BGH Urteil v. - XII ZR 51/00

Leitsatz

[1] Allein deshalb, weil einer Partei die Klageschrift, die Ladung zum Termin und das Urteil öffentlich zugestellt worden sind und sie deshalb unverschuldet keine Kenntnis von dem Verfahren hatte, kommt eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht in Betracht. Das gilt auch dann, wenn der Gegner die öffentliche Zustellung durch falsche Angaben arglistig erschlichen hat. Eine Nichtigkeitsklage ist in solchen Fällen unzulässig.

Gesetze: ZPO § 579 Abs. 1 Nr. 4

Instanzenzug: AG Detmold vom

Tatbestand

Die Klägerin betreibt im Wege einer Nichtigkeitsklage die Wiederaufnahme eines durch ein Scheidungsverbundurteil abgeschlossenen Verfahrens.

Die Klägerin ist Rumänin, der Beklagte ist Deutscher. Die Parteien haben sich in Rumänien kennengelernt und haben, nachdem am eine gemeinsame Tochter geboren worden war, am in Rumänien geheiratet. Im September 1994 sind sie nach Deutschland übergesiedelt, haben dort aber nur einige Monate zusammen gewohnt. Im Februar 1995 hat die Klägerin die gemeinsame Wohnung verlassen und ist, ohne ihre Tochter, nach Rumänien zurückgekehrt, wo sie - mit einer kurzen Unterbrechung - seither lebt. Die Tochter lebt bei dem Beklagten in Deutschland. Die Gründe der Trennung sind zwischen den Parteien streitig.

Im März 1997 beantragte der Beklagte bei einem Gericht in Rumänien, die Ehe der Parteien zu scheiden und ihm das Sorgerecht für die Tochter zu übertragen. Mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom stellte er denselben Antrag beim Familiengericht Detmold und leitete damit den Vorprozeß zu der vorliegenden Nichtigkeitsklage ein. Er trug gegenüber dem Familiengericht Detmold vor, seine Ehefrau habe sich nach Rumänien abgesetzt und er wisse nicht, wo sie sich aufhalte. Er habe auch keinen Kontakt zu Verwandten oder Bekannten seiner Ehefrau in Rumänien, über die er ihren Aufenthalt erfahren könne. Daß er bereits in Rumänien ein Scheidungsverfahren eingeleitet hatte, erwähnte er nicht, angeblich weil er annahm, dieses Verfahren sei durch Rücknahme des Scheidungsantrags erledigt.

Das Familiengericht Detmold bewilligte die öffentliche Zustellung des Scheidungsantrags und der Ladung zum Termin. Durch Urteil vom sprach es die Scheidung der Ehe aus, übertrug das Sorgerecht für die Tochter dem Beklagten und schloß den Versorgungsausgleich aus. Auch dieses Urteil wurde öffentlich zugestellt und trägt den Vermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, es sei seit dem rechtskräftig.

Der Beklagte hat am wieder geheiratet.

Im vorliegenden Verfahren macht die Klägerin geltend, der Beklagte habe die im Vorverfahren bewilligten öffentlichen Zustellungen arglistig erschlichen. Ihm sei bekannt gewesen, daß sie sich auf dem Hof ihrer Eltern aufhalte. Zumindest habe er ihren Aufenthalt durch Anfragen bei Bekannten in Rumänien jederzeit erfahren können. Schließlich habe es auch mit der Zustellung des von dem Beklagten in Rumänien eingereichten Scheidungsantrags an sie keine Probleme gegeben.

Die Klägerin hat beantragt, das Urteil des Familiengerichts Detmold vom aufzuheben und den Scheidungsantrag des Beklagten zurückzuweisen. Zwei Hilfsanträge zum Sorgerecht und zum Versorgungsausgleich hat sie im Verlaufe des Verfahrens fallengelassen.

Das Familiengericht hat den Hauptantrag der Klägerin als unzulässig abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht dieses Urteil abgeändert und dem Hauptantrag der Klägerin stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision will der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

Gründe

Die Revision des Beklagten hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil. Es ist nur noch über den Hauptantrag der Klägerin zu befinden, das im Vorprozeß ergangene Urteil aufzuheben und den Scheidungsantrag des Beklagten zurückzuweisen. Diesen Antrag hat das Familiengericht zu Recht und mit zutreffender Begründung als unzulässig abgewiesen.

1. Das Berufungsgericht führt aus, nach dem reinen Wortlaut des Gesetzes liege an sich kein Wiederaufnahmegrund vor. Um dem Grundrecht auf rechtliches Gehör Geltung zu verschaffen, sei es aber gerechtfertigt, § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO analog anzuwenden, wenn eine Partei von einem gegen sie angestrengten Verfahren keine Kenntnis gehabt habe. Nach dieser Vorschrift sei die Nichtigkeitsklage gegeben, wenn eine Partei in einem Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen sei. Damit sei der Fall vergleichbar, daß sie sich nicht habe verteidigen können, weil sie von dem Verfahren nichts gewußt habe. Das müsse jedenfalls dann gelten, wenn die Unkenntnis auf ein arglistiges Verhalten des Prozeßgegners zurückzuführen sei oder wenn dieser die öffentliche Zustellung erschlichen habe. Es sei unstreitig, daß die Klägerin ohne Verschulden nichts von dem beim Familiengericht Detmold anhängig gemachten Scheidungsverfahren erfahren habe.

Die weiteren Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage seien erfüllt. Die Klägerin habe selbst dann, wenn sie in dem Verfahren in Rumänien selbst die Scheidung anstrebe, ein Rechtsschutzinteresse daran, daß das im Vorprozeß ergangene Scheidungsurteil aufgehoben werde. Damit würden nämlich auch die in den Folgesachen Sorgerecht und Versorgungsausgleich ergangenen Entscheidungen hinfällig. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei auch die Klagefrist des § 586 Abs. 1 ZPO gewahrt.

Zwar habe das Oberlandesgericht Frankfurt (FamRZ 1978, 922) entschieden, ein Wiederaufnahmeverfahren gegen ein rechtskräftiges Scheidungsurteil könne unzulässig sein, wenn der Beklagte eines solchen Verfahrens wieder geheiratet habe und inzwischen in einer intakten Ehe lebe. Das könne im vorliegenden Fall aber schon deshalb nicht gelten, weil der Beklagte während und in Kenntnis des laufenden Wiederaufnahmeverfahrens geheiratet habe.

Der im Vorprozeß von dem Beklagten geltend gemachte Scheidungsantrag sei unzulässig gewesen mit Rücksicht auf das in Rumänien bereits anhängige Scheidungsverfahren. Nach ständiger Rechtsprechung stehe ein im Ausland bereits rechtshängiges Scheidungsverfahren der Zulässigkeit eines nachfolgend in Deutschland gestellten Scheidungsantrags entgegen, wenn das ausländische Urteil in Deutschland anzuerkennen sein werde. Gründe, die nach § 328 ZPO einer Anerkennung eines rumänischen Scheidungsurteils entgegenstehen könnten, seien nicht erkennbar.

Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten, soweit sie die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO betreffen, einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

2. Ob eine Nichtigkeitsklage analog § 579 Abs. 1 Nr. 4 erhoben werden kann, wenn der frühere Beklagte infolge öffentlicher Zustellung von Klage und Ladung von dem gegen ihn angestrengten Prozeß keine Kenntnis erlangt hatte, wird in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Eher vereinzelt wird die auch vom Berufungsgericht gebilligte Meinung vertreten, eine solche Analogie sei zulässig (OLG Hamm, MDR 1979, 766; Braun in MünchKomm/ZPO 2. Aufl. § 579 Rdn. 18 f.; Zöller/Greger, ZPO 23. Aufl. § 579 Rdn. 6). Die Analogie wird im Kern - ohne nähere Auseinandersetzung mit der Dogmatik des Wiederaufnahmeverfahrens - damit begründet, daß auf diese Weise dem Beklagten des Vorprozesses nachträglich rechtliches Gehör gewährt werden könne. Die wohl herrschende Meinung lehnt eine solche Analogie ab (BayVGH, BayVBl. 1982, 567; OLG Braunschweig, OLGZ 1974, 51, 53; OLG Frankfurt, FamRZ 1956, 385 f.; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 21. Aufl. § 579 Rdn. 6 f.; Musielak/Musielak, ZPO 3. Aufl. § 579 Rdn. 7; Seetzen, NJW 1982, 2387, 2340 f., jeweils m.w.N.). Musielak (aaO) verweist darauf, die Nichtigkeitsklage dürfe nicht dazu dienen, eine bewußt getroffene Entscheidung im Vorprozeß zu überprüfen und zu korrigieren. Grunsky (aaO) führt aus, trotz beachtlicher Gründe, die in solchen Fällen für die Zulassung einer Nichtigkeitsklage sprächen, erscheine die Analogie zum § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO "im vorliegenden Zusammenhang allzu kühn".

Eine Entscheidung eines obersten Bundesgerichts liegt noch nicht vor. Der Senat hat die Frage in seinem Urteil vom (XII ZR 135/92 - NJW 1994, 589, 591 = FamRZ 1994, 237 f.) offen gelassen. Das Bundesarbeitsgericht (BAGE 73, 378 f.) hat die analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO wegen Verletzung des Anspruchs einer Partei auf rechtliches Gehör zwar grundsätzlich abgelehnt, in den Entscheidungsgründen aber vermerkt, daß seine Entscheidung nicht den Fall betreffe, daß der Beklagte des Vorprozesses aufgrund öffentlicher Zustellung keine Kenntnis von dem Verfahren gehabt habe.

Das Bundesverfassungsgericht (1. Kammer des 2. Senats, Beschluß vom - 2 BvR 355/91 - NJW 1992, 496 m.w.N.) war mit einer entsprechenden Verfassungsbeschwerde befaßt und hat diese als unzulässig abgewiesen mit der Begründung, soweit noch keine entgegenstehende Rechtsprechung des zuständigen Obergerichts zur Statthaftigkeit der Nichtigkeitsklage vorliege, sei eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs erst dann zulässig, wenn eine Nichtigkeitsklage gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO beim zuständigen Fachgericht erfolglos geblieben sei.

In einem weiteren Verfahren (3. Kammer des 2. Senats, Beschluß vom - 2 BvR 1390/95 - NJW 1998, 745) hat das Bundesverfassungsgericht zwar aus Verfassungsgründen die Zulassung einer Analogie zu § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO angemahnt. Der dort entschiedene Fall ist mit dem vorliegenden jedoch nicht vergleichbar: Dort hatte ein Rechtsanwalt in einem Verhandlungstermin eine Klageerweiterung auf eine andere Partei als zugestellt entgegengenommen, obwohl er von dieser anderen Partei nicht bevollmächtigt worden war und obwohl diese andere Partei sein Verhalten später nicht genehmigt hat. Die daraufhin erhobene Nichtigkeitsklage war abgewiesen worden mit der Begründung, § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO sei einschränkend dahin auszulegen, daß nur Vertreter minderjähriger Kinder, beschränkt Geschäftsfähiger, gebrechlicher und juristischer Personen gemeint seien, nicht aber Prozeßbevollmächtigte. Das Bundesverfassungsgericht führt aus, es entspreche ständiger Rechtsprechung der Fachgerichte, daß § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auch das Auftreten von vollmachtlosen Prozeßvertretern erfasse. Die Meinung des Amtsgerichts, die im Ergebnis die nachträgliche Gewährung von rechtlichem Gehör abschneide, verstoße gegen das Willkürverbot.

3. Der Senat schließt sich der herrschenden Meinung an. Allein deshalb, weil einer Partei bestimmte Schriftsätze und die Ladung zum Termin öffentlich zugestellt worden sind und sie deshalb unverschuldet keine Kenntnis von einem Verfahren hatte, kommt eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht in Betracht. Das gilt auch dann, wenn der Gegner die öffentliche Zustellung durch falsche Angaben arglistig erschlichen hat. Eine Nichtigkeitsklage ist in solchen Fällen unzulässig.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine öffentliche Zustellung, bei deren Bewilligung und Ausführung das in den §§ 203 ff. ZPO vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden ist, auch dann wirksam, wenn ihre Bewilligung auf wissentlich falschen oder unvollständigen Angaben des Antragstellers beruhte (BGHZ 57, 98, 110 f.; 64, 5, 8 f.). Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat allerdings im Anschluß an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (2. Kammer des 1. Senats, NJW 1988, 2361) Bedenken geäußert, ob diese Rechtsprechung uneingeschränkt aufrecht erhalten werden kann, hat die Frage aber offen lassen können ( - NJW 1992, 2280, 2281). Der erkennende Senat hat bereits ausgeführt, daß er diese Bedenken jedenfalls nicht teilt für Fälle, in denen das die öffentliche Zustellung bewilligende Gericht aus seiner Sicht davon ausgehen durfte und mußte, die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nach den §§ 203 ff. ZPO seien gegeben. Er hat ausgeführt, das Bundesverfassungsgericht habe in der zitierten Entscheidung einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör) angenommen, weil das die öffentliche Zustellung bewilligende Gericht übersehen habe, daß "eine andere Form der Zustellung ohne weiteres möglich gewesen wäre". In einem solchen Fall habe das Gericht durch einen eigenen Fehler den Anspruch des Zustellungsadressaten auf rechtliches Gehör verletzt. Es fehle an einer "ordnungsgemäßen Erfüllung der Zustellungsvorschriften" (BVerfGE aaO). Ob ein solcher Fehler des Gerichts die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung zur Folge haben könne, brauche nicht entschieden zu werden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stelle die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls nicht in Frage für Fälle, in denen das Gericht aus seiner Sicht die öffentliche Zustellung zu Recht bewilligt habe. Jedenfalls für diese Fälle sei an dieser Rechtsprechung festzuhalten. Schon die Rechtssicherheit erfordere es, daß die Wirksamkeit einer öffentlichen Zustellung nicht noch nach Jahren mit dem Versuch des Nachweises in Frage gestellt werden könne, dem bewilligenden Gericht sei der Sachverhalt nicht richtig oder nicht vollständig vorgetragen worden (Senatsurteil vom aaO S. 591 f.).

Anhaltspunkte dafür, daß das Gericht des Vorprozesses die öffentliche Zustellung nicht hätte bewilligen dürfen, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht geltend gemacht.

b) Das Gesetz mißt einer öffentlichen Zustellung uneingeschränkt dieselben Wirkungen zu wie einer anderen Zustellung. Daß im Falle einer öffentlichen Zustellung der Zustellungsempfänger allenfalls durch Zufall Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück erhält, liegt auf der Hand. Das Gesetz nimmt mithin bewußt in Kauf, daß im Falle einer öffentlichen Zustellung das Verfahren durchgeführt wird, ohne daß sich der Adressat der öffentlichen Zustellung in irgendeiner Weise an dem Verfahren beteiligen kann.

Obwohl dem Adressaten der öffentlichen Zustellung auf diese Weise der in § 103 GG garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör versagt wird, hält der Senat die Regelung nicht für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hatte nämlich abzuwägen zwischen dem Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör einerseits und dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Anspruch des Klägers auf Rechtsschutz gegenüber einem Beklagten mit unbekanntem Aufenthalt andererseits. Es ist sachgerecht, zumindest liegt es innerhalb des Regelungsspielraums, der dem Gesetzgeber zur Verfügung steht, wenn er dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch des Klägers den Vorrang einräumt.

c) Der Umstand allein, daß das Gericht des Vorprozesses eine Partei unter Einhaltung aller prozessualer Regeln nur fiktiv - durch öffentliche Zustellung - an dem Verfahren beteiligt hat, kann kein Grund für eine Nichtigkeitsklage sein. Würde man dies zulassen, so wäre praktisch in allen Fällen, in denen eine öffentliche Zustellung stattgefunden hat, die Nichtigkeitsklage eröffnet. Dies würde zu einer nicht erträglichen, vom Gesetzgeber nicht gewollten Rechtsunsicherheit führen. Der Gesetzgeber hat in den §§ 579, 580 ZPO ganz enge Grenzen für die Durchbrechung der Rechtskraft eines Urteils im Wege der Wiederaufnahme gesetzt. Diese Grenzen sind einzuhalten. Sie dürfen nicht durch eine der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufende Analogie dahin ausgeweitet werden, daß ein Verfahren, das im Wege der öffentlichen Zustellung betrieben und abgeschlossen worden ist, praktisch nach Belieben wieder aufgenommen werden kann. Würde man der Gegenmeinung folgen, so würde die Nichtigkeitsklage analog § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO im Kern deshalb zugelassen, weil das Gericht des Vorprozesses sich exakt an die Regeln der ZPO über die öffentliche Zustellung gehalten hat.

d) Es kann nichts anderes gelten, wenn der Kläger des Vorprozesses die Bewilligung der öffentlichen Zustellung durch falsche Angaben erschlichen hat. Es ist unzulässig, ein solches Fehlverhalten des Klägers des Vorprozesses mit dem Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör zu vermengen. Die Rechtsfolgen eines arglistig falschen Parteivortrags, mit dem die Partei einen ihr günstigen Ausgang des Prozesses erreichen will, sind nicht in der Bestimmung über die Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO), sondern in der Bestimmung über die Restitutionsklage (§ 580 ZPO) geregelt. Dabei spielt es keine Rolle, ob mit dem falschen Vortrag eine öffentliche Zustellung erschlichen oder ein anderer prozessualer Vorteil erreicht worden ist.

aa) Nach § 580 Nr. 4 ZPO findet die Restitutionsklage (u.a.) statt, wenn der Gegner des Restitutionsklägers das Urteil des Vorprozesses durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt hat. Das von dem Berufungsgericht festgestellte Verhalten des Beklagten stellt einen Prozeßbetrug dar. Nach § 581 Abs. 1 ZPO könnte eine Restitutionsklage auf diesen Betrug aber nur gestützt werden, wenn wegen der Straftat eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist. Würde man auch ohne eine solche rechtskräftige Verurteilung eine Wiederaufnahme analog § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zulassen, würde man durch diese Analogie die vom Gesetzgeber für den konkreten Fall angeordnete spezielle Regelung außer Kraft setzen. Das würde allen Auslegungsregeln widersprechen.

Die Klägerin hätte durch eine Strafanzeige auf eine Verurteilung des Beklagten wegen Prozeßbetruges hinwirken können. Nach einer entsprechenden Verurteilung des Beklagten hätte ihr dann die Restitutionsklage offengestanden.

bb) Nach § 580 Nr. 1 ZPO ist die Restitutionsklage außerdem zulässig, wenn der Gegner des Restitutionsklägers durch eine Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil des Vorprozesses gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat. Hätte der Beklagte im Vorprozeß seine wahrheitswidrige Behauptung, der Aufenthalt seiner Ehefrau sei ihm nicht bekannt und er sei auch von ihm nicht zu ermitteln, bei einer Parteivernehmung beeidet, so wäre ein Fall des § 580 Nr. 1 ZPO gegeben. Auch in diesem Falle wäre nach § 581 ZPO die Restitutionsklage aber nur eröffnet, wenn wegen des Meineids eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt wäre. Es kann nicht sein, daß falscher uneidlicher Parteivortrag eine schärfere Sanktion auslöst als ein Meineid.

4. Die hier vertretene Auffassung hat nicht zur Folge, daß die Klägerin, nachdem sie die Möglichkeit, eine Restitutionsklage zu erheben, versäumt hat, völlig rechtlos gestellt wäre. Soweit in dem im Vorprozeß ergangenen Urteil über das Sorgerecht entschieden worden ist, kann sie jederzeit beim Familiengericht einen Abänderungsantrag stellen, aufgrund dessen das Familiengericht zu überprüfen hätte, ob die Übertragung des Sorgerechts auf die Klägerin unter den gegebenen Umständen sachlich gerechtfertigt wäre. In diesem Punkt ist ihre Position dann nicht schlechter, als wenn das Urteil des Vorprozesses nicht ergangen wäre.

Außerdem gewährt die Rechtsprechung demjenigen, der dadurch einen Vermögensschaden erlitten hat, daß ein anderer gegen ihn im Wege der Irreführung des Gerichts ein unrichtiges Urteil oder einen anderen Vollstreckungstitel erwirkt hat, einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 826 BGB (vgl. zu den Einzelheiten dieses Anspruchs Mertens in MünchKomm/BGB, 3. Aufl. § 826 Rdn. 169 f. m.N.). Soweit der Klägerin, zum Beispiel durch den Ausschluß des Versorgungsausgleichs, finanzielle Nachteile entstanden sein sollten, kann sie diesen Schaden nach § 826 BGB geltend machen.

5. Die Anträge des Beklagten, die Sache zu vertagen oder auszusetzen, sind gegenstandslos. Sie sind nur hilfsweise gestellt für den Fall, daß die von der Klägerin unmittelbar vor dem Termin eingereichten Unterlagen über den Ausgang des Scheidungsverfahrens in Rumänien die Entscheidung beeinflussen könnten. Das ist nicht der Fall.

Da eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes nicht erforderlich ist, kann der Senat selbst abschließend entscheiden (§ 565 Abs. 3 ZPO a.F. = § 563 Abs. 3 ZPO n.F.). Das Berufungsurteil ist aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Familiengerichts ist zurückzuweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BB 2003 S. 604 Nr. 12
JAAAC-06686

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: nein