Leitsatz
[1] a) Für die Entscheidung über die Berufung gegen ein Urteil eines Amtsgerichts in einem Wohnraummietprozess ist nicht gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG das Oberlandesgericht zuständig, wenn die beklagten Mieter bei Eintritt der Rechtshängigkeit zwar ihren Wohnsitz im Ausland hatten, dort jedoch das Recht der Exterritorialität genossen und demzufolge gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 ZPO den Gerichtsstand ihres letzten inländischen Wohnsitzes behalten haben.
b) Der nach dem Inhalt der Klageschrift gegebene inländische Gerichtsstand einer Prozesspartei ist im Verfahren vor dem Amtsgericht auch dann "unangegriffen geblieben", wenn die eine Partei die dazu vorgetragenen Tatsachen zwar bestritten hat, sich bei Zugrundelegung ihrer Darstellung aber gleichfalls ein inländischer Gerichtsstand der anderen Partei ergäbe.
Gesetze: GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 b; ZPO § 15 Abs. 1; DiplBezÜbk Art. 31; DiplBezÜbk Art. 37
Instanzenzug: AG Schöneberg 104c C 181/04 vom LG Berlin 63 S 444/04 vom
Gründe
I.
Die Beklagten bewohnten seit Mai 1999 als Mieter ein der Klägerin gehörendes Anwesen in Berlin. Der Mietvertrag war auf bestimmte Zeit geschlossen und sollte am enden. Im November 2003 kündigten die Beklagten das Mietverhältnis zum unter Hinweis auf § 570 BGB a.F. mit der Begründung, der Beklagte zu 1 sei als Angehöriger der Bundeswehr für drei Jahre nach Kiew (Ukraine) versetzt worden. Sie räumten das Anwesen und stellten mit Ablauf des Monats Februar 2004 die Mietzahlungen ein. Die Klägerin hat daraufhin im März 2004 Klage auf Zahlung der Miete bis einschließlich Juli 2004 erhoben; sie verlangt ferner Ersatz der Kosten für die Beseitigung angeblich von den Beklagten verursachter Schäden und unterlassener Schönheitsreparaturen an dem Mietobjekt. Das Amtsgericht hat die Klage durch Teilurteil vom in Höhe von 16.708,43 € abgewiesen. Die von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Landgericht mit der Begründung als unzulässig verworfen, gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG sei nicht das Landgericht, sondern das Kammergericht für die Entscheidung über das Rechtsmittel zuständig. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
1. Die kraft Gesetzes statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint und die Klägerin dadurch in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. , NJW 2004, 367 unter II 1 bb m.w.Nachw.).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zu Unrecht mit der Begründung als unzulässig verworfen, gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG sei nicht das Landgericht, sondern das Kammergericht für die Entscheidung über das Rechtsmittel zuständig.
Für die Frage der Rechtsmittelzuständigkeit nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG ist, wie das Landgericht im Ansatz zutreffend ausführt, regelmäßig der im Verfahren vor dem Amtsgericht unangegriffen gebliebene inländische bzw. ausländische Gerichtsstand einer Partei zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen (Senatsbeschlüsse vom - VIII ZB 66/03, NJW-RR 2004, 1073 und vom - VIII ZB 2/04, NJW-RR 2004, 1505). Aus den Angaben in der Klageschrift ergibt sich indessen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein ausländischer Gerichtsstand der Beklagten.
Die Klägerin hat zwar in der Klageschrift als Zustellungsanschrift der Beklagten "das Auswärtige Amt, Botschaft Kiew, 11020 Berlin" angegeben, und über die deutsche Botschaft in Kiew ist den Beklagten die Klage auch zugestellt worden. Nach den Feststellungen des Landgerichts wohnten die Beklagten zu diesem Zeitpunkt auch in Kiew. Das Berufungsgericht hat jedoch nicht beachtet, dass der Beklagte zu 1, der nach den Angaben der Beklagten als Offizier der Bundeswehr mit Wirkung vom für drei Jahre an die Dienststelle des Militärattachés in Kiew (Ukraine) abgeordnet worden ist, und die Beklagte zu 2 als seine Ehefrau in der Ukraine aufgrund des Diplomatenstatus des Beklagten zu 1 Exterritorialität genießen (Art. 31 Abs. 1 Satz 2, Art. 37 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens vom über diplomatische Beziehungen [BGBl. 1964 II S. 957], in Kraft getreten für die Ukraine am , für die Bundesrepublik Deutschland am [BGBl. 1965 II S. 147 f.]). Daraus ergibt sich, dass beide Beklagte gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 ZPO den Gerichtsstand ihres letzten inländischen Wohnsitzes behalten haben.
Die tatsächlichen Umstände, aus denen sich hiernach ein inländischer Gerichtsstand beider Beklagten ergibt, waren allerdings in erster Instanz streitig. Die Klägerin hat - wenn auch nicht im Hinblick auf den Gerichtsstand der Beklagten, für den in der ersten Instanz der Wohnsitz ohnedies keine Bedeutung hat (§ 29a ZPO), sondern in Bezug auf das von den Beklagten in Anspruch genommene Sonderkündigungsrecht nach § 570 BGB a.F. - in Abrede gestellt, dass der Beklagte zu 1 nach Kiew versetzt worden sei und die Beklagten aus diesem Grund ihren Wohnsitz dorthin verlegt hätten. Gleichwohl ist der Gerichtsstand der Beklagten im Verfahren vor dem Amtsgericht "unangegriffen geblieben". Denn auch bei Zugrundelegung der Behauptung der Klägerin, die Beklagten hätten eine Wohnung in Berlin gekauft und lebten dort, ergäbe sich nach § 13 ZPO ein inländischer Gerichtsstand der Beklagten.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 1810 Nr. 25
OAAAC-03767
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja