Leitsatz
[1] Zur Zulässigkeit einer Berufung, wenn in der Berufungsschrift, der entgegen der Sollvorschrift des § 519 Abs. 3 ZPO keine Abschrift des angefochtenen Urteils beigefügt wurde, bei im übrigen richtiger und vollständiger Bezeichnung dieses Urteils ein falsches erstinstanzliches Aktenzeichen angegeben ist.
Gesetze: ZPO § 519 Abs. 2 Nr. 1; ZPO § 519 Abs. 3
Instanzenzug: AG Bergheim 24 C 262/03 vom LG Köln 6 S 255/03 vom
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte die Beklagte, an die Klägerin rückständigen Mietzins in Höhe von 3.761,15 € nebst Zinsen zu zahlen. Gegen das ihr am zugestellte Urteil legte die Beklagte am Berufung ein, die sie zugleich begründete.
Die Berufungsschrift, der eine Abschrift des angefochtenen Urteils nicht beigefügt war, bezeichnet die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten jeweils mit vollständiger Anschrift unter Angabe ihrer jeweiligen erst- und zweitinstanzlichen Parteirolle. Sie enthält die Erklärung, dass die Beklagte gegen das Urteil des Amtsgerichts Bergheim vom , Az: 24 C 263/03, Berufung einlege.
Nach Eingang der angeforderten Akten 24 C 263/03 des Amtsgerichts Bergheim stellte die Geschäftsstelle des Landgerichts am fest, dass das Rubrum jenes Verfahrens nicht mit dem der Berufungsschrift übereinstimmte, und erfuhr durch telefonische Rücksprache mit dem Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, dass das Aktenzeichen des erstinstanzlichen Verfahrens richtig 24 C 262/03 lautete. Mit Schriftsatz vom gleichen Tage teilte auch der Prozessbevollmächtigte der Beklagten das richtige Aktenzeichen noch einmal mit.
Nach entsprechendem Hinweis verwarf das Landgericht die Berufung wegen Angabe eines falschen Aktenzeichens als unzulässig. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO statthaft (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 155, 21, 22) und zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (vgl. BGHZ 151, 221, 227 f.). Sie ist auch begründet, weil das Berufungsgericht die Anforderungen an eine zulässige Berufung überspannt hat.
2. Zutreffend ist zwar der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass die Angabe eines falschen Aktenzeichens in der Berufungsschrift der Zulässigkeit der Berufung dann nicht entgegensteht, wenn aufgrund der sonstigen erkennbaren Umstände für das Gericht und den Prozessgegner nicht zweifelhaft bleibt, welches Urteil angefochten wird (BGH, Senatsbeschluss vom - IVb ZB 23/89 - FamRZ 1989, 1063 f. m.N.).
Richtig ist ferner, dass solche Zweifel schon dann ausgeschlossen wären, wenn der Berufungsschrift hier entsprechend der Sollvorschrift des § 519 Abs. 3 ZPO = § 518 Abs. 3 ZPO a.F. eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils beigefügt worden wäre (Senatsbeschluss vom aaO 1064).
Dies ist zwar der sicherste Weg, Zweifelsfälle zu vermeiden, nicht aber zugleich auch der einzige Umstand, aufgrund dessen sich die fehlende oder falsche Angabe des Aktenzeichens als unschädlich erweisen kann.
a) Für die Klägerin als Prozessgegnerin dürfte angesichts der bis auf das Aktenzeichen zutreffenden Angaben in der Berufungsschrift, insbesondere auch der darin enthaltenen Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil, bereits von Anfang an nicht fraglich gewesen sein, welches Urteil mit der Berufung angefochten werden sollte, zumal keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass zwischen den Parteien weitere Rechtsstreitigkeiten anhängig waren (vgl. - NJW 2001, 1070 f.).
Darauf kommt es indes nicht an. Etwaige Zweifel des Prozessgegners müssen nicht schon bis zum Ablauf der Berufungsfrist behoben sein; es genügt, wenn die Klarstellung ihm gegenüber erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, sofern dadurch seine Rechtsverteidigung nicht beeinträchtigt wird (Senatsbeschluss vom aaO 1064 a.E.; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom - V ZB 9/74 - NJW 1974, 1658, vom - VII ZB 24/88 - NJW 1989, 2395 f. unter II, 1 und vom - VI ZB 1/00 - NJW-RR 2000, 1371 f.). Hier ist der Klägerin eine Abschrift des das Aktenzeichen richtigstellenden Schriftsatzes vom ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses am zugestellt worden.
b) Aber auch für das Berufungsgericht konnte bei Ablauf der Berufungsfrist nicht zweifelhaft sein, dass die Beklagte allein das in der Berufungsschrift bezeichnete, am zwischen den genannten Parteien ergangene Urteil des Amtsgerichts Bergheim anfechten wollte, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich waren, dass dieses Gericht am selben Tage ein weiteres Urteil in einem anderen Rechtsstreit derselben Parteien erlassen haben könnte.
Insoweit war die versehentlich falsche Angabe des Aktenzeichens unschädlich, weil das Berufungsgericht anhand der im übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Berufungsschrift nicht gehindert war, seine prozessvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (vgl. - JURIS und vom - 2 AZR 385/75 - AP Nr. 35 zu § 518 ZPO sowie Beschluss vom - 7 AZB 19/81 - JURIS).
Die falsche Angabe des erstinstanzlichen Aktenzeichens, das immerhin die richtige Zivilabteilung des Amtsgerichts und das richtige Jahr des Eingangs der Klage bezeichnete, hatte hier nur zur Folge, dass das Berufungsgericht zunächst die falschen Akten beim Amtsgericht anforderte, da es sich offensichtlich darauf beschränkte, nur das Aktenzeichen mitzuteilen. Hätte es das angefochtene Urteil bei seiner Aktenanforderung in derselben Weise bezeichnet wie die Berufungsklägerin, dann hätte die Geschäftsstelle bei sorgfältiger und sachgemäßer Bearbeitung mindestens auch die Akten des Rechtsstreits übersandt, in dem das angefochtene Urteil vom ergangen war. Daraus folgt, dass das angefochtene Urteil in der Berufungsschrift ungeachtet des falschen Aktenzeichens ausreichend bezeichnet war (vgl. - FamRZ 1958, 215, 216).
Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass prozessuale Formvorschriften kein Selbstzweck sind. Dies gilt hier um so mehr, als § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO selbst nicht bestimmt, in welcher Weise das angefochtene Urteil in der Berufungsschrift zu bezeichnen ist, mag auch die in Rechtsprechung und Literatur unumstrittene Forderung nach Mitteilung des Aktenzeichens aus guten Gründen in aller Regel unverzichtbar sein. Sie verfolgt einen zweifachen Zweck: Zum einen soll sie dem Rechtsmittelgericht eine rasche und unkomplizierte Anforderung der erstinstanzlichen Akten ermöglichen, ohne dass das Gericht erster Instanz die richtigen Akten erst anhand eines Prozessregisters ermitteln muss. Dies dient lediglich der Erleichterung des Geschäftsgangs und würde für sich allein bei einem Verstoß eine so drastische Folge wie die Verwerfung des Rechtsmittels nicht rechtfertigen können. Zum anderen dient sie - ebenso wie die weiteren zu fordernden Angaben - der eindeutigen Bezeichnung des angefochtenen Urteils. Sie ist aber insofern redundant, als das angefochtene Urteil im Regelfall - wie auch hier - bereits anhand der anderen Angaben eindeutig zu identifizieren ist, sofern nicht ohnehin gemäß § 519 Abs. 3 ZPO der sicherere Weg der Beifügung des angefochtenen Urteils gewählt wurde. Lediglich dann, wenn dasselbe Gericht in mehreren Rechtsstreitigkeiten derselben Parteien am selben Tag mehrere Urteile verkündet hat, erweist sie sich als unverzichtbar (vgl. und I R 188/71 - BFHE 109, 422 ff. und - BFHE 146, 196 ff.).
3. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht bei Eingang der Berufungsschrift nicht erkennen konnte, dass das angegebene Aktenzeichen falsch war. Soweit der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass der fehlerhaften Angabe des Aktenzeichens jedenfalls dann keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt, wenn der Fehler offensichtlich ist und das Berufungsgericht ihn sogleich erkennt ( - NJW 1993, 1719 f.), hat er die Frage, ob ein falsches und als solches nicht zu erkennendes Aktenzeichen stets zur Unzulässigkeit führt, ausdrücklich offen gelassen. Auch der Senatsbeschluss vom (- XII ZB 140/98 - BGHR ZPO § 518 Abs. 2 Nr. 1 Urteilsbezeichnung 8) besagt nur, dass eine falsche Angabe des Aktenzeichens, die nicht offensichtlich ist, die Berufung in der Regel - mithin nicht notwendigerweise immer - fehlerhaft macht.
Hier wäre die Berufung dann, wenn der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gar kein erstinstanzliches Aktenzeichen angegeben hätte, aufgrund der sonstigen Angaben in der Berufungsschrift ohne weiteres zulässig gewesen, da sich das angefochtene Urteil daraus eindeutig ergab. Aber auch die Angabe des falschen Aktenzeichens war hier nicht geeignet, bis zum Ablauf der Berufungsfrist Zweifel des Berufungsgerichts an der Identität des angefochtenen Urteils aufkommen zu lassen. Denn da das falsche Aktenzeichen nicht als solches offensichtlich war, bestand kein Anlass zu Zweifeln, ob etwa ein Urteil unter dem angegebenen Aktenzeichen oder aber ein durch die übrigen Angaben bezeichnetes Urteil angefochten war. Solche Zweifel konnten auch nach Ablauf der Berufungsfrist nicht auftauchen, als die Akten des zunächst angeforderten (falschen) Verfahrens 24 C 263/03 eintrafen und deren Rubrum nicht mit dem Rubrum der Berufungsschrift übereinstimmte. Denn daraus und aus dem Inhalt der übersandten Akten ergab sich zugleich, dass ein im Verfahren 24 C 263/03 etwa ergangenes Urteil nicht angefochten sein konnte.
4. Für die getroffene Entscheidung ist es ohne Bedeutung, dass auch das Berufungsgericht im Tenor sowie auf dem Deckblatt des angefochtenen Verwerfungsbeschlusses zwei falsche erstinstanzliche Aktenzeichen nennt (24 C 263/03 bzw. im Tenor 24 C 62/03). Für das Rechtsbeschwerdegericht besteht kein Zweifel daran, dass das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bergheim vom in der Sache 24 C 262/03 verworfen hat. Da der angefochtene Beschluss aufzuheben war, erübrigt sich eine Berichtigung.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 1003 Nr. 14
WM 2006 S. 1554 Nr. 32
RAAAC-06183
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja