BGH Urteil v. - V ZR 249/03

Leitsatz

[1] a) Auch das sogenannte Protokollurteil nach § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO muß nicht sogleich im Anschluß an die mündliche Verhandlung über die Berufung, über die in dem Urteil entschieden wird, verkündet werden; möglich ist auch die Verkündung am Schluß der Sitzung, nachdem das Berufungsgericht noch andere Sachen verhandelt hat.

b) Bei dem Erlaß eines Protokollurteils muß das Sitzungsprotokoll neben den übrigen Angaben nach § 160 ZPO die Urteilsformel, die Darlegungen nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO und die Verkündung des Urteils enthalten.

c) Der Protokollinhalt nach § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO bildet die für die revisionsrechtliche Überprüfung des Protokollurteils nach §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage; er hat insoweit dieselbe Funktion wie die Bezugnahmen und Darlegungen nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO in einem Berufungsurteil, das in einem späteren Termin verkündet wird.

Gesetze: ZPO (2002) § 540 Abs. 1

Instanzenzug: AG Burgwedel

Tatbestand

Mit seiner auf die mündliche Verhandlung vom ergangenen Entscheidung hat das Landgericht die Berufung der Beklagten gegen ein nach Verkündungsdatum und Aktenzeichen bezeichnetes Urteil des Amtsgerichts B. zurückgewiesen. Die Entscheidung enthält außer den in § 313 Abs. 1 Nr. 1 - 4 ZPO genannten Angaben den Vermerk: "Verkündet lt. Protokoll am: . S. , Justizangestellte als Urkundsbeamtin/beamter der Geschäftsstelle" und die Unterschriften der Richter.

In das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom hat das Landgericht vor der Wiedergabe der von den Parteien gestellten Anträge folgendes aufgenommen:

"Die Kammer beabsichtigt gem. § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO am Schluß der Sitzung unter Zugrundelegung der nachfolgenden Hinweise ein Urteil zu verkünden:

Die Berufung der Beklagten erscheint aussichtslos. Dabei schließt sich die Kammer der Auffassung an, daß der Anspruch auf Zurückschneiden eines Baumes nach Ablauf der 5-Jahres-ausschlußfrist des § 54 Abs. 2 Nds. NachbarRG nicht völlig entfällt, sondern noch - wenn auch nur - das Zurückschneiden des Wachstums der letzten 5 Jahre vor Klageerhebung verlangt werden kann. Das Risiko einer irreversiblen Schädigung besteht beim Zurückschneiden immer und läßt den Anspruch nicht entfallen. Der behauptete Umstand, daß die Verschattung nur geringfügig sei, spielt ebensowenig eine Rolle wie die Tatsache, daß sich auf dem Grundstück der Kläger zur Grenze ebenfalls hohe Bäume befinden".

Nach der Wiedergabe der Anträge ist in dem Protokoll vermerkt, daß die Anwälte zur Sache streitig verhandelt haben. Danach heißt es: "Beschlossen und verkündet: Eine Entscheidung ergeht am Schluß der Sitzung. Der Streitwert ..." Das Protokoll ist von dem Vorsitzenden der Berufungskammer und - für die Richtigkeit der Übertragung von dem Tonträger - von einer Justizangestellten unterzeichnet.

Eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil, die Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen und die Entscheidung des Berufungsgerichts enthält das Protokoll nicht.

Mit ihrer von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Kläger beantragen, wollen die Beklagten die Aufhebung des Berufungsurteils und die Abweisung der Klage erreichen.

Gründe

Die Revision hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist als sogenanntes Protokollurteil verfahrensfehlerhaft ergangen und deswegen aufzuheben.

1. Grundsätzlich nicht zu beanstanden ist allerdings der von dem Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung verkündete Beschluß, daß eine Entscheidung am Schluß der Sitzung ergehen solle. Das Protokollurteil muß zwar in dem Termin, in welchem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, verkündet werden. Dazu ist es aber nicht erforderlich, daß die Verkündung sogleich im Anschluß an die mündliche Verhandlung über die Berufung, über die in dem Protokollurteil entschieden wird, geschieht. Möglich ist auch, daß das Berufungsgericht zunächst noch andere Sachen verhandelt und erst nach Wiederaufruf der früher verhandelten Sache die Entscheidung verkündet (Hartmann, NJW 2001, 2577, 2592; Meyer-Seitz in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 540 Rdn. 11). Diese Vorgehensweise erfordert allerdings, daß die mündliche Verhandlung vorher nicht geschlossen worden ist, weil anderenfalls die Verkündung nicht mehr in dem Termin, in welchem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, erfolgt und einen besonderen Termin zur Verkündung einer Entscheidung erfordert. Insoweit gilt für die Verkündung eines Protokollurteils nichts anderes als für die Verkündung anderer Urteile im Anschluß an die mündliche Verhandlung nach § 310 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative ZPO (sogenanntes Stuhlurteil, vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 310 Rdn. 3). Das hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht beachtet. Nach dem Sitzungsprotokoll, das den äußeren Hergang der mündlichen Verhandlung beweist (§ 165 ZPO), endete diese nach der Verkündung des Beschlusses über den Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung und die Festsetzung des Streitwerts für die Berufungsinstanz. Danach folgen lediglich noch die Unterschriften des Vorsitzenden der Berufungskammer und der Justizangestellten, die das Protokoll hergestellt hat (vgl. § 160a ZPO). Die Verkündung des Berufungsurteils (§ 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO) ist nicht festgestellt. Auch gibt es kein besonderes Verkündungsprotokoll.

2. Fehlerhaft ist auch, daß das Berufungsgericht die verkündete Entscheidung nicht in das Sitzungsprotokoll aufgenommen hat (§ 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO). Das ist aber bei einem Urteil nach § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO notwendig. Aus dem Protokoll muß sich, ebenso wie bei einem Stuhlurteil, ergeben, ob das Berufungsgericht das angefochtene erstinstanzliche Urteil abgeändert, aufgehoben oder bestätigt hat. Allerdings schafft § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO neben der mit § 540 ZPO allgemein beabsichtigten weitgehenden Entlastung der Berufungsgerichte bei der Urteilsabfassung (, NJW 2003, 1743) in dem besonderen Fall des Protokollurteils eine weitere Vereinfachung. Im Unterschied zu dem Stuhlurteil, das erst später, nämlich vor Ablauf von drei Wochen nach der Verkündung, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übergeben ist (§ 315 Abs. 2 Satz 1 ZPO), braucht das Protokollurteil nach der Verkündung nicht mehr mit Gründen versehen zu werden. Sie werden bereits vorher in das Sitzungsprotokoll aufgenommen. Dieses muß somit - neben den übrigen Angaben nach § 160 ZPO und dem Hinweis auf die erfolgte Verkündung (§ 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO) - die Urteilsformel (§ 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 311 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO) und die Darlegungen nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO enthalten. Das Urteil selber mit dem dann noch verbleibenden Inhalt gemäß § 313 Abs. 1 Nr. 1 - 4 ZPO und der Unterschrift der Richter (§ 315 Abs. 1 Satz 1 ZPO) muß, weil auch die in das Protokoll aufgenommenen Darlegungen nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO Inhalt des Urteils sind, mit dem Protokoll verbunden werden. Eines ausdrücklichen Hinweises in dem Urteil auf das Protokoll (vgl. OLG Naumburg, FamRZ 2003, 48) bedarf es dann nicht; ein solcher Hinweis ersetzt allerdings auch nicht die Verbindung.

3. Das Protokoll enthält auch nicht die nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichen Darlegungen.

a) Allerdings fehlt es nicht an den hierzu gehörenden Anträgen (, NJW 2003, 1743; Senat, Urt. v. , V ZR 424/02, ZfIR 2003, 1049; , Umdruck S. 5 [zur Veröffentlichung bestimmt]). Sie ergeben sich aus dem übrigen Inhalt des Protokolls. Das genügt bei einem Protokollurteil. Daß hier die Anträge nicht verlesen oder zu Protokoll erklärt, sondern durch Bezugnahme auf nach Datum und Blattzahl der Gerichtsakten bezeichnete Schriftsätze gestellt worden sind, ändert daran nichts. Diese Verfahrensweise entspricht der nach § 525 ZPO auch im Berufungsverfahren anwendbaren Vorschrift des § 297 Abs. 2 ZPO.

b) Mit Erfolg rügt die Revision jedoch, daß das Protokoll keine ausreichenden tatbestandlichen Feststellungen enthält. Ein Berufungsgericht kann zwar von einer eigenen Darstellung des Sach- und Streitstands absehen, wenn das erstinstanzliche Urteil tatsächliche Feststellungen enthält. Aber nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO muß es dann darauf Bezug nehmen und etwaige Änderungen und Ergänzungen, die sich durch zweitinstanzliches Vorbringen der Parteien ergeben haben, darstellen. Das hat das Berufungsgericht hier versäumt. In seinem am Beginn des Verhandlungstermins erteilten Hinweis ist dazu lediglich die Rede davon, daß eine Partei (welche?) behauptet hat, eine Verschattung sei nur geringfügig, und daß sich auf dem Grundstück der Kläger zur Grenze ebenfalls hohe Bäume befinden. Ein Zusammenhang zu dem dem Berufungsurteil zugrunde liegenden Sach- und Streitstand ergibt sich daraus nicht. Damit fehlt dem Berufungsurteil die für die revisionsrechtliche Nachprüfung nach §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage (Senat, Urt. v. , V ZR 392/02, WM 2003, 2424, 2425; , Umdruck S. 3 [zur Veröffentlichung bestimmt]). Der Protokollinhalt nach § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat insoweit für das Protokollurteil dieselbe Funktion wie die Bezugnahmen und Darlegungen nach Satz 1 in einem später verkündeten Urteil; an ihn sind deshalb inhaltlich keine geringeren Anforderungen zu stellen (Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 540 Rdn. 8; Meyer-Seitz, aaO, § 540 Rdn. 11).

c) Schließlich enthält das Berufungsurteil auch keine Begründung für die Zurückweisung des Rechtsmittels. Aus dem Sitzungsprotokoll ergibt sich, daß das Berufungsgericht zwar am Beginn des Verhandlungstermins einen rechtlichen Hinweis erteilt und die Parteien darüber informiert hat, daß es aufgrund der darin zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung ein Protokollurteil erlassen wolle. Dieser Hinweis erfolgte aber, bevor die Parteien ihre Anträge gestellt hatten, und damit vor dem Eintritt in die mündliche Verhandlung (§ 137 Abs. 1 ZPO). Aus dem Protokoll ergibt sich nicht, ob die ursprüngliche Auffassung des Berufungsgerichts auch nach der mündlichen Verhandlung unverändert fortbestand und die Begründung für die Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung war. Bei dem Erlaß eines Protokollurteils muß sich jedoch aus dem Sitzungsprotokoll ergeben, daß das Berufungsgericht seine Entscheidung - wie bei jedem Urteil - aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung gefällt hat. Das kann nur dadurch erreicht werden, daß die nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO notwendige kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung in das Protokoll nach der Wiedergabe der Anträge der Parteien und dem Vermerk, daß streitig verhandelt worden ist, aufgenommen wird. Wenn das Berufungsgericht schon vor der Antragstellung die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert und - wie hier - ihnen seine Rechtsauffassung mitteilt, so ist das nicht zu beanstanden. Eine solche Verfahrensweise hat den Vorteil, daß sie es den Parteien ermöglicht, ihr Prozeßverhalten und ihre Anträge dementsprechend anzupassen. Bleibt das Berufungsgericht aufgrund der mündlichen Verhandlung bei seiner Auffassung, muß es dies in dem Protokoll zum Ausdruck bringen.

4. Diesen Anforderungen an ein Protokollurteil (§ 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO) entspricht das Berufungsurteil nicht. Der äußeren Form nach stellt es sich allenfalls als Stuhlurteil nach § 310 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative ZPO dar. Aber auch als solches kann es nicht aufrechterhalten werden, weil es entgegen § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht mit Gründen versehen ist (§ 547 Nr. 6 ZPO), sondern nur die Urteilsformel enthält.

Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

a) Nach dem Inhalt des von dem Berufungsgericht am Beginn des Verhandlungstermins erteilten rechtlichen Hinweises liegt die Annahme nahe, daß es davon ausgegangen ist, daß der Anspruch auf Zurückschneiden eines Baumes nach Ablauf der 5-Jahresfrist des § 54 Abs. 2 Nds. NachbarRG nicht völlig entfalle, sondern das Zurückschneiden auf die Höhe verlangt werden könne, die der Baum fünf Jahre vor der Erhebung der Klage gehabt habe. Das ist jedoch nicht richtig. In seinem Urteil vom (V ZR 102/03, zur Veröffentlichung - auch in BGHZ - bestimmt) hat der Senat entschieden, daß der Eigentümer von Bäumen, die den in § 50 Abs. 1 Nds. NachbarRG vorgeschriebenen Grenzabstand nicht einhalten, diese auf Verlangen des Nachbarn nach dem Ablauf der Ausschlußfrist des § 54 Abs. 2 Nds. NachbarRG grundsätzlich weder auf die zulässige noch auf eine andere Höhe zurückschneiden muß. Das wird das Berufungsgericht zu beachten haben.

b) Im Hinblick auf das Vorbringen der Kläger in der Revisionserwiderung wird das Berufungsgericht auch entscheiden müssen, ob die Beklagten hier ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses in Verbindung mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein Zurückschneiden des Baumes auf eine den Interessen beider Parteien gerecht werdende Höhe trotz des Ablaufs der Frist des § 54 Abs. 2 Nds. NachbarRG dulden müssen. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom (aaO, Umdruck S. 7 f.) ausgeführt, daß das in Betracht kommen kann, wenn der Nachbar wegen der Höhe der Bäume ungewöhnlich schweren und nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigungen ausgesetzt und das Zurückschneiden dem Eigentümer der Bäume zumutbar ist. Solche, ein Abweichen von der landesrechtlichen Sonderregelung rechtfertigende, Beeinträchtigungen können sich auch aus der Verschattung eines Grundstücks ergeben, die von dem Höhenwachstum von Bäumen auf dem Nachbargrundstück, die den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzabstand nicht einhalten, herrührt. Ob sie hier, anders als in dem der Senatsentscheidung vom (aaO) zugrunde liegenden Fall, gegeben sind, muß das Berufungsgericht aufklären.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BB 2004 S. 741 Nr. 14
WAAAC-02159

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja