BGH Beschluss v. - X ARZ 92/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 13; ZPO § 29; ZPO § 29 Abs. 1; ZPO § 36; ZPO § 36 Abs. 3; ZPO § 36 Abs. 2; ZPO § 281; ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4

Gründe

I. Die Beklagte wohnt in Berlin. Die Kläger sind Steuerberater in Hamburg und verlangen von der Beklagten Zahlung von Honorar für Steuerberatungsleistungen.

Nach Erlaß eines Mahnbescheids, Einlegung des Widerspruchs und Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Hamburg-Altona haben die Kläger beantragt, "die Klage an das zuständige Amtsgericht in Berlin-Mitte" zu verweisen. Mit Beschluß vom hat sich das Amtsgericht Hamburg-Altona daraufhin für örtlich unzuständig erklärt und "den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger gemäß § 281 ZPO an das für den Wohnsitz/Geschäftssitz der Beklagten örtlich zuständige Amtsgericht Berlin-Mitte" verwiesen. Dieses Gericht hat sich mit Beschluß vom für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg möchte das Amtsgericht Berlin-Mitte als zuständiges Gericht bestimmen. Es verneint zwar eine Bindungswirkung des durch das Amtsgericht Hamburg-Altona ausgesprochenen Verweisungsbeschlusses, weil dieser jeglicher Rechtsgrundlage entbehre und sich damit als willkürlich darstelle. Da der Sozietätssitz der Kläger in Hamburg nicht der Erfüllungsort für die Klageforderung sei, sei jedoch gemäß § 13 ZPO das Wohnsitzgericht der Beklagten zuständig.

Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg sieht sich an einer entsprechenden Bestimmung durch eine Entscheidung des - gehindert, nach der Steuerberater ihre Forderungen gemäß § 29 ZPO am Sitz ihrer Beraterpraxis gerichtlich geltend machen können.

II. Die Vorlage ist zulässig.

1. Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein Oberlandesgericht, das nach § 36 Abs. 2 ZPO mit einer Zuständigkeitsbestimmung befaßt ist, die Sache dem Bundesgerichtshof unter anderem dann vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abweichen will. Diese Voraussetzung ist hier gegeben.

Das vorlegende Oberlandesgericht will seiner Entscheidung die Auffassung zugrunde legen, daß Steuerberaterforderungen nicht gemäß § 29 ZPO am Geschäftssitz des Steuerberaters geltend gemacht werden können. Damit würde es von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte (außer der vom vorlegenden Gericht genannten Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm, abgedr. in Gl 1999, 241; OLG Köln NJW-RR 1997, 825; BayObLG NJW 2003, 1196, 1197; vgl. für Schadensersatzansprüche gegen Steuerberater auch BayObLG ZIP 1992, 1652, 1653; MDR 1996, 850) abweichen. Daß es - wie die nachfolgenden Ausführungen ergeben - auf die Frage der Anwendbarkeit des § 29 ZPO im Streitfall nicht ankommt, steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. Sinn des § 36 ZPO ist es, jedem langwierigen Streit der Gerichte untereinander über die Grenzen ihrer Zuständigkeit ein Ende zu machen und eine Ausweitung von solchen Streitigkeiten tunlichst zu vermeiden. Angesichts dessen muß es für die Zulässigkeit einer Vorlage gemäß § 36 Abs. 3 ZPO ausreichen, wenn die Rechtsfrage, die zur Vorlage an den Bundesgerichtshof führt, nach Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts entscheidungserheblich ist und wenn dies in den Gründen des Vorlagebeschlusses nachvollziehbar dargelegt wird (Sen.Beschl. v. - X ARZ 334/01, NJW 2002, 1425, 1426).

2. Zuständig zur Entscheidung über das Klagebegehren ist das Amtsgericht Berlin-Mitte, weil es an den Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom gebunden ist.

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ist ein Verweisungsbeschluß für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Verweisungsbeschluß allerdings nicht als verbindlich hingenommen werden, wenn er auf Willkür beruht. Hierfür genügt es aber nicht, daß der Verweisungsbeschluß inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt vor, wenn dem Beschluß jede rechtliche Grundlage fehlt (Sen.Beschl. v. - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498; Sen.Beschl. v. - X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273). Dies ist auch dann der Fall, wenn der Verweisungsbeschluß bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 29, 45, 49; Sen.Beschl. v. - X ZB 3/95, MDR 1996, 1032). Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom nicht willkürlich.

Das Amtsgericht Hamburg-Altona ist in diesem Beschluß zwar von einer Rechtsauffassung abgewichen, die sowohl von der Literatur vielfach vertreten wird (Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 29 ZPO Rdn. 25; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 29 ZPO Rdn. 31; Münchner Kommentar/Patzina, ZPO, 2. Aufl., § 29 ZPO Rdn. 81; Musielak/Schmid, ZPO, 3. Aufl., § 29 ZPO Rdn. 22) als auch der Rechtsprechung (BayObLG aaO; OLG Köln aaO; OLG Hamm NJW 2000, 1347; LG Darmstadt AnwBl 1984, 503) zugrunde gelegt worden ist. Allein dies vermag den Vorwurf der Willkür jedoch nicht zu begründen, weil dem deutschen Recht eine Präjudizienwirkung grundsätzlich fremd ist (Sen.Beschl. v. , aaO, m.w.N.). Für die Annahme, daß der Verweisungsbeschluß vom jeder rechtlichen Grundlage entbehre, bedarf es deshalb zusätzlicher Umstände. Solche sind hier nicht gegeben.

Das vorlegende Hanseatische Oberlandesgericht hat in tatsächlicher Würdigung der beruflichen Tätigkeit eines Steuerberaters deren Erbringung nicht als ortsgebunden angesehen und deshalb die Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 ZPO im Falle der gerichtlichen Geltendmachung der Vergütungsforderung am Sitz der Kanzlei des Steuerberaters verneint. Unabhängig davon, ob dem in der Begründung und/oder dem Ergebnis beigetreten werden kann, ist dies eine sachbezogene, nachvollziehbare Begründung für die Unzuständigkeit des verweisenden Amtsgerichts Hamburg-Altona im Streitfall. Das schließt es aus, die Annahme einer Zuständigkeit des Amtsgerichts Berlin-Mitte als Gericht des Erfüllungsorts als in der Sache schlechthin unhaltbar zu erachten. Etwas anderes läßt sich dann aber auch für den diese Verweisung an dieses Gericht aussprechenden Beschluß des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom nicht feststellen. Denn die vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg zur Rechtfertigung seiner Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof gegebene Begründung kann auch dieser Verweisungsbeschluß für sich in Anspruch nehmen.

Demgegenüber ist es in dem hier interessierenden Zusammenhang ohne Belang, daß das Amtsgericht Hamburg-Altona in seinem Beschluß vom eine den Ausführungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg entsprechende Begründung tatsächlich nicht gegeben hat, dem Verweisungsbeschluß als Begründung vielmehr nur entnommen werden kann, daß das Amtsgericht Hamburg-Altona das Wohnsitzgericht der Beklagten für örtlich zuständig hält. Denn selbst bei gänzlichem Fehlen einer Begründung ist ein Verweisungsbeschluß wegen dieses Mangels noch nicht offensichtlich gesetzwidrig, wenn die Entscheidung im Einvernehmen beider Parteien ergangen ist (vgl. Sen.Beschl. v. - X ARZ 9/02; IVb ARZ 8/88, FamRZ 1988, 943; Schmidt/Assmann in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 103 GG Rdn. 100). Das ist hier der Fall. Denn auch die Beklagte hat gegenüber dem Amtsgericht Hamburg-Altona beantragt, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Berlin-Mitte zu verweisen.

Ob der oben wiedergegebenen Auffassung, daß Steuerberater ihre Forderungen am Sitz ihrer Beraterpraxis gemäß § 29 ZPO gerichtlich geltend machen können, insbesondere unter den tatsächlichen Umständen der heutigen Zeit (noch) beigetreten werden kann, braucht daher im Streitfall nicht entscheiden werden. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Berlin-Mitte ist unabhängig davon, ob diese Frage zu verneinen ist, aufgrund des bindenden Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom gegeben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
YAAAC-04698

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein