BGH Beschluss v. - IX ZB 360/02

Leitsatz

[1] Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Zustellung ist vom Gericht des Vollstreckungsstaates der Zeitraum zu berücksichtigen, über den der Beklagte vor dem Gericht des Urteilsstaates tatsächlich verfügte, um den Erlass einer vollstreckbaren Versäumnisentscheidung zu verhindern.

Gesetze: EuGVÜ Art. 27 Nr. 2

Instanzenzug: OLG Düsseldorf 3 W 164/02 vom LG Mönchengladbach 1 O 151/02 vom

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Vollstreckbarerklärung des Versäumnisurteils des Arrondissementgerichts Breda/Niederlande vom , das die Antragstellerin gegen den in Deutschland wohnenden Antragsgegner erwirkte. Der Antragsgegner ließ sich vor dem niederländischen Gericht nicht ein.

Die Klageschrift mit Ladung zur mündlichen Verhandlung am war dem Antragsgegner am zugestellt worden. In der Verhandlung am erging wegen fehlenden Zustellungsnachweises kein Versäumnisurteil. Erst nach einem neuen Termin am , zu dem der Antragsgegner nicht geladen wurde, erging am Versäumnisurteil, das dem Antragsgegner zugestellt wurde. Er legte keinen Rechtsbehelf ein.

Auf Antrag der Rechtsbeschwerdeführerin hat das Landgericht angeordnet, dass das Versäumnisurteil vom mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht den Beschluss des Landgerichts abgeändert und das Gesuch zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Es ist zulässig. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), form- und fristgerecht eingelegt (§ 15 Abs. 2, § 16 AVAG) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet (§ 17 Abs. 1, 2 AVAG).

Auf das Verfahren findet noch das Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom (EuGVÜ) Anwendung, weil die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom (ABl. EG 2001 Nr. L 12, S. 1; im folgenden EuGVVO) erst am in Kraft getreten ist (vgl. Art. 66 Abs. 1, Art. 76 EuGVVO). Da die für vollstreckbar zu erklärende Entscheidung vor diesem Zeitpunkt erlassen worden ist, greift die Übergangsvorschrift in Art. 66 Abs. 2 Buchst. a EuGVVO nicht ein.

a) Nach Art. 34 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wird eine Entscheidung nicht anerkannt und damit auch nicht mit der Vollstreckungsklausel versehen, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäß oder nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte. Die Klageschrift samt Ladung zur mündlichen Verhandlung vom ist dem Antragsteller am zugestellt worden.

Das Oberlandesgericht hat zwar offengelassen, ob die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist. Dies ist indessen zwischen den Parteien unstreitig und ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen.

aa) Das Oberlandesgericht meint jedoch, die Zustellung sei nicht so rechtzeitig erfolgt, dass sich der Antragsgegner habe verteidigen können. Maßgebend für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Zustellung sei der Zeitraum zwischen tatsächlicher Zustellung am und dem Tag des Termins am . Dieser Zeitraum von 5 Tagen unter Einschluss eines Wochenendes sei nicht ausreichend.

bb) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Zustellung hat das Gericht des Vollstreckungsstaates denjenigen Zeitraum zu berücksichtigen, über den der Beklagte verfügte, um den Erlass einer nach dem Übereinkommen vollstreckbaren Versäumnisentscheidung zu verhindern (vgl. 166/80, EuGHE 1981, 1593, 1594; , NJW 1986, 2197; v. - XII ZB 71/89, NJW 1990, 2201, 2202; v. - IX ZB 1/88, NJW 1991, 641).

Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ soll sicherstellen, dass eine Entscheidung nach den Bestimmungen des Übereinkommens weder anerkannt noch vollstreckt wird, wenn es dem Beklagten nicht möglich war, sich vor dem Gericht des Urteilsstaates zu verteidigen. Diese Verteidigung ist jedenfalls bis zu dem neuen Termin, auf den das Versäumnisurteil ergeht, möglich. Hiervon ist der Bundesgerichtshof bei gleichem Sachverhalt auch bisher ausgegangen (vgl. Senatsbeschl. v. - IX ZB 104/00, NJW-RR 2002, 1151).

Der Zeitraum vom bis war auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Antragsgegner seine Rechtsverteidigung in den Niederlanden organisieren musste, ausreichend. Dies wird von ihm auch nicht in Frage gestellt.

cc) Art. 2 lit.c Nr. 2 des Vertrages vom zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen (BGBl. II 1965 S. 27) hatte vorgesehen, dass die Anerkennung der ausländischen Entscheidung dann nicht versagt werden kann, wenn der Beklagte gegen die Entscheidung hätte Rechtsmittel einlegen können. Das EuGVÜ hat aber gemäß seinem Art. 55 Vorrang vor diesem Abkommen, soweit es sich auf Rechtsgebiete erstreckt, die durch das EuGVÜ erfasst werden. In diesem Anwendungsbereich kann das deutsch-niederländische Abkommen - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - deshalb auch dann nicht mehr angewendet werden, wenn es im Einzelfall weniger strenge Anforderungen für die Anerkennung und Voll-streckung stellt (, WM 1993, 1352, 1354).

b) Der Antragsgegner ist zu dem Termin am allerdings unstreitig nicht geladen worden. Solche späteren Beeinträchtigungen der Verteidigungsmöglichkeit eines Beklagten können aber nur aufgrund des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ einer Anerkennung in Deutschland entgegenstehen, nämlich wenn die Anerkennung gegen die deutsche öffentliche Ordnung in verfahrensrechtlicher Hinsicht verstoßen würde. Das käme insbesondere bei einer Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in Frage (, NJW-RR 2002, 1151).

Das Grundrecht auf rechtliches Gehör gewährt dem Beklagten nur die zumutbare Möglichkeit, am Gerichtsverfahren teilzunehmen. Es schließt jedoch eigene Mitwirkungsobliegenheiten nicht aus, sobald der Beklagte von dem im Ausland gegen ihn eingeleiteten Gerichtsverfahren Kenntnis erlangt hat. Über die ordnungsgemäße Zustellung der Klageschrift hinaus gewährleistet Art. 103 Abs. 1 GG nur die - von Staats wegen ungehinderte - zumutbare Gelegenheit, sich am Gerichtsverfahren zu beteiligen. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör fordert aber nicht eine bestimmte verfahrensrechtliche Ausgestaltung, insbesondere nicht eine Terminsladung. Nimmt der Berechtigte seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht war, so hindert das nicht die Anerkennung des ausländischen Urteils. Für ihre eigene ordnungsgemäße Vertretung in einem ihr bekannten Gerichtsverfahren hat in erster Linie jede Partei selbst nach besten Kräften zu sorgen. Durch Untätigkeit vermag sie sich dieser Obliegenheiten nicht wirksam zu entziehen (BGHZ 48, 327, 330 f; 118, 312, 321 f; 141, 286, 297 f; , NJW 1990, 2201, 2202; v. - IX ZB 104/00, NJW-RR 2002, 1151).

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Anerkennungshindernisses nach Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ trägt derjenige, der damit die Anerkennung verhindern möchte ( aaO). Entsprechende Voraussetzungen hat der Antragsgegner nicht dargelegt.

Es ist nichts dafür ersichtlich, dass er zu dem neuen Termin vom nicht geladen oder ihm dieser Termin nicht zumindest mitgeteilt worden wäre, wenn er seine Verteidigungsbereitschaft und sein Interesse an der Teilnahme an der Verhandlung binnen angemessener Frist nach Zustellung der Klageschrift am mitgeteilt hätte. Dass er zu diesem neuen Termin nicht geladen wurde, ist aus rechtsstaatlicher Sicht nicht unerträglich, nachdem er seine Verteidigungsbereitschaft auch bis zu dem neuen Termin nicht angezeigt hatte.

Der Antragsgegner hätte allerdings keine Veranlassung gehabt, seine Verteidigung anzuzeigen, wenn er hätte davon ausgehen müssen, dass das Verfahren bereits am durch Versäumnisurteil abgeschlossen wurde. Hierfür hatte er jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte. Da die Klageschrift am und damit erst kurz vor dem Termin zugestellt worden war, durfte er davon ausgehen, dass das Gericht in Breda/Niederlande die Sache vertagen würde. So ist es auch geschehen. Daher hätte er den Erlass eines Versäumnisurteils gegen sich durch eine Verteidigungsanzeige verhindern können. Dies gereicht ihm zum Nachteil.

Danach liegt kein Grund i.S.d. Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ vor, den Antrag der Gläubigerin zurückzuweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 701 Nr. 10
WM 2006 S. 597 Nr. 12
BAAAB-99912

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein