Leitsatz
[1] Die Anmeldung einer Forderung nach Ablauf der im Eröffnungsbeschluß festgesetzten Anmeldefrist ist unverschuldet, wenn der Gesamtvollstreckungsverwalter entgegen § 6 Abs. 3 GesO dem bekannten Gläubiger den Eröffnungsbeschluß nicht übersandt hat.
Gesetze: DDR-GesO § 6 Abs. 3; DDR-GesO § 14 Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug: LG Magdeburg vom AG Magdeburg vom
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Gesamtvollstreckungsgericht - eröffnete mit Beschluß vom über das Vermögen der Schuldnerin das Gesamtvollstreckungsverfahren und bestellte den weiteren Beteiligten zu 1) zum Gesamtvollstreckungsverwalter. In dem Eröffnungsbeschluß wurden die Gläubiger aufgefordert, ihre gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen bis zum bei dem Verwalter anzumelden. Der Eröffnungsbeschluß wurde im Oktober 1995 im Bundesanzeiger, im Staatsanzeiger Sachsen-Anhalt und in der Tageszeitung "Volksstimme" veröffentlicht.
Nachdem ein Pfändungsversuch der in Niedersachsen ansässigen Gläubigerin gescheitert war, forderte sie den Verwalter mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom zur Freigabe eines hinterlegten Betrages auf. Im Antwortschreiben vom wies der Verwalter darauf hin, daß nach der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens Maßnahmen der Zwangsvollstreckung unzulässig seien. Auf den Ablauf der Anmeldefrist wies der Verwalter weder im Antwortschreiben vom noch in anderer Weise hin.
Im April 1996 meldete der Verfahrensbevollmächtigte der Gläubigerin gegenüber dem Verwalter eine Forderung gegen die Schuldnerin in Höhe von 90.791,85 DM zur Tabelle an. Der Verwalter beabsichtigt, die Forderung in Höhe von 78.356,31 DM zur Tabelle anzuerkennen.
Mit Beschluß vom hat das Amtsgericht die Aufnahme der Forderung zur Tabelle wegen verschuldet verspäteter Anmeldung abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin die Aufnahme ihrer Forderung in die Tabelle weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft, weil Entscheidungen des Gesamtvollstreckungsgerichts nach § 14 Abs. 1 Satz 1, § 20 GesO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind (, ZIP 1994, 157) und das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (, WM 2004, 490, 491). Die Rechtsbeschwerde ist auch im übrigen zulässig. Sie erweist sich als begründet.
Die Forderungsanmeldung der Gläubigerin ging zwar erst im April 1996 und damit nach Ablauf der am endenden Anmeldefrist beim Gesamtvollstreckungsverwalter ein. Sie muß jedoch gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 GesO vom Verwalter in die Tabelle zur späteren Prüfung aufgenommen werden, weil die verspätete Anmeldung unverschuldet war.
1. Das Beschwerdegericht meint, bei der Beurteilung des Verschuldens seien ausgehend von §§ 276, 278 BGB die zu § 233 ZPO entwickelten Grundsätze zugrunde zu legen. Ob der Fortgang des Verfahrens durch die Prüfung der Forderung verzögert werde, sei im Hinblick auf den Wortlaut der Vorschrift unerheblich. Die Gläubigerin sei verpflichtet gewesen, sich zumindest im Bundesanzeiger darüber zu informieren, ob über das Vermögen des Geschäftspartners das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden sei. Daß sie erst mit dem ihr am zugegangenen Schreiben des Verwalters von der Eröffnung erfahren habe, schließe das Verschulden nicht aus. Die Gläubigerin habe sich in den verbleibenden Tagen im Bundesanzeiger oder beim Verwalter über den Lauf der Anmeldefrist informieren können. Die entgegen § 6 Abs. 3 GesO unterbliebene Mitteilung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubigerin entlaste diese nicht, weil sie gleichwohl ein Verschulden treffe. Daß der Verwalter die Forderung in das Vermögensverzeichnis aufnehmen wolle, sei unerheblich, weil das Gericht bei seiner Entscheidung über die Zustimmung hieran nicht gebunden sei.
2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Verspätet angemeldete Forderungen sind nach § 14 GesO zu berücksichtigen, wenn die Verspätung unverschuldet war.
§ 14 Abs. 1 Satz 1 GesO verfolgt vor allem den Zweck, das Gesamtvollstreckungsverfahren zu straffen und zu beschleunigen. Dieser Zweck ist hinreichend gewichtig, um Eigentumsbeschränkungen zu rechtfertigen. Das Interesse der Gläubiger, die am Verfahren teilnehmen und nur noch eine teilweise Erfüllung ihrer Forderungen erhoffen dürfen, geht dahin, nicht durch zeitliche Verzögerung Nachteile zu erleiden. Ohne die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 GesO bestünde die Gefahr, daß zahlreiche Forderungen erst nachträglich angemeldet würden. Die Regelung ist verfassungsrechtlich unbedenklich und verstößt insbesondere nicht gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG oder den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 GG (BVerfGE 92, 262, 271 ff = ZIP 1995, 923, 924).
b) Bei der Bestimmung des Verschuldens ist von § 276 BGB, § 85 Abs. 2 ZPO auszugehen. Nach § 276 Abs. 2 BGB (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.) handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht läßt. Maßgebend ist danach ein objektiv abstrakter Sorgfaltsmaßstab, der an den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs ausgerichtet ist (BGHZ 80, 186, 193; Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 233 Rn. 12; MünchKomm-ZPO/Feiber, 2. Aufl. § 233 Rn. 21 f).
Ob dem Landgericht darin zu folgen ist, daß hier ein individualisierter Maßstab anzulegen ist (dagegen etwa Hess/Binz/Wienberg, GesO 4. Aufl. § 14 Rn. 67), kann dahinstehen. Wenn der Gläubiger, wie im vorliegenden Fall, anwaltlich vertreten ist, muß er sich das Verschulden des Anwalts gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Für den Anwalt gelten jedenfalls, wie bei § 233 ZPO, objektive Sorgfaltsmaßstäbe (, NJW 1985, 1710, 1711; Musielak/Grandel, ZPO 4. Aufl. § 233 Rn. 4).
c) Zwar ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 GesO, daß den Gläubiger regelmäßig ein Verschulden trifft, wenn er die Veröffentlichung der Anmeldefrist in den Veröffentlichungsblättern nicht rechtzeitig zur Kenntnis genommen hat (LG Dresden ZIP 1994, 1613, 1614). Indes war dem Verwalter mit Schreiben des Gläubigervertreters vom bekannt geworden, daß der Gläubigerin Forderungen gegen die Schuldnerin zustehen. Er war deshalb gemäß § 6 Abs. 3 GesO verpflichtet, der Gläubigerin den Eröffnungsbeschluß zu übersenden, in dem gemäß § 5 Satz 2 Nr. 3 GesO die Anmeldefrist angegeben war. Gegen diese Verpflichtung hat der Verwalter verstoßen.
Damit wirkte sich ein etwaiges Verschulden der Gläubigerin nicht mehr aus (vgl. BVerfGE 93, 99, 115 f = NJW 1995, 3173, 3175; BVerfG NJW 2001, 1343); der Kausalzusammenhang war unterbrochen. Ab dem Zeitpunkt, in dem der Verwalter von ihrer Forderung gegen die Schuldnerin Kenntnis hatte, durfte sich die Gläubigerin darauf verlassen, daß der Verwalter seiner Verpflichtung nach § 6 Abs. 3 GesO nachkommen und den Ablauf der Anmeldefrist mitteilen würde (vgl. OLG Dresden ZIP 1993, 1826, 1827; OLG Brandenburg ZIP 1994, 1288, 1289; LG Dresden ZIP 1994, 1613, 1615; LG Erfurt ZIP 1996, 1708, 1711; Hess/Binz/Wienberg, aaO § 14 Rn. 76).
In der Rechtsprechung der Landgerichte wird allerdings die Auffassung vertreten, die Mitteilung nach § 6 Abs. 3 GesO sei im Hinblick auf den Vorrang der Verfahrensbeschleunigung als rein verfahrensrechtliche Ordnungsvorschrift zu betrachten, ihre Nichtbeachtung lasse daher das Verschulden des Gläubigers nicht entfallen (z.B. LG Neuruppin, ZIP 1997, 1166; LG Halle ZIP 1996, 2176; ebenso Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO 4. Aufl. § 14 Rn. 21).
Dem kann nicht gefolgt werden. Unzutreffend ist bereits, daß es sich bei § 6 Abs. 3 GesO um eine Ordnungsvorschrift handelt. Das Gesetz sieht diese Übersendung in gleicher Weise zwingend vor wie die öffentliche Bekanntmachung nach Absatz 1. Damit gleicht es die Strenge der Ausschlußfrist des § 14 GesO aus. Der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung vermag an der Verbindlichkeit dieser Vorschrift schon deshalb nichts zu ändern, weil er in keiner Weise beeinträchtigt wird. Die Mitteilungen nach Absatz 3 sind nur an die Gläubiger zu übersenden, die bis zum Ablauf der Anmeldefrist bekannt werden. Dieser Zeitpunkt muß ohnehin für das weitere Verfahren abgewartet werden.
Sinn des § 6 Abs. 3 GesO ist es, wenigstens die bereits bekannten Gläubiger in die Lage zu versetzen, ihre Rechte im Gesamtvollstreckungsverfahren wahrzunehmen (LG Dresden aaO). Angesichts dieses Schutzzwecks wird ein etwaiges Verschulden des Gläubigers überlagert durch das Verschulden des Verwalters.
Die Regelung des § 14 Abs. 1 GesO enthält - anders als § 142 Abs. 1 KO, § 177 Abs. 1 InsO - eine Ausschlußfrist; § 6 Abs. 3 GesO hat zum Ziel, daß die Gläubiger mit möglichst großer Sicherheit von ihr Kenntnis erhalten. Dies verbietet es, den Verstoß gegen § 6 Abs. 3 GesO sanktionslos zu lassen (vgl. LG Dresden aaO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2005 S. 1139 Nr. 16
WM 2005 S. 1610 Nr. 34
FAAAB-99834
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja