BGH Urteil v. - IX ZR 9/03

Leitsatz

[1] Die Zahlung auf eine fällige Forderung ist inkongruent insoweit, als sie mitursächlich auf Maßnahmen (z.B. Kontosperre der Gläubigerbank) beruht, auf die kein Anspruch bestand.

Gesetze: InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1

Instanzenzug: OLG Dresden vom LG Leipzig

Tatbestand

Der Kläger verlangt als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Ingenieurbau R. GmbH (fortan: Schuldnerin) im Wege der Insolvenzanfechtung Rückgewähr einer Zahlung von 550.000 DM, welche die Schuldnerin auf eine Bürgschaftsschuld erbracht hat.

Die verklagte Sparkasse führte für die Schuldnerin seit dem Jahre 1992 ein Girokonto. Ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen waren in das Vertragsverhältnis einbezogen worden. Das Girokonto wurde als "Guthabenkonto" geführt. Muttergesellschaft der Schuldnerin war die Ingenieurbau B. GmbH (fortan: IBB), der die Beklagte ein Darlehen über 2,0 Mio. DM gewährte. Für dieses Darlehen verbürgte sich am neben anderen Tochtergesellschaften auch die Schuldnerin selbstschuldnerisch bis zum Betrag von 1,7 Mio. DM. Nach Nr. 11 der Bürgschaftserklärung waren die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Sparkassen Bestandteil der Bürgschaft. Sie sehen in der damals geltenden Fassung ein Pfandrecht der Beklagten an Werten des Kunden jeder Art vor. Nr. 21 Abs. 3 Satz 2 und 3 der AGB-Sparkassen lautet:

"Das Pfandrecht sichert auch Ansprüche der Sparkasse gegen Dritte, für deren Verbindlichkeiten der Kunde persönlich haftet. Ansprüche gegen Kunden aus übernommenen Bürgschaften werden erst ab deren Fälligkeit gesichert."

Bereits am hatte die Mehrheitsgesellschafterin der IBB, die G. M. Ingenieurbau GmbH, die dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten als Streithelferin beigetreten ist, eine "Harte Patronatserklärung" für die IBB abgegeben.

Nachdem die Beklagte erfahren hatte, die IBB habe ihre Geschäftsanteile an der Schuldnerin verkauft, wandte sie sich unter Bezugnahme hierauf mit Schreiben vom an die Schuldnerin. In dem Schreiben heißt es:

"In Anbetracht der daraus sich für die Bürgschaft ergebenden Ungewißheit bitten wir um Verständnis, daß wir die bei uns bestehenden Guthaben der ... (Schuldnerin) derzeit gesperrt halten. Die damit erfolgte Unterlegung der Bürgschaft durch liquide Sicherheiten begründet sich darüber hinaus auch aus der bestehenden Situation der Hauptschuldnerin, der Firma IBB, deren Sanierung nur bei einer Erhaltung der hier gegebenen Werte sichergestellt ist."

Am belief sich das Guthaben der Schuldnerin auf dem bei der Beklagten geführten Girokonto auf rund 608.000 DM.

Mit an die IBB gerichtetem Faxschreiben vom stellte die Beklagte das ausgereichte Darlehen "zur sofortigen Rückzahlung fällig" und bat um vollständige Rückführung bis spätestens . Am veranlaßte die Schuldnerin eine Überweisung von 550.000 DM von ihrem Girokonto bei der Beklagten auf das ebenfalls bei der Beklagten geführte Darlehenskonto der IBB. Hierzu schrieb sie der Beklagten unter dem :

"... hiermit setze ich Sie in Kenntnis, daß wir mit heutigem Tage eine zweckgebundene Zahlung auf o.g. Konto der Ingenieurbau B. GmbH in Höhe von 550.000,00 DM veranlaßt haben, die auf die betragsmäßig beschränkte Einzelbürgschaft vom ... geleistet wird."

Eine schriftliche Zahlungsaufforderung durch die Beklagte war dem nicht vorausgegangen. Die Beklagte ließ die Überweisung zu. Sie führte zu einer Verringerung des Kontoguthabens auf 61.623,79 DM.

Auf Eigenantrag vom wurde am das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Mit der Klage hat er 550.000 DM nebst 6,5 % Zinsen seit dem verlangt. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.

Gründe

Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Dem Kläger stehe ein Rückzahlungsanspruch aus §§ 143, 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu, weil die Beklagte durch die Zahlung eine inkongruente Deckung erlangt habe. Zwar sei der Anspruch aus der Bürgschaftsschuld ohne Berücksichtigung der "Kontosperre" vom im Zeitpunkt der Zahlung fällig gewesen. Gleichwohl müsse sich die Beklagte so behandeln lassen, als wäre die Zahlung inkongruent, weil die von der Beklagten veranlaßte Kontosperre, auf welche diese keinen Anspruch gehabt und die ihr die kongruente Deckung erst ermöglicht habe, ihrerseits nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar sei. Die Beklagte habe nichts dafür dargetan, daß auch ohne die Sperre am ein ausreichendes Guthaben auf dem Konto der Schuldnerin vorhanden gewesen wäre. Das der Beklagten nach Nr. 21 Abs. 1 Satz 3 AGB-Sparkassen zustehende Pfandrecht stehe einer Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen, weil auch das Pfandrecht der Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterliege.

II.

Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Die am erfolgte Zahlung von 550.000 DM an die Beklagte ist ohne die Kontosperre nicht als inkongruente Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar.

a) Die Beklagte hat hierdurch eine inkongruente Deckung in zeitlicher Hinsicht nicht erlangt. Eine Deckung ist nicht zu der Zeit zu beanspruchen, wenn der Gläubiger sie früher erhält als geschuldet, wenn also der Anspruch darauf im Zeitpunkt der Erfüllung entweder noch nicht fällig oder befristet war. Im Streitfall, in dem sich die Schuldnerin einer bargeldlosen Überweisung bedient hat, ist der Zeitpunkt maßgeblich, in dem der Anspruch des Berechtigten - hier der Beklagten - auf Gutschrift entsteht (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 140 Rn. 9).

Vorliegend ist mit der Fälligstellung des Darlehens am die Bürgschaftsschuld gegen die Schuldnerin ebenfalls fällig geworden. Die Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den ihr aus § 607 Abs. 1 BGB a.F. zustehenden Rückerstattungsanspruch gegen die IBB am fällig gestellt (vgl. § 609 Abs. 1 BGB), wird von dem Kläger im Revisionsverfahren hingenommen; Gegenrügen werden von ihm nicht erhoben. Die Kündigung war auch wirksam; insbesondere erfolgte sie nicht zur Unzeit, weil die IBB im Dezember 1999 unstreitig Teile ihres Vermögens, nämlich ihre Geschäftsanteile an der Schuldnerin, an die I. Finanz- und Immobilien-Consulting GmbH verkauft und damit die Sanierungsbemühungen der Beklagten hintertrieben hatte. Auch dies stellt der Kläger im Revisionsverfahren nicht in Frage.

b) Nach § 131 InsO sind auch Deckungen anfechtbar, die der Gläubiger nicht in der Art zu beanspruchen hatte. Auch dies trifft auf die Zahlung vom nicht zu.

Der Bundesgerichtshof hat allerdings seit der Entscheidung vom (BGHZ 136, 309, 311 ff) in ständiger Rechtsprechung angenommen, daß eine inkongruente Deckung im Sinne des Anfechtungsrechts auch dann vorliegt, wenn der Schuldner in der Krise zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung geleistet hat (vgl. zuletzt , ZIP 2003, 1304 f; v. - IX ZR 169/02, ZIP 2003, 1506, 1507 f, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen; v. - IX ZR 215/02, ZIP 2003, 1900, 1901 f).

Im Streitfall ist der Zahlung keine Androhung von Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung vorausgegangen; nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Schuldnerin gezahlt, ohne von der Beklagten hierzu besonders aufgefordert worden zu sein. Daß ihr in der Krisensitzung vom mit Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gedroht worden sei, hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger nicht vorgetragen. Der Grundsatz, daß die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit in dem von § 131 InsO erfaßten Zeitraum zurücktreten muß, greift daher nicht ein.

2. Auch die Kontosperre führt nach den bisherigen Feststellungen nicht dazu, die Zahlung am als inkongruent anzusehen.

a) Mit der in dem Schreiben vom umschriebenen Maßnahme hat sich die Beklagte das auf dem Konto der Schuldnerin befindliche Guthaben in Höhe von ca. 608.000 DM - vorläufig - bis zur Fälligstellung des durch die Bürgschaft unterlegten Anspruchs gesichert. Die ausgesprochene "Sperre" zielte darauf ab, die Schuldnerin als Kontoinhaberin - jedenfalls schuldrechtlich - in der Verfügung über ihre Einlagenforderung zu beschränken (vgl. Merkel, in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch 2. Aufl. § 93 Rn. 16). Hierzu war die Beklagte nach dem Bürgschaftsvertrag und den einbezogenen AGB-Sparkassen am nicht berechtigt. Denn das vereinbarte Pfandrecht an den Guthaben der Schuldnerin sicherte etwaige Ansprüche aus übernommenen Bürgschaften erst ab deren Fälligkeit (vgl. Bunte, in Schimansky/Bunte/Lwowski aaO § 19 Rn. 41). Soll ein Pfandrecht - wie hier Nr. 21 Abs. 3 Satz 3 AGB-Sparkasen - nur künftige Ansprüche sichern, ist eine frühere Ausübung inkongruent (vgl. , ZIP 1999, 79 f; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 40).

b) Dies hat indes nur dann die Inkongruenz der nachfolgenden Überweisung zur Folge, wenn sich die Kontosperre auf die Ausführung des Überweisungsauftrags durch die Beklagte jedenfalls mitursächlich ausgewirkt hat. Ein solcher Zusammenhang ist vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden. Er ergibt sich auch nicht aus dem unstreitigen Vorbringen des Klägers.

Die Kontosperre hätte die Erfüllung der Bürgschaftsforderung insbesondere dann erst möglich gemacht, wenn das Guthaben ohne die Maßnahme der Beklagten in der Zeit zwischen dem und dem abgeflossen wäre. Hierzu mußte der Kläger, den als Insolvenzverwalter insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 57 u. 60), im einzelnen vortragen. In diesem Zusammenhang reichte der - von der Beklagten im übrigen bestrittene - Hinweis darauf nicht aus, daß alle laufenden Verbindlichkeiten, die den Geschäftsbetrieb der Schuldnerin betrafen, ausschließlich über das bei der Beklagten geführte Konto abgewickelt worden seien. Die Kontosperre erfaßte - vor der Ausführung der streitigen Überweisung - keinen Zeitpunkt, in dem üblicherweise die laufenden Lohnzahlungen erbracht werden. Bis zur Ausführung der angefochtenen Zahlung hatte sie erst wenige Tage Bestand, zu denen auch noch ein Wochenende gehörte. Schließlich verblieb auf dem Konto der Schuldnerin ein nicht unerhebliches Guthaben, über das in der Folgezeit unstreitig nicht verfügt worden ist. Bei dieser Sachlage ergab sich der erforderliche ursächliche Zusammenhang nicht von selbst. Es bedurfte vielmehr einer schlüssigen Darstellung der hypothetischen Entwicklung des bei der Beklagten geführten Guthabenkontos.

3. Das angefochtene Urteil beruht danach auf Rechtsfehlern (§ 562 Abs. 1 ZPO).

III.

1. Zur Klärung der aufgezeigten, erheblichen Tatsachen ist der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Soweit nach den ergänzenden Feststellungen eine Anfechtung nach § 131 InsO ausscheidet, wird das Berufungsgericht die Voraussetzungen der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu prüfen haben. In diesem Zusammenhang wird auch der Inhalt der - beigezogenen - staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten in die Würdigung einzubeziehen sein, soweit sich die Parteien auf deren Inhalt berufen.

2. Sollte danach der Anfechtungsanspruch durchgreifen, kann die Beklagte - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - gegen den anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch aus § 143 InsO nicht mit Insolvenzforderungen aus § 144 Abs. 1 InsO aufrechnen (vgl. BGHZ 15, 333, 337; , NJW 1995, 2783, 2784; MünchKomm-InsO/Brandes, § 96 Rn. 10).

Fundstelle(n):
BB 2004 S. 403 Nr. 8
DB 2004 S. 870 Nr. 16
DStR 2004 S. 1183 Nr. 28
OAAAC-01048

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein