BGH Beschluss v. - VI ZB 31/05

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 233; ZPO § 234 Abs. 1 S. 1; ZPO § 234 Abs. 2

Instanzenzug: AG Lahr 6 C 6/04 vom LG Offenburg 1 S 136/04 vom

Gründe

I.

Die von der Klägerin erhobene Klage ist durch Urteil des Amtsgerichts L. vom , ihren Prozessbevollmächtigten zugestellt am , abgewiesen worden. Mit am beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz legte die Klägerin hiergegen "Berufung für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz" ein, beantragte Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren und legte einen nicht unterzeichneten "Berufungsbegründungs-Entwurf" vor.

Das Berufungsgericht bewilligte den Beklagten zu 1 bis 5 und 7 durch Beschluss vom und der Klägerin durch Beschluss vom unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten jeweils Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug. Am wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Schreiben des Berufungsgerichts zugestellt, in dem es hieß: "anbei erhalten Sie folgende Schriftstücke: - Beschluss vom ".

Der Vorsitzende des Berufungsgerichts wies die Klägerin mit Verfügung vom darauf hin, dass ihre Berufung unzulässig sein dürfte, weil sie bedingt für den Fall der Gewährung von Prozesskostenhilfe eingelegt wurde. "Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dürfte ebenfalls ausgeschlossen sein, dies jedenfalls deshalb, weil innerhalb von einem Monat nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe keine Berufungsbegründung vorgelegt wurde (§ 234 Abs. 1 S. 2 ZPO)." Der Klägerin wurde eine Frist zur Stellungnahme bis zum gesetzt. Mit Schreiben vom beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter Bezugnahme auf diese Verfügung Akteneinsicht mit der Begründung, der Wortlaut des Hinweises in der Verfügung vom sei für die Klägerseite nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Die Akteneinsicht wurde am gewährt.

Am ist beim Berufungsgericht ein Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist und Berufungsbegründungsfrist eingegangen. Zugleich hat die Klägerin Berufung eingelegt und diese begründet.

Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausgeführt, ihnen sei lediglich der Beschluss vom zugestellt worden. Erst nach der Akteneinsicht hätten sie aus den Gerichtsakten erfahren, dass der Klägerin bereits mit Beschluss vom Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz bewilligt worden sei.

Die Parteien wurden durch eine weitere Verfügung des Berufungsgerichts vom unter anderem darauf hingewiesen, dass der Wiedereinsetzungsantrag schon deshalb verspätet gewesen sein dürfte, weil der Klägerin jedenfalls aus der Verfügung vom bekannt gewesen sei, dass Prozesskostenhilfe bewilligt und damit das Hindernis im Sinne der §§ 233, 234 Abs. 2 ZPO behoben worden sei. Die Verfügung vom sei noch am gleichen Tag ausgefertigt worden und dürfte den Prozessbevollmächtigten der Klägerin daher vor dem zugegangen sein.

Nachdem diese in ihrer Stellungnahme zu dem Hinweis nochmals darauf hingewiesen hatten, dass aus der Verfügung vom die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht positiv bekannt gewesen sei, hat das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen, weil er nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO gestellt worden sei, und die Berufung als unzulässig verworfen. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei spätestens mit Zugang des Hinweises vom bekannt gewesen, dass das Hindernis für die Einhaltung der Berufungsfrist entfallen war. Da jede Form der Kenntniserlangung ausreiche, komme es nicht darauf an, ob die Prozessbevollmächtigten den Bewilligungsbeschluss vom bereits mit der Ausfertigung des Beschlusses vom erhalten hätten.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Sie ist begründet, weil der angefochtene Beschluss die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt (vgl. Art. 2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), indem er der Klägerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund zu hoher Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihrer Prozessbevollmächtigten versagt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben.

a) Der Wiedereinsetzungsantrag muss innerhalb der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gestellt werden. Diese beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Liegt das Hindernis - wie hier - in der Mittellosigkeit der Partei, entfällt es grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 5/63 - VersR 1963, 1084; BGH, Beschlüsse vom - XI ZB 1/94 - VersR 1994, 1324; vom - IV b ZB 62/85 - VersR 1986, 40, 41). Nach ständiger Rechtsprechung bedarf der Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe dabei keiner förmlichen Zustellung; ausreichend ist vielmehr eine formlose Mitteilung (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 5/63 - aaO, 1085 sowie BGHZ 30, 226, 229). Aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt sich zudem, dass für den Wegfall des Hindernisses im Sinne des § 234 Abs. 2 ZPO nicht entscheidend ist, dass der Klägerin oder ihrem Prozessbevollmächtigten der die Prozesskostenhilfe bewilligende Beschluss tatsächlich zugegangen ist. Behoben ist das Hindernis vielmehr schon dann, wenn das Fortbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom - I ZB 3/89 - VersR 1990, 402; vom - VIII ZB 3/92 - VersR 1993, 205, 206; vom - IV ZB 15/97 - BGHR ZPO § 234 Abs. 2, Fristbeginn 10 m.w.N.; vom - II ZR 225/98 - NJW 2000, 592). Auch wenn diese Entscheidungen regelmäßig zur Versäumung einer Rechtsmittelfrist ergangen sind, ergibt sich daraus der allgemeine Grundsatz, dass das Fortbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann, sobald die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt den Wegfall des Hindernisses hätten erkennen können (vgl. die Nachweise bei Born NJW 2005, 2042, 2043).

b) Ausgehend von dieser Rechtsprechung hat das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, das bis zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe bestehende Hindernis für die Einlegung der Berufung sei mit Zugang des gerichtlichen Hinweises vom weggefallen. Dieser Hinweis hat jedoch das Hindernis für die Einhaltung der Berufungsfrist und damit auch der Berufungsbegründungsfrist nicht entfallen lassen. Aus ihm ergab sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit, dass, wann und in welchem Umfang der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Da zudem in dem gerichtlichen Begleitschreiben vom , mit dem der Bewilligungsbeschluss zugestellt worden sein soll, nur die Übersendung des Beschlusses vom aufgeführt war, durch den den Beklagten zu 1 bis 5 und 7 Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, ist verständlich, dass auch sorgfältige Anwälte den Hinweis vom nicht nachvollziehen konnten und zunächst einen Antrag auf Akteneinsicht stellten. Es ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin daher nicht vorzuwerfen, wenn sie erst durch die Akteneinsicht am erfahren haben, dass der Klägerin Prozesskostenhilfe im zweiten Rechtszug bereits durch Beschluss vom unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten bewilligt worden ist und dieser Beschluss bereits am abgegangen sein soll. Deshalb haben sie die Wiedereinsetzungsfrist nicht schuldhaft versäumt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
TAAAC-02523

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein