Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 346 Abs. 2; StPO § 300; StPO § 344 Abs. 1; StPO § 352 Abs. 1
Instanzenzug: LG Bautzen vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen vom Verteidiger eingelegte "Berufung" hat dieser nach der am erfolgten Urteilszustellung mit Schriftsatz vom begründet und "Mängel bei der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung" und "materiellrechtliche Fehler des Urteils" geltend gemacht, die einen Freispruch erfordert hätten. Das Landgericht hat im Beschluß vom das als Berufung bezeichnete Rechtsmittel gemäß § 300 StPO als Revision gewertet und wegen nicht fristgerecht angebrachter Revisionsanträge als unzulässig verworfen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Verteidiger mit dem zulässigen und begründeten Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2 StPO).
1. Das Landgericht hätte die Verwerfung der Revision nicht auf das Fehlen eines Revisionsantrages stützen dürfen. Eines ausdrücklichen Antrages im Sinne der § 344 Abs. 1, § 352 Abs. 1 StPO bedurfte es hier nämlich nicht, weil sich das Begehren des Beschwerdeführers nach umfassender Aufhebung des Urteils sicher aus der Revisionsbegründung ergibt (vgl. BGH NStZ 1990, 96; NStZ-RR 2000, 38). Damit ist der angebrachte Antrag auf Wiedereinsetzung gegenstandslos.
2. Eine Entscheidung des Senats ist nicht durch die vom Angeklagten mit Schreiben vom erklärte Rücknahme seiner Revision obsolet geworden.
Die auf eine Ungewißheit des Fortbestehens der Pflichtverteidigung gestützte Rücknahme ist wegen der Art und Weise ihres vom Gericht zu verantwortenden Zustandekommens unwirksam (vgl. BGHSt 45, 51, 53, 55; 46, 257, 258). Das Gericht hätte den Angeklagten - ausnahmsweise - nach Kenntnisnahme von dessen Schreiben vom über den Fortgang des Revisionsverfahrens aufklären müssen, um einer erkennbaren Gefahr einer den Interessen des Angeklagten zuwiderlaufenden Revisionsrücknahme entgegenzutreten. Eine Verpflichtung dazu hätte sich bei den hier vorliegenden besonderen Umständen auf Grund der Fürsorgepflicht (vgl. BGHSt 45, 51, 57; Pfeiffer in KK 5. Aufl. Einl. Rdn. 32; Meyer StV 2004, 41, 44) und des Gebots ergeben, dem Angeklagten die jederzeitige Möglichkeit zu einer geordneten und effektiven Verteidigung zu gewähren (vgl. BGHSt 45, 51, 57; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 21).
a) Der Angeklagte befand sich, wie er dem Landgericht in seinem Schreiben vom geschildert hatte, in einem Zustand der Ratlosigkeit hinsichtlich der von ihm gewünschten Anfechtung des Urteils. Er ging von zwei Anfechtungsmöglichkeiten aus. Gegen die Ablehnung der Berufung hatte er "Einspruch" erhoben und deshalb seinen Verteidiger - was dieser dem Senat bestätigte - angeschrieben. Er führte ferner aus, daß er persönlich die Revision wünsche und dies mit seinem Verteidiger besprechen wolle.
b) Die Verunsicherung des Angeklagten hat das Landgericht durch Pflichtverstöße hervorgerufen. Es hat weder nach Eingang des unrichtig bezeichneten Rechtsmittels einen Hinweis auf das gebotene Rechtsmittel erteilt, noch hat es auf die "Berufungsbegründung" den Verteidiger auf aus seiner Sicht vorhandene massive Formmängel aufmerksam gemacht. Solches hätte aber das Gebot fairer Verfahrensgestaltung erfordert, um das hier offensichtliche, durch einen gerichtlichen Hinweis ohne weiteres zu beseitigende Mißverständnis des Verteidigers zu beseitigen (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 38; Kuckein in KK 5. Aufl. § 346 Rdn. 10). Der Beschluß des Landgerichts war zudem inhaltlich unzutreffend.
c) Die vom Landgericht hervorgerufene Verunsicherung des Angeklagten begründete die erkennbare Gefahr eines gegen seine Interessen gerichteten Verteidigungshandelns. Der schwer zuckerkranke Angeklagte ist grenzdebil und neigt zu unmotivierten, wechselhaften Einlassungen (UA S. 11 ff.). Ohne eine Erläuterung des weiteren Gangs des Revisionsverfahrens begründete diese Präposition ohne weiteres auch die Gefahr einer den Verteidigungsinteressen zuwiderlaufenden Revisionsrücknahme. Das Landgericht durfte sich hier nicht darauf verlassen, daß der Pflichtverteidiger - was dieser auch bis zum unterließ - dem Angeklagten die Sach- und Rechtslage zutreffend erläutern würde, sondern hatte diese Erläuterung selbst vorzunehmen.
Fundstelle(n):
JAAAC-07496
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