BGH Urteil v. - VIII ZR 123/02

Leitsatz

[1] Zur Frage eines sittenwidrig überhöhten Kaufpreises beim Handel mit Reitpferden.

Gesetze: BGB § 138 Abs. 1 A a

Instanzenzug: LG Kleve

Tatbestand

Die Klägerin kaufte am von dem Beklagten die Fuchsstute Jolanda zu einem Preis von 170.000 DM.

Die Tochter der Klägerin, die seit 1994 an nationalen und internationalen Springturnieren teilnahm und seit 1998 bei dem Zeugen G. trainierte, sollte das Pferd als "Erstpferd" neben zwei weiteren Pferden reiten. Sie hatte zusammen mit ihrem Trainer schon seit einem halben Jahr nach einem geeigneten Pferd gesucht und bei dieser Suche zufällig die bei dem Beklagten gerade aus den Niederlanden angelieferte Fuchsstute Jolanda gesehen, die ihr gut gefiel. Die Klägerin hatte zuvor schon mehrfach für ihre Tochter Pferde bis zu einem Preis von 150.000 DM erworben. Dabei ließ sie sich stets fachlich beraten. Im vorliegenden Fall führte sie die Verhandlungen über den Kaufpreis alleine.

Am war das Pferd Jolanda durch die holländische Tierklinik in H. für mangelfrei befunden worden. In den Tagen nach dem Kauf am 24. und stellte der Tierarzt Dr. J. bei einer Untersuchung des Pferdes und der Überprüfung der von dem Beklagten übergebenen Röntgenbilder der hinteren Sprunggelenke Veränderungen in den Sprunggelenken und am Kniegelenk einen sogenannten Chip (kleine Knochenabsplitterung) fest. Beides sah er als nicht beeinträchtigend an.

In der Folgezeit leistete die Fuchsstute Jolanda beim Reiten Widerstand. Die Klägerin ließ sie daraufhin im April 1999 von dem Tierarzt Dr. Ja. untersuchen. Dieser stellte "Kissing Spines" fest, eine hochgradige Veränderung der Dornfortsätze im Bereich der Brustwirbelsäule, die nach seinen Angaben älter als drei Monate war. Am bestätigte er die Ungeeignetheit der Stute für den Reitsport. Auf Veranlassung der Klägerin erstellte der Sachverständige P. - ohne Berücksichtigung der von den Tierärzten festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen - am ein Gutachten zum Wert des Pferdes, den er für diesen Zeitpunkt mit 37.000 DM ermittelte.

Die Klägerin begehrt Rückgängigmachung des Kaufvertrages. Ferner verlangt sie Kosten in Höhe von 14.128,29 DM, die ihr im Zusammenhang mit dem Kauf des Pferdes Jolanda entstanden seien.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Gründe

Die zulässige Revision ist begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Ansprüche aus § 463 Satz 2 BGB wegen arglistigen Verschweigens eines Nebenmangels seien durch die Sonderregelungen der §§ 481 ff. BGB a.F. ausgeschlossen. Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und daraus folgende Bereicherungsansprüche sowie Schadensersatzansprüche aus den §§ 826 oder 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB kämen nicht in Betracht, weil die Klägerin nicht ausreichend dargelegt habe, daß der Beklagte sie über den Gesundheitszustand des Fuchspferdes Jolanda arglistig getäuscht habe; sie habe nicht einmal behauptet, daß der Beklagte von den Erkrankungen der Stute bei Abschluß des Vertrages gewußt habe. Ein Bereicherungsanspruch wegen Wuchers gemäß § 812 BGB in Verbindung mit § 138 Abs. 2 BGB sei nicht gegeben, weil die Klägerin nicht "unerfahren" im Sinne der Vorschrift gewesen sei. Letztlich bestehe auch kein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gemäß § 812 BGB in Verbindung mit § 138 Abs. 1 BGB. Zwar könnten gegenseitige Verträge als wucherähnliche Rechtsgeschäfte nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein objektiv auffälliges Mißverhältnis bestehe und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukomme, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lasse. Bei einem besonders groben Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung könne dies den Schluß auf die bewußte oder grob fahrlässige Ausnutzung einer den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstandes rechtfertigen. Allein das besonders grobe Äquivalenzmißverhältnis erlaube es, auf die verwerfliche Gesinnung als subjektives Merkmal des § 138 Abs. 1 BGB zu schließen. Diese tatsächliche Vermutung sei jedoch erschüttert, wenn dem Begünstigten das besonders grobe Mißverhältnis nicht bewußt sei. Zwar sei zugunsten der insoweit darlegungspflichtigen Klägerin davon auszugehen, daß der objektive Wert der Fuchsstute Jolanda am bei 37.000 DM gelegen habe, was bei einem Kaufpreis von 170.000 DM zu einem besonders groben Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung führe. Gleichwohl könne keine verwerfliche Gesinnung des Beklagten vermutet werden, weil die besonderen Umstände im Handel mit Spring- und Turnierpferden diese Vermutung entkräfteten. Dabei könne dahinstehen, ob es im Pferdehandel überhaupt objektive Marktpreise gebe. Jedenfalls würden diese Marktpreise im Bereich der M-Klasse ganz erheblich von dem Affektionsinteresse des Erwerbers beeinflußt. Entscheidend für den Preis im Reitsport der M-Klasse sei die persönliche Harmonie zwischen Pferd und Reiter. Die Preisbildung könne darüber hinaus von einem Spekulationsinteresse des Käufers bestimmt werden. Schließlich werde der Preis erheblich davon beeinflußt, zu welchen Käuferschichten der Händler Zugang habe.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht der Klägerin allerdings einen Schadensersatzanspruch aus § 463 BGB versagt. Ein derartiger Anspruch scheidet bereits deshalb aus, weil das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ein arglistiges Verschweigen eines Nebenmangels seitens des Beklagten verneint hat. Daß das Berufungsgericht Vorbringen der Klägerin übergangen habe, wonach der Beklagte bei Vertragsschluß von den Erkrankungen der Stute gewußt oder wenigstens mit deren Vorhandensein gerechnet habe, zeigt die Revision nicht auf.

Aus den gleichen Gründen hat das Berufungsgericht der Klägerin Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB in Verbindung mit § 123 Abs. 1 BGB) bzw. Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB; § 826 BGB) mit Recht nicht zugebilligt.

Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, daß ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB in Verbindung mit § 138 Abs. 2 BGB nicht in Betracht kommt, weil die Klägerin nicht "unerfahren" im Sinne der Vorschrift war.

2. Nicht gefolgt werden kann den Ausführungen des Berufungsgerichts dagegen, soweit es einen Anspruch der Klägerin aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB in Verbindung mit § 138 Abs. 1 BGB ausschließt. Zwar trifft der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts zu, daß grundsätzlich auch beim wucherähnlichen Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB zu dem auffälligen Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten als weiteres, subjektives Element hinzukommen muß.

Ist das Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, so kann dies den Schluß auf die bewußte oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstandes rechtfertigen (BGHZ 146, 298, S. 302). Dabei erlaubt es allein das besondere grobe Äquivalenzmißverhältnis, auf die verwerfliche Gesinnung als subjektives Merkmal des § 138 Abs. 1 BGB zu schließen. Denn eine verwerfliche Gesinnung muß schon dann bejaht werden, wenn sich der Begünstigte zumindest leichtfertig der Einsicht verschließt, daß sich der andere Teil nur unter dem Zwang der Verhältnisse oder den in § 138 Abs. 2 BGB genannten Umständen auf den ungünstigen Vertrag eingelassen hat (BGH aaO S. 303). In diesen Fällen liegt eine beweiserleichternde tatsächliche Vermutung vor, die vom Tatrichter im Bereich der Beweiswürdigung zu berücksichtigen ist. Sie greift nur dann nicht ein, wenn sie im Einzelfall durch besondere Umstände erschüttert ist (BGH aaO S. 305).

3. Das Berufungsgericht verkennt diese Grundsätze nicht. Es bejaht ein besonders grobes Mißverhältnis zwischen einem - als zutreffend unterstellten - Marktwert des Pferdes von 37.000 DM und dem Kaufpreis von 170.000 DM. Es meint jedoch, die daraus folgende Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des Begünstigten sei in Fällen der vorliegenden Art wegen der besonderen Umstände im Handel mit Spring- und Turnierpferden generell, zumindest aber ab der hier gegebenen M-Klasse, entkräftet, darüber hinaus aber auch wegen der besonderen persönlichen Umstände im Falle der Vertragsparteien. Diese Annahme ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen, soweit sie rechtsfehlerfrei getroffen wurden, nicht gerechtfertigt.

a) Die Erwägungen des Berufungsgerichts sind nicht frei von Widersprüchen. Während das Oberlandesgericht auf der Grundlage des Gutachtens des Privatsachverständigen P. zunächst ausdrücklich unterstellt, das Pferd Jolanda habe im maßgebenden Zeitpunkt des Kaufs einen objektiven Wert von 37.000 DM gehabt, bezweifelt es wenig später, daß es im Handel mit Pferden überhaupt objektive Marktpreise gibt. An anderer Stelle führt es aus, jedenfalls würden diese Marktpreise im Handel mit Spring- und Turnierpferden ab der M-Klasse ganz erheblich von subjektiven Momenten wie dem Affektionsinteresse des Erwerbers, von der persönlichen Harmonie zwischen Pferd und Reiter sowie dem Spekulationsinteresse des Käufers bestimmt, der aus persönlichen-emotionalen Motiven glaube, aus einem Pferd der M-Klasse ein solches der S-Klasse machen zu können. Überdies werde der Preis erheblich davon beeinflußt, zu welchen Käuferschichten - Hobbyreitern in unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen oder Turnierreitern - der Händler Zugang habe. Schließlich meint das Berufungsgericht, daß "bei dem Kauf eines Lebewesens, insbesondere auf einem so emotionalen Gebiet wie dem des Pferdeturniersports" die Wertermittlung aufgrund objektiver Kriterien nicht möglich sei. Diese Aussagen sind mit der vom Berufungsgericht zugunsten der Klägerin zugrunde gelegten Annahme, der objektive Marktpreis des Pferdes Jolanda habe 37.000 DM betragen, nicht zu vereinbaren.

b) Ist somit für das Revisionsverfahren von einem krassen Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung auszugehen, können die besonderen vom Berufungsgericht angeführten Umstände nur für die Prüfung der subjektiven Seite der Sittenwidrigkeit Bedeutung erlangen (BGH aaO S. 305). Auch wenn nicht festgestellt ist, daß sich der Beklagte des besonders groben Mißverhältnisses bewußt war, sind die vom Berufungsgericht herangezogenen Umstände, wie die Revision zu Recht beanstandet, nicht geeignet, die Vermutung einer verwerflichen Gesinnung zu entkräften. Ob es einen Erfahrungssatz des Inhalts gibt, daß bei Geschäften mit Sportpferden die Käufer regelmäßig aus rein subjektiven Erwägungen bereit sind, einen Preis zu akzeptieren, der den objektiven Marktwert um ein Mehrfaches übertrifft, erscheint fraglich; jedenfalls hat das Berufungsgericht einen solchen Erfahrungssatz nicht belegt. Die Schlußfolgerung des Oberlandesgerichts, die Forderung eines deutlich überhöhten Preises sei in derartigen Fällen kein Indiz für eine verwerfliche Gesinnung des Verkäufers, ist schon deshalb nicht gerechtfertigt. Davon abgesehen spielen auch sonst, etwa beim Kauf von Grundstücken oder reinen Gebrauchsgegenständen wie Kraftfahrzeugen, häufig subjektive Gesichtspunkte eine wesentliche Rolle, ohne daß dies am Bestehen eines objektiven Marktpreises und an dem danach zu bestimmenden Verhältnis von Sachwert und Kaufpreis etwas ändert. Soweit das Berufungsgericht auf das Spekulationsinteresse abstellt, liegen die Verhältnisse im Handel mit Turnierpferden nicht wesentlich anders als beispielsweise beim Grundstückshandel, bei dem vielfach die auf objektiven Anhaltspunkten beruhende Erwartung einer Wertsteigerung Anlaß für die Bereitschaft des Erwerbers sein wird, einen relativ hohen Preis zu bezahlen. Ähnliches gilt, soweit das Berufungsgericht auf die in Betracht kommenden Käuferschichten abstellt. Es mag sein, daß alle diese vom Berufungsgericht angeführten Gesichtspunkte, wie auch die Revision einräumt, im Einzelfall im gewissem Umfang zu einer über den Marktpreis liegenden Preisgestaltung führen können. Daß sie die im Geschäftsverkehr übliche Regel der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung völlig außer Kraft setzen, kann hingegen nicht angenommen werden.

c) Die Frage, welche Übungen im Handel mit Turnierpferden hinsichtlich der Preisbildung bestehen, läßt sich nicht ohne weiteres mit allgemeinen Erwägungen und Erfahrungen beantworten. Vielmehr bedarf es dazu spezieller Sachkunde insbesondere dann, wenn das Gericht - wie hier - im Ergebnis von einem vorgelegten Privatgutachten abweichen will. Ein solches, als qualifizierter Parteivortrag zu wertendes Gutachten (vgl. , NJW 2001, 77 unter II 1) hat die Klägerin vorgelegt; es war Grundlage für den vom Berufungsgericht zugunsten der Klägerin als zutreffend unterstellten Marktwert des Pferdes in Höhe von 37.000 DM. Darin erschöpfte sich die Bedeutung des Gutachtens jedoch nicht. Vielmehr enthält es zugleich die nachvollziehbar begründete Aussage, daß es im Handel mit Turnierpferden einen objektiven Marktpreis tatsächlich gibt und daß der Pferdehandel die Preisbildung grundsätzlich am Marktpreis ausrichtet. Dieses hinreichend substantiierte Vorbringen hätte das Oberlandesgericht nur bei eigener Sachkunde hinsichtlich der Preisbildung und der Übungen im einschlägigen Handel oder aufgrund des Gutachtens eines gerichtlichen Sachverständigen als widerlegt ansehen dürfen. An beidem fehlt es; eigene Sachkunde hat das Berufungsgericht nicht dargetan.

4. Ist demnach für das Revisionsverfahren davon auszugehen, daß sich auch beim Handel mit Spring- und Turnierpferden die Preisbildung regelmäßig in erster Linie nach objektiven Kriterien vollzieht und daß subjektive Erwägungen des Käufers - wie sonst auch - sich nur in Grenzen preiserhöhend auswirken, dann besteht kein Grund, bei Vorliegen eines groben Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung hinsichtlich der Frage einer verwerflichen Gesinnung des Begünstigten einen anderen Maßstab anzulegen als in den vom Bundesgerichtshof bisher entschiedenen Fällen. Die somit begründete tatsächliche Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung des Beklagten kann demnach nur dann nicht eingreifen, wenn sie im gegebenen Fall durch besondere Umstände erschüttert ist. Daß die vom Berufungsgericht dargestellten Motive, etwa ein Spekulationsinteresse oder ein Affektionsinteresse, für den konkreten Kaufentschluß der Klägerin von Bedeutung waren und aus ihrer Sicht die Zahlung eines Mehrfachen des Marktpreises rechtfertigten, hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht rügt, nicht festgestellt.

III.

Nach alledem war das Berufungsurteil aufzuheben. Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, war sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. In der neuen Berufungsverhandlung wird das Oberlandesgericht insbesondere Feststellungen zum Marktwert der Stute im Zeitpunkt des Vertragsschlusses - bei einwandfreiem gesundheitlichem Zustand - zu treffen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
JAAAC-04009

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja