Leitsatz
[1] Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind nach § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz ZPO in jedem Falle zu erstatten, ohne daß es auf die Frage der Notwendigkeit i.S.v. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO ankommt. Einer Partei aus den alten Bundesländern, die sich durch einen Rechtsanwalt aus den alten Bundesländern vor einem Gericht in den neuen Ländern vertreten ließ, kann der Kostenerstattungsanspruch daher nicht deshalb gekürzt werden, weil im Falle einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt aus den neuen Ländern geringere gesetzliche Gebühren entstanden wären.
Gesetze: ZPO § 91 Abs. 2 Satz 1; EinigVtr Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 26 Buchst. a; KostGErmAV § 1
Instanzenzug: OLG Naumburg vom
Gründe
I.
Die Klägerin mit Sitz in S. (Hessen) erhob, vertreten durch gleichfalls in S. ansässige Rechtsanwälte, im Februar 2002 gegen den Beklagten Zahlungsklage beim Landgericht D. (Sachsen-Anhalt). Das Verfahren endete im März 2002 mit einem Versäumnisurteil, in dem dem Beklagten 88% der Kosten des Rechtsstreits auferlegt wurden.
In dem anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren hat die Klägerin an Rechtsanwaltsgebühren eine 10/10 Prozeßgebühr gemäß § 31 Abs. 1 BRAGO und eine 5/10 Gebühr gemäß § 33 BRAGO angemeldet. Das Landgericht hat diese Gebühren gemäß § 11 BRAGO in Verbindung mit dem Einigungsvertrag vom und mit § 1 Ermäßigungssatz-Anpassungsverordnung vom jeweils nur in Höhe von 90% berücksichtigt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der - vom Beschwerdegericht zugelassenen - Rechtsbeschwerde begehrt die Klägerin die Berücksichtigung der angemeldeten Rechtsanwaltsgebühren zu 100% und die Festsetzung des ihr danach weiter zustehenden Erstattungsbetrages von 109,56 € nebst Zinsen zu Lasten des Beklagten.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist in vollem Umfang begründet.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung der Absetzung von 10% der geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren ausgeführt: Diese entspreche den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Erstattungsfähigkeit von Anwaltsgebühren nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Wenn die Klägerin einen in D. ansässigen Rechtsanwalt beauftragt hätte, wären nur die ermäßigten Gebühren angefallen. Die Mehrkosten eines Rechtsanwalts aus den alten Bundesländern seien nicht erstattungsfähig. Die Klägerin habe weder stichhaltige Gründe dafür vorgebracht, daß sie nicht befähigt oder in der Lage gewesen sei, einen im Landgerichtsbezirk D. ansässigen Rechtsanwalt schriftlich oder telefonisch zu informieren, noch sei sie als geschäftlich und rechtlich unerfahren anzusehen. An dem Grundsatz, daß regelmäßig nur die ermäßigten Gebühren festgesetzt würden, auch wenn die obsiegende Partei sich durch einen in den alten Bundesländern niedergelassenen Rechtsanwalt bei einem Gericht im Beitrittsgebiet habe vertreten lassen, habe der Gesetzgeber mit dem ab geltenden § 78 Abs. 1 ZPO nichts geändert.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Die Erstattungsfähigkeit der von der Klägerin zur Festsetzung angemeldeten Rechtsanwaltsgebühren richtet sich entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts (so auch schon OLG Naumburg OLG-Report 2001, 280 und 2002, 129, 132) nicht nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sondern nach § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. ZPO. Danach sind die geltend gemachten Gebühren mit 100% in Ansatz zu bringen, ohne daß es darauf ankommt, ob die Klägerin einen Rechtsanwalt in D. hätte beauftragen können.
a) Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. ZPO sind die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei in allen Prozessen zu erstatten. Die Vorschrift knüpft an den Grundsatz des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO an, nach dem die der obsiegenden Partei erwachsenen Kosten als Kosten des Rechtsstreits erstattungsfähig sind, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig sind. Sie bildet aber insofern eine Ausnahme, als sie für ihren Anwendungsbereich von der grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entbindet. Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts gelten "von rechtswegen als zweckentsprechende Kosten der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung" (Motive bei Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung in: Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 2. Aufl. Bd. 2 S. 198).
b) Der Anwendbarkeit des § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. ZPO steht nicht entgegen, daß die Rechtsanwälte, deren Gebühren die Klägerin geltend macht, nicht beim Prozeßgericht zugelassen und nicht in dessen Bezirk ansässig sind. § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. ZPO stellt darauf nicht ab. Die Vorschrift ist ihrem Wortlaut nach unterschiedslos auf alle Rechtsanwälte anwendbar. Eine Einschränkung besteht nach dem Wortlaut ("des Rechtsanwalts") nur dahingehend, daß lediglich die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, also des Hauptbevollmächtigten, nicht dagegen Gebühren von Verkehrsanwälten oder Unterbevollmächtigten, erfaßt werden (dazu , EBE/BGH 2002, 398). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt. Die Klägerin hat ausschließlich die Rechtsanwälte aus S. mit ihrer Vertretung beauftragt, die nach der Neuregelung der Postulationsfähigkeit zum (Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom , BGBl. I, 2448) für sie auch beim Landgericht D. auftreten konnten. Daß § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. ZPO nicht die Zulassung des Rechtsanwalts beim Prozeßgericht oder seinen Sitz am Prozeßort voraussetzt, ergibt sich ferner aus der Zusammenschau mit § 91 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. ZPO, der für die Reisekosten eines nicht beim Prozeßgericht zugelassenen und nicht am Prozeßort ansässigen Rechtsanwalts eine abweichende Regelung trifft.
c) Nach § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. ZPO sind die durch die Beauftragung der Rechtsanwälte in S. entstandenen Gebühren in Ansatz zu bringen. Dies gilt auch dann, wenn es der Klägerin möglich gewesen wäre, Rechtsanwälte, etwa im Bezirk des Landgerichts D., zu beauftragen, die niedrigere gesetzliche Gebühren hätten beanspruchen können.
Entgegen einer vom Oberlandesgericht Brandenburg (MDR 2001, 1015, 1016) vertretenen Ansicht kann, auch für den Fall, daß eine Gebührenermäßigung für Rechtsanwälte am Prozeßort besteht, § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. ZPO nicht dahingehend ausgelegt werden, daß die niedrigere, am Prozeßort geltende "Regelgebühr" (OLG Brandenburg, aaO) anzusetzen ist. Nach der Neuregelung der Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte zum , die es Rechtsanwälten ermöglicht, auch vor anderen Landgerichten als dem, bei dem sie zugelassen sind, aufzutreten, ist es bereits kaum zu rechtfertigen, bei Existenz unterschiedlicher Regelungen gesetzlicher Gebühren die für Rechtsanwälte am Prozeßort geltenden Gebühren als Regelgebühren anzusehen. Abgesehen davon stellt § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. ZPO aber nicht auf Regelgebühren, sondern auf die tatsächlich angefallenen gesetzlichen Gebühren ab. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift ("des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei", nicht: "eines Rechtsanwalts") und im übrigen aus dem dem Kostenrecht zugrunde liegenden Grundsatz, daß die der Partei "erwachsenen", nicht fiktive Kosten der Erstattung zugrunde zu legen sind.
d) An der Richtigkeit dieser Auslegung des § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. ZPO ändert auch der Umstand nichts, daß es zu den unterschiedlichen Regelungen gesetzlicher Gebühren erst durch Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 26 zum Einigungsvertrag gekommen ist, nachdem zuvor ein einheitliches Gebührensystem galt. § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. ZPO hat dadurch allerdings eine gegenüber der bisherigen Rechtslage neue, weiter gehende Bedeutung erlangt. Während die Vorschrift bisher schon Ausdruck dafür war, daß eine Partei das Recht hat, sich unabhängig vom Schwierigkeitsgrad einer Sache auch in Parteiverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, führt ihre wortgetreue Anwendung nunmehr darüber hinaus zur Anerkennung des Rechts der Partei, sich frei und ohne Nachteile bei der Kostenerstattung zu entscheiden, ob sie sich eines Rechtsanwalts mit höheren oder niedrigeren gesetzlichen Gebühren bedient. Auch mit dieser weiter gehenden Bedeutung ist die Vorschrift aber gerechtfertigt und anzuwenden. Dafür spricht bereits, daß der Gesetzgeber weder die Regelung im Einigungsvertrag noch die spätere Neuregelung der Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte zum Anlaß genommen hat, die Vorschrift zu ändern. Vor allem aber würde eine andere Beurteilung weder den berechtigten Interessen der Mandanten noch denen der Rechtsanwälte gerecht werden.
aa) Mit der Erweiterung der Postulationsfähigkeit vor den Landgerichten auf alle bei einem Amts- oder Landgericht zugelassenen Rechtsanwälte durch das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom (BGBl. I, 2278) sollten nicht nur die Belange der Anwaltschaft gefördert, sondern es sollte wesentlich auch dem Interesse der Mandanten Rechnung getragen werden, von einem Rechtsanwalt ihres Vertrauens auch vor auswärtigen Zivilgerichten vertreten werden zu können (, EBE/BGH 2002, 398, 400; Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/4993, S. 43; Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungsnahme des Bundesrates, BT- Drucks. 12/4993, S. 53). Diesem Gesetzeszweck liefe es zuwider, wenn obsiegende Prozeßparteien aus den alten Bundesländern eine vollständige Kostenerstattung nur bei Beauftragung eines Rechtsanwalts aus den neuen Ländern erreichen könnten.
bb) Auch den berechtigten Interessen der Anwaltschaft würde eine einschränkende Auslegung des § 91 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbs. ZPO nicht gerecht. Sie würde nämlich zu einer Wettbewerbsverzerrung führen (dazu auch Nolting NJW 2001, 660, 661). Würden dem Rechtsuchenden nur die Gebühren eines Rechtsanwalts erstattet, dessen Beauftragung geringere Gebühren auslöst, müßte der Rechtsuchende - um Nachteile zu vermeiden - von vornherein nach Möglichkeit einen solchen Rechtsanwalt aufsuchen. Angesichts der konkreten Regelung der Gebührenermäßigung nach Anlage I des Einigungsvertrages, die für alle Rechtsanwälte mit Kanzlei in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) sowie für Tätigkeiten eines Rechtsanwalts für einen Mandanten mit Wohnsitz in diesem Gebiet bei einer Behörde oder einem Gericht mit Sitz in dem in Art. 1 Abs. 1 des Vertrages genannten Gebiet gilt, würde dies bedeuten, daß ein Mandant mit Wohnsitz in den alten Bundesländern einen in den neuen Bundesländern ansässigen Rechtsanwalt selbst dann beauftragen müßte, wenn es um die Vertretung in einem Rechtsstreit vor einem Gericht in den alten Bundesländern ginge, solange die Entfernung des Prozeßorts vom Sitz des Rechtsanwalts nicht so groß wäre, daß der Gebührenvorteil durch erhöhte Reisekosten wieder ausgeglichen würde. Wegen § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO könnten Rechtsanwälte aus den alten Bundesländern den dadurch entstehenden Wettbewerbsnachteil auch nicht dadurch ausgleichen, daß sie auf einen Teil der Gebühren verzichten. Wollte man darüber hinaus - wie das Beschwerdegericht unter Hinweis auf die allerdings zu der abweichenden Rechtslage vor dem ergangene Entscheidung des OLG Jena vom (NJW 2001, 685, 686; dagegen Hansens BRAGOreport 2000, 44, 45; AnwKomm-BRAGO/N. Schneider Anh. I Rdn. 31) andeutet und wie in der Instanzrechtsprechung für Notare vereinzelt vertreten wird (OLG Schleswig-Holstein DNotZ 1996, 922, 926 mit abl. Anm. Lappe) - eine Hinweispflicht der zu höheren Gebühren berechtigten Rechtsanwälte auf die niedrigeren Gebühren ihrer Kollegen annehmen, würden über den Umweg des Schadensersatzes bei Nichterfüllung der Hinweispflicht die Voraussetzungen der Gebührenermäßigung umgangen und deren Sinn und Zweck verfehlt. Die Gebührenermäßigung, die in erster Linie den wirtschaftlichen Verhältnissen im Beitrittsgebiet Rechnung tragen und zugleich verhindern soll, daß bei Rechtsstreiten vor Gerichten oder Behörden im Beitrittsgebiet bei der Vertretung von Beteiligten, die dort ihren Lebensmittelpunkt haben, unterschiedliche Gebühren anfallen (Erläuterungen zu den Anlagen zum Einigungsvertrag, BT-Drucks. 11/7817, S. 31) fände dann über den Umweg des Schadensersatzrechts Anwendung auf Mandatsverhältnisse zwischen Rechtsanwälten mit Sitz und Mandanten mit Wohnsitz außerhalb des Beitrittsgebiets.
e) Ein Ansatz anderer als der durch die Beauftragung der Rechtsanwälte in S. tatsächlich entstandenen Gebühren folgt auch nicht aus § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Diese Vorschrift schließt lediglich die Erstattung von Mehrkosten aus, die durch die Beauftragung eines im Sinne der §§ 18 ff. BRAO bei dem Prozeßgericht zugelassenen, dort aber nicht ansässigen Rechtsanwalts entstehen, und ist mangels Regelungslücke auch nicht entsprechend auf am Prozeßgericht nicht im Sinne der §§ 18 ff. BRAO zugelassene, auswärtige Rechtsanwälte anwendbar (, EBE/BGH 2002, 398, 399).
f) Durch die Beauftragung der Rechtsanwälte in S. sind der Klägerin gemäß §§ 31 Abs. 1, 33 BRAGO Kosten in voller Höhe der geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren entstanden. Die von ihr den Rechtsanwälten geschuldeten Gebühren sind nicht gemäß Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 26 des Einigungsvertrages vom in Verbindung mit § 1 Ermäßigungssatz-Anpassungsverordnung vom ermäßigt. Weder haben die Rechtsanwälte ihre Kanzlei in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) eingerichtet noch sind sie vor Gerichten oder Behörden, die ihren Sitz in dem in Art. 1 Abs. 1 des Vertrages genannten Gebiet haben, im Auftrag eines Beteiligten tätig geworden, der seinen Wohnsitz in dem in Art. 3 des Vertrages genannten Gebiet hat.
3. Der Beschluß des Beschwerdegerichts war daher aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1, 1. Halbs. ZPO). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO) und den der Klägerin weiter zustehenden Erstattungsbetrag gegen den Beklagten festsetzen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2003 S. 1147 Nr. 22
BAAAC-05335
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein