BGH Urteil v. - 5 StR 126/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: -

Instanzenzug: LG Braunschweig vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und einen Pkw des Angeklagten eingezogen. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft sowie die Revisionen beider Nebenkläger haben mit der Sachrüge Erfolg. Dagegen bleibt die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erfolglos.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Die im Jahre 1974 geschlossene Ehe des Angeklagten verlief zunächst harmonisch und problemlos. Im Jahre 1986 nahm seine Ehefrau ein intimes Verhältnis zu einem anderen Mann auf. Gleichwohl hielt der Angeklagte an der Ehe fest. Der Angeklagte erkrankte im Jahre 1996 an Krebs, wurde mehrfach operiert, erhielt Strahlenbehandlung und schied in der Folgezeit aus seinem Beschäftigungsverhältnis aus. Im Jahre 2000 zog seine Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung aus, weil der Angeklagte an Depressionen litt, mehrfach Gegenstände nach ihr warf und die Wohnung demolierte und die Ehefrau deshalb ein Zusammenleben nicht mehr aushielt. Der Angeklagte, der dadurch - auch wegen seiner schweren Krankheit - tief enttäuscht war und sich alleingelassen fühlte, begann, seiner Ehefrau nachzuspionieren, sie mit seinem Auto zu verfolgen, sie immer wieder gegen ihren Willen anzurufen und ihr auch anzudrohen, sie und sich selbst umzubringen. Die Ehefrau nahm diese Drohungen sehr ernst und hatte erhebliche Angst vor Tätlichkeiten ihres Mannes. Zu irgendwelchen Tätlichkeiten kam es jedoch nicht. Nach Scheidung der Ehe - im September 2001 - sagte der Angeklagte zu seiner geschiedenen Ehefrau, sie werde Weihnachten nicht überleben. Er machte jedoch diese Drohung nicht wahr. Die erhebliche Angst seiner ehemaligen Ehefrau bestand aber weiter fort.

Als diese Ostern 2001 Herrn Sch kennenlernte und mit ihm ein intimes Verhältnis begann, war der Angeklagte darüber erbost, verärgert und wütend und rief in der Folgezeit mehrfach Herrn Sch an. Der Angeklagte erfuhr, daß seine geschiedene Ehefrau mit Herrn Sch in einer gemeinsamen Wohnung in Weyhausen lebte. Auch danach versuchte er wiederholt, seine Ehefrau zurückzugewinnen.

Der Angeklagte erwarb - ohne entsprechende Berechtigung - im April 2002 eine Kleinkaliberpistole Typ Walther PPK samt Munition und im Mai 2002 eine weitere Pistole, Typ Luger, Kaliber 9 mm und kurz darauf für diese Waffe auch scharfe Munition.

Am frühen Abend des fuhr der Angeklagte von seiner Wohnung in Helmstedt mit seinem Pkw VW Golf etwa 50 km nach Weyhausen. Die Pistole Typ Luger 9 mm hatte er in durchgeladenem und gesichertem Zustand in einem Stoffbeutel bei sich. Er suchte seine ehemalige Ehefrau und deren Lebensgefährten in Weyhausen und auf den umgebenden Straßen. Gegen 21.00 Uhr sah er auf einer Kreisstraße nahe Weyhausen seine ehemalige Ehefrau und Herrn Sch , die auf oder neben der Straße spazierengingen. Der Angeklagte fuhr zunächst an ihnen vorbei, wendete, fuhr zurück und parkte sein Fahrzeug am rechten Rand der Kreisstraße. Er zog die durchgeladene Pistole aus dem Stoffbeutel und stieg aus dem Fahrzeug. Spätestens jetzt faßte er den Entschluß, seine geschiedene Ehefrau und Herrn Sch zu töten. In Ausführung dieses Tatplanes entsicherte er die Waffe und schoß sofort auf beide. Er traf seine geschiedene Ehefrau von schräg unten in den Kopf, Herrn Sch einmal schräg von oben in die Schädeldecke, einmal in den hinteren rechten Lendenbereich in Nähe des Gesäßes und einmal von vorn in die rechte Hand. Herr Sch verstarb noch am Tatort, die Frau in der folgenden Nacht im Krankenhaus, beide aufgrund zentraler Lähmung infolge der Kopfschüsse.

Nach den Schüssen fuhr der Angeklagte mit seinem Pkw mit erheblicher Startgeschwindigkeit davon. Er fuhr zu seiner Wohnung nach Helmstedt, versteckte die Tatwaffe im Keller und legte sich schlafen.

I.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, die sämtlich geltend machen, das Landgericht habe Mordmerkmale zu Unrecht verneint, sind begründet, weil die Verneinung von Heimtücke rechtlicher Prüfung nicht standhält.

1. Allerdings hat das Landgericht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei verneint.

Es hat hierzu ausgeführt, es könne beim Angeklagten ein Motivbündel aus Verärgerung, Eifersucht, Wut, aber auch tiefste Enttäuschung über das "Verlassenwordensein" durch seine Ehefrau vorgelegen haben. Bei Berücksichtigung der von dem psychiatrischen Sachverständigen beschriebenen besonderen Persönlichkeit des Angeklagten und bei Berücksichtigung der Entwicklungsgeschichte der seit langem sehr problematischen Ehe sei nicht sicher auszuschließen, daß eine tiefe Enttäuschung des Angeklagten das Hauptmotiv für die Tat war, nämlich darüber, daß nach seiner eingeengten Sichtweise seine Ehefrau ihn - so seine Worte - nach der schweren Krankheit "weggeworfen" habe. Dieses Motiv stehe nicht auf moralisch tiefster Stufe.

Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung stand. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv oder die vorherrschenden Motive, welche der Tat ihr Gepräge geben, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verwerflich sind (BGH NJW 1981, 1382; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 20, 25; BGH NStZ 1997, 81; BGH StV 1983, 503, 504 und 2000, 76). Dies ist nach den getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Das Landgericht hat nicht ausschließen können, daß das Hauptmotiv der Tat die Enttäuschung des Angeklagten darüber war, daß seine Ehefrau ihn nach seiner Krebserkrankung und den folgenden Depressionen verlassen ("weggeworfen") hat. Dieses Motiv erfüllt nicht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe. Das gilt zunächst für die Tötung der ehemaligen Ehefrau des Angeklagten. Für die Beurteilung der Tötung des Herrn Sch ergibt sich aus den Feststellungen nichts anderes. Auch die Tötung des neuen Lebensgefährten der ehemaligen Ehefrau des Angeklagten kann von dem genannten Hauptmotiv getragen gewesen sein.

2. Auch liegt kein Rechtsfehler darin, daß das Landgericht angesichts der getroffenen Feststellungen die Möglichkeiten nicht erörtert hat, der Angeklagte habe eine der beiden Tötungen etwa begangen, um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken. Für die beiden von der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin erwogenen Tatvarianten, daß der Angeklagte Herrn Sch etwa zunächst tötete, um danach seine geschiedene Frau töten zu können, oder daß der Angeklagte etwa Herrn Sch als Zeugen der vorangegangenen Tötung seiner ehemaligen Ehefrau beseitigte, bestehen nach den getroffenen Feststellungen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Das Landgericht hat sich nicht einmal imstande gesehen, eine Reihenfolge der Schüsse festzustellen. Schon damit fehlt jeder der beiden gedachten Tatvarianten eine Grundlage.

3. Jedoch hält die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der Heimtücke verneint hat, rechtlicher Prüfung nicht stand.

Hierzu ist im angefochtenen Urteil ausgeführt: Es sei nicht sicher auszuschließen, daß die geschiedene Ehefrau des Angeklagten dessen Pkw, der ihr auf der Straße entgegenkam, bei der ersten Begegnung erkannte und dieses auch Herrn Sch mitteilte. Da sie nach den vorherigen Drohungen ihres Mannes und den sonstigen Vorfällen noch erhebliche Angst vor dem Angeklagten gehabt habe und davon auszugehen sei, daß auch Herr Sch diese Angst kannte, könne nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, daß beide Opfer bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs, nämlich beim Anhalten und Aussteigen des Angeklagten mit der gut sichtbaren Pistole am Tatort, nicht mehr arglos waren, sondern einen tätlichen Angriff des Angeklagten für möglich hielten.

a) Zwar ist das Landgericht - im Ansatz zutreffend - davon ausgegangen, daß die Arglosigkeit des Opfers dann entfallen kann, wenn es mit einem schweren oder doch erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet. Allerdings hat der Bundesgerichtshof den genannten Gesichtspunkt regelmäßig in solchen Fällen zur Geltung gebracht, in denen der Tat eine offene Auseinandersetzung mit von vornherein feindseligem Verhalten des Täters vorangegangen war (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21, 27; BGH NStZ-RR 1996, 322 jeweils m. w. N.) oder in denen das Opfer sich bewußt in eine feindliche Auseinandersetzung eingelassen hatte (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 29), der Anlaß für die vom Opfer gehegte Erwartung eines tätlichen Angriffs des Täters also ein akuter war. Eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers vermag dessen Arglosigkeit jedenfalls nicht zu beseitigen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21; BGH NStZ-RR 2001, 14). Es kommt insofern vielmehr allein darauf an, ob das Opfer im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet (BGHSt 39, 353, 368).

b) Zudem gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgendes: Ein Opfer, gegen das sich ein lebensbedrohlicher Angriff richtet, kann auch dann arg- und wehrlos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, das Opfer die drohende Gefahr aber erst im letzten Augenblick erkennt, so daß ihm keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Denn die besondere Gefährlichkeit heimtückischen Handelns liegt darin, daß der Täter sein Opfer in hilfloser Lage überrascht und dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu entgehen oder diesen doch wenigstens zu erschweren (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15, 16; BGH GA 1971, 113, 114; BGH NStZ-RR 1997, 168; BGH NStZ 2003, 146; ). Das offen aggressive Verhalten des Angeklagten, der seinen Opfern unmittelbar vor den tödlichen Schüssen mit gezückter Waffe feindselig entgegentrat, konnte - was das Landgericht nicht verkannt hat - eine zu dem Zeitpunkt noch gegebene Arglosigkeit nicht entfallen lassen. Maßgeblich für die Beurteilung ist nämlich grundsätzlich die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs und damit der Eintritt der Tat in das Versuchsstadium (BGHSt 32, 382, 384; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 4, 13, 22; jeweils m. w. N.). Dies ist hier spätestens der Zeitpunkt, in dem der Angeklagte aus seinem Fahrzeug ausstieg und mit Tötungsvorsatz seine Waffe entsicherte.

c) Selbst wenn davon ausgegangen werden könnte, daß die Ehefrau des Angeklagten beim Anblick des Angeklagten im Vorbeifahren eine relevante Gefahr angenommen haben sollte, die sie ihrem Begleiter vermittelte, wodurch die Arglosigkeit der Opfer zu Beginn des todbringenden Angriffs beseitigt worden wäre, so bleibt eine solche - vom Tatrichter zugunsten des Angeklagten unterstellte - Geschehensvariante im Urteil unzulänglich belegt. Es fehlt an der hierfür unerläßlichen näheren Erörterung maßgeblicher Begleitumstände. Zur Frage, ob das vorbeifahrende Fahrzeug für die Ehefrau individuell als das Fahrzeug des Angeklagten erkennbar war, enthält das Urteil lediglich Ausführungen, daß es zur Tatzeit noch hell war und Frau Lu den Pkw ihres Mannes "gut kannte". Nähere Anknüpfungstatsachen zu Fragen im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit einer individuellen Erkennbarkeit des Pkw VW Golf - insbesondere zu orts- und zeitbedingten Sichtverhältnissen, etwa unter Berücksichtigung der möglichen Blickrichtung der Spaziergänger auf die Fahrbahn, der Verkehrsdichte, des Erscheinungsbildes des Fahrzeugs und der möglichen Fahrgeschwindigkeit -, aus denen sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit der zur Entlastung des Angeklagten unterstellten Geschehensvariante ableiten ließe, die mehr als eine bloße Vermutung des Tatrichters rechtfertigen könnte, fehlen.

d) Der Senat weist allerdings darauf hin, daß ungeachtet dessen - auch wenn bei richtiger Sachverhaltsauswertung Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer bei Tatbegehung objektiv festzustellen wären - bei dem offen feindlichen Entgegentreten des erregten Angeklagten auf seine Opfer zusätzlich zu prüfen wäre, ob er die Situation der Arglosigkeit seiner Opfer wahrgenommen und bewußt ausgenutzt hat. Das mag sich freilich allein aus der von ihm vorgefundenen Situation zu Beginn des tödlichen Angriffs ohne weiteres ableiten lassen.

II.

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

1. Insbesondere liegt in der Annahme zweier selbständiger Fälle des Totschlags kein den Angeklagten beschwerender Rechtsfehler.

Eine natürliche Handlungseinheit kann ausnahmsweise auch dann vorliegen, wenn es um die Beeinträchtigung höchstpersönlicher Rechtsgüter verschiedener Personen geht. Die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit ist in derartigen Fällen dann gerechtfertigt, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt erschiene (BGHR StGB vor § 1/natürliche Handlungseinheit - Entschluß, einheitlicher 1 und 9). Ein solcher Ausnahmefall kann namentlich bei mehreren Schüssen auf zwei Personen innerhalb weniger Sekunden ohne jegliche zeitliche Zäsur vorliegen (BGHR StGB vor § 1/natürliche Handlungseinheit - Entschluß, einheitlicher 2 und 5). Allerdings kann sich eine solche Zäsur etwa auch daraus ergeben, daß der Täter nach dem ersten Schuß einen Stellungswechsel vorgenommen hat (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 82). Offenbar hat das Landgericht dies vor Augen gehabt, als es eine natürliche Handlungseinheit mit der Begründung abgelehnt hat, "daß der Angeklagte jeweils bei Schußabgabe die Lage seiner Pistole in der Hand erheblich ändern mußte, um den beabsichtigten Erfolg herbeizuführen". Es erscheint eher fernliegend, in dieser geringfügigen Richtungsänderung zwischen den Schüssen auf die beiden Opfer, die "dicht beieinander" waren, einen Umstand zu sehen, der der Annahme einer natürlichen Handlungseinheit entscheidend entgegenstehen könnte.

Jedenfalls beschwert die Annahme zweier Handlungen den Angeklagten nicht. Denn es ist auszuschließen, daß das Landgericht, wäre es von einer tateinheitlichen Tötung zweier Menschen ausgegangen, - statt, wie geschehen, aus zwei Einzelfreiheitsstrafen von jeweils elf Jahren eine Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren zu bilden - auf eine geringere Freiheitsstrafe als eine solche von 13 Jahren erkannt hätte.

2. Die umfassende Überprüfung des angefochtenen Urteils deckt auch sonst keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

III.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß in vollem Umfang Feststellungen zur Person des Angeklagten und zur Tat zu treffen sind. In der rechtlichen Beurteilung ist der neue Tatrichter - bis auf die Bindung an die die Heimtücke betreffenden Aufhebungsgründe des Senatsurteils - frei.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
QAAAC-06876

1Nachschlagewerk: nein