilungsspielraums (§ 141 Abs. 3 Satz 2 StPO) annimmt, die Bestellung eines Verteidigers vor einer beweissichernden ermittlungsrichterlichen Vernehmung eines wesentlichen Belastungszeugen in Abwesenheit des Beschuldigten (BGHSt 46, 93, 99 f.); in diesem Fall wird nur so den Anforderungen des Rechtes des Beschuldigten auf Verteidigung aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK, hier insbesondere mit Rücksicht auf eine effektive Wahrung seines Fragerechts aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK, genügt.
Dem geltenden Recht ist indes nicht zu entnehmen, daß bereits dann, wenn die Staatsanwaltschaft - oder etwa gar die ermittlungsführende Polizei - im Ermittlungsverfahren den dringenden Verdacht eines Verbrechens (s. § 140 Abs. 1 Nr. 2) - oder auch eines gewichtigen Vergehens (vgl. nur § 140 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO) - für begründet erachtet, eine entsprechende Reduzierung des Beurteilungsspielraums der Staatsanwaltschaft für die Stellung eines Antrags auf Verteidigerbestellung nach § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO anzunehmen wäre, die sie jedenfalls veranlassen müßte, "mit Ermittlungen, welche die Mitwirkung des Beschuldigten erfordern, innezuhalten", mindestens bis zu einem weitergehenden Hinweis an ihn auf die nunmehr anzunehmende Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung (, Umdruck S. 16 f.). Eine solche Position - die letztlich, wenn nicht allzu große Unsicherheiten verursacht werden sollen, die Annahme notwendiger Verteidigung mit dem Beginn eines dringenden gewichtigen Verdachts zur Konsequenz haben müßte - entspricht nicht der differenzierten gesetzlichen Regelung (§§ 140, 141 StPO nebst Sondernormen). Sie wird weder von Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK noch von dem nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG garantierten Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren als Mindeststandard gefordert. De lege ferenda wird eine Verstärkung der Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren diskutiert (vgl. nur das "Eckpunktepapier" zur Reform des Strafverfahrens, StV 2001, 314, 315). Hierüber wird gegebenenfalls der Gesetzgeber unter Abwägung der im Strafverfahren verfolgten gegenläufigen Anliegen zu befinden haben (vgl. BVerfGE 57, 250, 275 f.; 63, 45, 61). Dies sind namentlich das Interesse des Beschuldigten an möglichst effektiver Verteidigung auf der einen, die Belange der Wahrheitsermittlung und Verfahrensbeschleunigung sowie eines effektiven Opferschutzes auf der anderen Seite, nicht zuletzt aber auch Kosteninteressen. De lege lata besteht keine Rechtslage, wonach eine derart frühzeitig notwendige Verteidigung bereits im Ermittlungsverfahren gefordert wäre.
c) Da für einen Sonderfall, in dem auf eine Verteidigerbestellung zugunsten der Angeklagten T bereits vor ihrer haftrichterlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren hätte hingewirkt werden müssen, hier sonst keine durchgreifenden Gründe ersichtlich sind, wird die Verwertbarkeit dieser Vernehmung nicht dadurch in Frage gestellt, daß zuvor kein Hinweis auf die Möglichkeit erteilt worden ist, den bestehenden Strafverteidigernotdienst in Anspruch nehmen zu können.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAC-07532
1Nachschlagewerk: nein