Leitsatz
[1] a) Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nach § 28 Abs. 2 FGG ist nur dann zulässig, wenn im Vorlagebeschluss hinreichend dargelegt wird, dass das vorlegende Oberlandesgericht bei Befolgung der Rechtsansicht, von der es abweichen will, eine andere als die von ihm beabsichtigte Endentscheidung treffen müsste.
b) Der Betreuer ist als gesetzlicher Vertreter des Betreuten grundsätzlich befugt, in ärztliche Maßnahmen auch gegen den natürlichen Willen eines im Rechtssinne einwilligungsunfähigen Betreuten einzuwilligen.
c) Im Rahmen einer genehmigten Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB umfasst diese Befugnis ausnahmsweise auch das Recht, erforderlichenfalls einen der ärztlichen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betreuten zu überwinden (Fortführung des Senatsbeschlusses BGHZ 145, 297 ff.).
Gesetze: FGG § 28 Abs. 2; BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 2
Instanzenzug: AG Verden 4 XVII 273/05 vom LG Verden 1 T 146/05 vom OLG Celle 17 W 132/05 vom
Gründe
I.
1. Der 42-jährige Betroffene ist am im Anschluss an einen körperlichen Angriff auf seinen 15-jährigen Sohn in der psychiatrischen Klinik des Krankenhauses R. stationär aufgenommen worden. Bei der Untersuchung des Betroffenen wurde eine - mutmaßlich seit mehreren Jahren unbehandelte - paranoide Schizophrenie mit ausgeprägten formalen und inhaltlichen Denkstörungen diagnostiziert. Auf Anregung des Krankenhauses wurde durch einstweilige Anordnung des für den Betroffenen eine vorläufige rechtliche Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheits- und Vermögenssorge, Entscheidung über die Unterbringung und Geltendmachung von gesetzlichen Ansprüchen eingerichtet. Auf Antrag des vorläufigen Betreuers Rechtsanwalt V. genehmigte das die geschlossene Unterbringung des Betroffenen "unter Vornahme der notwendigen Untersuchungen und Heilbehandlungen, auch zwangsweise" bis längstens zum . Diesem Beschluss lag eine ärztliche Stellungnahme der psychiatrischen Klinik des Krankenhauses R. vom zugrunde, wonach eine medikamentöse antipsychotische Therapie indiziert sei, der Betroffene jedoch bei vollständig fehlender Krankheitseinsicht die ihm angebotene orale Medikation verweigere. Durch einen ausschließlich stationären Aufenthalt ohne medikamentöse Behandlung sei mit einer Besserung des Krankheitsbildes nicht zu rechnen. Durch weiteren Beschluss wies das Amtsgericht am einen Antrag auf öffentlich-rechtliche Unterbringung nach den Vorschriften des NdsPsychKG unter anderem mit der Begründung zurück, dass von dem Betroffenen gegenwärtig keine Fremdgefährdung ausgehe.
Am richtete der Betroffene eine als sofortige Beschwerde gegen den zivilrechtlichen Unterbringungsbeschluss gewürdigte Eingabe an das Amtsgericht, in der er unter anderem zum Ausdruck brachte, dass eine "geschlossene Unterbringung nicht notwendig" sei und darüber hinaus eine "sofortige Beendigung der Medikamentenpflicht" verlangt werde. Im Zuge des Beschwerdeverfahrens holte das Landgericht eine erneute ärztliche Stellungnahme zur Erforderlichkeit der Unterbringung ein, die am durch das Krankenhaus R. erstellt wurde. Danach bestehe zur Therapie des akuten Krankheitsbildes und zur Abwendung einer weiteren Chronifizierung der Erkrankung ein fortgesetzter medikamentöser Behandlungsbedarf. Ein Anhalt für eine akut bestehende Eigengefährdung auf Grund der psychischen Erkrankung finde sich jedoch nicht. Durch Beschluss vom wies das Landgericht die Beschwerde des Betroffenen als unbegründet zurück; auf die von der Verfahrenspflegerin im Namen des Betroffenen eingelegte weitere sofortige Beschwerde hob das die landgerichtliche Entscheidung wegen unterlassener Anhörung des Betroffenen auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück. Nach erfolgter Anhörung wies das Landgericht die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom erneut zurück. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Verfahrenspflegerin im Namen des Betroffenen mit einer neuerlichen weiteren sofortigen Beschwerde, mit der sie nach zwischenzeitlichem Ablauf der Genehmigungsfrist für die Unterbringungsmaßnahme nunmehr die Feststellung begehrt, dass die Unterbringung des Betroffenen bis zum rechtswidrig gewesen sei.
2. Das Oberlandesgericht hat die Sache gemäß § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Im Vorlagebeschluss hat das Oberlandesgericht ausgeführt, dass es zwar die Auffassung des Landgerichts teile, wonach der Betroffene auf Grund seiner psychischen Erkrankung behandlungsbedürftig sei. Es halte das Rechtsmittel des Betroffenen gleichwohl für begründet, weil die erteilte Genehmigung zur geschlossenen Unterbringung und zur Zwangsbehandlung gegen seinen Willen nach den allein in Betracht kommenden betreuungsrechtlichen Grundsätzen rechtlich unzulässig und daher nicht genehmigungsfähig sei. Mit dieser Rechtsansicht weiche es von den Entscheidungen des OLG Schleswig vom (FamRZ 2002, 984 ff.), des (FamRZ 2005, 1196 ff.) und des OLG Düsseldorf - I-25 Wx 73/03 - vom (veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank bei www.justiz.nrw.de) ab, wonach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine vom Unterbringungszweck umfasste Zwangsbehandlung auch gegen den natürlichen Willen eines im Rechtssinne einwilligungsunfähigen Betreuten ermögliche.
II.
Die Sache ist dem vorlegenden Oberlandesgericht zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückzugeben. Die Vorlage ist nicht zulässig.
1. Eine Sache aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist vom Oberlandesgericht - unter Begründung seiner Rechtsauffassung - gemäß § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof vorzulegen, wenn das Gericht von der auf weitere Beschwerde ergangenen Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder, falls über die Rechtsfrage bereits eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vorliegt, von dieser abweichen will. Der Bundesgerichtshof hat zu prüfen, ob in der streitigen Rechtsfrage tatsächlich ein Abweichungsfall vorliegt und ob die begehrte Stellungnahme zu der Rechtsfrage für die Entscheidung des von dem Oberlandesgericht vorgelegten Falles erheblich ist (Senatsbeschluss vom - IVb ZB 1/86 - FamRZ 1986, 460, 461). Erheblich ist nur eine Abweichung im Ergebnis, nicht schon eine Abweichung in der Begründung ( - NdsRPfl 1991, 298).
Dies zu überprüfen, muss das vorlegende Oberlandesgericht dem Bundesgerichtshof auf der Grundlage des im Vorlagebeschluss mitgeteilten Sachverhaltes und der dort zum Ausdruck gebrachten rechtlichen Beurteilung des Falles ermöglichen. Aus dem Vorlagebeschluss muss sich deshalb durch im einzelnen begründete Darlegungen ergeben, dass die Befolgung der abweichenden Rechtsansicht bei dem zur Beurteilung stehenden Sachverhalt zu einer abweichenden Fallentscheidung führen würde (Senatsbeschlüsse BGHZ 82, 34, 36 f. und BGHZ 133, 384, 385 f.; vgl. weiterhin IV ARZ [Vz] 2/77 - FamRZ 1977, 384, 385). Dementsprechend ist eine Vorlage nur dann zulässig, wenn das Oberlandesgericht darlegt, dass es ohne Abweichung nicht dieselbe Endentscheidung treffen könnte (vgl. auch KG OLGZ 1970, 58, 64; Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RPflG, 10. Aufl. § 28 FGG Rdn. 5).
2. Nach diesen Maßstäben ist die Vorlage nicht zulässig.
a) Das Oberlandesgericht geht ersichtlich davon aus, dass eine medizinische Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich auch zur Untersuchung und Behandlung derjenigen psychischen Krankheit oder Behinderung in Betracht kommt, die Grund für die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung gewesen ist (Anlasserkrankung). Hiergegen ist nichts zu erinnern. Aus dem Wortlaut des Gesetzes und der Gesetzesbegründung ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Möglichkeiten der medizinischen Unterbringung seien auf die Zwecke der Untersuchung und Behandlung solcher Krankheiten beschränkt, die zu der die Betreuungsbedürftigkeit begründenden Krankheit oder Behinderung hinzugetreten sind (sog. Begleiterkrankung, vgl. Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 11/4528, S. 147; vgl. weiterhin RGRK/Dickescheid, BGB, 12. Aufl. § 1906 Rdn. 10; Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Aufl. § 1906 Rdn. 43; Erman/Roth, BGB, 11. Aufl. § 1906 Rdn. 17; MünchKomm/Schwab, BGB, 4. Aufl. § 1906 Rdn. 21).
b) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung ausgesprochen, dass die Fürsorge der staatlichen Gemeinschaft auch die Befugnis einschließe, einen psychisch Kranken, der infolge seines Krankheitszustands und der damit verbundenen fehlenden Einsichtsfähigkeit die Schwere seiner Erkrankung und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen nicht beurteilen oder trotz einer solchen Erkenntnis sich infolge der Krankheit nicht zu einer Behandlung entschließen kann, zwangsweise in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken abzuwenden. Doch auch dem psychisch Kranken bleibt in weniger gewichtigen Fällen die "Freiheit zur Krankheit" (BVerfGE 58, 208, 224 ff.). In deren Grenzen darf der Kranke gerade bei behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen selbst entscheiden, ob er das Durchleben seiner Krankheit einer aus seiner Sicht unzumutbaren Behandlung in einer psychiatrischen Klinik vorziehen will.
Dieser "Freiheit zur Krankheit" ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch bei der zivilrechtlichen Unterbringung Rechnung zu tragen (Senatsbeschluss BGHZ 145, 297, 305; vgl. auch BVerfG FamRZ 1998, 895, 896). Gerade weil die mit der Behandlungsnotwendigkeit der Anlasserkrankung begründete medizinische Unterbringung nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht an die engeren Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB - Suizidgefahr, erhebliche Gesundheitsbeschädigung - gebunden ist (BT-Drucks. aaO, S. 147; vgl. hierzu kritisch Rink, in HK-BUR [Stand Dezember 2004] § 1906 BGB Rdn. 23, Bohnert, Unterbringungsrecht [2000], S. 50 f.), kommt dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als notwendigem Korrektiv für die Eingriffe in das Freiheitsrecht des Betroffenen besondere Bedeutung zu (Staudinger/Bienwald, BGB [1999], § 1906 Rdn. 30). Der drohende Gesundheitsschaden muss stets so gewichtig sein, dass er den mit der beabsichtigten Unterbringungsmaßnahme verbundenen Freiheitseingriff zu rechtfertigen vermag. Für den Bereich einer neuroleptischen Medikation als notwendiger Heilbehandlung muss dabei in jedem Einzelfall eine therapeutische Indikation bestehen und der mögliche therapeutische Nutzen der Behandlung gegen die Gesundheitsschäden abgewogen werden, die ohne die Behandlung entstehen würden. Dabei sind auch die negativen psychischen Auswirkungen der Unterbringung auf den Betroffenen in die Abwägung einzubeziehen (vgl. Jürgens/Marschner, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 1906 Rdn. 20).
c) Es liegt auf der Hand, dass ein noch strengerer Prüfungsmaßstab anzulegen ist, wenn die Freiheitsentziehung mit einer Zwangsbehandlung des Betroffenen - deren Zulässigkeit vorausgesetzt - verbunden werden soll. Dies folgt schon daraus, dass in diesem Falle nicht nur die Unterbringung und ihre Dauer, sondern auch der mit der Zwangsbehandlung verbundene Eingriff und dessen Folgen in die gebotene Güterabwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen sind (vgl. OLG Schleswig BtPrax 2003, 223, 224). Bei der Prüfung, ob eine - insbesondere längerfristige - Behandlung eines untergebrachten Betroffenen unter Zwang dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch entspricht, werden an die Gewichtigkeit des ohne Behandlung drohenden Gesundheitsschadens, aber auch an die Heilungs- bzw. Besserungsprognose strengere Anforderungen zu stellen sein. Dies legt gerade bei der Behandlung psychischer Erkrankungen eine besonders kritische Prüfung des therapeutischen Nutzens einer nur unter Zwang durchgeführten Medikation nahe (vgl. hierzu Jürgens/Marschner aaO Rdn. 19).
d) Dem Vorlagebeschluss sind Erörterungen zur Verhältnismäßigkeit nach diesen Maßstäben nicht zu entnehmen. Die Ausführungen zur Behandlungsbedürftigkeit der psychischen Erkrankung des Betroffenen rechtfertigen noch nicht die Annahme, dass das Oberlandesgericht tatsächlich an der von ihm beabsichtigten Beschwerdeentscheidung zugunsten des Betroffenen gehindert wäre, wenn es der abweichenden Auffassung der Oberlandesgerichte Schleswig, München und Düsseldorf von der rechtlichen Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung im Rahmen einer nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigten medizinischen Unterbringung folgte. Nur wenn das Oberlandesgericht in diesem Falle die von dem Landgericht auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts getroffene Güterabwägung rechtlich billigen und deshalb die Beschwerde des Betroffenen zurückweisen müsste, läge tatsächlich ein Fall der Divergenz vor. Dagegen wäre keine Divergenz gegeben, wenn das Oberlandesgericht auf der Grundlage des vom Landgericht festgestellten Sachverhalts selbst dann eine Beschwerdeentscheidung zugunsten des Betroffenen treffen würde, wenn es zwar die rechtliche Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung im Rahmen der medizinischen Unterbringung im Grundsatz bejahte, die Voraussetzungen für die Genehmigung einer solchen Maßnahme aber im vorliegenden Fall nicht als gegeben ansähe.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom zur Unzulässigkeit einer ambulanten medizinischen Zwangsbehandlung gegen den natürlichen Willen eines im Rechtssinne einwilligungsunfähigen Betreuten das Folgende ausgeführt (Senatsbeschluss BGHZ aaO S. 307 f.):
Der Betreuer ist nach § 1902 BGB der gesetzliche Vertreter des Betreuten, der dessen Angelegenheiten gemäß § 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB so zu besorgen hat, wie es dem Wohl des Betreuten entspricht. Durch die gesetzliche Vertreterstellung wird die Rechtsmacht des Betreuers nach außen begründet. Innerhalb seines Aufgabenkreises ist der Betreuer berechtigt, die Geschäfte des Betreuten zu besorgen. Indessen ist mit der Einräumung dieser Rechtsmacht nicht zwingend die Macht verbunden, die getroffene Entscheidung auch durchsetzen zu können. Gerade im grundrechtsrelevanten Bereich ist die Rechtsmacht des gesetzlichen Vertreters beschränkt. Bei Minderjährigen wird das Recht der Eltern, Anweisungen notfalls mit behördlicher Hilfe durchzusetzen, aus dem Erziehungsrecht und insbesondere aus § 1631 Abs. 3 BGB hergeleitet. Auf diese Vorschrift verweist das Betreuungsrecht in § 1908 i Abs. 1 BGB jedoch nicht, weil die Funktionen des Betreuers in der Personensorge nicht mit denjenigen der sorgeberechtigten Eltern vergleichbar sind. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist darauf hingewiesen worden, dass der Vormund im Rahmen der Fürsorge öffentliche Funktionen wahrnimmt und sich daher der Mündel auch gegenüber Handlungen des Vormunds auf seine Grundrechte berufen kann; nichts anderes gilt im Verhältnis des Betreuers zum Betreuten. Dies vorausgesetzt, greift der Gesetzesvorbehalt in Artt. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG ein, und es bedarf zur Vornahme von Zwangshandlungen gegen den Widerstand des Betreuten einer Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz. Im grundrechtsrelevanten Bereich scheiden Analogien oder der Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen des Betreuungsrechts (§§ 1896, 1901, 1902 BGB) aus, weil sonst nicht sichergestellt wäre, dass Eingriffe in die durch Gesetzesvorbehalt gesicherten Grundrechte des Betreuten berechenbar und kontrollierbar bleiben.
2. Aus diesen Ausführungen lassen sich indessen keine Rückschlüsse darauf ziehen, dass die vorhandenen gesetzlichen Regelungen (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 BGB) keine zureichende Rechtsgrundlage für eine zwangsweise Behandlung des Betreuten im Rahmen einer rechtmäßigen Unterbringungsmaßnahme darstellen können.
a) Das Betreuungsgesetz (vom BGBl. I, 2002) hat nicht in Frage gestellt, dass der gesetzliche Vertreter eines im Rechtssinne Einwilligungsunfähigen grundsätzlich für diesen in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff einwilligen kann. Nicht einwilligungsfähige Betreute dürfen nicht von solchen Maßnahmen ausgeschlossen werden, weil ansonsten ihre gesundheitliche Versorgung und damit ihr Wohl an ihrer mangelnden Einsichts- oder Urteilsfähigkeit scheitern würde. Aus diesem Grunde sind nach diesem Gesetz Zwangsbehandlungen, zwangsweise Untersuchungen oder zwangsweise ärztliche Eingriffe nicht grundsätzlich verboten. Wer aufgrund seiner psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung seine Behandlungsbedürftigkeit nicht erkennen kann und eine Behandlung deshalb ablehnt, dem soll nicht schon deshalb die Behandlung versagt werden (BT-Drucks. 11/4528, S. 72, 141).
b) Die wohl überwiegende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung geht daher davon aus, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Zwangsbehandlung einwilligungsunfähiger Betroffener gegen deren natürlichen Willen während der - gerichtlich genehmigten - stationären Unterbringung ermöglicht (OLG München aaO; OLG Düsseldorf aaO; OLG Schleswig FamRZ 2002 aaO und BtPrax 2003 aaO; Palandt/Diederichsen, BGB, 65. Aufl. § 1906 Rdn. 10; Bamberger/ Roth/Müller, BGB, § 1906 Rdn. 7; AnwKomm/Heitmann, BGB § 1904 Rdn. 11; jurisPK/Bieg/Jaschinski, BGB § 1906 Rdn. 47; Damrau/Zimmermann aaO § 1904 Rdn. 16; Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann, Betreuungsrecht, 4. Aufl. § 1906 BGB Rdn. 101; Knittel, Betreuungsgesetz § 1906 Rdn. 22c f.; Probst, Betreuungs- und Unterbringungsverfahren [2005] Rdn. 177 a.E.; Posselt-Wenzel, Medizinische Eingriffe bei geistig behinderten Menschen [2004], S. 82 ff.). Auch der Senat hat in seinem Beschluss vom an anderer Stelle zum Ausdruck gebracht, dass eine Zwangsbehandlung in den gesetzlich geregelten Fällen einer nach dem Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässigen medizinischen Unterbringungsmaßnahme nach § 1906 BGB grundsätzlich in Betracht kommen kann (BGHZ aaO, S. 306).
An dieser Auffassung hält der Senat fest. Soweit dagegen eingewendet wird, dass bei der gewaltsamen Zuführung zur Unterbringung das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), bei der Zwangsbehandlung gegen den Widerstand des Betroffenen hingegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) betroffen sei und das Betreuungsrecht für einen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit keine Ermächtigungsgrundlage enthalte (vgl. Marschner RuP 2005, 47, 50 und RuP 2001, 132, 133 f.; vgl. weiterhin OLG Celle RuP 2005, 196 f.; OLG Jena RuP 2003, 29), vermag der Senat dem nicht zu folgen.
Es sind - auch im Hinblick auf die grundrechtliche Relevanz - zwei verschiedene Fragen voneinander abzugrenzen. Zum einen bedarf es der Klä-rung, ob der Betreuer entgegen dem Willen des Betreuten in eine medizinische Maßnahme einwilligen darf. Zum anderen stellt sich die Frage, ob und in welchen Fällen er einen entgegenstehenden Willen des nicht einsichts- und steuerungsfähigen Betreuten überwinden kann (vgl. Heide, Medizinische Zwangsbehandlung [2001], S. 156 f.).
aa) Grundsätzlich greifen alle mit einer Einwirkung auf die körperliche Integrität verbundenen Untersuchungen, Heilbehandlungen und ärztlichen Eingriffe in das Grundrecht des Patienten auf körperliche Unversehrtheit ein, auch wenn diese Maßnahmen medizinisch angezeigt sind und nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden. Dieser Eingriff ist allerdings dann gerechtfertigt, wenn eine Einwilligung des Grundrechtsträgers vorliegt. Ist der Grundrechtsträger zur Einwilligung nicht in der Lage, erteilt sein gesetzlicher Vertreter die Einwilligung. Dies gilt auch im Betreuungsrecht (vgl. BVerfG NJW 2002, 206, 207; Di Fabio in Maunz/Dürig, Grundgesetz [Stand Februar 2004], Art. 2 Abs. 2 GG Anm. 69). Dem Betreuer steht kraft des gesetzlichen Vertretungsverhältnisses (§ 1902 BGB) die grundsätzliche Befugnis zu, an Stelle eines nicht einsichts- oder steuerungsfähigen Betreuten in Untersuchungen des Gesundheitszustands, in Heilbehandlungen und in ärztliche Eingriffe einzuwilligen, sofern nicht unter den Voraussetzungen des § 1904 BGB hierzu die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zusätzlich erforderlich ist. Dabei ergibt sich aus § 1901 Abs. 3 Satz 1 BGB auch für die Frage der Einwilligung in me-dizinische Maßnahmen, dass der Betreuer den Wünschen des Betreuten nicht entsprechen muss, wenn sie dessen Wohl zuwiderlaufen. Zum Wohl des Betreuten gehören in diesem Sinne auch die Erhaltung seiner Gesundheit und die Verringerung oder Beseitigung von Krankheiten; dieses Wohl darf durch seine mangelnde Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit nicht gefährdet werden (BT-Drucks. aaO, S. 147). Ist dem Betreuungsrecht damit eine generelle Rechtsgrundlage dafür zu entnehmen, dass der Betreuer auch gegen den natürlichen Willen des Betreuten in eine medizinische Maßnahme einwilligen kann, stellt der mit der medizinischen Maßnahme verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Betreuten weder für einen im Rahmen seiner gesetzlichen Befugnisse handelnden Betreuer noch für das auf der Grundlage der vom Betreuer erteilten Einwilligung handelnde ärztliche Personal eine rechtswidrige Einschränkung der Grundrechte des Betroffenen dar. Für diese Beurteilung ist es ohne Belang, ob der Betroffene die ärztliche Maßnahme geduldet hat oder ob ein der ärztlichen Maßnahme entgegenstehender natürlicher Wille des Betreuten zuvor überwunden worden ist.
bb) Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Betreuer befugt ist, den einer medizinischen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betreuten durch Zwang zu überwinden. Allein aus den gesetzlichen Vertretungsvorschriften der §§ 1901, 1902 BGB kann der Betreuer eine solche Zwangsbefugnis nicht herleiten, weil diese Vorschriften für sich genommen keine hinreichende Bestimmung von Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß der vom Betreuten unter Zwang zu duldenden Behandlung ermöglichen, was im grundrechtsrelevanten Bereich wegen des Gesetzesvorbehalts jedoch zwingend erforderlich ist. Derartige Bedenken lassen sich gegen § 1906 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 BGB indessen nicht erheben.
Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer zulässig, solange sie zum Wohle des Betreuten erforderlich ist, weil eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grunde einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Die fehlende Einsicht oder die fehlende Steuerungsmöglichkeit muss sich zwar nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht auf die Notwendigkeit der Untersuchung, der Heilbehandlung oder des Eingriffs beziehen, sondern auf die Notwendigkeit der Unterbringung. Dies ist sprachlich ungenau, da schon nach der Gesetzesbegründung ersichtlich die fehlende Behandlungseinsicht im Vordergrund stand (BT-Drucks. aaO S. 147; vgl. auch Damrau/Zimmermann aaO § 1906 Rdn. 48; Rink in HK-BUR aaO Rdn. 26).
Da eine medizinische Maßnahme nur dann als notwendig im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB angesehen werden kann, wenn sie rechtlich zulässig ist, kann der Betreute auf dieser Rechtsgrundlage nur untergebracht werden, wenn er während der Unterbringung auch behandelt werden darf (vgl. Damrau/Zimmermann aaO Rdn. 50). Sähe man die zwangsweise Überwindung eines der Behandlung entgegenstehenden Willens des Betreuten auch im Rahmen einer Unterbringungsmaßnahme als unzulässig an, würde der Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB von vornherein auf die - eher seltenen - Fälle beschränkt, in denen der Betreute zwar die Notwendigkeit der medizinischen Maßnahme bejaht oder jedenfalls trotz fehlender Behandlungseinsicht keinen der medizinischen Maßnahme entgegenstehenden natürlichen Willen manifestiert, in denen er aber nicht die Notwendigkeit der Unterbringung einsieht. Die Vorschrift kann daher sinnvoll nur dahin ausgelegt werden, dass der Betreute die notwendigen medizinischen Maßnahmen, in die der Betreuer zu seinem Wohl eingewilligt hat und derentwegen der Betreute untergebracht werden darf, unabhängig von seinem möglicherweise entgegenstehenden natürlichen Willen während der Unterbringung zu dulden hat.
cc) Dieser Beurteilung steht auch § 70 g Abs. 5 Satz 2 FGG nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass der Betreuer nach dieser Vorschrift nur bei der Zuführung zu einer Unterbringung nach § 70 Abs. 1 Nr. 2 FGG einen Anspruch auf Unterstützung durch die zuständige Behörde hat, die ihrerseits aufgrund besonderer gerichtlicher Entscheidung auch Gewalt anwenden darf. Auch wenn demnach die Behörde den Betreuer nach erfolgter Unterbringung nicht mehr zu unterstützen hat, lässt sich hieraus gegen die Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen nichts entnehmen. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers bedarf der Betreuer bei der eigentlichen Unterbringungsmaßnahme keiner behördlichen Unterstützung, weil er das Anstaltspersonal zur Unterstützung hinzuziehen kann (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 11/6949, S. 84; vgl. auch Keidel/Kayser, FGG 15. Aufl. § 70g Rdn. 17). Ersichtlich aus dem gleichen Grund enthält das Gesetz auch keine dem § 70g Abs. 5 FGG entsprechende Vorschrift für den Vollzug unterbringungsähnlicher Maßnahmen (§ 70 Abs. 1 Nr. 3 FGG), weil der personale Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 4 BGB von vornherein auf die in einer Einrichtung lebenden Betreuten beschränkt ist und der Betreuer dort regelmäßig Hilfe bei der Ausübung von Zwang zu finden vermag.
Der Senat verkennt nicht, dass zufolge des beschränkten Anwendungsbereichs von § 70g Abs. 5 FGG der Vollzug einer von dem Betreuer genehmigten Zwangsmaßnahme keiner weiteren vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung und damit keiner unmittelbaren gerichtlichen Kontrolle unterliegt, sofern nicht zur Durchsetzung des Behandlungszwanges die Bewegungsfreiheit des freiheitsentziehend Untergebrachten durch Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB zusätzlich eingeschränkt werden soll (vgl. hierzu BayObLG FamRZ 1994, 721, 722 m.w.N.). Dieses Problem ist indessen vom Gesetzgeber erkannt und das Genehmigungserfordernis für die Einwilligung in eine medizinische Maßnahme bewusst nicht davon abhängig gemacht worden, ob der Betreute die Behandlung freiwillig oder nur unter Zwang duldet (BT-Drucks. 11/4528, S. 92).
3. Die Sache gibt weiterhin Anlass zu dem Hinweis, dass in der Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die von dem Betreuten zu duldende Behandlung so präzise wie möglich anzugeben ist, weil sich nur aus diesen Angaben der Unterbringungszweck sowie Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der von dem Betreuten zu duldenden Behandlung hinreichend konkret und bestimmbar ergeben (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 118); dazu gehören bei einer Behandlung durch Verabfolgung von Medikamenten in der Regel auch die möglichst genaue Angabe des Arzneimittels oder des Wirkstoffes und deren (Höchst-) Dosierung sowie Verabreichungshäufigkeit; insoweit kann es sich empfehlen, vorsorglich auch alternative Medikationen für den Fall vorzusehen, dass das in erster Linie vorgesehne Medikament nicht die erhoffte Wirkung hat oder vom Betreuten nicht vertragen wird.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DNotZ 2006 S. 626 Nr. 8
NJW 2006 S. 1277 Nr. 18
NWB-Eilnachricht Nr. 25/2006 S. 2077
KAAAC-06155
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja