Leitsatz
[1] Können trotz unrichtiger Parteibezeichnung bei dem Berufungsgericht keine vernünftigen Zweifel über die Person des Rechtsmittelklägers aufkommen, so darf die Berufung nicht wegen des genannten Mangels als unzulässig verworfen werden.
Gesetze: ZPO § 519; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3
Instanzenzug: LG Dortmund
Gründe
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten zu 1 und dessen Haftpflichtversicherer, die Beklagte zu 2, wegen eines Verkehrsunfalles auf Schadensersatz in vollem Umfang in Anspruch. Die Beklagten haben die Haftung dem Grunde nach in Höhe von 50% anerkannt. Das Landgericht hat daraufhin die Hälfte des geltend gemachten Anspruchs zugesprochen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Urteil ist am dem Kläger zugestellt worden. Am ist eine Berufungsschrift der seinerzeitigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers per Telefax beim Berufungsgericht eingegangen. Eine Ablichtung des vollständigen Urteils des Landgerichts war beigefügt. Der Text der Berufungsschrift lautet auszugsweise:
"In Sachen des Herrn J. P., ...
- Beklagter und Berufungskläger -,
- Prozeßbevollmächtigte II. Instanz: Rechtsanwälte W. und Partner ...,
gegen
1. Herrn D. D. S. ...
- Beklagter zu 1 und Berufungsbeklagter -,
2. die D.-AG ...
- Beklagte zu 2 und Berufungsbeklagte -
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte T. ...
legen wir namens der Beklagten Berufung ein."
Das dem Kläger zugestellt am , die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, die er zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für zulässig hält.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist auch im übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), form- und fristgerecht eingelegt (§ 575 ZPO) und begründet.
Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert im vorliegenden Fall eine höchstrichterliche Entscheidung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluß verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Aus diesem Prinzip wird als "allgemeines Prozeßgrundrecht" der Anspruch auf ein faires Verfahren abgeleitet (BVerfGE 57, 250, 275). Die Verfahrensgarantien des Grundgesetzes verbieten es, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG NJW 1991, 3140). Dieser aus Art. 19 Abs. 4 GG entwickelte Grundsatz gebietet eine rechtsstaatliche Verfahrensgestaltung, der jedes Gerichtsverfahren genügen muß (vgl. BVerfGE 50, 1, 3; 51, 352, 354).
2. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung ausgeführt:
Die Berufung des Klägers sei als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht formgerecht eingelegt worden sei. Der Berufungsschrift sei die Person des Rechtsmittelführers nicht in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zu entnehmen, weil der Kläger darin als Beklagter und Berufungskläger bezeichnet werde. Auch wenn aus der beigefügten Urteilsabschrift eindeutig ersichtlich sei, daß es sich bei Herrn P. um den Kläger handle und die Rechtsanwälte W., die Prozeßbevollmächtigten des Klägers in der zweiten Instanz, die Berufungsschrift verfaßt hätten, sei nicht in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erkennbar, für wen das Rechtsmittel eingelegt werden sollte. Es heiße nämlich im weiteren Text der Berufungsschrift "legen wir namens der Beklagten Berufung ein". Da beide Parteien durch das Urteil beschwert seien, ergäben sich berechtigte Zweifel. Die Rechtsanwälte, die die Berufung einlegten, seien zwar in der ersten Instanz nicht tätig gewesen, doch sei nur deswegen, weil die als die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten genannten Rechtsanwälte diese in erster Instanz ebenfalls vertreten hätten, nicht zwingend, daß die Verfasser der Berufungsschrift gerade für den Kläger tätig würden. Es könne auch ein Fehler bei der Angabe der Prozeßbevollmächtigten vorliegen. Auch sei "namens der Beklagten" die Mehrzahl verwandt worden, eine Personenmehrheit liege aber nur auf Beklagtenseite vor.
3. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Auslegung von Prozeßhandlungen unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs freier revisionsrechtlicher Nachprüfung. Sie orientiert sich an dem Grundsatz, daß im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht ( - NJW-RR 2000, 1446; Urteil vom - VIII ZR 210/99 - NJW 2000, 3216, 3217 unter II. 1.). Lediglich theoretisch mögliche Zweifel, für die tatsächliche Anhaltspunkte nicht festgestellt sind, können bei der Auslegung der Berufungsschrift nicht ausschlaggebend sein.
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hätte das Oberlandesgericht die Berufung nicht als formwidrig verwerfen dürfen. Zutreffend geht das Oberlandesgericht allerdings davon aus, daß an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Formvorschrift des § 519 Abs. 2 ZPO (früher § 518 Abs. 2 ZPO) nur entsprochen, wenn bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist angegeben wird, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt werden soll (Senatsurteil vom - VI ZR 316/97 - VersR 1999, 900; Beschluß vom - VI ZB 53/03 - noch nicht veröff.; vom - VI ZB 12/00 - VersR 2000, 1299, 1300 und vom - VI ZB 12/95 - VersR 1996, 251). Daran fehlt es, wenn in der Berufungsschrift anstelle des wirklichen Berufungsklägers ein anderer, mit ihm nicht identischer Beteiligter bezeichnet wird ( - VersR 1998, 1529, 1530). Das bedeutet aber nicht, daß die erforderliche Klarheit über die Person des Rechtsmittelklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre. Vielmehr kann sie auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden ( - VersR 1999, 636, 637 und vom aaO; Beschluß vom - VI ZB 1/00 - NJW-RR 2000, 1371 sowie vom - VI ZB 12/00 - aaO).
c) Das Berufungsgericht hat im Ansatz zutreffend bei der Auslegung der Berufungsschrift auch die beigefügte Urteilsablichtung mitberücksichtigt. Bei der Auslegung hat es aber Zweifel an der Person des Berufungsklägers mit rein theoretisch möglichen Fehlern begründet und außerdem den Inhalt des erstinstanzlichen Urteils nicht zutreffend erfaßt. Bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung sind Zweifel an der Person des Klägers als Rechtsmittelführer ausgeschlossen. Berechtigte Zweifel können weder damit begründet werden, daß der Berufungskläger als Beklagter und nicht seiner Parteienstellung entsprechend als Kläger bezeichnet worden ist, noch damit, daß "namens der Beklagten" Berufung eingelegt worden ist.
aa) Die Rechtsbeschwerde weist mit Recht darauf hin, daß die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, die in der Berufungsschrift zutreffend bezeichnet sind, bereits in erster Instanz die Beklagten vertreten haben, wohingegen die Prozeßbevollmächtigten des Klägers, die für die Berufungsschrift verantwortlich zeichnen, in erster Instanz nicht aufgetreten sind. Eine fehlerhafte Bezeichnung der Prozeßbevollmächtigten, wie sie das Berufungsgericht in Erwägung zieht, ist zwar theoretisch denkbar. Rein theoretische Möglichkeiten sind aber nicht geeignet, Zweifel an der korrekten Bezeichnung des Rechtsmittelführers zu begründen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 316/97 - aaO). Auch der Geschäftsstellenbeamte des Berufungsgerichts hat eine solche theoretische Möglichkeit einer fehlerhaften Bezeichnung nicht in Betracht gezogen. Er hat vielmehr, der Verfügung des Senatsvorsitzenden vom entsprechend, den Antrag des Berufungsklägers auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am an die Rechtsanwälte der Beklagten als die Prozeßvertreter der Berufungsgegner zugestellt.
bb) Das Berufungsgericht hat weiterhin irrigerweise dem erstinstanzlichen Urteil entnommen, daß beide Parteien als Berufungskläger in Frage kämen, weil sie beide beschwert worden seien. Aus dem Urteil ergibt sich aber für den fachkundigen Leser, dessen Sicht hier maßgeblich ist, in eindeutiger Weise, daß die Beklagten die Haftung in Höhe von 50% dem Grunde nach anerkannt haben und in dieser Höhe die Verurteilung erfolgt ist. Obwohl die Beklagten im Tenor des landgerichtlichen Urteils zur Zahlung an den Kläger verurteilt worden sind und sie dadurch formell beschwert sind, können ernsthafte Zweifel daran, wer als Rechtsmittelkläger in Betracht kommt, daraus nicht hergeleitet werden. Nur der Kläger, der von einer vollen Haftung der Beklagten ausgeht, ist in erster Instanz, soweit Streit zwischen den Parteien bestand, unterlegen, so daß bei vernünftiger Betrachtung ein Rechtsmittel nur für ihn in Betracht zu ziehen war.
cc) Die Auslegung der am fristgerecht eingegangenen Berufungsschrift muß nach alledem zu dem Ergebnis führen, daß der Kläger als Berufungskläger anzusehen ist, so daß das Berufungsgericht die Berufung nicht als unzulässig verwerfen durfte. Auf den weiteren von der Rechtsbeschwerde vorgetragenen Gesichtspunkt, daß sich auch aus der Reihenfolge der Nennung der Parteienrollen im Berufungsschriftsatz ergebe, wer Berufungskläger und Berufungsbeklagter sei, kommt es deshalb nicht mehr an.
4. Die Sache war unter Aufhebung des Beschlusses vom an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2004 S. 576 Nr. 11
MAAAC-02599
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja