Leitsatz
[1] Eine bei Verkündung nicht vollständig abgefaßte Entscheidung gilt als "nicht mit Gründen versehen", wenn der notwendige Inhalt nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Sie ist dann auf eine Rüge der Parteien aufzuheben (Anschluß an den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom - GmS-OBG - NJW 1993, 2603).
Gesetze: ZPO § 310 Abs. 1 Satz 2; ZPO § 310 Abs. 2; ZPO § 540 Abs. 1; ZPO § 547 Nr. 6
Instanzenzug: AG Stuttgart-Bad Cannstatt
Tatbestand
Die Parteien streiten um nachehelichen Ehegattenunterhalt für die Zeit ab Mai 1999. Das Amtsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten und die unselbständige Anschlußberufung der Klägerin hat das Berufungsgericht den geschuldeten Unterhalt herabgesetzt und Verzugszinsen auch für die Zeit ab dem zugesprochen.
In dem auf die mündliche Verhandlung vom anberaumten Verkündungstermin vom hat das Berufungsgericht lediglich den Urteilstenor verkündet, während das vollständig abgefasste Urteil ausweislich eines Vermerks des Geschäftsstellenbeamten erst am zur Geschäftsstelle gelangt ist. Das vollständige Urteil ist den Parteien am zugestellt worden. Wegen des drohenden Ablaufs der Revisionsfrist hatten sie schon zuvor am 24. bzw. die zugelassene Revision eingelegt.
Gründe
Beide Revisionen haben Erfolg und führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I.
Das angefochtene Urteil ist - worauf die Revisionen beider Parteien zu Recht hinweisen - mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet, weil es entgegen §§ 540 Abs. 1, 547 Nr. 6 ZPO nicht mit Gründen versehen ist. Denn nach gefestigter Rechtsprechung ist ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil "nicht mit Gründen versehen", wenn der notwendige Inhalt des Urteils nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (vgl. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, GmS-OGB 1/92 - NJW 1993, 2603; AnwZ (B) 11/97 - NJW-RR 1998, 267). Tragender Gesichtspunkt für diesen übergreifenden verfahrensrechtlichen Grundsatz ist - unabhängig davon, ob die jeweiligen Verfahrensordnungen (wie hier § 548 ZPO) die Fünfmonatsfrist als absolute Frist für die Rechtsmitteleinlegung vorsehen - die Einsicht, daß das richterliche Erinnerungsvermögen abnimmt und nach Ablauf von mehr als fünf Monaten nicht mehr gewährleistet ist, daß der Eindruck von der mündlichen Verhandlung und das Beratene noch zuverlässigen Niederschlag in den so viel später abgefaßten Gründen der Entscheidung findet. Es geht mithin um die Vermeidung von Fehlerinnerungen und damit um Gründe der Rechtssicherheit ( aaO). Schließlich ist es insbesondere der unterlegenen und an der Einlegung eines Rechtsmittels interessierten Partei nicht zuzumuten, nach Verkündung eines Urteils länger als fünf Monate warten zu müssen, um - über eine etwaige mündliche Urteilsbegründung hinaus - die detaillierten Gründe zu erfahren, die zu ihrem Unterliegen geführt haben ( aaO). Auf eine Rüge der Parteien haben die Gerichte deswegen bei Überschreitung der Fünfmonatsfrist ein Urteil, das wegen der Fristüberschreitung die Beurkundungsfunktion nicht mehr erfüllt und deswegen als "nicht mit Gründen versehen" gilt, aufzuheben.
II.
Das Oberlandesgericht hat in dem anberaumten Verkündungstermin vom lediglich den von den mitwirkenden Richtern unterzeichneten Urteilstenor verkündet. Ausweislich des Verkündungsprotokolls ist nämlich "das Urteil Blatt 367 der Akten" verkündet worden. Die nach § 540 ZPO notwendigen weiteren Urteilsgründe sind nach einem Vermerk des Geschäftsstellenbeamten erst am und somit mehr als sechs Monate nach dem Verkündungstermin zur Geschäftsstelle gelangt. Deswegen konnte das vollständige Urteil den Parteien auch erst am zugestellt werden. Entsprechend hat der Berichterstatter in einem Aktenvermerk vom eingeräumt, das Urteil verspätet abgesetzt und die Parteivertreter auf den drohenden Ablauf der Revisionsfrist hingewiesen zu haben.
Das Urteil gilt deswegen - wie auch das Berufungsgericht erkannt hat - als nicht mit Gründen versehen und ist auf die Rügen der Parteien aufzuheben. Darauf, daß nach § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO ein Verkündungstermin nur dann über drei Wochen hinaus angesetzt werden darf, wenn dargelegt ist, daß wichtige Gründe, insbesondere der Umfang oder die Schwierigkeit der Sache, dies erfordern (vgl. insoweit - NJW 1999, 143), kommt es mithin nicht an. Ebenso kommt es nicht darauf an, daß nach § 310 Abs. 2 ZPO ein Urteil, daß nicht in dem letzten Verhandlungstermin verkündet wird, bei der Verkündung grundsätzlich in vollständiger Form abgefasst sein muß.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf seine geänderte Rechtsprechung zu den Einsatzbeträgen der Kinder und des unterhaltsberechtigten Ehegatten im absoluten Mangelfall hin (Urteil vom - XII ZR 2/00 - FamRZ 2003, 363).
IV.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG werden Gerichtskosten für das Revisionsverfahren nicht erhoben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
SAAAC-06576
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja