Leitsatz
[1] a) Im Kartellverwaltungsverfahren gilt für die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts die Verweisung des § 83 Satz 1 VwGO auf §§ 17 bis 17b GVG. Danach prüft das Rechtsbeschwerdegericht nicht die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts, wenn es über eine Rechtsbeschwerde gegen eine Entscheidung in der Hauptsache befindet.
b) Eine Demarkationsabrede, mit der sich ein Erdgaslieferant verpflichtet, im traditionellen Versorgungsgebiet des Abnehmers keine Dritten mit Erdgas zu beliefern, verstößt gegen das Kartellverbot des § 1 GWB. An einer derartigen Abrede besteht weder im Hinblick auf erhebliche Investitionen des Abnehmers in das Leitungsnetz noch mit Blick auf eine vom Abnehmer eingegangene Mindestbezugsverpflichtung ein anzuerkennendes Interesse.
Gesetze: GWB § 1; GWB § 76 Abs. 2; VwGO § 83 Satz 1; GVG § 17 Abs. 3; GVG § 17 Abs. 5
Instanzenzug:
Gründe
I.
Die Betroffene zu 1 (im folgenden: VNG) ist ein Ferngasunternehmen. Sie beliefert in Berlin (ohne West-Berlin), Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg sowie in großen Teilen Sachsens und Sachsen-Anhalts flächendeckend private und gewerbliche Endverbraucher mit Gas zu Energiezwecken. Ferner ist sie an der Erdgasversorgungsgesellschaft Thüringen-Sachsen beteiligt, die in Thüringen sowie in den nicht unmittelbar von VNG versorgten Teilen Sachsens und Sachsen-Anhalts Verbraucher mit Gas beliefert. Die Betroffene zu 2 (im folgenden: WIEH) und die Betroffene zu 3 (im folgenden: Wingas) sind Gemeinschaftsunternehmen der zur BASF-Gruppe gehörenden Wintershall AG und des russischen Gazprom-Konzerns.
Das von Gazprom aus Rußland gelieferte Gas wird im Inland über die "STEGAL" (Sachsen-Thüringen-Erdgasleitung) transportiert, die von der STEGAL GmbH, einer Tochter von Wingas, betrieben wird. WIEH hat als Anbieter von Erdgas ursprünglich auch Abnehmer im Versorgungsgebiet der VNG beliefert; dafür hat sie sich der "STEGAL" und der von dieser abzweigenden Stichleitungen bedient.
Am schlossen VNG und WIEH einen Vertrag mit einer Laufzeit von zwanzig Jahren, durch den sich WIEH zur Belieferung der VNG mit Erdgas verpflichtete. Als Liefermenge wurden für die ersten Jahre 3,5 Milliarden m3 und ab 1999 7 Milliarden m3 vereinbart. VNG verpflichtete sich, mindestens 80 % der vereinbarten Liefermenge abzunehmen oder jedenfalls zu bezahlen (sog. "Take-or-pay"-Klausel), was für die Zeit ab 1999 etwa der Hälfte ihres Gesamtbedarfs entsprach. Ferner enthält die Vereinbarung eine sogenannte Gebietsschutzregelung, nach der WIEH verpflichtet ist, die Belieferung von Kunden in einem näher bezeichneten Gebiet zu unterlassen und ferner sicherzustellen, daß die Gebietsschutzabrede auch von mit ihr verbundenen Unternehmen beachtet wird. Von dieser Abrede ausgenommen sind einzelne näher bezeichnete Abnehmer von WIEH, deren Belieferung ihr auch weiterhin gestattet ist. Das in dem Vertrag als geschützt gekennzeichnete Gebiet stimmt im wesentlichen mit dem bis dahin von VNG versorgten Gebiet überein. Mit Schreiben vom trat Wingas dieser Absprache bei und erklärte, aus der Unterlassungsverpflichtung gegenüber VNG in gleichem Umfang verpflichtet zu sein wie WIEH.
Nach Anmeldung des Vertrages und einer Anhörung der Betroffenen hat das Bundeskartellamt die Vereinbarung mit Beschluß vom für unwirksam erklärt (BKartA WuW/E BKartA 2721 = RdE 1995, 165). Es hat diese Entscheidung auf § 103 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F. i.V. mit § 103 Abs. 6 Nr. 3 GWB a.F. gestützt. Die Demarkationsabsprachen hat das Amt als mißbräuchlich angesehen, weil sie dazu führten, daß im Vollzug der Vereinbarung ein bisher bestehender Wettbewerb um Erdgaskunden ausgeschlossen werde.
Auf die gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerden der Betroffenen hat das die Entscheidung des Bundeskartellamts aufgehoben (KG WuW/E OLG 5642 = RdE 1997, 27). Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts hat der Bundesgerichtshof seinerseits den Beschluß des Kammergerichts aufgehoben und die Sache an das Kammergericht zurückverwiesen (Beschluß in der Parallelsache: , WuW/E DE-R 399 = WRP 2000, 196 - Verbundnetz I). Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde war die Freistellung nach § 103 GWB a.F. und damit auch die Rechtsgrundlage für die Mißbrauchsverfügung des Bundeskartellamts entfallen (Art. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts v. , BGBl. I S. 730). Die Zurückverweisung erfolgte zur Prüfung einer möglichen Umdeutung der Verfügung des Bundeskartellamts nach § 47 VwVfG.
Das Kammergericht hat in dem wiedereröffneten Beschwerdeverfahren die Vertagung beschlossen, um dem Bundeskartellamt Gelegenheit zu geben, seine Verfügung umzudeuten. Einen solchen Umdeutungsbeschluß hat das Bundeskartellamt am erlassen. Danach wird der Beschluß vom dahingehend umgedeutet, daß den Betroffenen die weitere Durchführung der Vereinbarung aus § 4a des von den Betroffenen zu 1 und 2 (VNG und WIEH) abgeschlossenen Erdgasliefervertrages vom und der im Zusammenhang damit von den Betroffenen zu 1 und 3 (VNG und Wingas) vereinbarten Demarkationsabrede vom / nach § 32 GWB n.F. i.V. mit § 1 GWB n.F. untersagt wird.
Die Betroffenen haben gegen diese Verfügung sowohl beim Oberlandesgericht Düsseldorf als auch beim Kammergericht Beschwerde eingelegt. Das Kammergericht hat das aufgrund der bei ihm eingelegten Beschwerden eingeleitete Verfahren mit dem ursprünglichen Beschwerdeverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und sodann die Beschwerden der Betroffenen gegen den Beschluß des Bundeskartellamts vom in der Fassung des (Umdeutungs-)Beschlusses vom zurückgewiesen (KG RdE 2002, 101).
Hiergegen richten sich die vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerden der Betroffenen. Während VNG die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und der Verfügung des Bundeskartellamts in der Fassung der umgedeuteten Verfügung beantragt, begehren WIEH und Wingas in erster Linie die Feststellung, daß das Verfahren in der Hauptsache erledigt sei. Hilfsweise beantragen sie die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das Kammergericht, weiter hilfsweise die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und der Verfügungen der Kartellbehörde. Das Bundeskartellamt beantragt, die Rechtsbeschwerden zurückzuweisen.
II.
Das Kammergericht hat die Ansicht vertreten, daß der Umdeutungsbeschluß des Bundeskartellamts nicht in einem gesonderten Verfahren zu überprüfen sei. Vielmehr werde - wie sich aus dem Rechtsgedanken des § 44a VwGO ergebe - das Beschwerdeverfahren, das die ursprüngliche Mißbrauchsverfügung zum Gegenstand gehabt habe, mit der Maßgabe fortgesetzt, daß sich die Beschwerde nunmehr gegen die kartellamtliche Verfügung in der umgedeuteten Gestalt richte.
In der Sache hat das Kammergericht in der beanstandeten Demarkationsabrede nach altem wie nach neuem Recht eine Kartellabsprache i.S. von § 1 GWB gesehen. Die Betroffenen hätten die Vereinbarung als miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen geschlossen. Denn bei Abschluß des Demarkationsvertrages hätten sie in einem aktuellen Wettbewerb als Ferngasunternehmen gestanden, da WIEH nicht nur die VNG beliefert habe, sondern sich im Versorgungsgebiet von VNG als deren unmittelbare Wettbewerberin auch selbst geschäftlich betätigt habe, indem sie Gaskunden akquiriert und beliefert habe. Später habe Wingas von WIEH die Lieferverträge mit Kunden im Versorgungsgebiet von VNG übernommen. Mit der Demarkation hätten VNG auf der einen sowie WIEH und Wingas auf der anderen Seite eine Beschränkung des zwischen ihnen bestehenden Wettbewerbs bezweckt. Bereits aus der Länge der durch das Versorgungsgebiet von VNG führenden Ferngasleitung der Wingas lasse sich ablesen, daß damit ein großes Wettbewerbspotential stillgelegt worden sei. An der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung bestehe daher kein Zweifel.
Die Anwendbarkeit des § 1 GWB sei im Streitfall auch nicht mit Blick auf die vertikale Lieferbeziehung, die zwischen den Parteien bestehe, ausgeschlossen. Nach den von der Rechtsprechung zu § 1 GWB a.F. entwickelten, auch auf die neue Gesetzesfassung anwendbaren Grundsätzen fielen wettbewerbsbeschränkende Abreden in Austauschverträgen in den Anwendungsbereich des § 1 GWB, wenn für die vereinbarte Wettbewerbsbeschränkung bei wertender Betrachtungsweise im Hinblick auf die Freiheit des Wettbewerbs kein anzuerkennendes Interesse bestehe. Dies sei im Streitfall zu bejahen. Bei der VNG handele es sich nicht um einen Absatzmittler, der nur aufgrund der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung in der Lage sei, einen Ausgleich für die erheblichen Investitionen zu erwirtschaften. Der Streitfall sei daher nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die der Entscheidung "Druckgußteile" des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegen habe.
Ein anzuerkennendes Interesse ergebe sich auch nicht aus der "Take-or-pay"-Verpflichtung, die VNG gegenüber WIEH eingegangen sei. Dem berechtigten Interesse der VNG, nicht für Liefermengen zahlen zu müssen, die aufgrund von Direktbelieferungen durch WIEH oder Wingas nicht mehr absetzbar seien, könne auf andere Weise Rechnung getragen werden als durch die vereinbarte Wettbewerbsbeschränkung, etwa durch eine entsprechende Anpassung der Abnahmeverpflichtung.
Schließlich habe das Bundeskartellamt seine Entscheidung erkennbar ermessensfehlerfrei erlassen. Es sei nichts dafür ersichtlich, daß das Bundeskartellamt das bestehende Ermessen verkannt habe. Dies gelte auch mit Blick auf eine Freistellungsmöglichkeit nach § 7 GWB. Denn die kartellwidrige Demarkation komme für eine Freistellung schon deshalb nicht in Betracht, weil die Wettbewerbsbeschränkung nicht zu einer Verbesserung des Angebots führe und nicht abzusehen sei, wie es zu einer angemessenen Beteiligung der Verbraucher am entstehenden Gewinn kommen solle.
III.
Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerden haben keinen Erfolg. Die Entscheidung des Kammergerichts ist weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Insbesondere hat das Kammergericht mit Recht angenommen, daß es sich bei der in Rede stehenden Demarkationsvereinbarung um eine Kartellabsprache nach § 1 GWB handelt.
1. Ohne Erfolg wenden sich die Rechtsbeschwerden dagegen, daß das Kammergericht seine (örtliche) Zuständigkeit bejaht hat.
a) Die (örtliche) Unzuständigkeit des Beschwerdegerichts kann im Streitfall im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr gerügt werden.
Der Umstand, daß § 76 Abs. 2 Satz 2 GWB einen ausdrücklichen Rügeausschluß nur für den Fall enthält, daß die Kartellbehörde ihre Zuständigkeit unter Verletzung von § 48 GWB bejaht hat, besagt entgegen der Rechtsbeschwerde von WIEH und Wingas nicht, daß die Unzuständigkeit des Beschwerdegerichts uneingeschränkt mit der Rechtsbeschwerde gerügt werden könnte. Die gesetzliche Regelung des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist nicht erschöpfend. In vielen Punkten muß auf andere Verfahrensvorschriften zurückgegriffen werden. Hierfür bieten sich im Hinblick auf die Ausgestaltung des kartellgerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens nach §§ 63 ff. und 74 ff. GWB als Verwaltungsstreitverfahren in erster Linie die Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung an (vgl. BGHZ 84, 320 f. - Stuttgarter Wochenblatt; 130, 390, 399 - Stadtgaspreise; Kollmorgen in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 73 GWB Rdn. 4; Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 73 Rdn. 1). Für die Frage, ob die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts mit der Rechtsbeschwerde gerügt werden kann, ist insoweit auf § 83 Satz 1 VwGO zurückzugreifen. Dort ist bestimmt, daß für die sachliche und örtliche Zuständigkeit die §§ 17, 17a und 17b GVG entsprechend gelten. Danach hätte die Frage der Zuständigkeit des Kammergerichts für die Entscheidung über die umgedeutete Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts in einem gesonderten Vorabverfahren geklärt werden können (§ 83 Satz 1 VwGO i.V. mit § 17a Abs. 3 GVG). Das Gericht, das - wie der Senat im vorliegenden Verfahren - über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, prüft dagegen nicht, ob das Beschwerdegericht seine Zuständigkeit mit Recht bejaht hat (§ 83 Satz 1 VwGO i.V. mit § 17a Abs. 5 GVG).
b) Unabhängig davon bestehen keine Bedenken dagegen, daß das Kammergericht sich als zuständig angesehen hat. Die Umdeutung der ursprünglichen Mißbrauchsverfügung hätte auch das Kammergericht selbst vornehmen können (vgl. BVerwGE 48, 81, 83 f.; 62, 300, 306; , NVwZ 1984, 645; BVerwGE 97, 245, 255). Das Kammergericht hat zwar von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, sondern es dem Bundeskartellamt - nach Vertagung - überlassen, die Umdeutung auszusprechen. Daraus läßt sich aber nicht der Schluß ziehen, für die Umdeutung sei nun ein neues Kartellverwaltungsverfahren eingeleitet worden. Vielmehr erfolgte die Umdeutung, auch wenn sie vom Amt und nicht vom Kammergericht ausgesprochen wurde, im Rahmen des lediglich vertagten Beschwerdeverfahrens vor dem Kammergericht. Ungeachtet der vom Bundeskartellamt erteilten Rechtsmittelbelehrung hätte es unter diesen Umständen der gesonderten Anfechtung der Umdeutungsverfügung nicht bedurft. Vielmehr war das Kammergericht berufen, über die ursprüngliche Beschwerde zu entscheiden, die sich nunmehr gegen die Untersagungsverfügung in der umgedeuteten Form richtete.
2. Mit Recht hat das Kammergericht die Voraussetzungen für eine Umdeutung nach § 47 VwVfG in Übereinstimmung mit der Senatsentscheidung vom bejaht. Dem steht auch nicht entgegen, daß es sich bei der kartellamtlichen Verfügung um eine Ermessensentscheidung gehandelt hat. Denn die Kartellbehörde hat bereits vor Erlaß der ursprünglichen Mißbrauchsverfügung ihr Ermessen ausgeübt und sich für ein Einschreiten entschieden. Diese Ausübung des Ermessens trägt auch die umgedeutete Untersagungsverfügung.
3. Ohne Erfolg wenden sich die Rechtsbeschwerden dagegen, daß das Kammergericht in der beanstandeten Demarkationsvereinbarung eine Kartellabrede nach § 1 GWB, und zwar auch in der seit dem geltenden Fassung des Gesetzes, erblickt hat.
a) Dem steht nicht der Umstand entgegen, daß es sich im Streitfall um einen Altvertrag - also um einen schon vor Inkrafttreten des Verbots abgeschlossenen Vertrag - handelt. Obwohl der Erdgaslieferungsvertrag im Jahre 1994 geschlossen worden ist, muß er sich an dem heute geltenden Recht, insbesondere an dem uneingeschränkte Geltung beanspruchenden Kartellverbot des § 1 GWB messen lassen. Auch wenn sich die Wirksamkeit eines Vertrags grundsätzlich nach dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Recht richtet (vgl. zur Formvorschrift des § 34 GWB a.F. , WuW/E DE-R 261 - Coverdisk; Urt. v. - KZR 23/97, WuW/E DE-R 259 - Markant), können Verbotsgesetze bereits wirksam begründete Dauerschuldverhältnisse in der Weise erfassen, daß sie ex nunc unwirksam werden. Dies setzt voraus, daß das Verbotsgesetz die für die Zukunft eintretende Nichtigkeit nach seinem Sinn und Zweck erfordert (vgl. BGHZ 45, 322, 326; MünchKomm/Mayer-Maly/Armbrüster, BGB, 4. Aufl., § 134 Rdn. 20). Dies ist für das Kartellverbot unzweifelhaft der Fall (Canaris, DB 2002, 930 f.), wie sich im übrigen auch den Übergangsbestimmungen in § 131 Abs. 2 bis 7 GWB entnehmen läßt.
b) Verträge, die einen Leistungsaustausch zum Gegenstand haben, zugleich aber zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen geschlossen worden sind und eine wettbewerbsbeschränkende Abrede - beispielsweise eine Bezugsverpflichtung oder eine Ausschließlichkeitsbindung - enthalten, fallen scheinbar sowohl unter die strenge Regelung des § 1 GWB, die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern verbietet, als auch unter die Bestimmungen über Vertikalvereinbarungen in §§ 14 ff. GWB, die derartige Wettbewerbsbeschränkungen für den Regelfall nicht verbieten, sondern lediglich einer Mißbrauchsaufsicht unterwerfen (§ 16 GWB). Auch nach altem Recht, das das Merkmal der miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen nicht kannte, sondern statt dessen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen für unwirksam erklärte, die zu einem gemeinsamen Zweck geschlossen worden waren, ging es der Sache nach um eine Abgrenzung zwischen Horizontal- und Vertikalvereinbarungen.
Noch zum alten Recht hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß bei Austauschvereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkendem Inhalt eine Vereinbarung immer dann zu einem gemeinsamen Zweck i.S. des § 1 GWB a.F. geschlossen worden sei, wenn für die vereinbarte Beschränkung bei wertender Betrachtungsweise im Hinblick auf die Freiheit des Wettbewerbs kein anzuerkennendes Interesse bestehe (vgl. , WuW/E 3115, 3118 - Druckgußteile; Urt. v. - KZR 35/95, WuW/E 3121, 3125 - Bedside-Testkarten; Urt. v. - KZR 43/95, WuW/E 3137, 3138 - Solelieferung; Urt. v. - KZR 18/97, WuW/E DE-R 131, 133 - Subunternehmervertrag I; Urt. v. - KZR 8/99, WuW/E DE-R 505 f. - Subunternehmervertrag II). Diese Abgrenzungsformel, die nach altem Recht zur näheren Bestimmung des Merkmals "zu einem gemeinsamen Zweck" dienen konnte, hat durch die Neufassung des Gesetzes ihre Bedeutung nicht verloren (vgl. BGH WRP 2000, 196, 199 - Verbundnetz I [insoweit in WuW/E DE-R 399 nicht abgedruckt]; vgl. ferner Zimmer in Immenga/Mestmäcker aaO § 1 Rdn. 171 f.; Bunte in Langen/Bunte aaO § 1 GWB Rdn. 94; Huber in Frankfurter Kommentar, Kurzdarstellung zu § 1 GWB 1999 Rdn. 16 ff.; Wolter in Frankfurter Kommentar, § 16 GWB 1999 Rdn. 29 f.; Rittner, WuW 2000, 696, 704 f.; Bornkamm in Festschrift Geiß, S. 539, 554 f.). Sie ist immer dann heranzuziehen, wenn eine - wettbewerbsbeschränkende Abreden enthaltende - Vereinbarung zur Überprüfung steht, bei der es sich sowohl um eine Vertikalvereinbarung - also um einen Vertrag, der den Leistungsaustausch zum Gegenstand hat - als auch um einen Vertrag handelt, der zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen geschlossen worden ist. Ist das anzuerkennende Interesse zu bejahen - etwa bei dem dem Verkäufer eines Unternehmens auferlegten Wettbewerbsverbot oder bei der Kundenschutzzusage in einem Subunternehmervertrag, durch den einem als Subunternehmer tätigen Wettbewerber Kunden zugeführt werden - führt dies dazu, daß § 1 GWB nicht anwendbar ist, mögen die Vertragspartner auch miteinander im Wettbewerb stehen. Dabei ist die Abgrenzungsformel so gefaßt, daß nicht allein die für das Austauschverhältnis funktionsnotwendigen Wettbewerbsbeschränkungen - wie die erwähnten Beispiele des Wettbewerbsverbots im Unternehmenskaufvertrag und die Kundenschutzklausel im Subunternehmervertrag - ein anzuerkennendes Interesse begründen können, sondern auch beschränkende Abreden, mit denen ein berechtigtes und mit der Zielrichtung des Gesetzes nicht in Konflikt stehendes Interesse verfolgt wird. Abreden der zweiten Kategorie können dabei um so eher als unbedenklich eingestuft werden, je weniger ausgeprägt das Wettbewerbsverhältnis zwischen den Vertragsparteien ist, weil sich die Parteien beispielsweise nicht als aktuelle Wettbewerber im Markt begegnen, sondern der Markteintritt des einen Vertragspartners nur eine mehr oder weniger naheliegende Möglichkeit darstellt. Ferner kann hier berücksichtigt werden, wie stark wettbewerbsbeschränkend die in Rede stehende Vereinbarung wirkt und ob mit ihr - etwa im Zuge der Auslagerung eines bislang integrierten Vertriebs (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH WuW/E 3121 - Bedside-Testkarten) - ein Vertriebskonzept gefördert werden soll, das auf längere Sicht eher zu einer Belebung als zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs führt (vgl. Bornkamm aaO S. 549 ff.).
Dies bedeutet, daß Vereinbarungen, die scheinbar eine - nach der Systematik des Gesetzes indessen ausgeschlossene - Doppelqualifikation nach § 1 und § 16 GWB erfüllen, zunächst nach § 1 GWB zu prüfen sind. Ergibt sich hierbei, daß es sich um einen wettbewerbsbeschränkenden Vertrag zwischen Wettbewerbern handelt und kann für die beschränkende Abrede kein das Austauschverhältnis förderndes anzuerkennendes Interesse gefunden werden, bleibt es bei der Anwendung des § 1 GWB; für die Anwendung der §§ 14 ff. GWB ist dann kein Raum. Ist das anzuerkennende Interesse dagegen zu bejahen, führt dies dazu, daß der Vertrag ausschließlich als Vertikalvereinbarung zu behandeln ist und damit allein dem Regime der §§ 14 ff. GWB unterfällt (vgl. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 6. Aufl., § 7 Rdn. 23; ders., WuW 2000, 696 ff.).
c) Werden diese Grundsätze auf den Streitfall angewandt, folgt daraus, daß die beanstandete Demarkationsabrede unter § 1 GWB fällt.
aa) Wie sich den Feststellungen des Kammergerichts entnehmen läßt, bestand zwischen VNG auf der einen sowie WIEH und Wingas auf der anderen Seite vor Abschluß des fraglichen Vertrages im Januar 1994 entlang der bestehenden Ferngasleitung der Wingas mit ihren Stichleitungen ein lebendiger Wettbewerb. Bei WIEH und Wingas handelte es sich niemals um reine Großverteiler, die lediglich als potentielle Wettbewerber in Betracht zu ziehen wären. Im Streitfall ist der aktuelle Wettbewerb um so höher einzuschätzen, als VNG damals in ihrem Versorgungsgebiet aufgrund des in ihrem Eigentum stehenden Leitungsnetzes weitgehend über ein natürliches Monopol verfügte. Auch heute verschafft die Verfügungsgewalt über das Leitungsnetz dem Eigentümer trotz des bestehenden Durchleitungsanspruchs noch einen deutlichen Vorsprung gegenüber konkurrierenden Anbietern, die sich häufig den Weg zu ihren Kunden durch mühsame Auseinandersetzungen freikämpfen müssen.
bb) Die Vereinbarung von Demarkationen ist nicht funktionsnotwendig für die hier in Rede stehenden Energielieferverträge. Mit ihr verfolgen die Vertragsparteien auch kein berechtigtes, mit der Zielrichtung des Gesetzes zu vereinbarendes Interesse.
VNG hat mit ihrer Rechtsbeschwerde insoweit auf ihre erheblichen Investitionen in das Leitungsnetz verwiesen, die es den Lieferanten erst ermöglichten, ihr Gas am Markt abzusetzen, und sich insoweit auf die Senatsrechtsprechung, insbesondere auf die Entscheidung "Druckgußteile" berufen. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der Streitfall jedoch nicht mit der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fallkonstellation vergleichbar. Dort war die wirtschaftliche Notwendigkeit von wettbewerbsbeschränkenden Abreden anerkannt worden, die verhindern, daß der Hersteller aus den Bemühungen des Absatzmittlers ohne eigenen Aufwand Nutzen zieht; der Absatzmittler werde im Interesse des Warenabsatzes nur Investitionen erbringen, deren Rentabilität sichergestellt sei (BGH WuW/E 3115, 3119). Indessen hatten die Vertragsparteien in jenem Fall nicht etwa ihre Absatzgebiete demarkiert, sondern lediglich eine Kundenschutzklausel vereinbart. Aber auch wenn es sich nicht um eine Demarkationsabrede, sondern um eine weniger einschneidende Wettbewerbsbeschränkung handelte, kämen doch Beschränkungen mit einer Laufzeit von mehr als fünf Jahren nicht oder jedenfalls in aller Regel nicht in Betracht. Geht es - wie im Streitfall - um Investitionen in ein Leitungsnetz, kommt hinzu, daß der Lieferant und (potentielle) Wettbewerber das fremde Leitungsnetz, in das sein Absatzmittler in ganz erheblichem Maße investiert hat, keineswegs ohne eigenen Aufwand nutzen kann. Er muß hierfür ein angemessenes Entgelt zahlen, bei dessen Bemessung auch die Investitionen zu berücksichtigen sind. Ebenso wie der Eigentümer des Leitungsnetzes die für Herstellung und Unterhalt des Netzes getätigten Aufwendungen als Transportkosten in seine eigene Kalkulation des Verkaufspreises einstellen wird, können diese Kosten in die Bemessung des angemessenen Entgelts einfließen, das er von einem Durchleitungspetenten beanspruchen kann (§ 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB; für Elektrizitätsnetze vgl. auch § 6 Abs. 1 Satz 1 EnWG). Die Investitionen in das Netz können sich daher nicht allein durch eigene Gasverkäufe von VNG amortisieren, sondern auch aufgrund von Einnahmen für die Durchleitung der Absatzmengen der Konkurrenten.
cc) Auch die sogenannte "Take-or-pay"-Klausel läßt die fragliche Demarkationsabrede nicht in einem günstigeren Licht erscheinen. Richtig ist lediglich, daß zwischen Gebietsschutz- oder Alleinvertriebsabreden und Mindestbezugsverpflichtungen eine enge Beziehung besteht. Beispielsweise wird ein Hersteller nur bereit sein, einem Abnehmer für ein wichtiges Absatzgebiet Gebietsschutz zu gewähren, wenn der Abnehmer seinerseits eine Mindestabnahme verspricht. Eine kartellrechtlich bedenkliche Marktaufteilung kann aber nicht mit der Mindestbezugsabrede gerechtfertigt werden. Zunächst wäre zu prüfen, ob die langfristige Abnahmeverpflichtung, die VNG eingegangen ist, ihrerseits mit § 1 GWB vereinbar ist; diese Frage ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, in dem es allein um die vom Bundeskartellamt beanstandete Demarkationsabrede geht. Aber auch wenn die langfristige Mindestbezugsabrede kartellrechtlich unbedenklich wäre, hätte die von den Parteien behauptete Abhängigkeit der einen von der anderen Klausel zur Folge, daß der Vertrag entweder - wie das Kammergericht vorgeschlagen hat - aufgrund einer entsprechenden Vertragsklausel an die neuen Gegebenheiten anzupassen wäre oder daß eine auf die Demarkationsabrede beschränkte Teilnichtigkeit (§ 139 BGB) nicht in Betracht käme.
dd) Auch die sonstigen Umstände sprechen eher für eine wettbewerbsschädliche Wirkung der fraglichen Klausel. Zunächst ist zu bedenken, daß die räumliche Marktaufteilung zwischen Wettbewerbern den Wettbewerb wesentlich stärker zu beeinträchtigen geeignet ist als andere beschränkende Abreden. Sie schließt im Streitfall gerade die Mitbewerber vollständig vom Wettbewerb aus, die wegen der bestehenden Ferngasleitung am ehesten in der Lage wären, der VNG in ihrem traditionellen Versorgungsgebiet Konkurrenz zu machen. Hinzu kommt die überaus lange Laufzeit des Vertrages, die zu einer Zementierung des status quo beitragen kann.
Auch die Zielrichtung des Gesetzes steht der von den Rechtsbeschwerden vertretenen Auffassung entgegen, die Demarkationsabrede diene einem anzuerkennenden Interesse der Betroffenen. Mit der Aufhebung der bis 1998 geltenden Freistellung der Energielieferverträge u.a. vom Kartellverbot des § 1 GWB ist deutlich geworden, daß sich die vom Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verfolgte Zielrichtung eines freien Wettbewerbs nunmehr uneingeschränkt auch auf die frühere Bereichsausnahme der Energieversorgung richtet. Mit dieser Zielrichtung ist es nicht zu vereinbaren, wenn Wettbewerber die von ihnen versorgten Gebiete durch Demarkationsabreden abgrenzen.
d) Zutreffend ist das Kammergericht auch von der Spürbarkeit der beanstandeten Wettbewerbsbeschränkung ausgegangen.
IV.
Danach sind die Rechtsbeschwerden der Betroffenen zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Satz 1 GWB.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
VAAAC-01290
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja