BGH Urteil v. - IX ZR 235/01

Leitsatz

[1] Wird der beklagte Rechtsanwalt in einem Anwaltsprozeß unfähig, seine Selbstvertretung fortzuführen, so ist die hierdurch bewirkte Verfahrensunterbrechung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten. Ist die Unterbrechung in den Vorinstanzen eingetreten, kann grundsätzlich der Unterbrechungsgrund noch im Revisionsverfahren als neue Tatsache vorgetragen werden.

Gesetze: ZPO § 56; ZPO § 244

Instanzenzug: KG Berlin LG Berlin

Tatbestand

Am verstarb der Sohn des Beklagten. Er war Mitgesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin, die der Beklagte seit dem im Rahmen eines Dauermandates außerhalb gerichtlicher Verfahren anwaltlich vertrat. Nach dem Tod seines Sohnes zog der Beklagte die zugunsten der Klägerin bestehenden Lebensversicherungen im Gesamtbetrag von 562.194 DM ein, leitete hiervon aber nur 280.000 DM an die Klägerin weiter. Abzüge auf den Differenzbetrag in Gesamthöhe von 28.937,20 DM sind unstreitig. Auf den Rest von 253.256,80 DM nebst Zinsen hat die Klägerin den Beklagten, der sich in den Tatsacheninstanzen selbst vertrat, in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage am in Höhe von 221.704,80 DM nebst Zinsen stattgegeben und sie wegen der Aufrechnung des Beklagten mit restlichem Beratungshonorar aus dem Dauermandat vom in Höhe von 31.552 DM abgewiesen.

Gegen das Landgerichtsurteil, welches dem Beklagten am zugestellt worden ist, hat er am Berufung eingelegt, das Rechtsmittel jedoch nicht bis zum begründet. Auf Hinweis des daß eine Berufungsbegründung dort nicht eingegangen sei, hat der Beklagte in der Anlage des von ihm gezeichneten Schriftsatzes vom zwei Kopien einer Berufungsbegründung vom übersandt, die selbst weder unterzeichnet noch anwaltlich beglaubigt waren. Auf weiteren Hinweis des Kammergerichtes, der dem Beklagten nach seinem Vorbringen am zugegangen ist, daß seine Berufung nur als unselbständige Berufung zu behandeln sei, hat er am beantragt, ihm wegen der versäumten Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Klägerin hat ihre gleichfalls eingelegte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts zurückgenommen. Das Kammergericht hat daraufhin unter Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrages vom die Berufung des Beklagten verworfen.

Hiergegen wendet sich die Revision des Beklagten, mit der er weiterhin die Abweisung der Klage erstrebt.

Gründe

I.

Über die Revision des Beklagten ist, obwohl die Klägerin im Verhandlungstermin vor dem Senat nicht vertreten war, nicht durch Versäumnisurteil, sondern durch streitiges Urteil (unechtes Versäumnisurteil) zu entscheiden. Denn die Revision erweist sich bereits auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts auch unter Berücksichtigung ihres eigenen Vorbringens als unbegründet (vgl. , NJW 1993, 1788; v. - I ZR 89/99, NJW 2002, 376, 377).

II.

Das Kammergericht hat angenommen, der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten vom sei erst nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist eingegangen. Mit dem Schriftsatz vom sei noch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt worden; auch Angaben zum Wiedereinsetzungsgrund seien dort nur unzureichend enthalten gewesen.

III.

Die Revision wiederholt demgegenüber die Ansicht, der Schriftsatz des Beklagten vom sei nach den Umständen als Wiedereinsetzungsantrag zu werten. Näherer Angaben zum Wiedereinsetzungsgrund habe es nicht bedurft. Die anliegenden einfachen Abschriften der Berufungsbegründung seien hier auch zur Nachholung der versäumten Prozeßhandlung genügend gewesen. Mindestens sei danach zu prüfen, ob das Berufungsgericht Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO von Amts wegen hätte gewähren müssen und ein etwa in dieser Hinsicht bestehendes Ermessen ausgeübt habe.

Der Beklagte läßt unter Beifügung eines ärztlichen Attestes im Revisionsverfahren schließlich vortragen, er sei von April 2000, spätestens jedoch seit Zustellung des landgerichtlichen Urteils, bis zum September 2000 (partiell) geschäfts- und prozeßunfähig gewesen. Falls danach das Landgerichtsurteil überhaupt wirksam zugestellt worden sei, sei spätestens das weitere Verfahren unterbrochen worden, so daß eine Berufungsbegründungsfrist nicht habe versäumt werden können.

IV.

Die nach § 547 ZPO a.F. unbeschränkt statthafte Revision ist wirksam eingelegt. Das gilt selbst dann, wenn das Verfahren unterbrochen war; § 249 Abs. 2 ZPO steht nicht entgegen (vgl. , WM 1997, 486). Das Berufungsurteil ist jedoch im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Die Berufungsbegründung ist verspätet eingegangen. Eine Verfahrensunterbrechung vor oder nach Zustellung des landgerichtlichen Urteils vermag der Senat nicht festzustellen.

a) Für eine Wiedereinsetzung des Beklagten in die versäumte Berufungsbegründungsfrist (§ 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F., §§ 233, 234, 236 ZPO) wäre kein Raum, wenn das Verfahren, wie die Revision vorträgt, bereits nach Verkündung oder spätestens nach Zustellung des landgerichtlichen Urteils unterbrochen worden wäre. Infolge vorheriger Unterbrechung wäre schon die Zustellung des landgerichtlichen Urteils unwirksam gewesen (BGHZ 111, 104, 107). Bei nachheriger Unterbrechung hätte der Lauf der Berufungsfrist aufgehört; die volle Frist hätte nach Beendigung der Unterbrechung von neuem begonnen (§ 249 Abs. 1 ZPO).

Die Geschäfts- und Prozeßunfähigkeit einer Partei kann sich auf die Führung eines bestimmten Rechtsstreites beschränken (BGHZ 143, 122, 125 a.E.), wie es die Revision hier im Hinblick auf die besonderen persönlichen Umstände des Beklagten behauptet. Durch den (partiellen) Verlust seiner Prozeßfähigkeit wird der Anwalt im Sinne des § 244 ZPO unfähig, die Vertretung der Partei fortzuführen (BGHZ 30, 112, 118); das gilt auch für einen Rechtsanwalt, der sich nach § 78 Abs. 4 ZPO in den Tatsacheninstanzen selbst vertritt (vgl. BGHZ 111, 104, 107).

b) Wird der beklagte Rechtsanwalt in einem Anwaltsprozeß unfähig, seine Selbstvertretung fortzuführen, so ist die hierdurch bewirkte Verfahrensunterbrechung entsprechend § 56 ZPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten (vgl. MünchKomm-ZPO/Feiber, 2. Aufl. § 244 Rn. 22; Musielak/Stadler, ZPO 2. Aufl. § 239 Rn. 1; allgemeine Ansicht). Ist die Unterbrechung in den Vorinstanzen eingetreten, kann der Unterbrechungsgrund trotz der Grenzen, die § 561 ZPO a.F. den tatsächlichen Grundlagen von Revisionsangriffen zieht, noch im Revisionsverfahren als neue Tatsache vorgetragen werden (vgl. , WM 1986, 58, 59).

c) Der Beklagte hat sich zur Stützung seines Vorbringens auf das Attest einer Internistin vom bezogen, in dem bescheinigt wird, er sei ab April 2000 im Zusammenhang mit dem Verdacht eines Tötungsdelikts gegen seinen Sohn in einen Blockadezustand mit nervlicher Überbelastung verfallen, der aus ärztlicher Sicht für den Zeitraum April bis September 2000 Prozeßunfähigkeit bewirkt habe. An der Richtigkeit dieses Attestes bestehen erhebliche Zweifel.

Die ausstellende Ärztin hat keine fachärztliche Qualifikation für die Beurteilung des beschriebenen Leidenszustandes. Der Tod des Sohnes lag bei Beginn des angegebenen Blockadezustandes mehr als zwei Jahre zurück. Der Beklagte war in der Lage, in erster Instanz seine Forderungen, mit denen er sich gegen die Klage verteidigt, in geordneter Weise vorzutragen. Er hat auch die Berufungsfrist gewahrt und auf den Hinweis des Kammergerichts, daß die in seinem weiteren Schriftsatz vom erwähnte Berufungsbegründung vom nicht eingegangen sei, bereits zwei Tage später reagiert und einfache Abschriften eines Begründungsschriftsatzes vom übersandt. Das spricht nicht für eine Blockade im Sinne zwanghafter Untätigkeit.

Der Beklagte hat sich auch selbst in der Berufungsinstanz nicht auf zeitweilige Prozeßunfähigkeit berufen, obwohl er sein Schreiben an den Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg vom damit einleitete, jetzt erkennen zu müssen, daß der Tod des Sohnes seine objektive Handlungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt habe, was sich erst in letzter Zeit merklich löse.

Mangels näherer fachärztlicher Befunde aus der Zeit von April bis September 2000 sieht der Senat auch keine Möglichkeit, von Amts wegen mit sachverständiger Hilfe noch zuverlässigere Erkenntnisse über die Prozeßfähigkeit des Beklagten in der genannten Zeitspanne zu gewinnen.

d) Die materielle Beweislast für die Prozeßunfähigkeit eines Anwaltes als Grund der Verfahrensunterbrechung gemäß § 244 ZPO trifft den Berufungskläger, der nach § 249 Abs. 1 ZPO damit einer Verwerfung des Rechtsmittels wegen versäumter Begründungsfrist entgehen will (vgl. BAG AP ZPO § 244 Nr. 1 m. Anm. Leipold).

2. Eine Wiedereinsetzung des Beklagten in die abgelaufene Berufungsbegründungsfrist hat das Berufungsgericht zutreffend abgelehnt.

a) Das Revisionsgericht hat Prozeßhandlungen der Parteien selbständig auszulegen. Das gilt auch für die Frage, ob eine vorinstanzliche Prozeßerklärung als Antrag auf Wiedereinsetzung in die abgelaufene Berufungsbegründungsfrist zu verstehen ist (vgl. , NJW 1997, 1312, 1313). Ein solcher Antrag kann auch hilfsweise gestellt werden ( aaO; v. - VII ZB 36/99, NJW 2000, 2280).

b) In seinem Schriftsatz vom hat der Beklagte nur mitgeteilt: "Es (ist) hier unverständlich, warum die Berufungsbegründung vom dem Gericht nicht vorliegt. Diese ist ordnungsgemäß am mit der Post weggeschickt worden. Anliegend werden zwei Kopien der Berufungsbegründung vom diesem Schreiben beigefügt." Diese Mitteilung genügte für die später ausdrücklich beantragte Wiedereinsetzung nicht.

Alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, müssen grundsätzlich innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden (§ 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Nur erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (vgl. , NJW 1997, 1708, 1709; v. - XI ZB 23/97, NJW-RR 1998, 778, 779; v. - VII ZB 8/97, NJW 1998, 1498; v. - VII ZB 6/99, VersR 2000, 515 = NJW 1999, 2284; st. Rechtspr.). In dem Schriftsatz des Beklagten vom ist ohne jede Substantiierung nur mitgeteilt worden, die Berufungsbegründung sei "ordnungsgemäß am mit der Post weggeschickt worden". Was damit konkret gemeint war, ließ sich ohne das spätere Vorbringen in dem Schriftsatz vom nebst anliegender eidesstattlicher Versicherung auch nicht ansatzweise feststellen. Denn erst dort brachte der Beklagte die notwendigen tatsächlichen Angaben über die Postaufgabe des Berufungsbegründungsschriftsatzes: persönlicher Einwurf in den örtlich näher bezeichneten, regelmäßig genutzten Briefkasten, Verwendung eines Fensterumschlages mit sichtbarer Adressierung an das Berufungsgericht, ausreichende Frankierung des Briefumschlages mit DM 3,10.

Entgegen der Ansicht der Revision decken sich hiernach die Anforderungen, die das Berufungsgericht bei Prüfung des Schriftsatzes vom an die Darlegung eines Wiedereinsetzungsgrundes gestellt hat, mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

c) Mit Recht hat das Berufungsgericht auch eine Wiedereinsetzung des Beklagten in die versäumte Berufungsbegründungsfrist von Amts wegen nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht in Betracht gezogen, weil es dazu keine hinreichende Veranlassung hatte. Denn eine solche Wiedereinsetzung des Beklagten in die versäumte Berufungsbegründungsfrist, welche die Revision zu erwägen gibt, hätte gleichfalls vorausgesetzt, daß ein Wiedereinsetzungsgrund fristgerecht akten- oder offenkundig war (vgl. , NJW-RR 1993, 1091, 1092 m.w.N.). Daran fehlte es, weil das Berufungsgericht außer dem Schriftsatz des Beklagten vom insoweit über keine anderen Erkenntnisquellen verfügte.

d) Der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten vom war selbst dann nach § 234 ZPO verspätet, wenn man zu seinen Gunsten unterstellt, das Hindernis sei erst am im Sinne des § 234 Abs. 2 ZPO behoben worden. Denn spätestens aus der Mitteilung des die der Beklagte am erhalten haben will, hat er erkennen müssen und tatsächlich auch erkannt, daß die Berufungsbegründungsfrist versäumt worden war. Ob der Beklagte diesen Umstand schon aus der Mitteilung des entnehmen mußte, wie das Berufungsgericht angenommen hat, spielt danach im Ergebnis keine Rolle mehr.

Fundstelle(n):
BB 2002 S. 1016 Nr. 20
NAAAC-00542

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja