BGH Beschluss v. - VI ZB 13/05

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 85 Abs. 2; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1

Instanzenzug: AG Langen 58 C 133/04 vom LG Darmstadt 21 S 219/04 vom

Gründe

I.

Der Beklagte begehrt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die von seinem Prozessbevollmächtigten versäumte Berufungsbegründungsfrist, weil dieser infolge einer Erkrankung sowie eines Fehlers seines Rechtsreferendars ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Frist verhindert gewesen sei.

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hatte gegen das ihm am zugestellte Urteil des Amtsgerichts mit einem am per Telefax beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit einem am beim Berufungsgericht per Telefax eingegangenen Schriftsatz hat er die Berufung begründet und beantragt, dem Beklagten wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er hat den Wiedereinsetzungsantrag entsprechend seiner eidesstattlichen Versicherung damit begründet, er habe, nachdem er in der Nacht vom 3. auf den wegen einer plötzlich aufgetretenen Erkältung bettlägerig erkrankt gewesen sei, seinen im Führen des Fristenkalenders ausgebildeten und eingewiesenen Stationsreferendar, der bereits seit dem zunächst in der Rechtsanwaltsstation, dann in der Wahlpflichtstation und nunmehr schließlich in der Wahlstation tätig gewesen sei, angewiesen, ihm alle im Kalender notierten Termine und Fristen für denselben Tag und die nachfolgenden Tage zu nennen. Dabei habe der Referendar die am ablaufende Berufungsbegründungsfrist in der vorliegenden Sache übersehen.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen, weil der Prozessbevollmächtigte des Beklagten seiner Pflicht zur Fristenkontrolle nicht in gebührendem Maße nachgekommen sei. Er habe sich in der Situation, in der er nicht "schwerstens" erkrankt gewesen sei, nicht mit der telefonischen Auskunft seines Stationsreferendars über die im Kalender eingetragenen Termine und Fristen begnügen dürfen. Der Anwalt dürfe die Überwachung einer Notfrist nicht einem Referendar übertragen und zwar selbst dann nicht, wenn der Referendar sein amtlich bestellter Vertreter sei, was hier noch nicht einmal der Fall gewesen sei. Vielmehr habe er seinem Referendar, der ihm auf seine Bitte hin für den am nächsten Tag anstehenden Termin beim Arbeitsgericht die Akte und Robe nach Büroschluss nach Hause gebracht habe, aufgeben müssen, dabei auch den Fristenkalender mitzubringen, um die notwendige Fristenkontrolle selbst auszuführen und das Notwendige zu veranlassen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten seines Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen er auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 38/02 - VersR 2003, 1462; BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004, 1005).

Der vom Berufungsgericht aufgestellte Rechtssatz, der Rechtsanwalt müsse im Falle einer Erkrankung, die nicht "schwerstens" sei, die Kontrolle der ablaufenden Notfristen im Fristenkalender selbst vornehmen und könne sie nicht einem Referendar übertragen, steht in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach der Anwalt die Führung des Fristenkalenders und die Kontrolle der Einhaltung der darin eingetragenen Fristen im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbständigen Erledigung übertragen kann (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 7/01 - VersR 2001, 1133, 1134; - NJW 2003, 1815, 1816; vom - VIII ZR 2/95 - NJW 1995, 1682; vom - XII ZB 174/93 - NJW-RR 1995, 58, 59; vom - VII ZB 1/83 - VersR 1983, 753 und vom - V ZB 7/71 - NJW 1971, 2269).

Diese Grundsätze gelten erst recht im Falle der Übertragung derartiger Aufgaben auf juristische Hilfskräfte, wie z.B. Referendare (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 73/96 - VersR 1997, 83, 84; vom - XII ZB 21/92 - NJW-RR 1992, 1019, 1020 und Senatsbeschluss vom - VI ZB 7/65 - VersR 1965, 587). Bei juristisch ausgebildeten Hilfskräften kann sich der Rechtsanwalt in der Regel noch mehr als beim Laienpersonal darauf verlassen, dass diese um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen wissen und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten umsichtig und gewissenhaft ausführen, so dass die Anforderungen an die Überwachungspflichten geringer sind ( - aaO). Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als sich die Tätigkeit des im Führen des Fristenkalenders ausgebildeten und eingewiesenen Stationsreferendars darauf beschränkte, dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten auf dessen telefonische Anweisung hin die im Kalender notierten Termine und Fristen für den und die nachfolgenden Tage vorzulesen (zur Einzelanweisung vgl. i.Ü. die Rechtsprechungsnachweise bei Born, NJW 2005, 2042, 2045 f.).

Die vom Berufungsgericht herangezogene Entscheidung des - (VersR 1976, 92) ist nicht geeignet, seine gegenteilige Auffassung zu stützen. Denn in dem dort zu entscheidenden Fall hat der Stationsreferendar als amtlich bestellter Vertreter des Rechtsanwalts selbst als Vertreter der Partei gehandelt, so dass sich diese sein Verschulden bei der Behandlung von Fristsachen unmittelbar nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen musste. Dies ist hier nicht der Fall, so dass es bei dem Grundsatz verbleibt, dass lediglich das - hier nicht festgestellte - Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich steht, nicht dagegen das seiner Hilfspersonen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 1070 Nr. 15
VAAAC-02489

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein