Leitsatz
[1] Die Weitergabe versandfertig verpackter Ware an ein Beförderungsunternehmen mit dem Auftrag, die Sendung per Nachnahme zuzustellen, begründet keinen Anscheinsbeweis dafür, dass die dem Empfänger ausgehändigte Ware von diesem bezahlt worden ist.
Gesetze: ZPO § 286 C
Instanzenzug: LG Berlin 52 S 219/04 vom AG Charlottenburg 204 C 429/03 vom
Tatbestand
Der Beklagte bestellte telefonisch am bei der Klägerin, die einen Handel für Computerzubehör betreibt, Ware zum Preis von 1.154,57 €, die auf Wunsch des Beklagten an ihn versandt werden sollte. Die Klägerin machte die Ware, der die Rechnung mit der Zahlungsbedingung "Nachnahme/Bar" beigepackt wurde, am selben Tag versandfertig und beauftragte die Streithelferin mit der Zustellung per Nachnahme. Die Streithelferin gab den Auftrag an einen Vertragsunternehmer weiter, der das Warenpaket dem Beklagten vor Ablauf von drei Werktagen seit der Bestellung aushändigte.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Bezahlung des Kaufpreises nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.
Gründe
Die Revision, über die durch Versäumnisurteil zu entscheiden ist, hat Erfolg. Die Entscheidung beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis des Beklagten, sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 81 f).
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Zahlungsanspruch der Klägerin aus § 433 Abs. 2 BGB bestehe nicht, weil er gemäß § 362 Abs. 2 BGB durch Erfüllung erloschen sei. Hierfür sei zwar der Beklagte beweispflichtig. Die Darlegungs- und Beweislast des Beklagten sei aber durch die Regeln über den ersten Anschein aufgrund eines typischen Geschehensablaufs erleichtert. Die Kammer gehe von dem Erfahrungssatz aus, dass Waren einer Nachnahmesendung nur gegen Zahlung ausgeliefert würden; dies sei gerade Sinn und Zweck der Nachnahmesendung. Die Voraussetzungen dieses Erfahrungssatzes stünden fest: Unstreitig habe die Klägerin die Ware mit dem Auftrag, sie als Nachnahmesendung auszuliefern, an die Streitverkündete übergeben. Damit sei davon auszugehen, dass die Übergabe der Ware an den Beklagten gegen Zahlung erfolgt sei. Die Klägerin und die Streitverkündete hätten den Anscheinsbeweis dahin, dass der Beklagte die Forderung erfüllt habe, nicht erschüttern können. Mögliche Fehler in der Versandkette habe die Klägerin nicht hinlänglich dargetan; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das Paket nicht als Nachnahmepaket gekennzeichnet gewesen sei oder den Nachnahmeaufkleber verloren habe, habe sie nicht vorgetragen. Auch der Umstand, dass der Beklagte keine Quittung vorlegen könne, erschüttere die Vermutung der Erfüllung nicht.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Anspruch der Klägerin aus § 433 Abs. 2 BGB auf Zahlung des Kaufpreises ist auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts nicht durch Erfüllung (§ 362 BGB) erloschen.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte für die Erfüllung seiner Verbindlichkeit beweispflichtig ist und er diesen Beweis weder mit einer Quittung für die behauptete Zahlung (§ 368 BGB) noch mit den Aussagen der vom Amtsgericht vernommenen Zeugen erbracht hat.
2. Das Berufungsgericht hat jedoch gemeint, dass dem Beklagten die Beweisführung durch die Regeln über den Beweis des ersten Anscheins erleichtert sei; aufgrund eines Erfahrungssatzes, der dahin gehe, dass Waren einer Nachnahmesendung nur gegen Zahlung ausgeliefert würden, sei davon auszugehen, dass der Beklagte die Ware bezahlt habe. Dem kann nicht gefolgt werden. Das Berufungsgericht hat, wie die Revision zu Recht rügt, die Rechtsgrundsätze des Anscheinsbeweises verletzt (§ 286 ZPO); dies unterliegt der Prüfung durch das Revisionsgericht (BGHZ 100, 31, 33; BGHZ 160, 308, 313).
Die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins sind nur bei typischen Geschehensabläufen anwendbar; es muss ein Sachverhalt feststehen, der eine gewisse Typik aufweist und nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (st.Rspr.; BGHZ 160, 308, aaO; zuletzt Senatsurteil vom - VIII ZR 368/03, NJW 2005, 2395, unter II 4). Nicht ausreichend für die Annahme eines Anscheinsbeweises sind demgegenüber bloße Indizien oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der zu beweisenden Tatsache. Ein typischer Geschehensablauf, auf dem der vom Berufungsgericht angenommene Erfahrungssatz beruht, ist im vorliegenden Fall vom Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt worden, so dass ein Anscheinsbeweis nicht gerechtfertigt ist.
Auch wenn man es mit dem Berufungsgericht als gesicherten Erfahrungssatz ansähe, dass die Aushändigung von Nachnahmesendungen nur gegen Bezahlung erfolgt, wäre eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen über den Anscheinsbeweis im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen Erfahrungssatzes stehen hier nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, schon deshalb fest, weil die Klägerin den Computer mit dem Auftrag der Versendung als Nachnahmesendung an die Streithelferin übergeben hat. Denn aus der bloßen Auftragserteilung folgt nicht bereits die ordnungsgemäße Auftragserfüllung; insoweit besteht auch kein allgemeiner Erfahrungssatz. Voraussetzung für die Anwendung des vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Erfahrungssatzes über die regelmäßige Bezahlung von Nachnahmesendungen ist deshalb, dass der von der Klägerin erteilte Versendungsauftrag von der Streithelferin und deren Subunternehmer auch ordnungsgemäß ausgeführt wurde und dem Beklagten die Ware tatsächlich als Nachnahmesendung ausgehändigt worden ist. Davon ist das Berufungsgericht - unter Verkennung der Darlegungs- und Beweislast - zu Unrecht ausgegangen.
Eine ordnungsgemäße Erfüllung des Versendungsauftrags setzt unter anderem voraus, dass der Zusteller das Warenpaket bei der Aushändigung an den Beklagten noch als Nachnahmesendung erkennen konnte. Dies ist jedoch - auch nach Auffassung des Berufungsgerichts - nicht nachgewiesen. Das Berufungsgericht hat Fehler in der Versandkette, die dazu geführt haben können, dass die Ware - sei es auf dem Paket selbst oder auf dem Eingabeterminal des Zustellers - nicht (mehr) als Nachnahmesendung gekennzeichnet war, für möglich gehalten, hat aber gemeint, dass die Klägerin und die Streithelferin derartige Fehler nicht hinlänglich dargetan hätten, um den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern. Damit hat das Berufungsgericht die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Steht nicht fest, dass die Ware bei der Auslieferung (noch) als Nachnahmesendung gekennzeichnet war und vom Zusteller entsprechend behandelt worden ist, so geht dies entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zu Lasten des Beklagten und nicht zu Lasten der Klägerin. Denn der Beklagte hat die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Erfahrungssatzes, mit dem er den Anscheinsbeweis führen will, zu beweisen. Es geht hierbei nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, um die Frage, ob die gegnerische Partei - hier die Klägerin - die Geltung der Schlussfolgerung eines bestehenden Erfahrungssatzes hinreichend erschüttert hat, sondern darum, ob der Erfahrungssatz - von seinen Voraussetzungen her - in einem konkreten Fall überhaupt zur Anwendung kommen kann.
Da es somit an dem vom Beklagten zu erbringenden Nachweis dafür fehlt, dass ihm die Ware als Nachnahmesendung ausgehändigt worden ist, kann der vom Berufungsgericht angenommene Erfahrungssatz nicht zugrunde gelegt und folglich auch nicht aufgrund eines Anscheinsbeweises davon ausgegangen werden, dass die Ware vom Beklagten bei der Aushändigung des Pakets bezahlt worden ist.
III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind und die Sache damit zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der Beklagte ist antragsgemäß zu verurteilen, da er nicht bewiesen hat, dass er die unstreitige Kaufpreisforderung beglichen hat, und er sich seit dem in Verzug befindet (§ 433 Abs. 2, § 286 Abs. 3, Satz 1, 1. Halbs., Satz 3, § 288 Abs.1 BGB).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 300 Nr. 5
DAAAC-04546
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja