Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 3; StPO § 304 Abs. 5; KWKG § 22 a Abs. 1 Nr. 2; StGB § 22; StGB § 23; StGB § 99StGB, also der klassischen Agententätigkeit an; StGB § 99 Abs. 1 Nr. 1StGB zu subsumieren ist (BGH, Bes; StGB § 176 a; StGB § 177StGB nur dann erstrecken, wenn diese; AWG § 34 Abs. 1 Nr. 1; AWG § 34 Abs. 2 Nr. 2; AWG § 34 Abs. 2 Nr. 3; AWG § 34 Abs. 5; AWV § 70 Abs. 5 a Nr. 3; VO (EG) Nr. 1334/2000 Art. 4 Abs. 4; GVG § 120
Instanzenzug:
Gründe
Der Beschuldigte wurde am vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs von diesem Tag in Untersuchungshaft. Dieser Haftbefehl ist auf den dringenden Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB) sowie des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung (§§ 176 a Abs. 2, § 177 StGB) gestützt. Die Haftbeschwerde des Beschuldigten, der der Ermittlungsrichter nicht abgeholfen hat, führt zum Erlass eines geänderten Haftbefehls durch den Senat; im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
1. Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis kann im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen ausgegangen werden:
Der Iran betreibt den Einkauf von militärischen Ausrüstungsgegenständen, darunter Steuerungskomponenten für Flugkörper, Geräte zur Herstellung von Raketenteilen, Ersatzteile für das Kampfflugzeug F-14 "Tomcat", Gewehrläufe, Funkgeräte verschiedener Bauarten und Nachtsichtgeräte. Der Beschuldigte war spätestens seit Mitte 2004 daran beteiligt, im Auftrag von Tarngesellschaften des iranischen Geheimdienstes VEVAK für den Iran konspirativ solche Rüstungsgüter zu beschaffen. Er trat dabei für ein Unternehmen mit der Bezeichnung "N. " bzw. "S. " auf. Der Beschuldigte agierte im Rahmen des Beschaffungsprogramms als Instrukteur des Mitbeschuldigten G. und übermittelte diesem die iranischen Beschaffungswünsche. Dabei wirkte er jedenfalls an den Bemühungen um die Beschaffung von Schweißgeräten für die Herstellung von Raketenteilen und von 20 militärischen Funkgeräten der Marke R. & S. mit. Ferner erteilte er Ende 2005 dem Mitbeschuldigten G. den Auftrag für die Beschaffung von 15 verschiedenen Waffenläufen unterschiedlichen Kalibers in Stückzahlen von 1.000 bis 40.000, von denen mehrere als Kriegswaffen dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterliegen.
Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus der Einlassung des Beschuldigten, seinem Reiseverhalten, einer Vielzahl abgehörter Telefongespräche, einer durch die weiteren Ermittlungen verifizierten Erkenntnismitteilung des Bundesnachrichtendienstes, sichergestellten Unterlagen sowie aus Angaben von Mitbeschuldigten. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters vom Bezug genommen.
2. a) Danach ist der Beschuldigte bezüglich der auf die Beschaffung von Gewehrläufen gerichteten Bemühungen des versuchten Erwerbs der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen (§ 22 a Abs. 1 Nr. 2 KWKG i. V. m. Teil B, Abschnitt V Ziffer 34 der Kriegswaffenliste, §§ 22, 23 StGB) dringend verdächtig.
b) Ein dringender Verdacht für eine strafbare Handlung nach dem Außenwirtschaftsgesetz ist hingegen nicht gegeben. Die auf eine Lieferung von Schweißgeräten für die Herstellung von Raketenteilen sowie von militärischen Funkgeräten gerichteten Bemühungen könnten nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der verbotenen Ausfuhr (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3, Abs. 5 AWG, § 70 Abs. 5 a Nr. 3 AWV, Art. 4 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1334/2000 - Schweißgeräte - bzw. § 34 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 AWG i. V. m. Teil I Abschnitt A Nr. 0011 der Ausfuhrliste - Funkgeräte) strafbar sein. Das Stadium des strafbaren Versuchs der Ausfuhr haben die Bemühungen des Beschuldigten um Beschaffung der genannten Gegenstände indes nicht erreicht.
c) Ebenfalls besteht kein dringender, die Untersuchungshaft rechtfertigender Tatverdacht dafür, dass der Beschuldigte im Sinne von § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB eine geheimdienstliche Agententätigkeit ausgeübt hat.
Wie der Senat in einer - nach Erlass des angefochtenen Haftbefehls ergangenen - Entscheidung dargelegt hat, sind in Fällen, die nicht dem Kernbereich des § 99 StGB, also der klassischen Agententätigkeit angehören, alle maßgeblichen Umstände der jeweiligen Sachverhaltsgestaltung in eine Gesamtwürdigung des Verhaltens des Betroffenen einzustellen und es ist in wertender, am Normzweck ausgerichteter Betrachtung zu entscheiden, ob das vorgeworfene Geschehen dem Tatbestand des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu subsumieren ist (). Zu den dabei zu beachtenden Auslegungskriterien gehört auch, ob die Tätigkeit maßgeblich der Gewinnung von Informationen dient, die auch bei der Lieferung von Gegenständen im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB den eigentlichen Zweck von Ausforschungsbemühungen bildet, oder ob sie vorrangig darin begründet ist, dass die für den Täter schon aus anderen Gründen als der Gewinnung von Informationen verbotene Lieferung von Gegenständen getarnt werden muss (BGH aaO unter Hinweis auf Lampe/Hegmann in MünchKomm § 99 Rdn. 14). Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen ist nur Letzteres gegeben. Danach war die Tätigkeit des Beschuldigten, der in eine Vielzahl von militärischen Beschaffungsprojekten seines Heimatlandes eingebunden war, darauf gerichtet, Waren, insbesondere Rüstungsgüter, für den Iran zu beschaffen. Dabei ging es - wie sich aus den teilweise hohen Stückzahlen ergibt - um die Beschaffung der Gegenstände, nicht aber um die Gewinnung von den diesen innewohnenden Informationen. Dass das Verhalten des Beschuldigten auf gleichartige Tatwiederholung gerichtet war und er dabei konspirativ vorgegangen ist, führt hier für sich allein noch nicht zur Annahme einer geheimdienstlichen Tätigkeit.
Dafür, dass die Bemühungen des Beschuldigten auch auf die Mitteilung von den Rüstungsgütern innewohnenden Informationen ("Know How") gerichtet waren, und dieser sich deswegen der geheimdienstlichen Agententätigkeit schuldig gemacht hat, besteht lediglich ein Anfangsverdacht. Der Haftbefehl kann deshalb nicht auf diesen Tatvorwurf gestützt werden. Dies ändert indes nichts an der Zuständigkeit des Generalbundesanwalts, weitere Ermittlungen zur Aufklärung auch dieses Tatvorwurfs anzustellen.
d) Auf das dem Beschuldigten vorgeworfene Sexualdelikt - bei dem angesichts der bislang allein zur Überführung zur Verfügung stehenden Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung überdies Zweifel an einem dringenden Tatverdacht bestehen würden - kann die Untersuchungshaft ebenfalls nicht gestützt werden. Insoweit gilt Folgendes:
Die sachliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts (§ 120 GVG) und damit die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts (§ 142 a Abs. 1 GVG) würde sich auf die dem Beschuldigten vorgeworfene Straftat nach §§ 176 a, 177 StGB nur dann erstrecken, wenn diese tateinheitlich mit einem Staatsschutzdelikt zusammentreffen oder zwischen ihnen ein Sachzusammenhang bestehen würde (vgl. Franke in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 120 GVG Rdn. 4). Dieser setzt voraus, dass das Staatsschutzdelikt und das andere Delikt dieselbe Tat im verfahrensrechtlichen Sinne (§ 264 StPO) bilden. Ein Zusammenhang geringeren Grades, etwa allein in Form des persönlichen Zusammenhangs im Sinne von § 3 StPO, reicht nicht aus, um die sachliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zu begründen. Für diese einengende Auslegung des Zusammenhangsbegriffs spricht, dass in den Fällen des § 120 GVG die Oberlandesgerichte als Gerichte der Länder Gerichtsbarkeit des Bundes ausüben (vgl. Art. 96 Abs. 5 Nr. 5 GG). Es geht deshalb nicht allein um die Abgrenzung sachlicher Zuständigkeit, sondern um die Kompetenzverteilung zwischen Bundes- und Landesjustiz (vgl. BGHSt 46, 238, 244). Zur Verfolgung und Aburteilung von Straftaten, die nicht in einem solchen Zusammenhang zu Staatsschutzdelikten stehen, sind nach der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes weiterhin die Staatsanwaltschaften und Gerichte der Länder zuständig.
Ein die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts begründender Zusammenhang ist beim derzeit aus dem SA-Sonderheft "Erkenntnisse über weitere Straftaten (Sexualdelikte)" ersichtlichen Ermittlungsstand nicht erkennbar. Die Reise des Beschuldigten nach Moldawien kann allein dem Zweck gedient haben, sexuelle Kontakte zu jungen Frauen aufzunehmen. Der Gastgeber des Beschuldigten in Moldawien, der in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts als Zuhälter bezeichnet wird und nach Ermittlungen in Israel u. a. wegen Förderung der Prostitution bestraft worden ist, ist zwar ein Vetter des Mitbeschuldigten G. , steht aber mit den Bemühungen des Beschuldigten um die Beschaffung von Rüstungsgütern nicht in Zusammenhang.
3. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Beschuldigte hat auch für diejenige Tat, für die der Senat einen dringenden Tatverdacht bejaht (den versuchten Erwerb von Kriegswaffen), im Falle seiner Verurteilung mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen, die jedenfalls unter den vorliegenden Umständen einen starken Fluchtanreiz bildet. Den Fluchtanreiz mindernde soziale Bindungen des Beschuldigten in Deutschland sind nicht vorhanden. Dieser ist iranischer Staatsbürger und hat im Iran seinen Lebensmittelpunkt. Es besteht unter Berücksichtigung der konspirativen Arbeitsweise des Beschuldigten auch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO).
Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Untersuchungshaft (§ 116 StGB) sind nicht geeignet, den Zweck der Untersuchungshaft zu erreichen.
Derzeit - der Beschuldigte befindet sich seit fünf Monaten in Haft - steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der für den Beschuldigten zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
4. Die Beschwerde, mit der der Beschuldigte die Aufhebung des Haftbefehls erstrebt, hat keinen solchen Erfolg, dass es unbillig wäre, den Beschuldigten mit den gesamten Kosten des Beschwerdeverfahrens zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
Fundstelle(n):
TAAAC-01671
1Nachschlagewerk: nein