Leitsatz
[1] Eine ergänzende Zulassung der Rechtsbeschwerde analog § 321a ZPO ist möglich, wenn in der Beschwerdeentscheidung durch willkürliche Nichtzulassung Verfahrensgrundrechte des Beschwerdeführers verletzt worden sind.
Gesetze: ZPO () § 574 Abs. 1 Nr. 2; ZPO () § 321a
Instanzenzug: LG Lüneburg vom AG Uelzen
Gründe
I.
Die Gläubigerin betreibt aus zwei Urteilen des Amtsgerichts Uelzen, zwei Beschlüssen des Amtsgerichts Essen und einer Urkunde des Jugendamts Uelzen gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen laufender und rückständiger Unterhaltsansprüche. Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom setzte das Amtsgericht Uelzen den Pfändungsfreibetrag auf 573,67 € anstelle beantragter 300 € fest. Die sofortige Beschwerde hiergegen verwarf das Landgericht Lüneburg durch Beschluß vom . Dieser wurde der Gläubigerin am zugestellt. Die am beim Landgericht eingegangene Gegenvorstellung, mit der die Gläubigerin weiterhin die Herabsetzung des pfandfreien Betrages erstrebte, wies das zurück; zugleich ließ es die Rechtsbeschwerde gegen seinen Beschluß vom zu.
Der Gläubigerin wurde durch Beschluß des Senats vom - IXa ZA 2/03, der ihr am zugestellt wurde, für die Rechtsbeschwerde gegen den vorgenannten Beschluß des Landgerichts Lüneburg Prozeßkostenhilfe gewährt. Der Verfahrensbevollmächtigte der Gläubigerin hat mit seinem am selben Tage beim Bundesgerichtshof eingegangenen Schriftsatz vom Rechtsbeschwerde eingelegt, diese begründet und beantragt, der Gläubigerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zu gewähren.
II.
Der Gläubigerin ist auf ihren innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, da sie ohne ihr Verschulden, nämlich wegen ihrer Mittellosigkeit, verhindert war, die Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde einzuhalten (§ 233 ZPO).
III.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht deshalb unzulässig, weil sich die Gläubigerin in einer privatschriftlichen Vereinbarung vom zur Rücknahme der Rechtsbeschwerde verpflichtet hat. Wesentlicher Teil dieser Vereinbarung ist der unter Ziffer 5 getroffene Unterhaltsverzicht für die Zukunft, der nach § 1614 Abs. 1 BGB unwirksam ist. Dies führt trotz der Klausel unter Ziffer 6, wonach im Falle der Unwirksamkeit einer Regelung die restlichen Regelungen weiterhin bestehen bleiben, zur Unwirksamkeit der gesamten Vereinbarung.
2. Soweit der Schuldner vorträgt, das Rechtsschutzbedürfnis der Gläubigerin sei entfallen, weil das der Lohnpfändung zugrunde liegende Arbeitsverhältnis längst beendet sei, ist dieser Vortrag unbeachtlich, weil er nicht durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt erfolgt ist. Unter den Anwaltszwang fallen alle verfahrensgestaltenden Handlungen, auch bestimmende und vorbereitende Schriftsätze (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO 24. Aufl. § 78 Rn. 9). Aus den Schriftsätzen des Verfahrensbevollmächtigten der Gläubigerin ergibt sich kein Anhalt dafür, daß das Rechtsschutzinteresse entfallen sein könnte.
3. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO liegen vor. An sich muß zwar die Rechtsbeschwerde in dem Beschluß, mit dem über die sofortige Beschwerde entschieden wurde, sei es im Tenor oder in den Gründen, ausdrücklich zugelassen sein (vgl. , ZIP 2002, 1589, 1590 zu II. 2; Beschl. v. - II ZB 37/02, BB 2004, 244; OLG Koblenz, JurBüro 2002, 437; Zöller/Gummer, ZPO 24. Aufl. § 574 Rn. 14; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 25. Aufl. § 574 Rn. 7). Eine Ergänzungsentscheidung entsprechend § 321 ZPO ist grundsätzlich unzulässig. Jedoch ist eine ergänzende Zulassung der Rechtsbeschwerde analog § 321a ZPO möglich, wenn in der Beschwerdeentscheidung Verfahrensgrundrechte des Beschwerdeführers verletzt wurden.
a) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Verletzung eines Verfahrensgrundrechts durch eine Beschlußentscheidung von dem Gericht, das sie begangen hat, auf Gegenvorstellung zu beheben, selbst wenn der Beschluß nach Prozeßrecht unabänderlich ist, weil Entscheidungen, die unter Verletzung eines Verfahrensgrundrechts ergangen sind, auf eine Verfassungsbeschwerde hin aufzuheben wären und damit letztlich keine Bestandskraft entfalten können (BGHZ 150, 133; vgl. auch BGHZ 130, 97; , NJW 2000, 590). Diese Rechtsprechung, der sich das Bundesverwaltungsgericht (NJW 2002, 2657) und der Bundesfinanzhof (NJW 2003, 919) angeschlossen haben, ist durch die Entscheidung des Plenums des , NJW 2003, 1924 für den gegenwärtigen Zeitpunkt bestätigt worden. Zwar genügen danach die von der Rechtsprechung teilweise außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffenen außerordentlichen Rechtsbehelfe nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit. In der Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, die bis zum zu erfolgen hat, kann die bisherige Rechtslage jedoch unter Einschluß der von der Rechtsprechung entwickelten außerordentlichen Rechtsbehelfe hingenommen werden (BVerfG NJW 2003, 1924, 1929 und NJW 2003, 3687, 3688).
b) Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durfte das Landgericht seinen Beschluß vom in analoger Anwendung des § 321a ZPO abändern und die Rechtsbeschwerde zulassen. Die Gläubigerin hat die Gegenvorstellung rechtzeitig erhoben und die Verletzung eines Verfahrensgrundrechts gerügt. Zwar stellt die Gläubigerin in der Gegenvorstellung in erster Linie auf eine Verletzung des in Art. 103 Abs. 1 GG enthaltenen Grundrechts auf rechtliches Gehör ab; durch den ausdrücklichen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat sie aber auch einen Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) geltend gemacht. Eine Verletzung dieses Verfahrensgrundrechts liegt hier auch vor.
Das Beschwerdegericht hat gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters verstoßen. Es hat in seinem ersten Beschluß vom zur Begründung ausgeführt, daß die Bemessung des notwendigen Unterhalts in der Praxis der Gerichte unterschiedlich gehandhabt werde. Danach drängte sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache für die Gerichtspraxis förmlich auf. Der Einzelrichter hätte deshalb das Verfahren zur Entscheidung auf die Kammer übertragen müssen, § 568 Satz 2 ZPO (vgl. , NJW 2003, 1254, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ 154, 200). Durch seine Entscheidung in der Sache ist die Rechtsbeschwerdeführerin ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden. Jedenfalls hätte der Einzelrichter bereits in dem ersten Beschluß die Rechtsbeschwerde zulassen müssen, als er seine Verpflichtung übersah, die Sache der Kammer vorzulegen. Denn die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO lagen unzweifelhaft vor. Im vergleichbaren Fall der Revision verstößt die Entscheidung eines Gerichts, die Revision nicht zuzulassen, wenn sie willkürlich ist, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (Beschluß der 2. Kammer des 1. Senats des , m.w.N.). Auf die in der Sache vergleichbare Zulassung der Rechtsbeschwerde hatte die Gläubigerin demgemäß unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters einen Anspruch. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und die Verletzung des Verfahrensgrundrechts hat der Einzelrichter auf die Gegenvorstellung der Gläubigerin zumindest insoweit erkannt, als er die Rechtsbeschwerde nunmehr im zweiten Beschluß vom zugelassen hat.
Dieser Auffassung stehen die Entscheidungen des IX. Zivilsenats vom und des II. Zivilsenats vom - jeweils aaO - nicht entgegen. Sie befassen sich nur mit der allgemeinen Regel des § 321 ZPO. Hier liegt demgegenüber der besondere Fall der Verletzung eines Verfahrensgrundrechtes vor, wie sie der Gesetzgeber für den Verstoß gegen das rechtliche Gehör ausdrücklich in § 321a ZPO geregelt hat. Mit dieser Frage befassen sich die genannten Entscheidungen nicht. Im übrigen war im Fall der Entscheidung des II. Zivilsenats vom die 2-Wochen-Frist des § 321 ZPO und des § 321a ZPO nicht gewahrt.
IV.
Entscheidet der Einzelrichter in einer Sache, der er rechtsgrundsätzliche Bedeutung beimißt, über die Beschwerde und läßt die Rechtsbeschwerde - wenn auch erst auf Gegenvorstellung - zu, so ist die Entscheidung auf die Rechtsbeschwerde wegen fehlerhafter Besetzung des Beschwerdegerichts von Amts wegen aufzuheben (vgl. aaO).
Für die Neuentscheidung des Landgerichts weist der Senat hin auf seinen Beschluß vom - IXa ZB 151/03, NJW 2003, 2918, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ 156, 30.
Fundstelle(n):
LAAAC-01130
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja