Leitsatz
[1] Zu den Anforderungen an den Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in einem Empfangsbekenntnis eines Rechtsanwalts enthaltenen Angaben.
Gesetze: ZPO § 174
Instanzenzug: AG Hersbruck 2 C 2061/03 vom LG Nürnberg-Fürth 7 S 8873/04 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Mietverhältnis und die Wirksamkeit einer Kündigung desselben. Das Amtsgericht hat auf die Widerklage des Beklagten die Kläger zur Räumung und Herausgabe ihrer seit dem von dem Beklagten angemieteten Wohnung in P. , N. Straße , verurteilt. Die auf die Feststellung der Rechtmäßigkeit einer Mietminderung gerichtete Klage hat das Amtsgericht abgewiesen. Das Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten der Kläger über die Zustellung des Urteils trägt das Datum des . Die Kläger haben gegen das Urteil mit am beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am per Telefax begründet. Nach einem Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Berufungsbegründung nach Ablauf der Frist am eingegangen ist, haben die Kläger geltend gemacht:
Die Zustellung des Urteils sei tatsächlich erst am erfolgt, ihr Prozessbevollmächtigter sei am Nachmittag des , einem Freitag, und am darauf folgenden Samstag nicht in seiner Kanzlei gewesen. Wegen seines am bevorstehenden Jahresurlaubs sei er erst am Sonntag, dem , in seinem Büro gewesen, um die eingegangene Post durchzuschauen. Dabei habe er erstmals das zugestellte Urteil zur Kenntnis genommen. Er habe dann für seine Sekretärin auf Band diktiert, das Empfangsbekenntnis mit dem Datum "" zur Unterschrift vorzubereiten. Die Sekretärin habe das Empfangsbekenntnis am ausgefüllt und entsprechend der allgemeinen Büroanweisung das Zustellungsdatum handschriftlich im Postbuch sowie auf der Urteilsausfertigung vermerkt. Die handschriftlichen Eintragungen der Sekretärin hätten ihrem Prozessbevollmächtigten zur Fristberechnung gedient, mit der dessen Sekretärin nicht betraut gewesen sei. Sowohl auf der Urteilsausfertigung als auch im Postbuch befinde sich der handschriftliche Eintrag "EBK ". Die Sekretärin könne sich an den konkreten Vorgang zwar nicht mehr erinnern, gehe jedoch aufgrund ihrer übereinstimmenden Eintragungen im Postbuch und auf der Urteilsausfertigung davon aus, dass der schreibmaschinenschriftliche Eintrag auf dem Empfangsbekenntnis auf einem Tippfehler beruhe.
Das Landgericht hat die Berufung - nach Vernehmung des Rechtsanwalts R. und der Anwaltsgehilfin H. als Zeugen - als unzulässig verworfen, den Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger mit ihrem Begehren, das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, hilfsweise, ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.
Gründe
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Es sei davon überzeugt, dass das Urteil des Amtsgerichts dem Klägervertreter bereits am zugestellt worden sei und die Frist demnach am abgelaufen sei. Dies folge aus dem Empfangsbekenntnis. Es handele sich hierbei zwar nicht um eine öffentliche Urkunde, jedoch komme ihm wegen der Bedeutung für den Zivilprozess dieselbe Beweiskraft zu wie einer Zustellungsurkunde. Indessen sei der Gegenbeweis durch die betroffene Partei möglich. Ein solcher vollständiger Gegenbeweis sei den Klägern aber nicht gelungen. Der Zeuge Rechtsanwalt R. habe zwar bekundet, dass er das Urteil erst am Sonntag zu Gesicht bekommen habe. Welches Datum er auf Tonband diktiert habe und am darauf folgenden Dienstag durch seine Mitarbeiterin notiert worden sei, habe er aber nicht mit Bestimmtheit aussagen können. Auch habe der Zeuge gemutmaßt, dass die Urteilsausfertigung bereits am Freitag aus dem Gerichtsfach abgeholt worden sei. Es widerspreche allgemeiner Lebenserfahrung, dass ein Rechtsanwalt sich an einem Sonntag in seine Kanzlei begebe und dort die an den Vortagen eingegangene Post studiere. Die Aussage der Zeugin H. sei insoweit unergiebig, als sie über allgemeine Bekundungen über ihre Arbeitsweise hinaus zum konkreten Fall keine Angaben mehr habe machen können. Eine Zustellung bereits am sei auch dem aus der Akte ersichtlichen Geschäftsgang nach nachvollziehbar. Denn dem Erledigungsvermerk des Amtsgerichts Hersbruck vom zufolge sei die Urteilsausfertigung beiden Parteivertretern ins Fach gelegt worden. Auch durch ein weiteres aktenmäßig festzustellendes Indiz verliere die Aussage des Zeugen R. an Glaubhaftigkeit. Er habe bekundet, dass seine Mitarbeiterin das Tonbanddiktat am darauf folgenden Dienstag, also dem , vollzogen und die Urkunde ausgefüllt habe. Anschließend habe er es unterzeichnet. Indessen sei das vollzogene Empfangsbekenntnis bereits an jenem Tag, dem , wieder beim Amtsgericht Hersbruck eingegangen. Wenn das Empfangsbekenntnis auf dem Postwege zurückgesandt worden sei, so erscheine dieses Datum angesichts der regelmäßigen Postlaufzeit von mindestens einem Tag nicht schlüssig. Einen Einwurf in den Gerichtsbriefkasten noch am hätten die Kläger jedoch nicht vorgetragen.
Gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sei den Klägern auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Kammer sei der Auffassung, dass die Fristversäumung nicht ohne Verschulden der Kläger zustande gekommen sei.
II.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Das angefochtene Urteil kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten werden. Das Urteil ist deshalb aufzuheben, und die Sache ist an das Berufungsgericht zur weiteren Aufklärung zurückzuverweisen (vgl. , NJW 1976, 1940 unter II 6 b).
1. Allerdings hat der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger, Rechtsanwalt R. , die Zustellung des Urteils auf einem Empfangsbekenntnis nach § 174 Abs. 1 und 4 ZPO bescheinigt, das das Datum trägt, so dass danach die Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nicht eingehalten wäre. Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist dann als bewirkt anzusehen, wenn der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen, und dies auch durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet. Zustellungsdatum ist also der Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat (, NJW 2003, 2460 unter II 2 zu § 212 a ZPO a.F.). Dies wird vom Berufungsgericht nicht verkannt, und es geht mit Recht davon aus, dass ein derartiges Empfangsbekenntnis grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung erbringt (vgl. , NJW 2001, 2722 unter II 1 und 2).
2. Das Berufungsgericht erkennt auch zutreffend, dass der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben zulässig ist. Dieser setzt voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können; hingegen ist dieser Gegenbeweis nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (vgl. aaO, unter II 2).
3. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung ist jedoch nicht überzeugend.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat eindeutig und mehrfach durch eidesstattliche Versicherung und bei seiner Vernehmung als Zeuge vor dem Berufungsgericht bekundet, er habe das Urteil erstmals am zur Kenntnis genommen und sich am Freitag, dem , überhaupt nicht mit eingehender Post befasst. Soweit das Berufungsgericht meint, aufgrund von Indizien verliere die Aussage des Zeugen R. an Glaubhaftigkeit, kann dem nicht gefolgt werden.
a) Die Ansicht des Berufungsgerichts, es widerspreche allgemeiner Lebenserfahrung, dass ein Rechtsanwalt sich an einem Sonntag in seine Kanzlei begebe und dort die an den Vortagen eingegangene Post studiere, ist nicht nachvollziehbar. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass gerade selbständig tätige Rechtsanwälte oftmals Sonntage nutzen, um zuvor liegen gebliebene Arbeiten zu erledigen. Dies gilt im besonderen Maße für Wochenenden kurz vor einem anstehenden Urlaub - wie im vorliegenden Fall - oder vor besonderen Feiertagen, wie etwa Weihnachten oder Ostern. Wie die Revision zutreffend ausführt, liegt der Auffassung des Berufungsgerichts ersichtlich ein unzutreffendes Bild anwaltlicher Tätigkeit zugrunde.
b) Ein untaugliches Indiz für eine geringe Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen R. ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch der Erledigungsvermerk vom , demzufolge die Urteilsausfertigung beiden Parteienvertretern ins Fach gelegt worden sei. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass die Tatsache, wann den Parteienvertretern die Urteilsausfertigung in ihr Gerichtsfach gelegt worden ist, für die Beurteilung des Zeitpunkts der Zustellung im Sinne des § 174 ZPO im vorliegenden Fall völlig irrelevant ist. Das Einlegen der Urteilsausfertigung ins Gerichtsfach am spricht genauso wenig für oder gegen die erforderliche Entgegennahme mit Empfangsbereitschaft durch Rechtsanwalt R. am wie es für oder gegen eine solche Entgegennahme bereits am spricht. Im Übrigen ist, worauf die Revision zu Recht hinweist, die Zustellung an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten laut dessen Empfangsbekenntnis weitaus später, nämlich erst am erfolgt, obwohl auch dieser Zustellung der Erledigungsvermerk des zugrunde liegt.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts verliert die Aussage des Zeugen R. auch nicht deshalb an Glaubhaftigkeit, weil er dargetan hat, seine Sekretärin habe das Tonbanddiktat am Dienstag, den vollzogen und er habe das ausgefüllte Empfangsbekenntnis anschließend unterzeichnet. Auch wenn das unterschriebene Empfangsbekenntnis am selben Tag wieder beim Amtsgericht eingegangen ist, steht dies der Richtigkeit der Aussage des Zeugen nicht entgegen. Während das Berufungsgericht, ohne hierfür nähere Anhaltspunkte zu haben, von einer Versendung auf dem Postweg ausgegangen ist, haben die Kläger durch eine im Revisionsverfahren vorgelegte eidesstattliche Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht, dass dessen Angestellte H. das Empfangsbekenntnis am beim Amtsgericht abgegeben hat.
4. Der Senat verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Zwar hat das Revisionsgericht selbständig zu würdigen, ob die von Amts wegen zu prüfenden Voraussetzungen der Zulässigkeit der Berufung vorliegen; erforderlichenfalls kann es weitere Ermittlungen erheben. Im Streitfall hat der Senat jedoch von einer eigenen Beweiserhebung Abstand genommen. Da es einer erneuten Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen R. sowie dessen Glaubwürdigkeit bedarf, erschien es vielmehr sachdienlich, dem Berufungsgericht die weitere Sachaufklärung zu übertragen. Der Senat hat dabei von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 1206 Nr. 17
QAAAC-03989
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja